Die Rechtsprechung muss in Verantwortung gegenüber dem Bestandsschutz der verfassungsmäßigen Wertordnung
und zur Gewährleistung der physischen und psychischen Unversehrtheit der im Arbeitsleben stehenden Bürger gegenüber Mobbing ein klares Stop-Signal setzen
Landesarbeitsgericht (LAG) Thüringen, Urteil vom 15.02.2000 - 5 Sa 102/2000 -
Leitsätze:
1. Der Staat, der Mobbing in seinen Dienststellen und in der Privatwirtschaft zuläßt oder nicht ausreichend sanktioniert, kann sein humanitäres Wertesystem
nicht glaubwürdig an seine Bürger vermitteln und gibt damit dieses Wertesystem langfristig dem Verfall preis. Entsprechend dem Verfassungsauftrag des Art. 1
Abs. 1 GG muß die Rechtsprechung in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung, in Verantwortung gegenüber dem Bestandsschutz der
verfassungsmäßigen Wertordnung und zur Gewährleistung der physischen und psychischen Unversehrtheit der im Arbeitsleben stehenden Bürger gegenüber
Mobbing ein klares Stop-Signal setzen.
2. Auch die Arbeitnehmer sind in der Konsequenz des von der Verfassung vorgegebenen humanitären Wertesystems verpflichtet, das durch Art. 1 und 2 GG
geschützte Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit der anderen bei ihrem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer
nicht durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- und Freiheitssphäre zu verletzen.
3. Zur Achtung der Persönlichkeitsrechte der ArbeitskollegInnen sind die Arbeitnehmer eines Betriebes unabhängig von den Ausstrahlungen der Verfassung
auf die zwischen den Bürgern bestehenden Rechtsverhältnisse auch deshalb verpflichtet, weil sie dem Arbeitgeber keinen Schaden zufügen dürfen.
4. Aufgrund von Mobbinghandlungen kann ein solcher Schaden für den Arbeitgeber u.a. deshalb entstehen, weil für den von dem Mobbing betroffenen Arbeitnehmer
– abhängig von den Umständen des Einzelfalles - nach § 273 Abs. 1 BGB die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung, die Ausübung
des Rechts zur außerordentlichen Kündigung mit anschließendem Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB, unabhängig von der Ausübung
eines solchen Kündigungsrechts die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Schadensersatz wegen dessen eigener Verletzung von Organisations- und
Schutzpflichten (positive Vertragsverletzung, § 823 Abs. 1 BGB) oder nach den hierfür einschlägigen Zurechnungsnormen des Zivilrechts (§§ 278, 831 BGB)
für das Handeln des Mobbingtäters in Betracht kommen und bei Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen des § 831 BGB grundsätzlich auch
Schmerzensgeldansprüche gegen den Arbeitgeber gerichtet werden können.
5. Das sogenannte Mobbing kann auch ohne Abmahnung und unabhängig davon, ob es in diesem Zusammenhang zu einer Störung des Betriebsfriedens gekommen ist, die
außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des
Mobbingopfers in schwerwiegender Weise verletzt werden. Je intensiver das Mobbing erfolgt, um so schwerwiegender und nachhaltiger wird die
Vertrauensgrundlage für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestört. Muß der Mobbingtäter erkennen, daß das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers
geführt hat und setzt dieser ungeachtet dessen das Mobbing fort, dann kann für eine auch nur vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein
Raum mehr bestehen.
6. Für die Einhaltung der für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bestehenden zweiwöchigen Auschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB kommt
es bei einer mobbingbedingten außerordentlichen Kündigung entscheidend auf die Kenntnis desjenigen Ereignisses an, welches das letzte, den
Kündigungsentschluß auslösende Glied in der Kette vorangegangener weiterer, in Fortsetzungszusammenhang stehender Pflichtverletzungen bildet.
7. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff "Mobbing" gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung
Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter Betrachtung der einzelnen Handlung die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-,
Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen Umfang erfüllen können. Wenn hinreichende Anhaltspunkte
für einen Mobbingkomplex vorliegen, ist es zur Vermeidung von Fehlentscheidungen erforderlich, diese in die rechtliche Würdigung
miteinzubeziehen. Kündigungsrechtlich bedeutet dies, daß die das Mobbing verkörpernde Gesamtheit persönlichkeitsschädigender Handlungen als
Bestandteil einer einheitlichen Arbeitsvertragsstörung sowohl den sachangemessenen Anknüpfungspunkt und Grund für den Ausspruch einer Kündigung
als auch die Grundlage für deren gerichtlichen Überprüfung bildet.
8. Da es aus rechtlicher Sicht bei Mobbing um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und/oder der Ehre und/oder der Gesundheit geht und die in
Betracht kommenden Rechtsfolgen das Vorliegen eines bestimmten medizinischen Befundes nicht in jedem Fall voraussetzen, ist jedenfalls für die juristische
Sichtweise nicht unbedingt eine bestimmte Mindestlaufzeit oder wöchentliche Mindestfrequenz der Mobbinghandlungen erforderlich.
9. Unabhängig davon, ob es bei der gerichtlichen Prüfung um eine Kündigung, Abwehr- oder Schadensersatzansprüche geht, kann allerdings das Vorliegen eines
"mobbingtypischen" medizinischen Befundes erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben: Wenn eine Konnexität zu den behaupteten
Mobbinghandlungen feststellbar ist, muß das Vorliegen eines solchen Befundes
als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen
werden. Die jeweilige Ausprägung eines solchen Befundes kann ebenso wie eine
"mobbingtypische" Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall
darüberhinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher der
Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden
Mobbinghandlungen vorliegt, dann besteht eine von der für diese Handlungen
verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person zu widerlegende
tatsächliche Vermutung, daß diese Handlungen den Schaden verursacht haben, den
die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die
Suizidreaktion des Opfers zur Folge hat.
10. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Wahrung des
Rechtsfriedens erfordern für die Durchführung von Gerichtsverfahren Regeln,
die unabhängig von der Komplexität von Sachverhalten und ohne Ansehen der für
die Justiz durch das Verfahren entstehenden Belastungen, der Durchsetzung des
materiellen Rechts und damit der Gerechtigkeit Geltung verschaffen. Bei einem
sich über einen unbestimmten Zeitraum erstreckenden Geschehen, wie es z.B. bei
Mobbing der Fall ist, kann von dem Betroffenen nicht ohne weiteres erwartet
werden, daß er ohne Rückgriff auf gegebenenfalls tagebuchartig zu führende
Aufzeichnungen zu einer vollständigen und damit wahrheitsgemäßen Aussage in
der Lage ist, sei es, daß er als Partei in einem von ihm selbst betriebenen
Mobbingschutzprozess nach § 141 ZPO angehört oder nach § 448 ZPO vernommen
wird oder sei es, daß er als Zeuge in einem den Täter des Mobbings
betreffenden Kündigungsschutzprozess aussagen muß. Bei der Aussage über
länger zurückliegende Ereignisse kann deshalb ein Zeuge oder eine Partei auf
seine bzw. ihre im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesen Ereignissen
zur Gedächtnisstütze gefertigten Notizen und erst recht auf eine zu diesem
Zweck gefertigte eidesstattliche Versicherung Bezug nehmen, wenn die
Nichtgestattung der Bezugnahme auf eine Verhinderung der Beweisführung
hinausliefe und diese Schriftstücke zu den Akten gereicht werden oder sich
bereits dort befinden. Zur Ausschließung der schriftlichen Vorbereitung einer
zum Zwecke der Wahrheitsverschleierung dienenden "Aussagekosmetik"
oder von dritter Seite vorformulierter Aussagen muß allerdings die
vorzunehmende Glaubwürdigkeitsprüfung einem besonders strengen Maßstab
unterworfen werden. Dabei kommt es insbesondere auf die Umstände des
Zustandekommens der schriftlichen Aufzeichnungen an, die gegebenenfalls durch
gerichtliche Rückfragen und Vorhaltungen überprüft werden müssen.
Entscheidungstenor
Die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach, Außenkammer Mühlhausen vom 20.12.1999
- 4 Ca 1037/98 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die
Wirksamkeit einer dem Kläger von der Beklagten ausgesprochen
außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Der Kläger ist seit dem 1.2.1994 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt war er
als Warenbereichsleiter der Abteilung Fleisch/Wurst in der von der Beklagten
betriebenen K-Filiale in M mit einem monatlichen Bruttogehalt von 5400,-- DM
eingesetzt.
Am 1.9.1998 wurde der Fleischergeselle F von Erfurt in die Filiale der Beklagten
nach M versetzt und sollte dort vom Kläger im Bereich SB Fleisch als
Gruppenleiter eingearbeitet werden. Über die Art, in welcher der dem
Mitarbeiter F vorgesetzte Kläger diesen begrüßte und mit diesem in der
Folgezeit umging, besteht zwischen den Parteien Streit.
Am 4.9.1998 wurde Herr F aufgrund eines stark erhöhten Blutdrucks
arbeitsunfähig. Hierüber informierte er den Kläger. Die Krankschreibung
endete am 5.10.1998.
Am 8.10.1998 erhielt der Hausleiter W der Filiale M die telefonische Mitteilung,
daß der Mitarbeiter F einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Die Mutter des
Mitarbeiters F hatte ihren Sohn gegen 11.30 bewußtlos in dessen Wohnung
aufgefunden. Der von ihr sofort herbeigerufene Notarzt stellte fest, daß Herr F
eine Überdosis Schlaftabletten genommen hatte und daß er bei nur 2 Stunden
verzögerter Entdeckung verstorben wäre. In der Wohnung des Herrn F wurde ein
an seine Mutter hinterlassener Abschiedsbrief gefunden, der auszugsweise
folgenden Wortlaut hatte:
"Liebe Sabine!
Es tut mir in der Seele weh dies zu tun, aber habe keinen anderen Ausweg mehr
gesehen. Dank der lieben Versetzung nach M zu Herrn M hat sich das alles so
ergeben. Falls Du noch einmal einen der Mitarbeiter in M triffst, kannst Du
Herrn M ausrichten lassen, "daß bei Hitlers Zeiten solche kranken Leute
hingerichtet wurden" ich jetzt auch nicht mehr
lebe..................".
Herr F wurde nach seinem Selbstmordversuch in der Intensivstation eines Erfurter
Krankenhauses behandelt und war sodann krankgeschrieben. Er konnte deshalb
zunächst von der Beklagten zu den in seinem Abschiedsbrief angedeuteten
Ursachen aufgrund seines psychischen und physischen Zustandes nicht befragt
werden. In Abständen erfolgten ohne Erfolg Nachfragen der Beklagten, ob Herr F
wieder ansprechbar sei.
Der Kläger wurde bis zur endgültigen Sachverhaltsaufklärung von der Beklagten
am 9.10.1998 von der Arbeit freigestellt. Nach der Genesung des Mitarbeiters F
teilte dieser dem Hausleiter W mit, daß der Kläger ihn mit Beleidigungen und
der Ankündigung, ihn fertig zu machen, schikaniert hätte. In seiner hierzu am
27.10.1998 seitens der Beklagten durchgeführten Anhörung stritt der Kläger
die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ab. Daraufhin bat die Beklagte den Mitarbeiter
F, den Sachverhalt noch einmal möglichst unter Angabe von Zeugen ausführlich
zu schildern. Herr F machte daraufhin unter dem 30.10.1998 in einer
eidesstattlichen Versicherung, soweit es hier von Belang ist, die nachfolgenden
Angaben.
