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Entwicklungsperspektiven für die gesundheitsbezogene Selbsthilfe im deutschen Gesundheitswesen

Am 23. und 24. November 2000 haben sich in Windenreute bei Freiburg Experten aus der Wissenschaft, der Politik, den Sozialversicherungen und der Selbsthilfe getroffen und festgestellt, dass trotz der positiven Entwicklung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe noch grundlegender Handlungsbedarf besteht.

Selbsthilfegruppen haben sich bewährt
Einigkeit bestand darin, dass sich Selbsthilfegruppen für viele Menschen bewährt haben, Informationen über ihre Erkrankung und deren Behandlung zu erhalten, Erfahrungen im Umgang mit der Krankheit und deren psychosozialen Folgen auszutauschen, Verständnis und Ermutigung zu finden, sich an veränderte Lebensbedingungen anzupassen, selbst aktiv zu ihrer Rehabilitation beizutragen und gemeinsame Interessen nach außen zu vertreten. Selbsthilfeorganisationen übernehmen Aufgaben bei der Unterstützung von Selbsthilfegruppen, bei der Wahrnehmung der Interessen von chronisch Kranken, Behinderten bzw. von Krankheit und Behinderung Bedrohten und deren Angehörigen sowie bei der Vertretung von Patientenrechten. Ihre Angebote beziehen sich auch auf Betroffene, die nicht Mitglieder in den Organisationen sind. Selbsthilfekontaktstellen haben ihr Aufgabenprofil entwickelt und tragen zur Gründung, Entwicklung und Förderung von Selbsthilfegruppen vor Ort bei.
Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe hat damit das Potential, einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung einer rationalen, qualitativ hochwertigen und nutzerorientierten medizinischen und psychosozialen Versorgung zu leisten, indem sie die Erfahrungen von Nutzern und Betroffenen mit dem Fachwissen professioneller Helfer (Ärzte, Heilmittelerbringer, Pflegefachkräfte, Psychologen, Apotheker und Sozialarbeiter) verbindet.

Ausbau der Rahmenbedingungen
Durch den Ausbau der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sollen die Potentiale von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen weiter entwickelt und verstärkt werden. Auf diesem Hintergrund begrüßen die Experten die Entscheidung der Bundesregierung zur finanziellen Förderung der Selbsthilfe nach § 20 Abs. 4 SGB V und die beabsichtigten Förderungs- und Beteiligungsregelungen im Referentenentwurf des SGB IX. Allerdings sind Probleme bei der Umsetzung vorhersehbar, die nur unter partnerschaftlicher Beteiligung aller Interessengruppen gelöst werden können.

Mitwirkung an Entscheidungen
Die Erfahrungen von Nutzern, bzw. Kranken und Behinderten, sollen in geregelter Form bei gesundheitspolitischen Entscheidungen einbezogen und berücksichtigt werden. Auf Bundes- und Landesebene soll der Selbsthilfe nicht nur die Gelegenheit zu Stellungnahmen, sondern auch zur Diskussion und Mitwirkung an Entscheidungen gegeben werden. Zur Lösung der Frage nach der Legitimation der Selbsthilfe, als Vertreter der Interessen von Patienten, Versicherten und Bürgern, bieten sich verschiedene Regularien an, die in Modellprojekten auf ihre Verwendbarkeit in der Praxis erprobt werden sollten.
Auf kommunaler Ebene empfehlen sich Gesundheitskonferenzen z.B. nach dem Modell der Stadt Herne, in denen die Selbsthilfe, interessierte Bürger, Patienten und Versicherte ihre Erfahrungen und Interessen einbringen können. In verschiedenen Projekten hat sich die Beteiligung der Selbsthilfe an ärztlichen Qualitätszirkeln bewährt.
Die Kooperation zwischen professionellen Helfern und der Selbsthilfe bedarf der weiteren Entwicklung. Es wird empfohlen, in den jeweiligen Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildung Lehrveranstaltungen zu Themen gesundheitsbezogener Selbsthilfe vorzusehen, an denen die Selbsthilfe mit Dozenten beteiligt wird.
Prozesse zur Qualitätssicherung können geeignet sein, die Selbsthilfearbeit zu verbessern, sofern sie von den Betroffenen in den Selbsthilfegruppen und –organisationen ausgehen und von ihnen gesteuert werden.

Ausbau der Fördermaßnahmen
Zur Entwicklung der Selbsthilfepotentiale sollen die Fördermaßnahmen weiter ausgestaltet werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, eine verlässliche institutionelle Mischfinanzierung durch die gesetzlichen Sozialversicherungen, die privaten Krankenkassen und die öffentliche Hand sicherzustellen. Neben den lokalen Selbsthilfeaktivitäten sind die auf Länder- und Bundesebene aufgebauten übergreifenden Organisationen ebenfalls in angemessener Weise zu fördern. Die institutionelle Förderung von Selbsthilfekontaktstellen ist eine Voraussetzung für eine koordinierte, flächendeckende Aktivierung von Selbsthilfepotentialen. Es wird empfohlen, die verschiedenen finanziellen Ressourcen in Pools zusammenzufassen, nicht nur um dysfunktionale Konkurrenzen auszuschließen, sondern auch um den inhaltlichen Austausch über Fördermaßnahmen besser zu ermöglichen.

Selbsthilfeforschung
Forschung und Wissenschaft sind aufgefordert, einen Beitrag zur Entwicklung der Selbsthilfe und deren kritischen Begleitung zu leisten. Für die Forschung sind geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen; z.B. die längerfristige Förderung einer Dokumentations- und Clearingstelle für Selbsthilfeforschung. Damit soll die Vernetzung der eher vereinzelt agierenden Selbsthilfeforscher/Forschungseinrichtungen und ihrer Forschungsprojekte zum Zwecke der Kumulation wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Vermeidung unnötiger Doppelarbeiten unterstützt werden. Gleichzeitig kann damit eine gezieltere Forschungsförderung ermöglicht werden. Forschungsschwerpunkte sollten insbesondere in der Kooperationsforschung, dem Bedarf an finanzieller Förderung und ihrer Wirkungen, dem Ausbau der Selbsthilfepotentiale der Bevölkerung, der korporatistischen Einbindung, den Funktionserweiterungen der Selbsthilfe, den Selbsthilfeprozessen in Gruppen und Organisationen sowie dem Einfluss der Selbsthilfe auf die Arzt-Patient-Beziehung liegen (Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation - BAR-Information Nr. 5/2000).

Werner Schell (04.04.2001)