Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Gesetzentwurf der Kommission "Ältere Menschen"
zum ärztlichen Behandlungsvertrag
unter besonderer Berücksichtigung der Patientenrechte
und unter Einbeziehung der Sterbebegleitung
(Stand: Juni 2000)
Präambel
Der ärztliche Behandlungsvertrag soll das
Arzt-Patienten-Verhältnis regeln.
Nach eingehenden Schätzungen werden in der
Bundesrepublik Deutschland täglich mehr als 100.000 Behandlungsverträge
abgeschlossen. Die Gesundheitsausgaben belaufen sich pro Jahr auf ca. 50
Milliarden DM. Allein schon dieses Ausmaß macht eine klare gesetzliche Regelung
dringend erforderlich.
Hinzu kommt, dass der Behandlungsvertrag die
höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit des Patienten
betrifft. Die aus Artikel 12 GG zu entnehmende Therapiefreiheit des Arztes
findet ihre Grenzen im Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Wichtig ist es
deshalb, die Patientenrechte zu regeln. Patienten und Ärzte müssen wissen, was
zivilrechtlich erlaubt ist. Auch sollte dem Arzt eine Entscheidungshilfe gegeben
werden, weil die Grenzbereiche zulässigen ärztlichen Handels bisher nur
strafrechtlich beurteilt worden sind.
In dem Behandlungsvertrag sind die Interessen des
Patienten und des Arztes abgewogen erfasst worden. Dem besonderen
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten, das zum Behandlungserfolg
beiträgt und diesen vielfach erst ermöglicht, wurde Rechnung getragen. Eine
analoge Anwendung des § 1904 BGB zur Lösung von Problemen am Ende des Lebens
sollte nicht in Betracht kommen. Aus diesem Grunde enthält der Entwurf eine
spezielle Regelung für die Sterbebegleitung. Erstmals ist die Frage der
Sterbebegleitung oder Hilfe zum würdigen Sterben zum Gegenstand einer
gesetzlichen Regelung gemacht worden.
Artikel 1 und 2 GG garantieren ein Recht auf
würdiges Leben und würdiges Sterben.
Das ärztliche Gebot, dem Patienten zu einer
Heilung zu verhelfen, findet dort seine Grenze, wo eine Heilung nicht mehr
möglich ist. Hier gilt es, dem Patienten ein würdiges Leiden und ein würdiges
Sterben zu ermöglichen. Der tödlich Erkrankte hat ein Recht auf Linderung von
Leiden und Schmerzen, auch wenn diese Behandlung das Risiko einer
Lebensverkürzung in sich trägt. Nicht nur Schmerzen, sondern auch
Leidenszustände können für den Patienten unzumutbar sein. Auch der Abbruch
oder die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen können Teil eines würdigen
Sterbens sein. Sie sind dann zulässig,
- wenn der Betroffene dies nach einem
Aufklärungsgespräch, das auch Informationen über
Behandlungsalternativen beinhalten muss, nachdrücklich und ernstlich von
dem behandelnden Arzt verlangt,
-
oder der Betroffene nach ärztlicher
Erkenntnis zu einer eigenen Beurteilung und Erklärung dauernd
außerstande ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist,
dass er im Hinblick auf die Dauer und den Verlauf seines aussichtslosen
Leidenszustandes und des bevorstehenden Todes diese Behandlung ablehnen
würde
- oder eine solche nach ärztlicher
Erkenntnis nicht mehr angezeigt ist
- oder der Eintritt des Todes durch gebotene
leidensmindernde Maßnahmen für einen tödlich Erkrankten beschleunigt
wird.
Wenn der Auftrag des Arztes auf Heilung,
Verhütung einer Verschlimmerung, Leidens- oder Schmerzlinderung nicht erfüllt
werden kann, so gebietet es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dem
ärztlichen Heilungsauftrag bei Aussichtslosigkeit der Maßnahme Grenzen zu
setzen. Der Patient darf sich einer lebensverlängernden, aber nicht
erfolgsversprechenden oder mit erheblichen Nebenwirkungen verbundenen Behandlung
widersetzen.
