Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
www.wernerschell.de
Aktuelles
Forum (Beiträge ab 2021)
Archiviertes Forum
Rechtsalmanach
Pflege
Patientenrecht
Sozialmedizin - Telemedizin
Publikationen
Links
Datenschutz
Impressum
Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk
>> Aktivitäten im Überblick! <<
|
Rechtsschutz für nicht entscheidungsfähige Erwachsene
Grundsätze des Europarates vom 23.02.1999
(Empfehlung Nr. R (99)4 abgedruckt in Zeitschrift für Jugendhilfe (ZfJ) Heft 11,
1999, S. 432 ff.
Das Ministerkomitee des Europarates hat am 23.02.1999 eine Empfehlung
verabschiedet, die vom Bundesministerium der Justiz mit Schreiben vom 08.03.1999 in
deutscher Übersetzung vorgelegt worden ist und sich mit den "Grundbezügen
bezüglich des Rechtsschutzes für Erwachsene, die nicht entscheidungsfähig sind",
befasst.
Dieses Papier ist in mehrfacher Hinsicht interessant:
Es nimmt ausdrücklich Bezug auf das bisher von der Bundesrepublik Deutschland nicht
unterzeichnete/ratifizierte "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der
Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin" vom 04.04.1997
und strebt an, "eine engere Verbindung" zwischen den Mitgliedern des Europarates
herbeizuführen, insbesondere durch "Förderung der Verabschiedung gemeinsamer
Rechtsvorschriften".
Damit ist auch die Bundesrepublik Deutschland aufgerufen, die Vorschriften des
Betreuungsrechts darauf zu überprüfen, ob sie mit den - nachfolgend wiedergegebenen -
Grundsätzen übereinstimmen. Diese Analyse kann an dieser Stelle nicht geleistet werden,
doch eine kursorische Prüfung zeigt Folgendes: Die Grundsätze sind an vielen Stellen
"weich" bzw. "vage" formuliert und lassen damit "Ausnahmen vor
der Regel" zu. Dies unterscheidet sie von der wesentlich prägnanteren Fassung des
Gesetzes über die Betreuung Volljähriger (§§ 1896 ff. BGB u.a.).
Problematisch ist insbesondere der Begriff: "Erwachsene, die auf Grund einer
Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in
der Lage sind ...". Eine extensive Anwendung dieser unbestimmten Redebegriffe
könnten zur Folge haben, dass die Zahl der Menschen, die als "nicht
entscheidungsfähig" angesehen werden, beträchtlich steigt und
Vormundschaftsrichtern auf geradezu unverantwortliche Weise zugemutet wird, die
"Unzulänglichkeiten" von Menschen zu erforschen. Die innerstaatliche Regelung
des § 1896 schreibt demgegenüber zwingend vor, dass die Anordnung einer Betreuung nur
zulässig ist, wenn ein Volljähriger "auf Grund einer psychischen Krankheit
oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz
oder teilweise nicht besorgen kann".
Die Grundsätze des Europarates lösen diese Grundlinie auf, denn sie enthalten eine
Regelung, von der im Einzelfall auch abgewichen werden kann: "Die fehlende
Entscheidungsfähigkeit kann auf eine geistige Behinderung, eine Krankheit oder
einen ähnlichen Grund zurückzuführen sein."
Andererseits enthalten die Grundsätze auch Hinweise und Anregungen, die für die
rechtspolitische Diskussion in Deutschland von Bedeutung sind.
Dies gilt z.B. für den Grundsatz 17: Danach "sollten Maßnahmen ergriffen werden,
dass fachkundige Personen in ausreichender Zahl vorhanden sind, um die
Vertretung und Unterstützung der nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen zu
gewährleisten. Es sollte insbesondere in Betracht gezogen werden, Vereinigungen
oder andere Organe zu schaffen oder zu unterstützen, die solche Personen zur
Verfügung stellen oder ausbilden".
