Telematik im Gesundheitswesen - Perspektiven der Telemedizin in Deutschland
1. Zusammenfassung: Telematik im Gesundheitswesen
A. Zielsetzung der Studie
Die vorliegende Studie "Telematik im Gesundheitswesen - Perspektiven der Telemedizin in Deutschland" soll Entscheidungs- und Kostenträger sowie
die innerhalb des Gesundheitssystems Handelnden über den aktuellen Stand und die Perspektiven der Telematik im Gesundheitswesen informieren und
ihnen als Diskussionsgrundlage dienen, um die Weichen zu stellen für die volkswirtschaftlich sinnvolle Anwendung von Informations- und
Kommunikationstechnik in Medizin und Gesundheitsverwaltung.
Ausgangspunkt für die Beauftragung dieser Studie war die weitverbreitete Überzeugung: Telemedizin kann Qualität und
Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung und Gesundheitsverwaltung steigern. Trotz einer Vielzahl sinnvoller Anwendungen hat Telemedizin
bisher jedoch keine bundesweite Umsetzung finden können. Es gibt erhebliche Diskrepanzen zwischen Möglichkeiten und deren Realisierung. So
wurden zwar ambitionierte Forschungsprojekte und Anwendungserprobungen erfolgreich abgeschlossen, die praktische Umsetzung blieb dennoch auf
einzelne Kliniken, Städte oder Regionen begrenzt.
Ursachen für die nicht erfolgte bundesweite Umsetzung sollen identifiziert und Maßnahmen zum erfolgreichen Transfer vorhandener
Technologie in die Anwendung formuliert werden. Insbesondere soll die Studie zeigen, welche technischen, ökonomischen, rechtlichen,
organisatorischen sowie sozialen Rahmenbedingungen bei der Anwendung der Telematik zu berücksichtigen sind und welcher Bedarf hinsichtlich
Forschung, Technologieentwicklung, gesetzgeberischer und organisatorischer Maßnahmen besteht. In Ansätzen werden Kosten-/Nutzenkategorien genannt;
eine ökonomische Bewertung oder eigentliche Kosten-/Nutzenanalyse setzt die Verfügbarkeit von Informationen voraus, die zum jetzigen Zeitpunkt
ohne das Vorhandensein der benötigten Infrastruktur nicht erhoben werden können.
Die vorliegende Studie zieht Folgerungen aus den gewonnenen Erfahrungen und kommt zur Erkenntnis, daß Telematik zur Lösung von zwei wesentlichen
Problemen des Gesundheitswesens beitragen kann. Telematik unterstützt:
- die Verfügbarkeit von allen behandlungsrelevanten Informationen zum Zeitpunkt der Behandlung am Ort der Behandlung, die zur Steigerung der
Versorgungsqualität und Senkung der Kosten führen wird,
- die rationale Planung und Entscheidungsfindung im Gesundheitssystem auf der Basis aktueller und gesicherter Gesundheits-/Krankheitsdaten.
Als Konsequenz stellt die Studie ein umfassendes Konzept für die bundesweite Anwendung der Telematik vor und ein Programm zu dessen
Realisierung. Die erforderlichen Schritte sollten in einem stufenweisen Vorgehen umgesetzt werden.
B. Inhalt der Studie
Nachfolgend werden die Inhalte der einzelnen Kapitel der Studie beschrieben:
Definitionen (Kapitel 2)
Zu Beginn werden die Begriffe "Telematik im Gesundheitswesen" und "Telemedizin" anwendungs- und systemtechnisch definiert. Telematik im
Gesundheitswesen überbrückt Raum und Zeit bei der Bereitstellung von Daten, Informationen, Erfahrungen und Wissen zur Aufgabenerfüllung aller
Beteiligten im Gesundheitswesen. Dies schließt patientenbezogene Daten im Rahmen der Versorgung ein sowohl anonymisierte Daten bei der Abrechnung,
Steuerung, Planung und Entscheidungsfindung im Gesundheitssystem als auch patientenunabhängige Daten bei der Vermittlung von Wissen und Erfahrungen.
Bedeutung von Telematik für das Gesundheitswesen (Kapitel 3)
Die Struktur des deutschen Gesundheitssystems mit mehreren Versorgungsebenen zeichnet sich durch zahlreiche Stärken aus (z. B. freie
Arztwahl, nicht limitierter und schneller Zugang zu Versorgungsleistungen, hohe Verantwortung der primären Behandler, problem- und gemeindenahe
Versorgung). Sie bewirkt aber gleichzeitig, daß die medizinischen Datenbestände eines Patienten verteilt geführt werden. Dies kann im
Bedarfsfall verhindern, daß behandlungsrelevante Daten ausreichend schnell beim behandelnden Arzt zusammengeführt werden.