"Ich erkläre an Eides statt:
Beim Begrüßungsgespräch mit Herrn M am 1.9.1998/9.00 Uhr im Aufenthaltsraum
der Fleischerei in M wurde ich mit:
"Guten Tag Herr F, ich bin Herr M, der Warenbereichsleiter, wie Sie
sicherlich wissen, eilt mein Ruf mir voraus, ich habe bisher jedem das Arbeiten
beigebracht und ich werde schnellstens Ihre Kotzgrenze finden"
empfangen. Zu dieser Zeit befanden sich leider keine Zeugen im Raum.
In der weiteren Arbeitswoche ging es mit Beschimpfungen wie folgt weiter:
"Sie lahmes Arschloch",
"Können Sie denn überhaupt nichts richtig machen",
"Sie Erfurter Puffbohne können wohl überhaupt nichts",
"Ich mache Sie fertig",
"Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank"
"Herr H hat Ihnen wohl nur Müll gelernt, aber das ist ja normal bei Herrn
H, usw."
Diese Äußerungen wurden während der Ausführung meiner zugeteilten Arbeiten
von Herrn M geäußert, wobei wir uns in der Fleischerei befanden. Zu dieser
Zeit war der Fleischergeselle Herr S als Zeuge anwesend.
In meinen Pausenzeiten wurde mir von Herrn M nicht gestattet, diese zeitlich
auszuschöpfen. Das Rauchen wurde mir auch untersagt. Es wurde mir noch nicht
einmal eine vollständige Pause von insgesamt 2 mal eine halbe Stunde bei einem
14 Stundentag gewährt. Dies ging Dienstag bis Samstag derselben Woche. Es wurde
von Herrn M angewiesen, daß jeder Fleischer von Früh bis Abends da zu sein
hat.
.......................................
Aufgrund dieser seelischen
Belastung stieg mein Blutdruck ständig stark an, wobei ich am Sonntag den 4.
September beinahe einen Zusammenbruch hatte, worauf ich eine Krankschreibung
erhielt. Ich bin aufgrund zu hohem Blutdruck in ärztlicher Behandlung. Herrn M
hatte ich darüber informiert. Als ich am 6.10.1998 aus meiner Krankschreibung
wieder in M meine Arbeit gegen 6.00 Uhr aufnahm, war Herr M äußerst freundlich
zu mir und ich ging wieder meinen zugewiesenen Aufgaben nach.
Zwischen 14.00 – 15.00 Uhr ging ich zu meiner Mittagspause. Ich setzte mich
und schenkte mir einen Kaffee ein, als Herr M hereintrat. Plötzlich begann Herr
M ein Gespräch anzufangen, ohne daß ich vorher etwas gesagt hatte. Es ging um
meine Gesundheit und ob ich wieder arbeitsfähig wäre. Ich bejahte dies, fügte
aber hinzu, daß ich wegen meines zu hohen Blutdrucks immer noch in Behandlung
wäre. Da es gerade an der Tür klopfte, unterbrach Herr M das Gespräch und es
traten 2 Mitarbeiterinnen ein. Ich weiß leider nicht mehr ihren Namen, aber
gebe eine Beschreibung an:
.................................
Die beiden Mitarbeiterinnen
erkundigten sich, ob sie Feierabend machen könnten. Herr M reagierte nicht auf
diese Frage, sondern setzte das Gespräch mit mir wie folgt fort:
"Herr F, sie haben doch nur simuliert und zu Hitlers Zeiten hat man solche
Betrüger wie Sie an die Wand gestellt und erschossen. Herr F, zu Hitlers Zeiten
haben sich Männer Finger abgeschnitten, um nicht in den Krieg zu müssen,
solche hat Hitler auch an die Wand gestellt."
...................................
Durch diese Äußerungen wurde ich
sehr unruhig, was sich sicher durch mein Verhalten zeigte. Ich versuchte so gut
wie möglich meine Arbeit ohne Fehler zu erledigen. Es folgten durch Herrn M
weitere Spitzen, wie in meiner ersten Arbeitswoche (siehe wie oben ausgeführt)
am selben Tag und den darauffolgenden 7.10.1998. Nach diesen Äußerungen von
Herrn M habe ich total auf Durchgang geschaltet, um mir diese Sachen nicht mehr
anhören zu müssen. Ich war fix und fertig. Diese ganzen Äusserungen auf mich
bezogen gingen mir die ganze Zeit im Kopf herum und dadurch, daß ich sowieso
schon durch die vorhergehenden Spitzen etwas angeschlagen war, bin ich darüber
nicht fertig geworden.
......................."
Aufgrund dieser detaillierten
Sachverhaltsdarstellung wurde der Kläger am 2.11.1998 nochmals angehört. Ihm
wurde mitgeteilt, daß die behaupteten Beschimpfungen von den vom Kläger
benannten Zeugen bestätigt worden und andere Mitarbeiter geäußert hätten,
daß diese vom Kläger in der Vergangenheit ebenfalls beschimpft worden seien.
Der Kläger bestritt weiterhin den ihm vorgeworfenen Sachverhalt. Am gleichen
Tag erhielt der Kläger vom Hausleiter W der Beklagten ein die
streitgegenständliche Kündigung enthaltendes Schreiben.
In seiner am 13.11.1998 erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger
eingeräumt, er habe sich gegenüber Herrn F zu der zugegebenerweise völlig
unangemessenen Äusserung hinreißen lassen, daß sich Leute, die sich zu
Hitlers Zeiten die Finger abgeschnitten haben um nicht in den Krieg zu müssen,
an die Wand gestellt worden seien. Dies sei allerdings das einzige ihm
vorwerfbare Verhalten. Bei dieser Äußerung habe er aber nicht den Mitarbeiter
F persönlich in Bezug genommen. Diese Äußerung sei durch das Verhalten des
Mitarbeiters F provoziert worden. Dieser habe trotz bestehender
Gesundheitsprobleme mit dem Herzen in den Pausen mehrere Zigaretten geraucht und
starken Kaffee getrunken und deshalb keine Anstalten gemacht, seiner
beabsichtigten Ausbildung als Führungskraft gerecht zu werden. Außerdem sei
der Kläger zu diesem Zeitpunkt arbeitsmäßig überlastet gewesen. Zu seinen
Gunsten sei auch zu berücksichtigen, daß er seit 1994 beanstandungsfrei
gearbeitet habe und für die verantwortungsvolle Aufgabe des
Warenbereichsleiters Food vorgesehen gewesen sei. Deshalb wäre allenfalls eine
Abmahnung gerechtfertigt gewesen. Darüberhinaus sei die außerordentliche
Kündigung schon wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des §
626 Abs. 2 BGB rechtsunwirksam. Die Beklagte habe sich mangels Ansprechbarkeit
des Mitarbeiters F bei den anderen Mitarbeitern Klarheit darüber verschaffen
müssen, wie es zu dem Selbstmordversuch des Herrn F gekommen sei.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigung der Beklagten vom 2.11.1998 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält bereits die
fristlose Kündigung für rechtens und hat geltend gemacht, der Kläger habe den
ihm unterstellten Mitarbeiter F durch die von diesem in seiner eidesstattlichen
Versicherung dargestellten Verhaltensweisen beleidigt und dermaßen unter Druck
gesetzt, daß dieser sich aus Angst vor dem Kläger außerstande gesehen habe,
sich bereits in der Einarbeitungsphase an den Hausleiter zu wenden und als
einzige Möglichkeit den Selbstmordversuch in Betracht gezogen habe. Durch
dieses Verhalten habe der Kläger nicht nur den Straftatbestand der Beleidigung
verwirklicht, sondern er habe durch das ständige Mobbing die Gesundheit des
Herrn F geschädigt. Der Kläger habe dabei sogar vorsätzlich gehandelt, da er
auch nach der Genesung des Herrn F die diesen herabwürdigende Behandlung
fortgesetzt und damit eine weitere Gesundheitsbeschädigung billigend in Kauf
genommen habe. Darüberhinaus sei zu berücksichtigen, daß es sich gegenüber
dem Mitarbeiter F nicht um einen einmaligen Ausfall, sondern um wiederholte, als
menschenverachtend zu bezeichnende Verhaltensweisen gehandelt habe, die dazu
noch unter Ausnutzung der Vorgesetztenstellung erfolgt seien. Die Beklagte sei
auch aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor solchen
Übergriffen zu schützen. Bereits in der Vergangenheit sei es mehrfach zu
verbalen Angriffen des Klägers gegenüber ihm unterstellten Mitarbeitern
gekommen. Auf die Frage der Mitarbeiterin W, ob sie einen freien Tag erhalten
könne, um sich um ihre Kinder zu kümmern, habe der Kläger geantwortet
"Wenn Sie sich einen Klotz ans Bein hängen und auch noch Bälger machen
lassen, dann ist das Ihr Problem". Gegenüber der Mitarbeiterin K habe der
Kläger wegen einer angeblich nicht durchgeführten Anweisung vor
Arbeitskolleginnen geäussert "Blöde Kuh, die hat doch `nen Vogel, die
spinnt, alle bescheuert". Hierfür seien dem Kläger Abmahnungen erteilt
und ein Vermerk in die Personalakte aufgenommen worden, den der Kläger selbst
unterschrieben habe. Die Nachforschungen der Beklagten im Zusamenhang mit dem
Vorfall mit Herrn F hätten weitere Vorfälle ans Tageslicht gebracht. Bei
Rückkehr der Mitarbeiterin B, die anläßlich eines Herzinfarktes ihrer Mutter
bei dieser eine Woche im Krankenhaus verbracht hatte, habe der Kläger deren
Aussehen mit den Worten kommentiert "Sie sehen aus, wie die ganze Nacht
durchgevögelt, Ihre Haare sind ein Wischmopp." Den Mitarbeiter F habe er
mit den Worten beschimpft "Du stinkendfaule Sau, arbeite endlich mal, Dir
muß man das Arbeiten noch lernen!" Die Mitarbeiterin R habe er mit den
Worten "Wollen Sie nicht Ihren Arsch rausbewegen?" dazu aufgefordert,
ihm zu folgen. Nach den Angaben des Mitarbeiters S habe der Kläger in der
Metzgereiabteilung ein Sprechverbot erteilt, um die Arbeitszeit besser ausnutzen
zu können. Auf die Frage nach dem Ende der Arbeitszeit habe der Kläger dem
Mitarbeiter S geantwortet "Du mußt schneller arbeiten, dann kannst Du auch
pünktlich Feierabend machen. Nimm den Finger aus dem Arsch, bevor er noch ganz
braun wird". Ungeachtet all dieser Vorkommnisse sei allerdings bereits das
gegenüber dem Mitarbeiter F am 6.10.1998 an den Tag gelegte Verhalten des
Klägers für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung ausreichend.
Mit Urteil vom 20.12.1999, welches dem Kläger am 10.2.2000 zugestellt wurde,
hat das Arbeitsgericht die Klage nach vorangegangener Beweisaufnahme über die
von der Beklagten behaupteten Äußerungen des Klägers und die Frage der
Erteilung einer Abmahnung abgewiesen und die Rechtmäßigkeit der
außerordentlichen Kündigung bestätigt.