Hier liegt in einigen Landesteilen der Bundesrepublik Deutschland noch immer viel im
Argen, denn es gibt kein flächendeckendes Netz von Betreuungsvereinen. Statt dessen nimmt
die Zahl von Mehrfachbetreuungen durch Rechtsanwälte z.T. wieder zu.
Nachfolgend geben wir die Grundsätze vollständig wieder. Die aus unserer
Sicht problematischen Begriffe sind kursiv gesetzt (La.)
Grundsätze
Teil I - Anwendungsbereich
Nicht entscheidungsfähige Erwachsene
1. Die nachstehenden Grundsätze finden Anwendung auf den Schutz von Erwachsenen, die
aufgrund einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen
Fähigkeiten nicht in der Lage sind, selbständig Entscheidungen in bezug auf eine
beliebige oder alle Fragen betreffend ihre Person oder ihr Vermögen zu treffen, solche
Entscheidungen zu verstehen, zu äußern oder durchzuführen, und daher ihre Interessen
nicht zu schützen vermögen.
2. Die fehlende Entscheidungsfähigkeit kann auf eine geistige Behinderung, eine
Krankheit oder einen ähnlichen Grund zurückzuführen sein.
3. Die Grundsätze finden auf die Schutzmaßnahmen oder anderen rechtlichen Regelungen
Anwendung, mit denen diese Person in den Genuss einer Vertretung oder Unterstützung für
diese Fragen kommen können.
4. Im Sinne dieser Grundsätze ist ein »Erwachsener« jede Person die nach den
anwendbaren zivilrechtlichen Bestimmungen zur Rechts und Geschäftsfähigkeit als
Erwachsener angesehen wird.
5. Im Sinne dieser Grundsätze ist eine »Intervention im Gesundheitsbereich« jede
Handlung, die von Berufs wegen an einer Person aus gesundheitlichen Gründen vorgenommen
wird. Dieser Begriff umfasst insbesondere die Interventionen zu präventiven,
diagnostischen, therapeutischen Zwecken, zu Rehabilitations- oder Forschungszwecken.
Teil 11- Leitsätze
Grundsatz 1- Achtung der Menschenrechte
Im Hinblick auf den Schutz nicht entscheidungsfähiger Erwachsener ist die Achtung der
Würde jedes einzelnen Menschen der wesentliche Grundsatz, welcher die Grundlage für alle
anderen Grundsätze in diesem Text bildet. Rechtsvorschriften, Verfahren und
Handlungsweisen, die den Schutz von nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen betreffen,
müssen auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten beruhen, unter
Berücksichtigung der Einschränkungen dieser Rechte, die in den einschlägigen
internatlonalen Übereinkünften enthalten sind.
Grundsatz 2 - Flexibilität der rechtlichen Reaktion
1. Die zur Gewährleistung des Schutzes der persönlichen und wirtschaftlichen Interessen
von nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen bestimmten Schutzmaßnahmen und weiteren
rechtlichen Regelungen sollten ausreichend umfassend und flexibel sein, um eine
angemessene juristische Reaktion auf die unterschiedlichen Stufen der
Entscheidungsfähigkeit sowie die verschiedenen Situationen zu ermöglichen.
2. Für Notfälle sollten angemessene Schutzmaßnahmen oder weitere rechtliche Regelungen
vorgesehen sein.
3. Die Rechtsvorschriften sollten einfache und wenig kostspielige Schutzmaßnahmen
oder andere rechtliche Regelungen vorsehen.
4. Dem Spektrum der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen sollten in geeigneten Fallen
Bestimmungen angehören, welche die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Betroffenen nicht
einschränken.
5. Das Spektrum der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen sollte Bestimmungen enthalten, die
sich auf eine spezifische Handlung beschränken und die Benennung eines Vertreters oder
eines mit ständigen Vollmachten ausgestatteten Vertreters nicht erfordern.
6. Maßnahmen, die den Vertreter zu einem gemeinsamen Handeln mit dem betroffenen
Erwachsenen verpflichten, sowie weitere Maßnahmen, welche die Benennung mehr als eines
Vertreters vorsehen, sollten in Betracht gezogen werden.