Gesetzesentwurf:
§ 1 Behandlungsvertrag
1. Der Arzt, der Zahnarzt oder der
Krankenhausträger ist verpflichtet, die Leistungen nach dem
Behandlungsvertrag zu erbringen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
ist zu beachten.
2. Der Patient ist verpflichtet, die
vereinbarte Vergütung zu zahlen, es sei denn, dass die Behandlung durch
Sozialversicherungsträger zu gewähren ist. Ihm obliegt, im Rahmen der
Zumutbarkeit zum Erreichen des Behandlungserfolges beizutragen.
§ 2 Gegenstand des Behandlungsvertrages
Gegenstand der Behandlung sind Aufklärung,
Beratung, Vorsorge, Früherkennung, Geburtshilfe, Schwangerschaftsabbruch sowie
Maßnahmen, die geeignet sind zur
a) Heilung,
b) Verhütung einer Verschlimmerung der Krankheit,
c) Leidens- oder Schmerzlinderung,
d) Hilfe zum würdigen Sterben, insbesondere Sterbebegleitung.
§ 3 Aufklärung
1. Der Arzt, der Zahnarzt oder
Krankenhausträger hat vor der Behandlung gemäß § 2 den voraussichtlichen
Verlauf der Gesundheitsstörung und die möglichen Maßnahmen mit den
Risiken darzulegen und das Einverständnis des Patienten oder der Person
einzuholen, die Kraft Gesetzes oder Vollmacht zur Vertretung berechtigt ist.
2. Darlegung und Einverständnis sind im
Verlauf der Behandlung bei wesentlichen Veränderungen zu wiederholen.
3. In Notfällen ist die Darlegung
unverzüglich nachzuholen.
§ 4 Sterbebegleitung
1. Zur Sterbebegleitung gehören
a) schmerz- oder leidensmindernde
Maßnahmen, auch wenn dadurch der Eintritt des Todes beschleunigt oder
eine Medikamentenabhängigkeit des Patienten entsteht;
b) der Abbruch oder das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen,
insbesondere der Verzicht auf technische Einrichtungen zur
Aufrechterhaltung oder Unterstützung von Organfunktionen.
2. Sterbebegleitung ist nur zulässig, wenn
nach dem Erkenntnisstand des behandelnden Arztes und eines Facharztes eine
Besserung der zum Tode führenden Krankheit oder des zum Tode führenden
Leidenszustandes nicht zu erwarten ist und eine schriftliche
Patientenverfügung vorliegt.
3. Dem Vorliegen einer schriftlichen
Patientenverfügung steht gleich, wenn der Patient diese Sterbebegleitung
nachdrücklich und ernstlich von dem behandelnden Arzt verlangt
oder
der Patient nach ärztlicher Erkenntnis zu einer Erklärung über Aufnahme
oder Fortführung der Behandlung dauernd außer Stande ist und aufgrund
verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die Sterbebegleitung dem
mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht und eine richterliche
Genehmigung der Sterbebegleitung im Sinne von Absatz 1 zweiter Halbsatz
vorliegt.
4. Bei Zweifeln über die Zulässigkeit der
Sterbebegleitung kann auch bei Vorliegen einer schriftlichen
Patientenverfügung die richterliche Genehmigung beantragt werden.
§ 5 Vertragsbeendigung
1. Der Behandlungsvertrag endet mit dem
Ablauf der Zeit oder mit dem Abschluss der Behandlung, für die er
geschlossen worden ist.
2. Der Behandlungsvertrag kann von jedem
Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus wichtigem Grund,
insbesondere bei Störung des Vertrauensverhältnisses gekündigt werden.
Begründung:
§ 1 Abs. 1
Der Behandlungsvertrag ist zivilrechtlicher Natur. Er wird zwischen
Patientin/Patient und Ärztin/Arzt, Zahnärztin/Zahnarzt, Krankenhausträger
abgeschlossen. Das gilt für privat versicherte ebenso wie für gesetzlich
krankenversicherte Personen. Im Gesetzestext wurde die männliche Ausdrucksform
verwendet in Anlehnung an die Begriffe in den anderen Gesetzen (SGB).
