Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Patientenrechte: Der informierte Patient - ein gemeinsames Ziel
Auf dem ersten Deutschen Patiententag in Leipzig plädierten Vertreter der
Ärzteschaft, Krankenkassen, Politik und der Patienten für gestärkte Patientenrechte
sowie für unabhängige Informationssysteme.
Der Patient im Mittelpunkt des Gesundheitswesens. Dass dies in Zukunft
auch so sein soll, darüber waren sich alle einig: Vertreter der Ärzteschaft, der
Krankenkassen, der Politik und der Patienten. Die Vorstellungen, wie das umzusetzen sei,
divergierten allerdings bei den Teilnehmern. Auf dem ersten Deutschen Patiententag am 10.
März 2000 in Leipzig diskutierten sie gemeinsam über die Rolle des Patienten als
Verbraucher und als Partner des Arztes, seine Rechte und Pflichten während der Behandlung
sowie über Patienteninformation und Transparenz im Gesundheitswesen.
Existieren schon Lösungskonzepte? Danach befragt, verwies Erwin Jordan, Staatssekretär
im Bundesgesundheitsministerium, auf im Gesundheitsreformgesetz vorgesehene Maßnahmen:
die Stärkung der "sprechenden Medizin" und der Position des Hausarztes, auf die
integrierte Versorgung sowie Behandlungsleitlinien und Qualitätsmaßstäbe. Nur ein gut
informierter Patient könne seinen Beitrag im Gesundheitssystem leisten. Deshalb seien
auch die Förderung von Selbsthilfe-Organisationen sowie die Prävention und
Gesundheitsförderung als Pflichten der Gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich
verankert.
Mit zehn Millionen Mark jährlich können die Krankenkassen unabhängige
Patientenberatungsstellen unterstützen. Dabei sollen demnächst Krankenkassen einzelne
Beratungsstellen als Modellversuche aufbauen, durch die man Erkenntnisse für eine
flächendeckende Einführung gewinnen will. Auch bei Behandlungsfehlern und
Schadensauseinandersetzungen sollen die Kassen die Patienten unterstützen.
Die Kooperation mit den Patienten, deren Beratung und Information übernehmen die Kassen
gern, folgt man den Bekundungen in Leipzig: Der Entscheidungsspielraum in der Medizin sei
unermesslich, erklärte Dr. Eckart Fiedler, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse.
Bei Therapie und Diagnostik sei weniger manchmal mehr. Untersuchungen hätten ergeben,
dass sich Ärzte nur einem Bruchteil der medizinischen Verfahren selbst unterziehen
würden, die sie ihren Patienten empfehlen. Durch gut informierte Patienten und gestärkte
Patientenrechte ließen sich so Kosten einsparen: Kassen müssten keine
überflüssigen Leistungen mehr zahlen, Patienten sie nicht erdulden. Oftmals wäre statt
einer stationären eine ambulante Versorgung möglich, durch mangelnde Information wären
sich die Patienten der Freiheitsberaubung bloß nicht bewusst.
"Durch informierte Patienten Kosten sparen"
"Umfassende Information des Patienten ist der Dreh- und Angelpunkt im
Gesundheitssektor", betonte Fiedler. Patient und Kasse müssten synergistisch
zusammenarbeiten, es reiche nicht aus, Patientenrechte nur zu proklamieren. "Wir als
Gesetzliche Krankenversicherung müssen die Rahmenbedingungen für das Gesundheitssystem
so verbessern, dass auch in Zukunft eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau
gewährleistet werden kann", skizzierte Fiedler seinen Standpunkt.
Ganz anders betrachtete der Vertreter der Ärzteschaft die Situation: Offen sei noch, ob
die Finanzprobleme der Gesetzlichen Krankenversicherung zukünftig mit Rationalisierung
oder Rationierung gelöst würden, meinte Prof. Dr. med. Jan Schulze, Präsident der
Sächsischen Landesärztekammer auf dem Patiententag. Auch er ist der Meinung: "Eine
stärkere Patienten- und Verbraucherorientierung ist längst überfällig." Dabei
verwies er auf die Ende letzten Jahres von der Bundesärztekammer vorgelegte
Patientencharta. Sie sei ein ausgezeichnetes Element, um die Patientenrechte zu stärken.