7. Rechtliche Regelungen, die eine noch voll entscheidungsfähige Person zu treffen in der
Lage wäre, um den Folgen einer späteren Entscheidungsunfähigkeit Rechnung zu tragen,
sollten vorgesehen und entwickelt werden.
8. Es sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, ausdrücklich vorzusehen, dass
bestimmte Entscheidungen, insbesondere weniger bedeutende oder Routineentscheidungen,
welche die Gesundheit oder das persönliche Wohl betreffen, im Namen des nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen von Personen getroffen werden können, deren Befugnisse
eher von der Rechtsordnung als von Gerichts- oder Verwaltungsmaßnahmen ausgehen.
Grundsatz 3 -Höchstmögliche Bewahrung der Entscheidungsfähigkeit
1. Soweit eben möglich sollten die Rechtsvorschriften anerkennen, dass
unterschiedliche Stufen von Entscheidungsunfähigkeit bestehen können und die
Entscheidungsunfähigkeit sich von Zeit zu Zeit verändern kann. Daher sollte eine
Schutzmaßnahme nicht automatisch zu einer völligen Beschränkung der Rechts- und
Geschäftsfähigkeit führen. Gleichwohl sollte diese eingeschränkt werden können, wenn
sie für den Schutz der betroffenen Person sich allem Anschein nach als erforderlich
erweist.
2. Insbesondere sollte der betroffenen Person durch eine Schutzmaßnahme nicht automatisch
das Wahlrecht, die Testierfähigkeit, das Recht auf Erteilung oder Verweigerung ihrer
Zustimmung zu einer ihre Gesundheit betreffenden Intervention oder das Recht entzogen
werden, jederzeit andere Entscheidungen persönlicher Natur zu treffen, soweit ihre
Entscheidungsfähigkeit ihr dies erlaubt.
3. Rechtliche Regelungen, die, auch wenn eine Vertretung in einem besonderen Bereich
erforderlich ist, dem nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen die Durchführung
spezifischer Handlungen oder von Handlungen in einem spezifischen Bereich mit Zustimmung
seines Vertreters ermöglichen, sollten in Betracht gezogen werden.
4. Der Erwachsene sollte so oft wie möglich die Möglichkeit erhalten, Geschäfte des
täglichen Lebens rechtswirksam vorzunehmen.
Grundsatz 4- Öffentlichkeit
Der Nachteil einer den Schutzmaßnahmen oder ähnlichen rechtlichen Regelungen automatisch
erteilten Öffentlichkeit sollte gegenüber dem Schutz, welcher dem betroffenen
Erwachsenen oder Dritten gewährt werden kann, abgewogen werden.
Grundsatz 5 - Notwendigkeit und Subsidiarität
1. Es sollte keine Schutzmaßnahme hinsichtlich des nicht entscheidungsfähigen
Erwachsenen getroffen werden, es sei denn, sie ist aufgrund der besonderen Umstände und
der Bedürfnisse des Betroffenen erforderlich. Jedoch kann eine Schutzmaßnahme mit der
frei und nach Aufklärung erteilten Einwilligung der betroffenen Person getroffen werden.
2. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer Maßnahme ist jede weniger
förmliche Regelung in Betracht zu ziehen und jede Unterstützung, die von
Familienmitgliedern oder von jeder anderen Person erbracht werden kann, zu
berücksichtigen.
Grundsatz 6- Verhältnismäßigkeit
1. Ist eine Schutzmaßnahme erforderlich, so muss sie in einem angemessenen Verhältnis zu
dem Grad der Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person stehen und den besonderen
Umständen sowie den Bedürfnissen dieser Person angepasst sein.
2. Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person
sollten durch die Schutzmaßnahme nur auf das Maß beschränkt werden, das erforderlich
ist, damit der Zweck der Intervention bei dieser Person erfüllt ist.