Mit der am 10.3.2000 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen und am
10.4.2000 begründeten Berufung erstrebt der Kläger die Aufhebung des
erstinstanzlichen Urteils.
Mit der Berufung rügt der Kläger eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das
Arbeitsgericht. Dieses habe nicht berücksichtigt, daß sämtliche von ihm
vernommenen Zeugen ein Interesse am günstigen Ausgang des Rechtsstreites für
die Beklagte gehabt hätten und die vom Kläger angebotenen Zeugen nicht
gehört. Auch materiellrechtlich sei das Urteil fehlerhaft. Zwar sei das
Arbeitsgericht zutreffend von dem Erfordernis einer fruchtlosen Abmahnung
ausgegangen. Das Arbeitsgericht habe aber bezüglich der Fälle K und W zu
Unrecht das Vorliegen einer rechtsgültigen Abmahnung angenommen. Bezüglich des
vom Kläger mit dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
verbundenen Einwandes, seine Unterschrift unter die beiden Abmahnungsprotokolle
sei von der Beklagten gefälscht worden, habe das Arbeitsgericht eine
unzulässige Vorwegnahme der Beweisaufnahme vorgenommen, indem es ausgeführt
habe, daß ein mögliches Gutachten über die vom Kläger angeblich geleisteten
Unterschriften keine Auswirkungen auf das vom Arbeitsgericht gefundene
Beweisergebnis haben könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach, Außenkammer Mühlhausen vom
20.12.1999, 4 Ca 1037/98 wird aufgehoben und es wird festgestellt, daß das
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
2.11.1990 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Auffassung der Beklagten hat
das Arbeitsgericht im Streitfall zu Unrecht das Erfordernis von Abmahnungen
angenommen, weil für den Kläger ohne weiteres erkennbar gewesen sei, daß er
sich rechtswidrig verhalte und das gegenüber dem Mitarbeiter F gezeigte
Verhalten von seinem Arbeitgeber auch nicht hingenommen werden würde. Bei der
nach § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung sei auch der
eingetretene Schaden zu Lasten des Arbeitnehmers mitzuberücksichtigen. Der in
dem Selbstmordversuch des Mitarbeiters F liegende Schaden sei dem
vorangegangenen Verhalten des Klägers selbst dann zuzurechnen, wenn dieser erst
durch eine zum Schaden neigende Konstitution des Mitarbeiters F ermöglicht oder
wesentlich erhöht worden sei. Wer einen Kranken oder Geschwächten verletze,
könne nicht so gestellt werden, als habe er einen Gesunden verletzt. Im
übrigen sei dem Kläger der angeschlagene Zustand und das mangelnde
Selbstvertrauen des Herrn F bekannt gewesen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die form- und fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das
Arbeitsgericht hat im Ergebnis zur Recht die Rechtswirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung festgestellt und die Klage abgewiesen. Das
Arbeitsverhältnis, welches zwischen den Parteien bestand, ist durch die
außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2.11.1998 aufgelöst worden. Die
hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 626 BGB sind erfüllt.
2. Das Verhalten des Klägers erfüllt die Voraussetzungen, die nach § 626 Abs.
1 BGB an einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu stellen
sind. Nach dieser Vorschrift liegt ein wichtiger Grund dann vor, wenn Tatsachen
gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider
Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist
für eine ordentliche Kündigung oder bis zum Ablauf einer vereinbarten
Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Anwendung
dieser Vorschrift erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 12.8.1999, NZA 2000 S. 421 ff;
APS/Dörner § 626 BGB Rn 28–30 m.w.N) in einer in zwei systematisch
selbständigen Abschnitten abgestuften Prüfung. Diese erfordert zunächst die
Feststellung, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des
Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine
außerordentliche Kündigung abzugeben. Erst wenn dies zu bejahen ist, erfolgt
die Prüfung, ob die Kündigung auch unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des zur Entscheidung stehenden Einzelfalles und der
Interessenabwägung gerechtfertigt ist. Kündigungsgrund im Sinne des § 626
Abs. 1 BGB ist jede Vertragsverletzung, die sich aus objektiver Sicht auf das
Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes auch in Zukunft
nachteilig auswirkt. In Abgrenzung zur ordentlichen Kündigung muß die aus der
Verletzung einer arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht resultierende
Störung des Arbeitsverhältnisses so schwerwiegend sein, daß bei verständiger
Sichtweise eine auch nur vorübergehende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
unzumutbar ist. Für die in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
erforderliche negative Zukunftsprognose (vgl. BAG, Urteil vom 21.11.1996, NZA
1997, 487 ff m.w.N) ist entscheidend, ob eine Wiederholungsgefahr besteht oder
ob durch die belastenden Auswirkungen einer in der Vergangenheit abgeschlossenen
Vertragsverletzung die Grundlage für eine Fortführung der Vertragsbeziehung
irreparabel zerstört ist.
3. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist auch das sogenannte
MOBBING jedenfalls dann in die grundsätzlich zur Rechtfertigung einer
außerordentlichen Kündigung geeigneten Fallgruppen von
Arbeitsvertragsstörungen einzureihen, wenn dadurch das allgemeine
Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in
schwerwiegender Weise verletzt werden.
a) Bislang hat sich die Rechtsprechung nicht grundlegend mit dieser Frage
befasst. Das Bundesarbeitsgericht hatte noch keine Gelegenheit, über die
kündigungsrechtlichen Auswirkungen von Mobbinghandlungen zu urteilen. In dem
vor der Kammer am 15.2.2001 ebenfalls verhandelten und dieser zur
grundsätzlichen Erörterung der im Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz
bestehenden Rechtsfragen Anlaß gebenden Verfahren 5 Sa 403/2000 (NZA-RR 2001 S.
347 ff. = BB 2001 S. 1558 mit Anmerkung von Aigner BB 2001 S. 1354 ff. = AuR
2001 S. 251 ff.; Volltextabdruck in der im Internet unter "www.thueringen.de/largef"
abrufbaren Entscheidungssammlung des Thüringer LAG) ging es um die Möglichkeit
der Mobbingabwehr durch das Mobbingopfer im Eilverfahren der einstweiligen
Verfügung und nicht um die Berechtigung einer gegenüber dem Mobbingtäter
ausgesprochenen "mobbingbedingten Kündigung" des Arbeitgebers. Das
LAG Sachsen-Anhalt hat in einem Urteil vom 27.1.2000 (9 Sa 473/99), allerdings
ohne das Vorhandensein von Ausführungen zur rechtlichen Erfassung und den
Voraussetzungen für das Vorliegen von Mobbing, in dem dort zu entscheidenden
Fall das Verhalten des Klägers als Mobbing bezeichnet, die diesem Rechtsstreit
zugrundeliegende außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung aber
mangels vorangegangener Abmahnung nicht bestätigt.
b) Zunächst ist wie bereits in dem oben erwähnten Rechtsstreit 5 Sa 403/2000
(a.a.O.) klarzustellen, daß es sich bei dem Begriff "Mobbing" nach
derzeitiger Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland nicht um einen
juristischen Tatbestand, sondern um einen Sammelbegriff für Verhaltensweisen
handelt, die je nach Sachlage für die Betroffenen rechtliche, gesundheitliche
und wirtschaftliche Auswirkungen haben können und mit wachsender Zunahme im
gesellschaftlichen Leben auch soziologische Folgen nach sich ziehen. Die
unterschiedlichen Definitionen des Begriffs Mobbing entsprechen den
unterschiedlichen wissenschaftlichen Blickwinkeln. Für die arbeitsrechtliche
Sichtweise hat das Bundesarbeitsgericht unter Mobbing das systematische
Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder
durch Vorgesetzte verstanden (Beschluss vom 15.1.1997, NZA 1997 S. 781 f). Dem
folgt auch die 5. Kammer des Thüringer Landesarbeitsgerichts. Die rechtliche
Einordnung dieser Verhaltensweisen beurteilt sich allerdings ausschließlich
danach, ob der Tatbestand einer Rechtsvorschrift erfüllt ist, aus welcher sich
die gewünschte Rechtsfolge herleiten läßt. In der Regel geht es in den als
"Mobbingschutzprozess" einzuordnenden Rechtsstreitigkeiten um
Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der Ehre oder der
Gesundheit des Betroffenen und darauf gestützte Abwehr-, Schadensersatz- und
gegebenenfalls Schmerzensgeldansprüche oder um die Frage, ob das Vorliegen von
Mobbing das Mobbingopfer zu einer außerordentlichen Kündigung seines
Arbeitsverhältnisses oder den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses des Mobbingtäters berechtigt.
c) Die juristische Bedeutung der durch den Begriff "Mobbing"
gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung
Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter Betrachtung der
einzelnen Handlung die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-,
Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des
Falles angemessenen Umfang erfüllen können. Wenn hinreichende Anhaltspunkte
für einen Mobbingkomplex vorliegen, ist es zur Vermeidung von
Fehlentscheidungen erforderlich, diese in die rechtliche Würdigung
miteinzubeziehen. Dies bedeutet, daß in diesen Fällen die das Mobbing
verkörpernde Gesamtheit persönlichkeitsschädigender Handlungen als
Bestandteil einer einheitlichen Arbeitsvertragsstörung sowohl den
sachangemessenen Anknüpfungspunkt und Grund für den Ausspruch einer Kündigung
als auch die Grundlage für deren gerichtlichen Überprüfung bildet. Insofern
können sich die Ausgangspunkte für die juristische Bewertung nicht von denen
der medizinischen Diagnose unterscheiden, die den pathogenetischen Mechanismus
von Mobbing als kumulative Traumatisierung beschreibt (Fischer/Riedesser,
Lehrbuch der Psychotraumatologie, München – Basel 1998 S. 332), deren
gesundheitliche Folgen nach Groeblinghoff/Becker (A Case Study of Mobbing and
the Clinical Treatment of Mobbing Victims, European Journal of Work and
Organizational Psychology, 1996, 5(2), S. 277 (284) eine unvergleichlich
stärkere Intensität aufweisen, als diejenigen, welche durch ein einziges
belastendes Ereignis, wie beispielsweise das Erlebnis eines schweren
Verkehrsunfalles hervorgerufen werden.
d) Ob ein nach arbeitsrechtlichem Verständnis für die Annahme von Mobbing
erforderliches systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren
vorliegt, hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine
Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang im allgemeinen üblichen (vgl.
auch Däubler, BB 1995 S. 1348) oder rechtlich erlaubten und deshalb
hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Es muß ein systematisches Handeln
festgestellt werden. Dies bedeutet, daß ein Zusammenhang mit in der
Zielrichtung gleichgelagerten, die Rechte des Betroffenen beeinträchtigenden
Verhaltensweisen bestehen muß. Ein solcher Zusammenhang muß sich zumindest aus
dem zeitlichen Ablauf ergeben. Mit dem Begriff des "Mobbing" im
arbeitsrechtlichen Verständnis müssen danach fortgesetzte, aufeinander
aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder
Diskriminierung dienende Verhaltensweisen erfasst werden, die nach ihrer Art und
ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht
gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das
allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen
verletzen. Da es aus rechtlicher Sicht bei Mobbing um die Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts und/oder der Ehre und/oder der Gesundheit
geht und die in Betracht kommenden Tatbestände und Rechtsfolgen das Vorliegen
eines bestimmten medizinischen Befundes nicht in jedem Fall voraussetzen, ist
jedenfalls für die juristische Sichtweise zwar ein Fortsetzungszusammenhang
einschlägiger Handlungen im oben beschriebenen Sinne, aber entgegen
verbreiteter Ansicht (ausgehend von Leymann, Mobbing –Psychoterror am
Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann, Hamburg 1993 S. 21, 57 ff.)