Der Behandlungsvertrag ist bisher im Gesetz nicht
ausdrücklich geregelt. Regelungen finden sich unvollständig im Dienst- und
Werkvertrag und der Rechtsprechung. Durch eine neue gesetzliche Regelung wird
Klarheit über die Rechte und Pflichten der Vertragspartner geschaffen. Das
Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Ausprägung des Rechts auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 GG wird ausdrücklich
normiert.
§ 1 Abs. 2 Satz 1
90 % der Bevölkerung sind gesetzlich krankenversichert. Auch diese schließen
mit dem behandelnden Arzt einen Behandlungsvertrag ab, der zivilrechtlicher
Natur ist. Das Abrechnungsverhältnis ist allerdings sozialrechtlich geregelt.
Wenn sich der Patient als gesetzlich Versicherter in die Behandlung begibt, hat
der Arzt, der Zahnarzt oder der Krankenhausträger grundsätzlich keinen
Vergütungsanspruch gegen den Patienten (Sachleistung). Das Sachleistungsprinzip
bedeutet, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Leistungen vergütet. Im
SGB V gibt es auch abweichende Regelungen (Kostenerstattungsprinzip). In diesen
Fällen hat der Leistungserbringer einen Vergütungsanspruch an den Patienten,
der wiederum von der gesetzlichen Krankenversicherung Kostenerstattung erhält.
§ 1 Abs. 2 Satz 2
Der Behandlungserfolg ist oft unter anderem davon abhängig, dass der Patient in
zumutbarer Weise mitwirkt.
§ 2
Durch diese Bestimmung soll die gesamte ärztliche Behandlungstätigkeit erfasst
werden. Dazu gehören Aufklärung, Beratung, Vorsorge, Früherkennung,
Geburtshilfe, Schwangerschaftsabbruch und alle Maßnahmen, die geeignet sind zur
Heilung, Verhütung einer Verschlimmerung der Krankheit und der Leidens- oder
Schmerzlinderung. Dazu gehört aber auch die Hilfe zum würdigen Sterben,
insbesondere die Sterbebegleitung. Die Einbeziehung der Sterbebegleitung in den
Behandlungsvertrag trägt dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung und
bietet dem Arzt Entscheidungshilfe. Die Hilfe zum würdigen Sterben schließt
das humane Sterben ein. Hierzu gehören seelische Zuwendungen, aber auch
Maßnahmen, wie sie in § 4 des Entwurfes aufgeführt sind.
Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass Gegenstand des
Behandlungsvertrages keine sittenwidrigen oder gegen den ordre public
verstoßende Maßnahmen sein können, z.B. Genitalverstümmelung und aktive
Sterbehilfe.
§ 3 Abs. 1
§ 3 soll sicherstellen, dass dem Patienten für seine Entscheidung, welche
Behandlung angewendet werden soll, eine ausreichende Entscheidungsgrundlage
geliefert wird. Hierzu gehört, dass der Patient über den Verlauf der
Erkrankung sowie über Behandlungsalternativen und deren Kosten informiert wird.
Durch eine umfassende Aufklärung wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten
erst ermöglicht bzw. gestärkt.
§ 3 Abs. 2
Wenn der Gegenstand der Behandlung, so wie er in § 2 definiert ist, sich
wesentlich verändert, ist ein neuer Behandlungsvertrag zu schließen. Es ist
erneut aufzuklären und die Einwilligung des Patienten bzw. seiner gesetzlichen
Vertretung einzuholen. Für jede Vertragsänderung gilt § 1.
§ 4 Abs. 1
Die Sterbebegleitung gliedert sich in die Bereiche schmerz- und leidensmindernde
Maßnahmen und den Abbruch oder Unterlassung sterbensverlängernder Maßnahmen.