Grundsatz 7- Billigkeit und Wirksamkeit des Verfahrens
1. Verfahren, die zu dem Beschluss von Schutzmaßnahmen für nicht entscheidungsfähige
Erwachsene führen, sollten angemessen und wirksam sein.
2. Angemessene Verfahrensgarantien sollten zum Schutz der Menschenrechte der betroffenen
Person und zur Verhütung etwaigen Missbrauchs vorgesehen werden.
Grundsatz 8 - Vorrang der Interessen und des Wohls der betroffenen Person
1. Bei der Einführung oder Anwendung einer Maßnahme zum Schutz eines nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen sind seine Interessen und sein Wohl vorrangig zu
berücksichtigen.
2. Dieser Grundsatz hat insbesondere zur Folge, dass bei der Wahl einer Person zur
Vertretung oder Unterstützung des nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen vor allem die
Eignung der Person maßgeblich ist, die Interessen und das Wohl des betroffenen
Erwachsenen zu schützen und zu fördern.
3. Dieser Grundsatz hat ebenfalls zur Folge, dass die Vermögenswerte des nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen zu seinem Nutzen verwaltet und verwendet werden,
um sein Wohl zu gewährleisten.
Grundsatz 9 - Achtung der Wünsche und Gefühle der betroffenen Person
1. Bei der Einführung oder Anwendung einer Maßnahme zum Schutz eines nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen sind soweit wie möglich die früheren und
derzeitigen Wünsche sowie die Gefühle des Betroffenen zu ermitteln, zu berücksichtigen
und gebührend zu beachten.
2. Dieser Grundsatz hat insbesondere zur Folge, dass die Wünsche des betroffenen
Erwachsenen in bezug auf die Wahl einer Person, die ihn vertritt oder unterstützt, zu
berücksichtigen und soweit wie möglich zu beachten sind.
3. Daraus folgt ebenfalls, dass eine Person, die einen nicht entscheidungsfähigen
Erwachsenen vertritt oder unterstützt, diesen, immer dann, wenn dies möglich und
verhältnismäßig ist, angemessen unterrichtet, namentlich in bezug auf jede wichtige
den Erwachsenen betreffende Entscheidung, damit dieser die Möglichkeit erhält, seine
Meinung dazu zu äußern.
Grundsatz 10 - Befragung
Soweit dies vernünftig und möglich ist, sollten bei der Einführung und Anwendung
einer Schutzmaßnahme die Personen befragt werden, die ein besonderes Interesse am Wohl
des betroffenen Erwachsenen haben; dabei kann es sich um seinen Vertreter, ein nahes
Familienmitglied oder andere Personen handeln. Der Kreis der zu befragenden Personen und
die Wirkung der Befragung oder der Nichtbefragung sollten durch das innerstaatliche Recht
geregelt werden.
Teil 111- Verfahrensgrundsätze
Grundsatz 11- Einleitung von Verfahren
1. Die Gruppen der Personen, die Verfahren im Hinblick auf die Ergreifung von Maßnahmen
zum Schutz von nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen einleiten können, sollte
ausreichend umfassend sein, damit Schutzmaßnahmen in all den Fällen in Betracht
gezogen werden können, in denen sie offensichtlich erforderlich sind. Es könnte sich
insbesondere als notwendig erweisen, die Möglichkeit vorzusehen, dass ein
Vertreter oder Organ des Staates oder aber das Gericht oder jede andere von Amts wegen
zuständige Behörde die Einleitung solcher Verfahren beantragt.
2. Die betroffene Person sollte rasch und in einer Sprache oder durch ein anderes ihr
verständliches Mittel von der Einleitung eines Verfahrens unterrichtet werden, das
Auswirkungen auf ihre Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die Ausübung ihrer Rechte oder
Wahrnehmung ihrer Interessen haben könnte, es sei denn, dass eine solche Information
offensichtlich ohne Bedeutung ist oder eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit der
betroffenen Person darstellen.
Grundsatz 12 - Ermittlung und Beurteilung
1. Es wäre insbesondere angebracht, geeignete Verfahren für die Ermittlung und
Beurteilung der persönlichen Fähigkeiten des Erwachsenen vorzusehen.