nicht unbedingt eine 6 Monate währende Mindestlaufzeit, eine wöchentliche
Mindestfrequenz der Mobbinghandlungen oder eine Einteilung des als Mobbing zu
bezeichnenden Geschehensablaufs in bestimmte Phasen (sog. 4-Phasen-Modell)
erforderlich. Unabhängig davon, ob es bei der gerichtlichen Prüfung um eine
Kündigung, Abwehr- oder Schadensersatzansprüche geht, kann allerdings das
Vorliegen eines "mobbingtypischen" medizinischen Befundes erhebliche
Auswirkungen auf die Beweislage haben. Wenn eine Konnexität zu den behaupteten
Mobbinghandlungen feststellbar ist, muß das Vorliegen eines solchen Befundes
als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen
werden. Die jeweilige Ausprägung eines solchen Befundes kann ebenso wie eine
"mobbingtypische" Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall
darüberhinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher der
Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden
Mobbinghandlungen vorliegt, dann besteht eine von der für diese Handlungen
verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person zu widerlegende
tatsächliche Vermutung, daß diese Handlungen den Schaden verursacht haben, den
die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die
Suizidreaktion des Opfers zur Folge hat.
e) Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der Ehre oder der
Gesundheit, die nach der bestehenden, durch Fehlen eines Anti-Mobbing-Gesetzes
gekennzeichneten Rechtslage für die mit rechtlichen Konsequenzen erfolgende
Erfassung des Mobbings erforderlich ist, kann grundsätzlich die Aufkündigung
eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, weil durch derartige Handlungen in
der Regel zugleich in gravierender Form die arbeitsvertraglichen Pflichten
verletzt werden.
Seit dem Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 25.5.1954 (BGHZ 13, 334 ff) ist anerkannt, daß
das durch Art. 1 und 2 GG geschützte Recht auf Achtung der Würde und der
freien Entfaltung der Persönlichkeit den Bürger nicht nur gegen Eingriffe der
Staatsgewalt schützt, sondern auch ein bürgerlich-rechtliches von jedermann im
Privatrechtsverkehr zu achtendes Recht ist und den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB
genießt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anerkennung der Rechtsfigur des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht beanstandet und entschieden, daß die
in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wertordnung auch auf das
Privatrecht einwirkt. Diese Wertordnung gelte als verfassungsrechtliche
Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts. Das Wertesystem der Grundrechte
finde seinen Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei
entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde. Im Bereich des
Privatrechts diene die Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor
allem im Bereich der privaten Sphäre des Menschen dazu, die im Laufe der Zeit
immer fühlbarer werdenden verbliebenen Lücken im Persönlichkeitsschutz
auszufüllen (BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973, NJW 1973 S. 1221 ff). Das
durch Art. 1 und 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch
im beruflichen Bereich zu beachten (BAG, ständige Rspr., z.B. Urteile vom
29.10.1997, NZA 1998 S. 307 ff; 4.4.1990, NZA 1990 S. 933 f; 15.7.1987, NZA 1988
S. 53 ff; 8.2.1984, NZA 1984 S. 225 f; Blomeyer in Münchener Handbuch
Arbeitsrecht, 2. Aufl. Bd. 1, § 97; ErfK-Dieterich, 1. Aufl., Art. 2 GG Rn. 77
ff jeweils mit weiteren Nachweisen). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im
Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Gegenstand der mit dem Arbeitsvertrag
verbundenen (Neben-) pflichten. Verletzt der Arbeitgeber innerhalb des
Arbeitsverhältnisses das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so liegt
darin zugleich ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten (BAG,
Urteil vom 4.4.1990, a.a.O.). Soweit konkrete vertragliche Regelungen fehlen,
bestimmen sich die gegenseitigen Rücksichts-, Schutz- und Förderpflichten nach
§ 242 BGB (ErfK-Dietrich a.a.O. Rn 80). Danach ist der Arbeitgeber
grundsätzlich verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm
beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren
Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen
durch Mitarbeiter oder außenstehende Dritte, auf die er einen (vertraglichen)
Einfluß hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung
zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern (grundlegend Blomeyer
a.a.o., Rn 8–42 und diesem folgend das Thüringer LAG a.a.O.).
Da sich auch die arbeitnehmerseitig zu beachtenden arbeitsvertraglichen
Pflichten grundsätzlich nach der Vorschrift des § 242 BGB bestimmen, über
welche neben anderen Generalklauseln die in den Grundrechtsnormen enthaltene
Werteordnung der Verfassung auf das Privatrecht einwirkt, sind auch die
Arbeitnehmer eines Betriebes gegenüber dem Arbeitgeber im Zusammenhang mit der
Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet, das durch Art. 1 und 2 GG
geschützte Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung der
Persönlichkeit der anderen bei diesem beschäftigten Arbeitnehmer nicht durch
entsprechende Eingriffe zu verletzen. Handeln sie als Vorgesetzte, liegt in
einer das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzenden Mitarbeiterführung
sogar eine Verletzung der als Hauptleistungspflicht geschuldeten
Arbeitsleistung. Zur Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der anderen
ArbeitskollegInnen sind die Arbeitnehmer eines Betriebes unabhängig von den
Ausstrahlungen der Verfassung auf den Privatrechtsverkehr nach zutreffender
Auffassung von Grunewald (NZA 1993 S. 1071) und Haller/Koch (NZA 1995 S. 359)
grundsätzlich aber auch in der Konsequenz dessen verpflichtet, daß sie auf die
den Arbeitgeber in seinen anderweitigen (Arbeits-)Vertragsbeziehungen treffenden
Verpflichtungen und seine Belange Rücksicht nehmen müssen und diesem keinen
Schaden zufügen dürfen. Zur Einhaltung der im Zusammenhang mit der Sicherung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seiner Beschäftigten bestehenden
Pflichten kann der Arbeitgeber als Störer nämlich nicht nur dann in Anspruch
genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch
dann, wenn er es unterläßt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu
organisieren, daß eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen
wird (Thüringer LAG a.a.O.). Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in sein
Persönlichkeitsrecht hat der Arbeitnehmer entsprechend den §§ 12, 862, 1004
BGB bei drohender Verletzungsgefahr einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch
(BAG, Urteil vom 8.2.1984 a.a.O.) und bei bereits eingetretener
Persönlichkeitsrechtsverletzung einen Anspruch auf Beseitigung von
fortwirkenden Beeinträchtigungen und auf Unterlassung weiterer Eingriffe (BAG,
Urteil vom 15.7.1987 a.a.O.). Wenn es zur Beseitigung der
Persönlichkeitsbeeinträchtigung erforderlich und angemessen ist, kann auch die
Zurückbehaltung der Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB (BAG, Urteil vom
7.6.1973, DB 1973 S. 1605; ErfK-Dieterich a.a.O. Rn 82) und bei Unzumutbarkeit
der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sogar eine außerordentliche
Kündigung durch den Betroffenen mit anschließendem Schadensersatzanspruch nach
§ 628 Abs. 2 BGB in Betracht kommen. Unabhängig davon kann ausgelöst durch
eine solche arbeitnehmerseitige Verletzung gegenüber dem Arbeitgeber
bestehender Arbeitsvertragspflichten der Arbeitgeber selbst erheblichen
Schadensersatzansprüchen des Mobbingopfers aus positiver Vertragsverletzung
wegen eigener Verletzung von Organisations- und Schutzpflichten oder in
Verbindung mit § 278 BGB für das Handeln eines in seinem Pflichtenkreis
tätigen Erfüllungsgehilfen ausgesetzt sein. Desweiteren kommt eine
Inanspruchnahme des Arbeitgebers aus unerlaubter Handlung wegen Unterlassung
einer auf die Verhinderung einer Schädigung des beschäftigten Personals
ausgerichteten Betriebsorganisation nach § 823 BGB oder eine durch § 831 BGB
vermittelte Haftung für widerrechtliches, schadensverursachendes Handeln bei
Verrichtung einer vom Arbeitgeber übertragenen Tätigkeit in Betracht. Unter
den Voraussetzungen der §§ 847, 831 BGB kann gegen den Arbeitgeber sogar ein
Schmerzensgeldanspruch des von der Persönlichkeitsrechtsverletzung betroffenen
Arbeitnehmers begründet sein. Die durch Mobbing erfolgende Schädigung des
Arbeitgebers beschränkt sich aber nicht nur auf die Inanspruchnahme durch das
Mobbingopfer. Weitere Schäden erwachsen ihm aus den durch Abnahme von
Motivation, Leistungsbereitschaft, nachlassender Kreativität und innerer
Kündigung verminderten Arbeitsleistungen ebenso wie durch krankheitsbedingte
Fehlzeiten des Mobbingopfers. Kommt es zu mobbingbedingten Fluktuationen,
schlagen nutzlos aufgewendete Einarbeitungskosten und zusätzlich Kosten für
die Beschaffung von Personalersatz zu Buche.
Das bisher gesagte gilt entsprechend für den Schutz der Ehre und der Gesundheit
der in einem Arbeitsverhältnis Beschäftigten, wobei im Falle des Vorliegens
von Mobbingsachverhalten häufig eine Kumulation dieser Rechtsgutverletzungen
mit der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen wird.
f) Bei der Beantwortung der Frage, ob die als Mobbing zu kennzeichnenden
Verhaltensweisen am Arbeitsplatz schwerwiegend genug sind, daß sie eine
außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, muß man sich zunächst in
aller Deutlichkeit vor Augen führen, daß es hierbei um nichts weniger als um
die systematische und fortgesetzte Mißachtung der vom Grundgesetz zu zentralen
Werten der Verfassung erhobenen Würde des Menschen und dessen Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit geht und
weiterhin, daß diese auch im Privatrechtsverkehr und damit in der Arbeitswelt
gültigen, den humanitären Grundgedanken für das Zusammenleben in der sozialen
Gemeinschaft festschreibenden Verfassungswerte durch ihre in Art. 79 Abs. 3 GG
garantierte Unabänderlichkeit in stetiger Unabhängigkeit von der Beliebigkeit
evolutionärer Prozesse in Gesellschaft, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft
ständig und unwiderruflich, ohne jedweden Abstrich in ihrer Substanz, Achtung
zu beanspruchen haben.
Desweiteren muß hervorgehoben werden, daß Mobbing bei den Betroffenen zu
schweren Schädigungen der Persönlichkeit und der Identität bis hin zu einer
Gefährdung der physischen Existenz führen kann und in einer Vielzahl von
Fällen auch zu solch schwerwiegenden Folgen führt. Bei dem entstehenden
psychodynamischen Prozess sind psychische und psychosomatische - und vermittelt
darüber - körperliche Erkrankungen die regelmäßige Konsequenz. Aus
leichteren unspezifischen und abschnittsweisen Befindlichkeitsstörungen können
sich bei fortschreitendem Verlauf manifeste Krankheitssymptome, komplexe
psychosomatische/psychiatrische Symptome im Sinne gravierender, chronifizierter
und teils irrevisibler Gesundheitsschädigungen bis hin zum Suizid entwickeln.
