Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 55/00 vom
29.06.2000 zum Urteil vom 29.06.2000 betreffend Rufbereitschaft per Handy
Das Bundesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob einem
Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes für Zeiten, in denen er außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit über ein Funktelefon (sog. Handy) erreichbar sein muß, die
tariflich für Rufbereischaft vorgesehene Vergütung zusteht.
Der Kläger ist Verwaltungsangestellter beim Technischen Hilfswerk (THW). Das THW
verpflichtet bestimmte Mitarbeiter, zu denen der Kläger gehört, nach einem im voraus
festgelegten Plan außerhalb der Dienstzeit erreichbar zu sein, um Informationen und
Aufträge entgegenzunehmen und sodann telefonisch das Erforderliche (z.B. die Erteilung
von Einsatzaufträgen) zu veranlassen. In der Zeit vor dem 1. Januar 1996 hatte die
Beklagte diese Mitarbeiter mit Euro-Signal-Empfängern (sog. Euro-Piepern) ausgestattet,
bei deren Ertönen vom nächsten Fernsprecher aus die Leitstelle anzurufen war. Seit dem
1. Januar 1996 haben die Arbeitnehmer empfangsbereite Funktelefone mitzuführen. Die
Beklagte zahlte bis zum 31. Dezember 1995 Rufbereitschaftsvergütung nach § 15 Abs. 6 b
Unterabs. 2 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden BAT. Sie hat die Auffassung
vertreten, nach Einführung der Funktelefone lägen die tariflichen Voraussetzungen der
Rufbereitschaft nicht mehr vor, weil die Arbeitnehmer nicht mehr wie früher in ihrer
Bewegungsfreiheit eingeschränkt seien. Der Kläger war von Januar 1996 bis März 1997 an
mehreren Tagen monatlich zur "Erreichbarkeit per Handy" eingeteilt. Seine Klage
auf Zahlung von Rufbereitschaftsvergütung hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
Auf die Revision des Klägers hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts das
Berufungsurteil aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Der Kläger hat
Rufbereitschaft geleistet.
Rufbereitschaft im Tarifsinne ist gegeben, wenn der Angestellte verpflichtet ist, sich auf
Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem
Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (§ 15
Abs. 6 b Unterabs. 1 BAT). Die vom Arbeitgeber angeordnete "Erreichbarkeit per
Handy" erfüllt diese Voraussetzungen. Das ergibt die Tarifauslegung.
Der Kläger war zwar nicht verpflichtet, sich an einer bestimmten, der Beklagten
mitzuteilenden Stelle aufzuhalten, sondern konnte seinen Aufenthalt wählen und
verändern, ohne seinen Arbeitgeber jeweils informieren zu müssen. Er war aber dennoch
während der "Erreichbarkeit per Handy" in der Bestimmung seines Aufenthalts
beschränkt. Er war - von Ausnahmen abgesehen - verpflichtet, Aufenthaltsorte zu wählen,
an denen er über ein von ihm ständig betriebs- und empfangsbereit zu haltendes
Funktelefon erreicht werden konnte. Dazu gehörte, daß er sich von dem Funktelefon nicht
außer Hörweite entfernte und grundsätzlich Orte mied, an denen Funktelefone nicht
betrieben werden können oder dürfen. Auch diese Form angeordneter Bereitschaft des
Arbeitnehmers erfüllt nach Sinn und Zweck der Tarifregelung den Begriff der
Rufbereitschaft. Andernfalls wäre die Heranziehung des Arbeitnehmers unzulässig, weil
dieser mangels tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarung außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit weder zur Arbeit noch zur Arbeitsbereitschaft verpflichtet ist.
Dieses Ergebnis wollten die Tarifvertragsparteien dadurch, daß sie die Möglichkeit der
Anordnung von Rufbereitschaft vereinbart haben, gerade vermeiden.
Der Hinweis der Beklagten, die moderne Kommunikationstechnik habe die Ausübung der
Rufbereitschaft in Fällen wie diesem so sehr erleichtert, daß die Höhe des tariflich
vorgesehenen Entgelts nicht mehr gerechtfertigt sei, ist rechtlich unerheblich. Es ist
Sache der Tarifvertragsparteien zu entscheiden, ob von ihnen vereinbarte
Arbeitsbedingungen wegen des technischen Fortschritts geändert werden müssen.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. Juni 2000 - 6 AZR 900/98
- (Vorgehende Entscheidung: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15. Oktober 1998 - 4 Sa 318/98 -)
Werner Schell (8.7.2000)
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