2. Es sollte keine Schutzmaßnahme ergriffen werden, die eine Einschränkung der Rechts-
und Geschäftsfähigkeit eines nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen zur Folge hat, es
sei denn, die Person, welche die Maßnahme ergreift, hat den Betroffenen gesehen oder
seine Situation zur Kenntnis genommen und ein neuerer Bericht, der von mindestens
einem fachkundigen Gutachter erstellt wurde, ist vorgelegt worden. Der Bericht sollte in
schriftlicher Form vorliegen oder aufgezeichnet sein.
Grundsatz 13 - Recht auf persönliche Anhörung
Die betroffene Person sollte das Recht haben, im Rahmen eines jeglichen Verfahrens,
das Auswirkungen auf seine Rechts- und Geschäftsfähigkeit haben kann, gehört zu werden.
Grundsatz 14 - Dauer, Revision und Rechtsbehelfe
1. Die Schutzmaßnahmen sollten im Rahmen dessen, was möglich und angezeigt ist,
von beschränkter Dauer sein. Es sollten regelmäßige Revisionen vorgesehen werden.
2. Die Schutzmaßnahmen sollten im Falle einer Änderung der Umstände,
insbesondere einer Veränderung des Zustands des Erwachsenen revidiert werden. Es sollte
ein Ende gesetzt werden, sobald die Bedingungen, die sie rechtfertigen, nicht mehr gegeben
sind.
3. Es wäre angebracht, geeignete Rechtsbehelfe vorzusehen.
Grundsatz 15 - Vorläufige Maßnahmen in Notfällen
Ist eine vorläufige Maßnahme in einem Notfall erforderlich, sollten die Grundsätze 11
bis 14 soweit wie möglich entsprechend den Umständen anwendbar sein.
Grundsatz 16 - Angemessene Kontrolle
Es sollte ein geeignetes Gesetz zur Kontrolle der Durchführung der Schutzmaßnahmen sowie
der Handlungen und Entscheidungen der Vertreter vorgesehen werden.
Grundsatz 17 - Fachkundige Personen
1. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen dass fachkundige Personen in
ausreichender Zahl vorhanden sind, um die Vertretung und Unterstützung der nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen zu gewährleisten.
2. Es sollte insbesondere in Betracht gezogen werden, Vereinigungen oder andere Organe zu
schaffen oder zu unterstützen, die solche Personen zur Verfügung stellen oder ausbilden.
Teil IV- Rolle der Vertreter
Grundsatz 18 - Kontrolle der von Rechts wegen übertragenen Befugnisse
1. Es sollte die Notwendigkeit in Betracht gezogen werden sicherzustellen, dass die einer
Person von Rechts wegen übertragenen Befugnisse, die es ihr ermöglichen, im Namen eines
nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen ohne Mitwirkung einer Justiz oder
Verwaltungsbehörde tätig zu werden oder Entscheidungen zu fällen, beschränkt sind oder
ihre Ausübung kontrolliert wird.
2. Durch die Übertragung solcher Befugnisse sollte dem betroffenen Erwachsenen nicht
seine Rechts- und Geschäftsfähigkeit entzogen werden.
3. Solche einer Person übertragenen Befugnisse sollten durch eine von einer Justiz- oder
Verwaltungsbehörde ergriffene Schutzmaßnahme jederzeit geändert oder aufgehoben werden
können.
4. Die Grundsätze 8 bis 10 sind gleichermaßen auf die Ausübung solcher Befugnisse und
die Durchführung von Schutzmaßnahmen anwendbar.
Grundsatz 19 - Beschränkung der Befugnisse der Vertreter
1. Das innerstaatliche Recht muss festsetzen, welche Rechtsgeschäfte so persönlicher
Natur sind, dass sie nicht von einem Vertreter erledigt werden können.