Diese, die durch Mobbing eintretende Persönlichkeitsschädigung beschreibende
Zusammenfassung entspricht den in weitgehender Übereinstimmung gefundenen
Erkenntnissen der in der medizinischen und psychiatrischen (vgl. vor allem
Groeblinghoff/Becker und Fischer/Riedesser jeweils a.a.O.; vgl. auch
Groeblinghoff in AuA 1999 S. 163) und der arbeitswissenschaftlichen und
arbeitspsychologischen (grundlegend Leymann a.a.O. S. 108 ff; Zapf, Mobbing in
Organisationen – Überblick zum Stand der Forschung, Zeitschrift für Arbeits-
und Organisationspsycholgie 1999 S. 18 und 19) Disziplin tätigen Pioniere der
Mobbingforschung. Für die Entwicklung des Befundes ist es im einzelnen
kennzeichnend, daß es bei den Mobbingopfern abhängig von Dauer und Intensität
der Verletzungen aufgrund der extremen psychischen Belastung in der Endphase zu
schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen (psychotraumatisches
Belastungssyndrom – PTSD -) kommt, die durch extreme Depression oder extreme
Obsession geprägt ist, wobei sich der eine mit dem anderen Zustand abwechseln
kann. Während sich bei den durch Hoffnungslosigkeit, Apathie und emotionale
Anästhesie geprägten depressiven Verlaufsformen eine erhebliche Gefahr des
Mißbrauchs psychotroper Substanzen und ein erhöhtes Suizidrisiko manifestiert,
ist die als traumakompensatorisches Bemühen einzuordnende obsessive
Verlaufsform geprägt durch permanente Hyperaktivität, suchthaftem Erzählen
des eigenen Schicksals und der erlittenen Kränkungen, Hypersensitivität
gegenüber Unrecht und geht aufgrund des am Arbeitsplatz eingebrannten
Vertrauensverlustes in zwischenmenschliche Beziehungen häufig einher mit einer
feindlichen und mißtrauischen Haltung gegenüber der Welt und selbst gegenüber
der Familie und Freunden. Letzteres kann im Ergebnis nicht nur zu einem
völligen Wegbrechen des sozialen Umfeldes, sondern aufgrund der bei den
Betroffenen im fortgeschrittenen Verlauf durch andere Personen zunehmend
wahrnehmbaren querulatorischen Komponente und infolgedessen zu einer Ursache und
Wirkung verwechselnden Stigmatisierung führen (Fischer/Riedesser a.a.O. m.w.N).
Die Wahrnehmung solcher Verhaltenskomponenten durch den Arbeitgeber provoziert
auf dessen Seite Macht- und Rechtsübergriffe, die schließlich nur noch auf den
Ausschluß der betreffenden Person aus dem Arbeitsprozess hinauslaufen (vgl.
Groeblinghoff in AuA a.a.O.). Es liegt auf der Hand, daß bei einer von
Mißtrauen, Hyperaktivität und querulatorischen Erscheinungsweisen (Obsession)
gekennzeichneten Außenwahrnehmung des Mobbingopfers in einer über den
Mobbingkomplex gegebenenfalls erfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzung
aufgrund des vordergründigen Eindrucks von der Person die Gefahr besteht, daß
dieser Eindruck in die Verhandlungsdurchführung und Entscheidungsfindung
einfließt und damit dieses Stigmatisierungsunrecht auch noch von der Justiz
zementiert wird. Realisiert sich diese Gefahr, dann wird das Gerichtsverfahren
nicht nur zum Bestandteil der Vertrauenskrise, welche die Ursache für die
krankhafte Persönlichkeitsveränderung darstellt, mangels weiterer
Möglichkeiten der Rehabilitation kann dies ein Abgleiten in depressive und
suizidanfällige Zustände zur Folge haben. Die Gerichte tragen daher in
Rechtsstreitigkeiten, in denen es darum geht, zu beurteilen, ob ein
Mobbingsachverhalt vorliegt, eine hohe Verantwortung.
Am Ende eines langen Mobbingprozesses steht nicht selten der Ausschluß aus der
Arbeitswelt und die Frührente. (Zapf, a.a.O. S. 20 m.w.N). Der durch
Mobbinghandlungen verursachte Anteil der Suizide wird in Schweden mit 10-15% und
in Deutschland mit 20 % eingeschätzt (Groeblinghoff in AuA a.a.O.). Mobbing
kann danach in schweren Fällen die gleichen Folgen haben, wie eine gegen Leib
und Leben gerichtete Straftat. Ein massiverer Arbeitsrechtsbruch als die in den
Konsequenzen des Mobbings in Kauf genommene gesundheitliche Schädigung oder gar
existenzielle Vernichtung einer mit dem Täter in betrieblicher Verbundenheit
stehenden Person ist schlechterdings nicht vorstellbar.
Der Staat, der Mobbing in seinen Dienststellen und in der Privatwirtschaft
zuläßt oder nicht ausreichend sanktioniert, kann sein humanitäres Wertesystem
nicht glaubwürdig an seine Bürger vermitteln und gibt damit dieses Wertesystem
langfristig dem Verfall preis. Der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer, der diese
Praktiken selbst anwendet, mißachtet durch die Schädigung der betroffenen
Arbeitnehmer nicht nur die verfassungsmäßige Wertordnung, die auch eine dem
Humanitätsideal verpflichtete Arbeitswelt umfasst, er nimmt auch Anteil an der
durch Mobbing-Praktiken verursachten Schädigung des Produktivpotentials eines
Staates, der in den nächsten Jahrzehnten ohnehin gravierende Einbrüche im
Bestand des das Bruttosozialprodukt erwirtschaftenden Bevölkerungsanteils
kompensieren muß.
Das Bundesarbeitsgericht hat nicht nur in seiner Rechtsprechung die zentrale
Bedeutung der verfassungsmäßig garantierten Persönlichkeitsrechte für den
beruflichen Bereich immer wieder herausgestellt (vgl. neben den bereits
zitierten Urteilen insbesondere die Entscheidung des Großen Senats vom
27.2.1985, NZA 1985 S. 702 ff). Es erfüllt seine Aufgaben auch in einem
Dienstgebäude mit Fensterscheiben, die in endlos fortlaufenden Sätzen den
Wortlaut des Art. 1 Abs.1 GG wiedergeben: "Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt:" Entsprechend diesem Verfassungsauftrag muß die Rechtsprechung in
Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung und in Verantwortung
gegenüber der verfassungsmäßigen Wertordnung und zur Gewährleistung der
physischen und psychischen Unversehrtheit der im Arbeitsleben stehenden Bürger
gegenüber Mobbing ein klares Stop-Signal setzen. Im Bereich des
Kündigungsrechts erfordert dies die Anerkennung der grundsätzlichen Eignung
von Mobbing als Grund für eine außerordentliche Kündigung. Dabei kann es
keine Rolle spielen, ob es in diesem Zusammenhang zu einer Störung des
Betriebsfriedens gekommen ist oder nicht, wie es z.B. gefordert wird, wenn eine
Kündigung auf Beleidigungen unter Arbeitnehmern gestützt wird (so z.B.
Grunewald in NZA 1993 S. 1972) Wenn den Arbeitgeber die arbeitsvertragliche
Verpflichtung trifft, die Persönlichkeitsrechte der Art. 1 und 2 GG der bei ihm
beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, dann muß diese Verpflichtung mit den
dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten ihrer
Durchsetzung ohne wenn und aber unabhängig davon bestehen, ob die von ihm
abzuwehrenden Eingriffe in die verfassungsmäßig geschützten Rechte seiner
Bediensteten sich nachteilig auf den Betriebsfrieden auswirken. Anderenfalls
würde die Sicherstellung der genannten Grundrechte in die Beliebigkeit der
betrieblichen Großwetterlage gestellt. Ein weiteres kommt hinzu.
Mobbinghandlungen zielen in der Regel darauf ab, das soziale Ansehen der
Betroffenen zu untergraben und diese aus der Betriebsgemeinschaft auszugrenzen
(Fischer/Riedesser a.a.O. S. 333). Sind der oder die Mobber mit dieser Strategie
erfolgreich, werden die den Betriebsfrieden bestimmenden Befindlichkeiten nicht
mehr von dem Opfer und den diesem wohlgesonnenen ArbeitskollegInnen - so solche
überhaupt noch vorhanden sind - sondern von dem oder den Tätern und der von
diesen beeinflußten Belegschaft repräsentiert. Die Annahme des Erfordernisses
einer Störung des Betriebsfriedens als Voraussetzung für eine "mobbingbedingte
Kündigung" birgt danach auch die Gefahr der kündigungsrechtlichen
Entwaffnung eines im Einklang mit den Wertvorstellungen der Verfassung
handelnden Arbeitgebers. Dies wiederum gefährdet sein in Art. 14 GG verbrieftes
Recht, den von ihm eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in einer seinen
Vorstellungen entsprechenden, an den Grundwerten der Verfassung orientierten
Weise zu führen. Dieses Erfordernis ist deshalb abzulehnen.
Bei der Frage ob als Mobbing einzuordnende Verhaltensweisen im Einzelfall das
für einen Grund zur außerordentlichen Kündigung erforderliche Gewicht
aufweisen, ist es insbesondere von Belang, mit welcher Intensität das Mobbing
betrieben wurde. Je intensiver das Mobbing erfolgt, um so mehr menschenrechts-
und damit zugleich arbeitsvertragswidrige Energie wird eingesetzt. Je mehr
menschenrechts- und damit zugleich arbeitsvertragswidrige Energie eingesetzt
wird, um so schwerwiegender und nachhaltiger wird die Vertrauensgrundlage für
die Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestört. Muß der Mobbingtäter
erkennen, daß das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers geführt hat und setzt
dieser ungeachtet dessen das Mobbing fort, dann kann für eine auch nur
vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein Raum mehr
bestehen.
4. Auf der Grundlage dieser Erwägungen liegen auch unter Berücksichtigung der
besonderen Umstände des Streitfalls aufgrund des Ergebnisses der bereits
erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, des schriftsätzlichen und in
der Berufungsverhandlung erfolgten Vorbringens der Parteien nach Überzeugung
der Kammer ein gegen den Mitarbeiter F der Beklagten gerichtetes, dessen
allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine körperliche Unversehrtheit
verletzendes Mobbing des Klägers vor, welches den Ausspruch einer
außerordentlichen Kündigung nicht nur rechtfertigt, sondern geradezu
erforderlich macht.
a) Diese Überzeugung ergibt sich bereits aus der Aussage des Zeugen F und die
darin erfolgte Bezugnahme auf die von ihm am 30.10.1998 bezüglich des Ablaufs
der Vorfälle gefertigten eidesstattlichen Versicherung. Danach wurde der Zeuge
F von dem Kläger bereits bei dem unmittelbar nach seiner Versetzung in die
Filiale M in dem am 1.9.1998 um 9.00 Uhr stattgefundenen Begrüßungsgespräch
von dem Kläger mit den Worten "Guten Tag Herr F, ich bin Herr M, der
Warenbereichsleiter, wie Sie sicherlich wissen, eilt mein Ruf mir voraus, ich
habe bisher jedem das Arbeiten beigebracht und ich werde schnellstens Ihre
Kotzgrenze finden" empfangen. In der sich anschließenden Arbeitswoche
wurde der Zeuge F von dem Kläger kritisiert, daß er nichts könne und zu dumm
sei zum Arbeiten. Unter anderem wurde er bei der Ausführung seiner Arbeit in
Anwesenheit des Mitarbeiters S wie folgt beschimpft:
"Sie lahmes Arschloch",
"Können Sie denn überhaupt nichts richtig machen",
"Sie Erfurter Puffbohne können wohl überhaupt nichts",
"Ich mache Sie fertig",
"Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank",
"Herr H hat Ihnen wohl nur Müll gelernt, aber das ist ja normal bei Herrn
H, usw.".