Die Regelung zur Sterbebegleitung gibt dem Arzt eine Entscheidungshilfe unter
vorrangiger Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten und seines Rechts
auf würdiges Sterben. Der Arzt darf auch Medikamente, die zur Abhängigkeit des
Patienten führen, als Schmerz- und Leidensminderung verabreichen, wenn der
Patient in geeigneter Weise sein Einverständnis erklärt und nach dem
Erkenntnisstand des behandelnden Arztes und eines Facharztes eine Besserung der
zum Tode führenden Krankheit oder des zum Tode führenden Leidenszustandes
nicht zu erwarten ist. Unter diesen Bedingungen ist dem Arzt auch der Abbruch
und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen erlaubt. Dabei handelt es sich
nicht um eine aktive Sterbehilfe. Damit wird auch gleichzeitig die Grauzone der
strafrechtlichen Beurteilung verlassen und die Sterbebegleitung zivilrechtlich
geregelt.
§ 4 Abs. 2
Die Sterbebegleitung setzt eine ärztliche Beurteilung voraus. Der behandelnde
Arzt und ein zusätzlich hinzuzuziehender Facharzt müssen zu dem Ergebnis
kommen, dass eine Besserung der zum Tode führenden Krankheit oder des zum Tode
führenden Leidenszustandes nicht zu erwarten ist. In einem Krankenhaus müssen
ebenfalls zwei Ärzte zu dieser Entscheidung kommen. Die ärztliche Beurteilung
allein reicht jedoch nicht aus. Vielmehr muss der Patient nachdrücklich und
ernstlich von dem behandelnden Arzt Maßnahmen der Sterbebegleitung, wie sie in
§ 4 aufgeführt sind, wünschen. Die Äußerung dieses Wunsches muss
nachweisbar sein. Aus diesem Grunde und um dem Willen des Patienten größere
Bedeutung beizumessen, wurde die Patientenverfügung ausdrücklich in das Gesetz
aufgenommen. Hierdurch wird verdeutlicht, welche Behandlung gewünscht wird,
inwieweit eine Einwilligung zur Behandlung erteilt und von wann ab die
Einwilligung zur Behandlung verweigert wird. Damit dient die Patientenverfügung
dem Schutz des Patienten und dem des behandelnden Arztes.
Für die Errichtung der Patientenverfügung wurde
die schriftliche Form gewählt. Überlegungen, die gleichen Voraussetzungen wie
bei der Errichtung eines Testamentes zu verlangen, wurden verworfen, um die
Schwelle für die Errichtung und den Widerruf der Verfügung nicht zu hoch zu
setzen, besonders in Fällen, bei denen schon eine gewisse Gebrechlichkeit bei
den Patienten vorhanden ist. Einer handgeschriebenen Fassung ist sicherlich der
Vorzug zu geben, weil dadurch deutlich wird, dass die Patientenverfügung
inhaltlich verstanden und gewollt ist.
Die Patientenverfügung stellt ein überzeugendes
Beweismittel in den Fällen dar, in denen der Patient außer Stande ist, sich
aktuell zur Fortführung der Behandlung zu äußern. Der Zeitablauf nach
Abfassung der Patientenverfügung ist unbeachtlich, solange diese nicht
tatsächlich oder konkludent widerrufen wurde.
§ 5
Die Arzt-Patientenbeziehung ist ein besonderes Vertrauensverhältnis, das auch
Grundlage des Behandlungserfolges ist. Bei einer Störung des
Vertrauensverhältnisses ist der Behandlungszweck nicht mehr oder nur erschwert
erreichbar.
Da auf den Behandlungsvertrag im übrigen Dienst- und Werkvertragsrecht
Anwendung finden und im Werkvertrag grundsätzlich ein Nachbesserungsrecht
besteht, soll durch das erweiterte Kündigungsrecht eine Nachbesserung durch den
Arzt gegen den Willen des Patienten ausgeschlossen werden.
Bonn, den 14. Juni 2000
Kommission: Kommission Ältere Menschen
Quelle: Deutscher Juristinnenbund (DJB) http://www.djb.de
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