2. Das innerstaatliche Recht muss ebenso festlegen, ob die von einem Vertreter über
bestimmte wichtige Fragen getroffenen Entscheidungen von einem Gericht oder
anderen Organ besonders gebilligt werden müssen.
Grundsatz 20 - Haftung
1. Die Haftung der Vertreter bei der Ausübung ihres Auftrags sollte in Übereinstimmung
mit dem innerstaatlichen Recht in den Fällen greifen, in denen dem geschützten
Erwachsenen ein schädigendes Ereignis widerfahren ist, das ihnen angelastet werden kann.
2. Insbesondere sollten die Rechtsvorschriften für Vorsatz, Fahrlässigkeit und
Misshandlung auf den Vertreter und jede andere Person, die an den Angelegenheiten eines
nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen beteiligt ist, anwendbar sein.
Grundsatz 21- Vergütung und Ausgaben
1. Die Frage der Vergütung und die der Erstattung der Kosten, die von den für die
Vertretung oder Unterstützung der nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen bestellten
Personen verauslagt werden, sollte durch das innerstaatliche Recht geregelt werden.
2. Es kann zwischen den Vertretern, die von Berufs wegen tätig werden, und den anderen
sowie zwischen der Verwaltung der persönlichen Angelegenheiten des nicht
entscheidungsfähigen Erwachsenen und der Verwaltung seiner wirtschaftlichen Interessen
unterschieden werden.
Teil V- Interventionen im Gesundheitsbereich
Grundsatz 22 - Einwilligung
1. Ist ein Erwachsener, selbst wenn er von einer Schutzmaßnahme betroffen ist,
tatsächlich in der Lage, seine Einwilligung frei und nach entsprechender Aufklärung in
eine bestimmte Intervention im Gesundheitsbereich zu erteilen, darf diese nur mit seiner
Einwilligung vorgenommen werden. Die Einwilligung muss von der zur Intervention befugten
Person erbeten worden sein.
2. Ist ein Erwachsener tatsächlich nicht in der Lage, seine Einwilligung frei und nach
entsprechender Aufklärung in eine bestimmte Intervention zu erteilen, kann diese dennoch
unter der Voraussetzung vorgenommen werden, dass:
- sie zu seinem unmittelbaren Nutzen erfolgt, und
- sein gesetzlicher Vertreter oder eine Behörde oder eine von der Rechtsordnung dafür
vorgesehene Person oder Stelle eingewilligt hat.
3. Es sollte in Betracht gezogen werden, in der Rechtsordnung die Bestellung von
Behörden, Personen oder Stellen vorzusehen, die befugt sind, verschiedene Interventionen
zu erlauben, wenn dem Erwachsenen, der nicht fähig ist, seine Einwilligung frei und nach
entsprechender Aufklärung zu erteilen, kein Vertreter mit den entsprechenden Befugnissen
zur Verfügung steht. Es sollte ebenfalls die Notwendigkeit in Betracht gezogen werden,
die Einwilligung durch ein Gericht oder anderes zuständiges Organ für bestimmte
schwerwiegende Interventionen vorzusehen.
4. Es sollte die Schaffung von Regelungen in Betracht gezogen werden, die es ermöglichen,
Konflikte zu lösen, die zwischen den Personen oder Stellen auftreten können, die befugt
sind, ihre Einwilligung in Interventionen im Gesundheitsbereich betreffend Erwachsene, die
einwilligungsunfähig sind, zu erteilen oder zu versagen.
Grundsatz 23 - Einwilligung (alternative Vorschriften)
Solange die Regierung eines Mitgliedstaates die in dem Grundsatz 22 Abs. I und 2
enthaltenen Vorschriften nicht anwendet, sind die folgenden Vorschriften anzuwenden:
1. Ist ein Erwachsener von einer Schutzmaßnahme betroffen, in deren Rahmen eine besondere
Intervention im Gesundheitsbereich nur mit der Einwilligung einer von der Rechtsordnung
dafür vorgesehenen Stelle oder eines Dritten vorgenommen werden darf, muss dennoch die
Einwilligung des Erwachsenen eingeholt werden, wenn es seine Urteilsfähigkeit zulässt.