Weiterhin wurde dem Zeugen F die
Ausschöpfung der Pausenzeiten verwehrt, bei einem 14-Stunden-Tag wurde nicht
einmal eine Pause von 2 mal einer halben Stunde gewährt. Aufgrund dieser
seelischen Belastung stieg der Blutdruck des auch nach Kenntnis des Klägers
unter hohem Blutdruck leidenden Zeugen F ständig stark an, wobei er am Sonntag,
den 4.9.1998 beinahe einen Zusammenbruch hatte. Daraufhin wurde der Zeuge F bis
zum 5.10.1998 krankgeschrieben und informierte den Kläger darüber. Am Tag der
Wiederaufnahme der Arbeit am 6.10.1998 ging der Zeuge F gegen 14.00–15.00 Uhr
zur Mittagspause und schenkte sich Kaffee ein. Währenddessen trat der Kläger
in den Raum und begann unvermittelt, und ohne vom Zeugen F angesprochen worden
zu sein, mit diesem ein Gespräch über seine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit
zu führen. Nachdem der Zeuge F seine Arbeitsfähigkeit bejaht und hinzugefügt
hatte, daß er wegen seines zu hohen Blutdrucks immer noch in Behandlung sei,
unterbrach der Kläger das Gespräch wegen des Hereintretens zweier
Mitarbeiterinnen, die sich bei dem Kläger nach der Möglichkeit des
Feierabendnehmens erkundigen wollten. Ohne auf diese Anfrage zu reagieren,
wandte sich der Kläger mit folgenden Worten an den Zeugen F: "Herr F, Sie
haben doch nur simuliert und zu Hitlers Zeiten hat man solche Betrüger wie Sie
an die Wand gestellt und erschossen. Herr F, zu Hitlers Zeiten haben sich
Männer Finger abgeschnitten, um nicht in den Krieg zu müssen, solche hat
Hitler auch an die Wand gestellt." Durch diese Äußerungen wurde der Zeuge
sehr unruhig und versuchte, so gut wie möglich seine Arbeit ohne Fehler zu
erledigen. Im weiteren Verlauf desselben Tages und an dem nachfolgenden Tag
setzte der Kläger die bereits in der ersten Arbeitswoche erfolgten
Beschimpfungen fort. Dies führte dazu, daß der Zeuge F "fix und
fertig" war, ständig über diese Vorfälle nachdenken mußte, einen
Abschiedsbrief an seine Mutter schrieb und eine Überdosis Schlaftabletten nahm,
um sich das Leben zu nehmen.
b) Diese Überzeugung der Kammer wird bestärkt durch die Aussagen der ebenfalls
vom Arbeitsgericht vernommenen Zeugen S, B und K. Der Zeuge S gab an, sich noch
sehr gut an Äußerungen des Klägers, wie "Nimm den Finger aus dem Arsch,
bevor er braun wird", "Pass auf, daß Dir kein drittes Ei
wächst" erinnern, die der Kläger nicht nur dem Zeugen F, sondern auch ihm
gegenüber gemacht habe. Desweiteren hat der Zeuge S bekundet, daß der Kläger
z.B. mit der Äusserung, ob er dem Zeugen F einen Eimer Wasser hinstellen solle,
damit dieser sein Messer abkühlen könne, diesem gegenüber zu langsames
Arbeiten vorgehalten habe. Die Zeugin K gab an, der Kläger habe gegenüber dem
Zeugen F am 6.10.1998 gegen 14.00 Uhr nach vorhergehenden Vorhaltungen über
seine unmittelbar nach Dienstantritt in der Filiale M eingetretene
Arbeitsunfähigkeit, als dieser sich eine Zigarette angezündet habe, gesagt,
der Zeuge F würde auf herzkrank reisen und dabei rauchen. Solche Leute wie ihn
habe es immer gegeben und werde es immer geben, aber zu Hitlers Zeiten hätte
man diese an die Wand gestellt. Man hätte ihnen Hände und Gliedmaßen
abgehackt, jedenfalls hätte man sie erschossen. So etwas müßte man auch mit
ihm machen. Dabei habe er auf den Zeugen F gezeigt. Die Zeugin B sagte aus, sie
habe am 6.10.1998 gegen 14.00 Uhr Feierabend gehabt und den Kläger um Erlaubnis
fragen wollen, ob sie gehen könne. Herr F habe gerade Pause gemacht. Der
Kläger habe über ihn geschimpft und gesagt: "Zu Hitlers Zeiten hätte man
Dich an die Wand gestellt und erschossen, zumindest hätte man Dir die Pfoten
abgehackt".
c) Die vorgenannten Zeugenaussagen sind glaubhaft. Die von den Zeugen
wiedergegebenen Äußerungen waren Gegenstand eigener Wahrnehmungen. Der Zeuge F
war Adressat dieser Äußerungen. Die Zeugen S, K und B befanden sich bei den
von ihnen geschilderten Handlungen des Klägers in dem jeweiligen Raum. Ebenso
wie bereits das Arbeitsgericht hat auch das Landesarbeitsgericht keinerlei
Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Aussagen.
Soweit der Kläger die Einbeziehung der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen
F in die Beweiswürdigung rügt, kann dem nicht gefolgt werden. Dies ergibt sich
schon aus dem Gesetz. Danach ist zum einen eine mündlich dem Gericht gegenüber
erfolgende Mitteilung des Vernehmungsgegenstandes nicht zwingend erforderlich.
Das Gericht kann nämlich nach § 377 Abs. 3 ZPO grundsätzlich auch eine
schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf
den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet.
In diesem Fall hätte der Zeuge F die Beweisfrage durch schlichte Übersendung
des in der eidesstattlichen Versicherung vom 30.10.1998 niedergelegten Textes
beantworten können. Andererseits hat der Zeuge nach § 378 Abs. 1 Satz 1 ZPO
Aufzeichnungen und andere Unterlagen einzusehen und zu dem Termin mitzubringen,
wenn ihm dies gestattet und zumutbar ist und soweit dies die Aussage über seine
Wahrnehmungen erleichtert. Danach hätte der Zeuge F vor dem
Beweisaufnahmetermin zur Gedächtnisauffrischung Einsicht in die von ihm
gefertigte eidesstattliche Versicherung nehmen und diese zu diesem Zwecke auch
zum Termin mitbringen können. Daß nicht er, sondern die Beklagte sich im
Besitz dieser Aufzeichnungen befand und diese zum Beweisaufnahmetermin
mitbrachte, ändert nichts an der Förderung des mit der Vorschrift verfolgten
Zweckes der verzögerungsfreien Sicherstellung einer vollständigen und
wahrheitsgemäßen Aussage. Abgesehen davon erfordern das Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Wahrung des Rechtsfriedens für
die Durchführung von Gerichtsverfahren Regeln, die unabhängig von der
Komplexität von Sachverhalten und ohne Ansehen der für die Justiz durch das
Verfahren entstehenden Belastungen, der Durchsetzung des materiellen Rechts und
damit der Gerechtigkeit Geltung verschaffen. Geht es um die Beweisführung, darf
diese der beweisbelasteten Partei dabei nicht abgeschnitten oder in unzumutbarer
Weise erschwert werden. Insbesondere bei einem sich über einen unbestimmten
Zeitraum erstreckenden Geschehen, wie es z.B. bei Mobbing der Fall ist, kann von
dem Betroffenen nicht ohne weiteres erwartet werden, daß er ohne Rückgriff auf
gegebenenfalls tagebuchartig zu führende Aufzeichnungen zu einer vollständigen
und damit wahrheitsgemäßen Aussage in der Lage ist, sei es, daß er als Partei
in einem von ihm selbst betriebenen Mobbingschutzprozess nach § 141 ZPO
angehört oder nach § 448 ZPO vernommen wird oder sei es, daß er als Zeuge in
einem den Täter des Mobbings betreffenden Kündigungsschutzprozess aussagen
muß. Bei der Aussage über länger zurückliegende Ereignisse kann deshalb ein
Zeuge oder eine Partei auf seine bzw. ihre im unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang mit diesen Ereignissen zur Gedächtnisstütze gefertigten Notizen
und erst recht auf eine zu diesem Zweck gefertigte eidesstattliche Versicherung
Bezug nehmen, wenn mangels ausreichender Erinnerungsfähigkeit die
Nichtgestattung der Bezugnahme auf eine Verhinderung der Beweisführung
hinausliefe und diese Schriftstücke zu den Akten gereicht werden oder sich
bereits dort befinden. Zur Ausschließung der schriftlichen Vorbereitung einer
zum Zwecke der Wahrheitsverschleierung dienenden "Aussagekosmetik"
oder von dritter Seite vorformulierter Aussagen muß allerdings die
vorzunehmende Glaubwürdigkeitsprüfung einem besonders strengen Maßstab
unterworfen werden. Dabei kommt es insbesondere auf die Umstände des
Zustandekommens der schriftlichen Aufzeichnungen an, die gegebenenfalls durch
gerichtliche Rückfragen und Vorhaltungen überprüft werden müssen. Die
Nichtberücksichtigung der aus den genannten Gründen erforderlichen Bezugnahme
auf persönliche Aufzeichnungen würde wegen einer auf unvollständige
Grundlagen gestützten und damit fehlerhaften Beweiswürdigung gegen § 286 Abs.
1 ZPO verstoßen.
Im Streitfall hat der Zeuge F zwar ausgesagt, daß er in der von ihm in Bezug
genommenen eidesstattlichen Versicherung eine eigene Darstellung der damaligen
Ereignisse nach seiner Erinnerung auf Bitten der Hausleiterin Finger der
Beklagten eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe. Ihm sei nichts
Vorformuliertes hingelegt worden. Die Kammer hat aber keinen Anlaß, diese
Darstellung anzuzweifeln und ein kollusives Zusammenwirken des Zeugen mit der
Beklagten bei der Erstellung der eidesstattlichen Versicherung anzunehmen. Gegen
eine solche Annahme und gerade für die Glaubwürdigkeit des Zeugen F spricht
es, daß er bei der in der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht zunächst
stattgefundenen Befragung nicht "wie aus der Pistole geschossen" die
von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe buchstabengetreu
bestätigt hat und ihm Teile des Geschehens nicht mehr erinnerlich waren. Damit
setzte sich der Zeuge auch nicht glaubwürdigkeitsmindernd in Widerspruch zu den
detaillierten Angaben in seiner eidesstattlichen Versicherung. Daß er sich aus
eigener Kraft nicht mehr an alle Einzelheiten der Handlungen und den genauen
Wortlaut der Ausdrucksweisen des Klägers erinnern konnte, ist schon angesichts
dessen verständlich, daß seit den fraglichen Vorfällen mehr als ein Jahr
vergangen war. Besonders zu berücksichtigen ist insoweit auch, daß der Kläger
durch die mit diesen in seinen Selbstmordversuch mündenden Vorfälle einer
psychischen Belastung ausgesetzt war, bei der eine zumindest vorübergehende
Verdrängung einen körperlichen Schutzmechanismus bilden kann. Die Beklagte
ihrerseits hatte nach dem Abstreiten sämtlicher Vorwürfe durch den Kläger ein
berechtigtes Interesse an der Prüfung, ob der Zeuge F die zuvor mündlich
gegebene Information auch unter den Bedingungen einer eidesstattlichen
Versicherung zu wiederholen bereit war. Für die Kammer ist danach unter
Berücksichtigung der vorgenannten Umstände ihres Zustandekommens für den
genauen Ablauf der Ereignisse die in der eidesstattlichen Versicherung vom
30.10.1998 niedergelegte Aussage des Zeugen F maßgeblich, die dieser zum
Gegenstand seiner Zeugenvernehmung im Beweisaufnahmetermin des Arbeitsgerichts
gemacht hat. Sie ist zeitnah, detailgenau und frei von Widersprüchen. Sie steht
auch nicht im Widerspruch, sondern nur in einem situationsbedingten
Ergänzungsverhältnis zu seiner Aussage im Beweisaufnahmetermin.