"Patientencharta bildet die Grundlage"
In der Präambel der Charta ist festgehalten, dass Würde und Selbstbestimmung des
Patienten Grundlage des ärztlichen Handelns und der Patientenrechte sein müssen.
Die Charta war eine Reaktion auf ein von der Regierung geplantes Patientenschutzgesetz.
Vieles sei indes schon durch die ärztliche Berufsordnung und Rechtsprechung geregelt,
hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, damals
betont. Unterentwickelt seien hingegen die Rechte der Patienten gegenüber den
Krankenkassen, die durch Leistungsverweigerungen das Recht auf angemessene medizinische
Versorgung und durch geplante Datensammelstellen das Recht auf Vertraulichkeit tangierten.
Über Patientenautonomie und über den Patienten als Partner des Arztes wurde in Leipzig
viel gesprochen, die Rolle des Arztes kam dabei eher zu kurz. Gerade als "originäre
Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung" sieht die Landesärztekammer
Baden-Württemberg die Beratung und Aufklärung des Patienten, die ihn zu eigenen
Entscheidungen befähigen sollen. Ein zuverlässiges Informationssystem für Patienten
könne letztlich nur in der gemeinsamen Trägerschaft der ärztlichen Körperschaften
verwirklicht werden, betonte Prof. Dr. med. Stefan Wysocki, Präsident der
Bezirksärztekammer Nordbaden, auf einer Pressekonferenz des Gesundheitsrates Südwest in
Stuttgart.
Der Gesundheitsrat Südwest, eine unabhängige Kommission der Landesärztekammer
Baden-Württemberg, beschäftigt sich seit längerem mit dem Thema der Patientenautonomie.
Dem Rat, der 1997 ins Leben gerufen wurde, gehören maximal 15 Mitglieder aus den
Bereichen der Medizin, Politik, Gesundheitsökonomie, Krankenkassen, Pflege und Kirche an.
Sein Ziel ist es, "die gesundheitliche Versorgung in Baden-Württemberg übergreifend
zu betrachten und Lösungsvorschläge sowie Empfehlungen zu aktuellen Problemen an die
Selbstverwaltung und die Politik abzugeben", erläuterte Prof. Dr. med.
Friedrich-Wilhelm Kolkmann, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, das
Konzept des Gesundheitsrates.
"Bislang werden Informationen über Leistungsangebote im Gesundheitswesen zunehmend
durch Krankenkassen und kommerzielle Auskunftsstellen weitergegeben", analysiert
Wysocki die derzeitige Situation. Dabei sei nicht immer sichergestellt, dass diese
Informationen auf einer objektiven, medizinisch-wissenschaftlichen Grundlage beruhen.
"Vielfach stehen vornehmlich die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber solcher
Auskunftsstellen im Vordergrund", kritisierte Wysocki. Diese Erkenntnis veranlasste
die Landesärztekammer Baden-Württemberg, in einem Pilotprojekt einen Informationsdienst
im Bezirk Nordbaden unter ärztlicher Leitung aufzubauen (siehe Kasten).
Info-Service
Gesundheit" der nordbadischen Ärzte
Seit einem Jahr läuft das Pilotprojekt der Landesärztekammer Baden-Württemberg: Ein mit
einem Arzt besetztes Team gibt sowohl schriftlich als auch telefonisch Auskünfte über
stationäre und ambulante Versorgungsmöglichkeiten. Telefonisch ist die Infostelle
bereits im gesamten Bezirk Nordbaden zu erreichen, mehr als 1 700 Anrufer nutzten den
Service bislang. Internet-Präsenz ist zukünftig geplant.
Finanziert wird der Informationsdienst ausschließlich von den beteiligten ärztlichen
Körperschaften, der Bezirksärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordbaden.
"Dadurch sollen auch in Zukunft", so Prof. Dr. med. Stefan Wysocki, Präsident
der Bezirksärztekammer Nordbaden, "wirtschaftliche oder gar politische Interessen
Dritter ausgeschlossen bleiben."