2. Ist ein Erwachsener nach der Rechtsordnung nicht in der Lage, seine Einwilligung frei
und nach entsprechender Aufklärung in eine bestimmte Intervention im Gesundheitsbereich
zu erteilen, kann
diese dennoch unter der Voraussetzung vorgenommen werden, dass:
- sie zu seinem unmittelbaren Nutzen erfolgt, und
- sein gesetzlicher Vertreter oder eine Behörde oder eine von der Rechtsordnung dafür
vorgesehene Person oder Stelle eingewilligt hat.
3. Die Rechtsordnung sollte Rechtsbehelfe vorsehen, die es der betroffenen Person
ermöglichen, von einer unabhängigen amtlichen Stelle gehört zu werden, bevor die
erhebliche medizinische Intervention erfolgt.
Grundsatz 24 - Ausnahmefälle
1. Im innerstaatlichen Recht können gemäß den geltenden internationalen
Übereinkünften besondere Bestimmungen vorgesehen werden, die auf die Interventionen
anzuwenden sind, die aufgrund ihrer besonderen Art einen zusätzlichen Schutz des
Betroffenen erfordern.
2. Solche Bestimmungen können eine beschränkende Abweichung von dem Kriterium des
unmittelbaren Nutzens unter der Voraussetzung vorsehen, dass der zusätzliche Schutz die
Risiken des Missbrauchs und der Rechtswidrigkeit auf ein Mindestmaß beschränkt.
Grundsatz 25 - Schutz von Erwachsenen mit psychischer Störung
Bei einer Person, die an einer schweren psychischen Störung leidet, darf eine
Intervention zur Behandlung der psychischen Störung nur dann ohne ihre Einwilligung
erfolgen, wenn ihr ohne diese Behandlung ein ernsterer gesundheitlicher Schaden droht und
die Rechtsordnung Schutz gewährleistet, der auch Aufsichts-, Kontroll- und
Rechtsmittelverfahren umfasst.
Grundsatz 26- Möglichkeit des Einschreitens in Notfallsituationen
Kann die Einwilligung oder Genehmigung wegen einer Notfallsituation nicht eingeholt
werden, so darf jede Intervention, die im Interesse der Gesundheit der betroffenen Person
medizinisch unerlässlich ist, umgehend erfolgen.
Grundsatz 27 - Anwendung bestimmter Grundsätze betreffend die Schutzmaßnahmen
1. Die Grundsätze 8 bis 10 finden auf alle Interventionen im Gesundheitsbereich, die
einen nicht entscheidungsfähigen Erwachsenen betreffen, in gleichem Maße wie auf die
Schutzmaßnahmen Anwendung.
2. Insbesondere und in Übereinstimmung mit Grundsatz 9 sind die zuvor von dem
Patienten im Hinblick auf eine medizinische Intervention geäußerten Wünsche zu
berücksichtigen, wenn dieser im Zeitpunkt der Intervention nicht in der Lage ist, sie zu
äußern.
Grundsatz 28 - Möglichkeit der Anwendung besonderer Bestimmungen auf bestimmte
Interventionen
Im innerstaatlichen Recht können gemäß den geltenden internationalen Übereinkünften
besondere, auf Interventionen anzuwendende Bestimmungen vorgesehen werden, die Maßnahmen
darstellen, die in einer demokratischen Gesellschaft, für die öffentliche Sicherheit,
zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder Schutz der
Rechte und Freiheiten Dritter erforderlich sind.
Schlußbemerkung des Teams Werner Schell (17.12.1999): Die vorstehenden Grundsätze des
Europarates und die Anmerkungen dazu wurden mit freundlicher Genehmigung aus der Zeitschrift
"Rechtsdienst der Lebenshilfe", 4/99,, Seite 182 ff., übernommen.
Diese Zeitschrift wird von der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger
Behinderung e.V. in Marburg herausgegeben (Internet http://www.lebenshilfe.de).
|