Die Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen F wird schließlich untermauert
durch die Aussagen der Zeugen S, K und B, die jeweils für die Zeitausschnitte
des Geschehens, an denen sie beteiligt waren, die Aussage des Zeugen F in den
wesentlichen Punkten bestätigt haben. Dabei spricht es wiederum für die
Glaubwürdigkeit dieser Zeugen, daß auch diese selbst frei von Widersprüchen
und bis auf eine in der Sache nicht ins Gewicht fallende Wortabweichung bei den
Zeuginnen K und B zur Aussage des Zeugen F untereinander stimmig sind, bei dem
Zeugen S darüberhinaus, daß dieser auch auf Vorhalt weiterer Beleidigungen bei
den ihm ausschließlich persönlich zur Kenntnis gelangten oder erinnerlichen
Äußerungen des Klägers geblieben ist, bei der Zeugin K, die von dieser für
ihr genaues Erinnerungsvermögen an den 6.10.1998 angegebenen Gründe und die
Bekräftigung der Richtigkeit ihrer Aussage mit den Worten "100%, wenn man
so etwas gehört hat, das vergißt man nicht wieder", bei der Zeugin B die
Beschreibung der diese nach der von ihr zitierten Äußerung des Klägers
betreffenden Schockwirkung.
Für die Richtigkeit des von dem Zeugen F geschilderten Geschehensablaufs und
damit der Richtigkeit der von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen
Vorwürfe spricht aber auch die eigene Einlassung des Klägers im vorliegenden
Rechtsstreit, mit der er die gegenüber dem Zeugen F getätigte Äusserung, daß
sich Leute, die sich zu Hitlers Zeiten die Finger abgeschnitten hätten, um
nicht in den Krieg zu müssen, an die Wand gestellt worden seien, eingeräumt
hat. Dieses im Hinblick auf die Zeugenaussagen unvollständige Zugeständnis
erfolgte allerdings erstmals im Kündigungsschutzprozess. Bei der vor Ausspruch
der Kündigung erfolgten Anhörung durch die Beklagte hatte der Kläger noch
jegliches Fehlverhalten in Abrede gestellt. Der schon insoweit erkennbar von dem
Belieben des Klägers abhängige Umgang mit der Wahrheit und die Tatsache, daß
er eine persönliche Anhörung zur Sachverhaltsaufklärung in der
Berufungsverhandlung trotz entsprechender Ladung durch sein Nichterscheinen
vereitelt hat, muß erst recht unter Einbeziehung der gegenteiligen,
überzeugenden Aussagen der Zeugen F, S, K und B dazu führen, daß die von ihm
bis zum Verhandlungsschluß aufrechterhaltene Behauptung, über die von ihm
eingeräumte Äußerung hinaus sei es zu keinem Fehlverhalten gekommen, für
unwahr befunden wird. Auch die Suizidreaktion des Zeugen F spricht für eine,
über die vom Kläger eingeräumte Demütigung hinausgehende, psychisch nicht
mehr kompensierbare Intensität von Mobbinghandlungen. Einer Einvernahme der vom
Kläger benannnten Zeugen bedurfte es nicht, denn diese waren nicht zu den für
die Kündigung maßgeblichen Geschehnissen benannt.
d) Danach steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Kläger den
Mitarbeiter F der Beklagten nach vorheriger Ankündigung, schnellstmöglichst
seine Kotzgrenze zu finden, vom ersten Tag an systematisch mit der Absicht, ihn
fertig zu machen, in intensiver Abfolge einer menschenschinderischen und
persönlichkeitszersetzenden Behandlung ausgesetzt hat, indem er diesen durch
fortgesetzte Beleidigungen, Demütigungen und unberechtigte Herabwürdigung
seiner Arbeitsleistungen, Nichtgewährung der erforderlichen Pausen und
schließlich dadurch, daß er diesem durch den Hinweis, daß man solche Leute
wie ihn zu Hitlers Zeiten an die Wand gestellt und erschossen hätte, das
Lebensrecht abgesprochen hat. Das volle Ausmaß des kündigungsrechtlichen
Gewichts ergibt sich aus der Gesamtsicht dieser Geschehnisse, die trotz der
Kürze des Zeitablaufs unabhängig von der Herausbildung mobbingspezifischer
medizinischer Befunde, wie z.B. eines psychotraumatischen Belastungssyndroms (PTSD),
rechtlich als Fall von schwerem Mobbing einzustufen sind.
e) Im Streitfall sind keine Umstände ersichtlich, die der Beklagten ein
Festhalten an dem Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist zumutbar erscheinen lassen. Der Kläger handelte vorsätzlich
und sogar mit der Absicht, die Gesundheit des Zeugen F zu schädigen. Dies wird
schon zweifelsfrei durch die auch noch mit unverhohlenem Stolz (wie Sie
sicherlich wissen, eilt mein Ruf mir voraus, ich habe bisher jedem das Arbeiten
beigebracht) getätigte Äußerung des Klägers belegt, schnellstmöglichst die
Kotzgrenze des Zeugen F zu finden. Erschwerend kommt hinzu, daß der Kläger der
Vorgesetzte des Zeugen F war und dieser ihm von der Beklagten zur Einarbeitung
in der Filiale M und zur Ausbildung als Gruppenleiter anvertraut gewesen ist.
Erschwerend kommt auch hinzu, daß die Demütigungen im Beisein von anderen
MitarbeiterInnen erfolgten. Erschwerend kommt weiter hinzu, daß der Kläger
über die Erkrankung des Zeugen F an hohem Blutdruck wußte und deshalb schon
zur Vermeidung einer eigenen Haftung, aber auch zur Vermeidung einer Haftung der
Beklagten, in deren Pflichtenkreis er tätig war, alles zu unterlassen hatte,
was diese Blutdruckkrankheit verschlimmern konnte. Spätestens nach der
Erkrankung des Zeugen F mußte der Kläger, wenn er nur über einen Funken
Verantwortungs- und Mitgefühl gegenüber dem Zeugen F verfügte, von den
Schikanen der ersten Woche ablassen. Anstatt dessen griff er bereits am ersten
Tag der Arbeitsaufnahme den Zeugen F frontal mit der an Menschenverachtung kaum
noch zu überbietenden Äußerung "Sie haben doch nur simuliert und zu
Hitlers Zeiten hat man solche Betrüger wie Sie an die Wand gestellt und
erschossen. Herr F, zu Hitlers Zeiten haben sich Männer Finger abgeschnitten,
um nicht in den Krieg zu müssen, solche hat Hitler auch an die Wand
gestellt", mit einer nochmals gesteigerten Intensität an. Hierin liegt
eine besonders schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde des Zeugen F. Der
Einwand des Klägers, er habe mit dieser Äußerung aber nicht den Mitarbeiter F
persönlich in Bezug genommen, ist als unbeachtliche Schutzbehauptung zu werten.
Die betreffende Äußerung erfolgte nur diesem gegenüber und war objektiv auch
nur so zu verstehen, daß der Zeuge F nach den Wertmaßstäben des Klägers
keine Existenzberechtigung hatte. Der Einwand des Klägers, diese Äußerung sei
durch das Verhalten des Mitarbeiters F provoziert worden, weil dieser trotz
bestehenden Bluthochdrucks geraucht und Kaffee getrunken habe, ist ebenfalls als
Schutzbehauptung zu werten. Dies folgt schon daraus, daß der Kläger dem Zeugen
F, ohne diesen überhaupt zu kennen, geschweige denn von diesem provoziert
worden zu sein, bei Arbeitsantritt angekündigt hat, schnellstmöglichst seine
Kotzgrenze zu finden. Im übrigen kann weder das Rauchen und Kaffeetrinken eines
Blutdruckkranken, eine angespannte Arbeitssituation noch sonst irgend etwas eine
derartige Äußerung rechtfertigen. Selbst wenn – was zwischen den Parteien
streitig ist - der Kläger bis dahin beanstandungsfrei gearbeitet hätte, kann
dies das Gewicht der vorliegenden, von Brutalität und extremer
Rücksichtslosigkeit geprägten Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht
vermindern. Das gleiche gilt für den Einwand, er sei bis dato für die
verantwortungsvolle Position eines Warenbereichsleiters Food vorgesehen gewesen.
f) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bedurfte die Kündigung des
Klägers vor ihrem Ausspruch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der
Mittel keiner vorangegangenen fruchtlosen Abmahnung. Auf die zwischen den
Parteien streitige Frage, ob der Kläger bereits vor dem Fall F in
vergleichbarer Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat
und hierfür abgemahnt wurde, kommt es nicht an. Auf die Frage der Berechtigung
der durch den Kläger in der Berufungsinstanz erhobenen Rüge der
vorweggenommenen Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts zur Frage der Erteilung
von Abmahnungen kommt es demzufolge ebenfalls nicht an.
Entweder ist – wie es das Arbeitsgericht mit der von dem Kläger als
fehlerhaft gerügten Beweiswürdigung angenommen hat - der von der Beklagten
vorgetragene Sachverhalt zutreffend und dem Kläger wurden 2 Abmahnungen für
ungebührliche Äußerungen gegenüber den Mitarbeiterinnen W und K erteilt,
dann liegt schon deshalb keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
vor. Entspricht demgegenüber der vom Kläger behauptete Sachverhalt den
Tatsachen, nachdem es weder zu einem solchen Fehlverhalten bezüglich der
Mitarbeiterinnen W und K noch zu entsprechenden Abmahnungen gekommen ist, dann
bedurfte es auch nach den neueren Grundsätzen der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 8.6.2000, NZA 2000 S. 1282 ff;
Urteil vom 12.8.1999, NZA 2000 S. 421 ff; Urteil vom 1.7.1999, NZA 1999 S. 1270
ff), durch die lediglich die Abmahnungserfordernisse im Vertrauensbereich
denselben Grundsätzen unterworfen wurden, die bereits für Störungen im
Leistungsbereich galten, keiner Abmahnung. Nach diesen Grundsätzen ist
unabhängig davon, ob sich eine Störung des Arbeitsverhältnisses im Leistungs-
oder Vertrauensbereich manifestiert, vor Ausspruch einer Kündigung eine
Abmahnung dann erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten in Rede steht und
erwartet werden kann, daß arbeitsvertragsgemäßes Verhalten und das für die
Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen wieder
hergestellt werden kann. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der
Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, daß sein Verhalten
nicht vertragswidrig sei oder vom Arbeitgeber nicht als erhebliches, den Bestand
des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen werden würde.