Die Inhalte des Informationssystems werden von einem unabhängigen ärztlichen Beirat
bestimmt, Informationen aus den Medien kritisch gesichtet. Dies wäre bei ähnlichen
Projekten in anderen Bundesländern nicht der Fall. Hier würden häufig Kostenträger und
andere medizinische Laien einbezogen, um den Titel "unabhängig" zu
rechtfertigen. Nach Wysockis Ansicht kann Unabhängigkeit aber nur durch die
"fachliche Orientierung auf den Stand der medizinischen Wissenschaft" erreicht
werden. Durch den unabhängigen ärztlichen Beirat wolle man schon in der Pilotphase
Fehlentwicklungen vorbeugen.
Derzeit stellt der Informationsdienst Leistungskataloge für alle Fachgebiete zusammen.
Die nordbadischen Ärzte haben die Möglichkeit, Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte
sowie Praxisbesonderheiten bekannt zu geben. |
Patienteninformation - "eine ärztliche Aufgabe"
Nach einem Jahr Laufzeit werten die Initiatoren das Projekt als "uneingeschränkten
Erfolg". Es sei gelungen, innerhalb weniger Monate eine funktionsfähige Anlaufstelle
für Ärzte und Patienten zu etablieren. Damit habe sich gezeigt, bekräftigt Wysocki,
dass "die Beratung und Aufklärung von Patienten, auch in Form von Auskunfts- und
Beratungsstellen, letztlich eine ärztliche Aufgabe ist, die nicht den Kassen oder
gewerblichen Unternehmen überantwortet werden kann". Die Erfahrungen ließen nunmehr
an den Aufbau vergleichbarer Dienste in anderen Bezirken denken. Von Landesärztekammern
unterstützte Projekte gibt es auch schon in Bremen, Berlin, Westfalen-Lippe und
Rheinland-Pfalz.
Besonders die Patienten müssten aufgefordert werden, sich mit ihrer Autonomie auseinander
zu setzen, forderte Prof. Dr. med. Dr. h. c. Michael Arnold, Vorsitzender des
Gesundheitsrates Südwest. Dann ließe sich ein optimaler Therapieerfolg erreichen. Durch
Gespräche könne das Bewusstsein des Patienten gestärkt werden, nach anderen
Behandlungsoptionen zu fragen und den eigenen Entscheidungsspielraum zu nutzen. Auch
sollten die "mit der Patientenautonomie zusammenhängenden Probleme in der Aus- und
Weiter- sowie Fortbildung der Ärzte thematisiert werden", empfahl Arnold.
Noch werden die Interessen der Patienten nicht von Patienten selbst, sondern anderen
Gruppierungen im Gesundheitssystem vertreten. Eine legitimierte deutsche
Patientenvertretung gibt es (noch) nicht. Die Rufe danach werden immer lauter: Vertreter
von Selbsthilfegruppen zeigten sich in Leipzig enttäuscht, dass sie als Patienten nicht
in die entsprechenden Entscheidungsgremien einbezogen werden, zum Beispiel in den
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Wenn die bestehenden kompetenten
Selbsthilfegruppen gehört würden, könnten Fehlentscheidungen vermieden werden. Sie
plädierten für unabhängige Informations- und Beratungsstellen für Patienten sowie
professionelle Hilfe bei der Arbeit in den Selbsthilfegruppen.
In einer jetzt veröffentlichten Empfehlung zum Thema Patientenrechte fordert der
Europarat seine 41 Mitgliedsstaaten auf, die Meinungen und Wünsche der Patienten
innerhalb der Gesundheitspolitik stärker zu beachten. Die Patientengrundrechte, wie das
Recht auf Information, Einsicht in die Patientenakten und Schadenersatzklagen im Fall von
Kunstfehlern, sollten nach Ansicht des Rates gestärkt werden. Seit einigen Jahren gäbe
es schon in Frankreich, Dänemark und Großbritannien Patienten- und
Verbraucherversammlungen, die auf nationalen und regionalen Ebenen ihre Interessen
vertreten. Sie sollten nach Ansicht des Europarates möglichst in allen Ländern
eingerichtet werden.
Dr. med. Eva A. Richter
Quelle: Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 12 (24.03.2000), Seite A-753 [POLITIK: Aktuell]
Werner Schell (9.4.2000)
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