Bei besonders schwerwiegenden Arbeitsvertragsverstößen, deren Rechtswidrigkeit
dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen offensichtlich
ausgeschlossen ist, daß der Arbeitgeber sie hinnimmt, ist nach dieser
Rechtsprechung, der sich die 5. Kammer des Thüringer Landesarbeitsgerichts
anschließt, eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen
davon auszugehen ist, daß das pflichtwidrige Verhalten das für ein
Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat. Diese
Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Nicht nur das Recht auf Leben (vgl.
insoweit BAG Urteil vom 8.6.2000 a.a.O.), sondern auch das Recht auf
körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG und die in Art. 1
Abs. 1 GG geschützte Würde des Menschen stellen innerhalb der
grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar. Diese Rechte des Zeugen F und
den gegen den Kläger arbeitsvertraglich bestehenden Anspruch seines
Arbeitgebers, diese Rechte zu achten, hat der Kläger, wie bereits dargestellt,
in schwerwiegender Weise vorsätzlich und mit der Absicht, den Zeugen F zu
schädigen, verletzt. Er hat diese Rechtsverletzung seinem Opfer sogar vorher
angekündigt. Damit ist das für den auch nur vorübergehenden Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiderruflich zerstört. Entgegen
der Annahme des Arbeitsgerichts besteht trotz der Schwere der Pflichtverletzung
des Klägers auch nicht ausnahmsweise deshalb eine Pflicht zur vorhergehenden
Abmahnung, weil die Beklagte die von ihr behaupteten Pflichtverletzungen ohne
Reaktion geduldet und den Kläger in dem Glauben bestärkt hätte, die
Wiederholung eines solchen Verhaltens würde ohne Konsequenzen für den
Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses bleiben, denn keine der Parteien hat
einen Sachverhalt vorgetragen, der in ihm das Vertrauen erwecken konnte, er
könne sanktionslos, so wie im Fall des Zeugen F geschehen, mit den ihm
unterstellten Mitarbeitern verfahren. Bereits aus den tatbestandlichen
Feststellungen des Arbeitsgerichts ergibt sich, daß der Kläger die ihm zur
Last gelegten Äußerungen gegenüber den Mitarbeiterinnen W und K abgestritten
hat. Selbst wenn von der Beklagten die von ihr behaupteten vorgenannten
Pflichtverletzungen ohne Reaktion geduldet worden wären, hätte es keiner
Abmahnung vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung bedurft. Diese
Pflichtverletzungen sind qualitativ mit dem gegenüber dem Zeugen F an den Tag
gelegten Verhalten nicht vergleichbar. Bei den Äusserungen "Wenn Sie sich
einen Klotz ans Bein hängen und auch noch Bälger machen lassen, dann ist das
Ihr Problem" (W) und "Blöde Kuh, die hat doch nen Vogel, die
spinnt" (K) handelt es sich um vereinzelt gebliebene, im Fall K die Grenze
zur Beleidigung überschreitende Grobheiten. Der herzkranke Zeuge F war
demgegenüber in den 6 Tagen seiner Anwesenheit einer als Mobbing einzustufenden
intensiven, hagelschlagartigen Abfolge von seine Menschenwürde und Gesundheit
verletzenden Anfeindungen und Demütigungen durch den Kläger ausgesetzt. Der
Kläger hätte aufgrund einer sanktionslosen Hinnahme der gegenüber den
Mitarbeiterinnen W und K getätigten Äusserungen nicht darauf vertrauen
können, auch dieses schwerwiegende Verhalten könne den Bestand seines
Arbeitsverhältnisses nicht gefährden.
g) Schließlich führt auch die erforderliche Interessenabwägung zu keinem
anderen, für den Kläger günstigen Ergebnis. Bei einer Verfehlung mit einem
derartigen Gewicht können auch das Lebensalter und ggfs. bestehende soziale
Verpflichtungen keine Rolle spielen. Schuldmindernde Aspekte, die das konkrete
Verhalten des Klägers nachvollziehbar machen, sind nicht ersichtlich. Sie sind
nach Auffassung der Kammer auch nicht denkbar. Das Arbeitsverhältnis hat auch
angesichts seiner fünfjährigen Bestehensdauer keine besonders zu gewichtende
Schutzbedürftigkeit. Selbst wenn dies der Fall wäre, kann hieraus bei einer
solchen Sachlage nach Auffassung der Kammer nichts gegen den Ausspruch einer
Kündigung hergeleitet werden. Demgegenüber muß zugunsten der Beklagten ins
Gewicht fallen, daß der Kläger diese der Haftungsinanspruchnahme durch den
Zeugen F für den von ihm in Ausübung seiner der Beklagten geschuldeten
Tätigkeit herbeigeführten Gesundheitsschaden ausgesetzt und nicht
unbeträchtliche Lohnfortzahlungskosten verursacht hat. Darüberhinaus muß auch
zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt werden, daß sie nicht nur berechtigt,
sondern geradezu verpflichtet ist, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die
geeignet und erforderlich sind, die Wiederholung eines solchen Vorgangs zum
Schutz ihrer Beschäftigten und zum Schutz ihrer Vermögensinteressen sicher
auszuschließen. Bei der beim Kläger durch sein Verhalten zu Tage getretenen
menschenverachtenden Einstellung wäre dessen Weiterbeschäftigung ein
unkalkulierbares, weder der Beklagten noch ihren Mitarbeitern zumutbares Risiko.
5. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die außerordentliche Kündigung der
Beklagten auch in der hierfür nach § 626 Abs. 2 BGB einzuhaltenden
Ausschlußfrist erfolgt und nicht bereits wegen deren Nichteinhaltung
rechtsunwirksam. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der
Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen
Kenntnis erlangt. Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und möglichst
vollständige positive Kenntnis des Kündigungssachverhalts an; selbst grob
fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Zur Aufklärung des Sachverhalts kann der
Kündigungsberechtigte die ihm nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig
erscheinenden Maßnahmen durchführen, insbesondere dem Kündigungsgegner
Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Durch derartige Maßnahmen kann die
Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB aber nicht länger als unbedingt nötig
herausgeschoben werden. Ihr Beginn ist nur so lange gehemmt, wie der
Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile
tatsächlich Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige
Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG Urteil vom
28.4.1994, AP Nr.117 zu § 626 BGB m.w.N).
Gemessen an diesen Grundsätzen begann die zweiwöchige Frist für den Ausspruch
einer Kündigung frühestens am 27.10.1998 und spätestens am 2.11.1998. Der
Auffassung des Klägers, diese Frist habe bereits am 8.10.1998 mit der
Unterrichtung des Hausleiters W der Filiale M über den Selbstmordversuch des
Zeugen F und den für den Kläger belastenden Abschiedsbrief begonnen, kann
nicht gefolgt werden. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Beklagte über keinerlei
gesicherte Kennntnis über die maßgeblichen Geschehensabläufe. Um sich eine
umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts zu
verschaffen, war eine Befragung des Zeugen F unabdingbar. Da dieser zunächst
auf der Intensivstation des Erfurter Krankenhauses lag, entsprach es dem Gebot
von Anstand und Rücksichtnahme, einen Zeitpunkt abzuwarten, zu dem der Zeuge F
ohne Bedenken befragt werden konnte. Es lag auch im Interesse des Klägers,
diesen nicht kurzerhand allein auf der Basis der Abschiedsbriefes des Zeugen F
zu entlassen. Entgegen der Auffassung des Klägers konnte die Befragung des
Zeugen F auch nicht durch die Einholung von Informationen bei anderen
Mitarbeitern der Beklagten ersetzt werden. Auch der Arbeitgeber muß, wenn er
Ermittlungen zur Aufklärung von Straftaten oder sonstigen
Arbeitsvertragspflichtverletzungen führt, um daraus rechtliche Konsequenzen zu
ziehen, jedenfalls den Kernbestand rechtsstaatlicher Gepflogenheiten beachten
(vgl. Urteil der 5. Kammer des Thüringer LAG vom 10.9.1998 – 5 Sa 104/97 -,
LAGE § 138 BGB Nr. 12). Dazu gehört auch die Abklärung aller nach Lage des
Falles maßgeblichen Erkenntnisquellen. Die Befragung des Zeugen F konnte danach
schon deshalb nicht anderweitig ersetzt werden, weil dieser nach dem damaligen
Informationsstand der Beklagten der Hauptbelastungs-, aber auch der
Hauptentlastungszeuge hätte sein können. Die Beklagte hat sich auch – wie in
der Berufungsverhandlung unstreitig gewesen ist – zur Abklärung seiner
Vernehmungsmöglichkeit immer wieder nach dem Befinden des Zeugen F erkundigt.
Eine Verschleppung der Ermittlungen ist danach nicht ersichtlich. Schon aufgrund
der unter Fortzahlung der Vergütung erfolgten Freistellung des Klägers konnte
sie hieran auch gar kein Interesse haben. Die Beklagte hätte zwar nach der auf
die Befragung des Zeugen F am 27.10.1998 erfolgten Anhörung des Klägers
durchaus die vorliegende Kündigung aussprechen können. Wenn sie nach dem
Abstreiten eines Fehlverhaltens durch den Kläger aus Gründlichkeit und um
sicher zu gehen, der Meinung war, von dem Zeugen F die Schilderung des
Geschehens noch einmal in der Form einer eidesstattlichen Versicherung zu
erbitten, um anschließend den Kläger am 2.11.1998 ebenfalls noch einmal mit
den dann dergestalt vorliegenden Vorwürfen zu konfrontieren, dann liegt darin
weder eine unsachgemäße Verzögerung der Ermittlungen, noch würde dies im
Ergebnis zu einer Überschreitung der Ausschlußfrist der am 2.11.1998
ausgesprochenen Kündigung führen. Im übrigen scheitert die
kündigungsrechtliche Verwertung sämtlicher von der Beklagten geltend gemachten
Schikanen des Klägers gegenüber dem Zeugen F nicht an der Einhaltung der
Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB, weil sie nach Aktenlage von keiner
einzigen dieser arbeitsvertraglichen Verfehlungen des Klägers länger als 2
Wochen hinreichend sichere Kenntnis hatte. Selbst wenn es anders wäre, würde
dies im Ergebnis nichts ändern. Da es sich bei Mobbing um ein fortdauerndes
Gesamtverhalten handelt, kommt es für die Frage der Einhaltung des § 626 Abs.
2 BGB entscheidend auf die Kenntnis desjenigen Ereignisses an, welches das
letzte, den Kündigungsentschluß auslösende Glied in der Kette weiterer, in
Fortsetzungszusammenhang stehender Pflichtverletzungen bildet. Die durch die
quantitative Zunahme der Pflichtverletzungen auch automatisch erfolgende
qualitative Verstärkung der Vertragsstörung schafft einen eigenen, das als
Mobbing zu bezeichnende Gesamtverhalten umfassenden veränderten
Kündigungssachverhalt.
5. Der Kläger trägt die Kosten
der erfolglosen Berufung (§ 97 Abs. 1 ZPO)
6. Die Revision wird zugelassen
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