Die Nachteile dieser strukturellen Gegebenheit können überwunden werden durch
- geeignete informationstechnische Aufbereitung der Patientendaten und
- deren schnelle Übertragung mittels moderner Kommunikationstechnik,
ohne daß die Vorteile des Systems angetastet werden.
Telematik in Medizin und Gesundheitswesen vereint diese beiden technischen Modalitäten und ermöglicht somit die Steigerung der
Versorgungsqualität durch Verfügbarmachung aller behandlungsrelevanter Informationen. Telematik bietet auch das Potential der Neugestaltung
medizinischer Leistungen. Dies erfordert aber eine entwickelte Kommunikation und Kooperation innerhalb der sowie zwischen den
Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Darüber hinaus ist Telematik befähigt, Transparenz-, Koordinierungs-, Integrations- und
Vernetzungsprobleme zu lösen.
Integrierte multimediale elektronische Patientenakte (Kapitel 4)
Die Überwindung der Nachteile der Verteilung der Datenbestände
erfordert konsequenterweise die Möglichkeit, virtuell eine integrierte
multimediale elektronische Patientenakte zu generieren quasi als Lösung
für eine bisher nicht existente einheitliche elektronische
Krankengeschichte, welche die gesundheitlichen Episoden eines Patienten
verknüpft. Dazu müßten die unterschiedlichen Datenbestände nicht
physikalisch vereint, sondern als weiterhin verteilt geführte Bestände
logisch funktional verknüpft werden. Voraussetzung dazu wäre die
standardisierte, elektronische Abspeicherung der Daten und ein
Managementsystem, das - unter Berücksichtigung von Zugriffsrechten - die
Patientendaten zusammenführt und mit der benötigten Geschwindigkeit an
berechtigte Nutzer verteilt.
Eine integrierte multimediale elektronische Patientenakte, die auch für
den Patienten einsehbar sein muß, stellt für die medizinische Versorgung
alle patientenbezogenen behandlungsrelevanten Informationen bereit.
Darüber hinaus repräsentiert die Gesamtheit aller integrierten
elektronischen Patientenakten der Versicherten erstmals eine gesicherte
Datenbasis für die Ableitung anonymisierter, fallspezifischer
Informationen für Gesundheitsberichterstattung, Planung des
Gesundheitssystems und Entscheidungsfindung (Abb. 1).
Abb. 1: Telemedizin als Instrument zur Optimierung der Versorgungsqualität und zur Planung und Entscheidungsfindung im Gesundheitssystem.
Telematik-Komponenten (Kapitel 4)
Die Studie beschreibt die für Telemedizin erforderlichen informations- und kommunikationstechnischen Komponenten. Die Informationstechnik
betreffend sind dies Praxissysteme, Abteilungssysteme und Krankenhaus-Informationssysteme. Die gebräuchlichen Systeme auf den
verschiedenen Ebenen der Leistungserbringung sind derzeit in der Regel nicht kompatibel und kommunikationstechnisch nicht vernetzt.
Datenkarten können in einem medizinischen Informations- und Kommunikationssystem verschiedene Aufgaben erfüllen: Von der Ausweiskarte
über die Schlüsselkarte bis hin zum Speichermedium von medizinischen Daten. Datenkarten sind ein außerordentlich wirksames Instrument, um dem
Patienten das alleinige Verfügungsrecht über seine Daten zu geben. Werden Datenkarten jedoch als Datenspeichermedien eingesetzt, so stößt deren
Nutzung dort an Grenzen, wo Informationen aggregiert werden müssen, die anonymisiert für Zwecke der Steuerung und Planung des Gesundheitswesens
verwendet werden. Eine reine Kartenlösung für die Datenspeicherung würde zwar die Lösung des erstgenannten Problembereichs - die Verfügbarkeit von
behandlungsrelevanten Patientendaten zum Zeitpunkt der Behandlung am Ort der Behandlung - unterstützen; die Lösung des zweiten Problembereichs -
die rationale Planung und Steuerung des Gesundheitssystems - wäre jedoch nur möglich, wenn parallel ein Netz bereitgestellt wird, auf dem
anonymisierte Daten ausgetauscht werden können. dabei ist davon auszugehen, daß zumindest für die Abrechnung auf jeden Fall ein Netz
aufgebaut wird. (Abb. 1).
Um beide Problembereiche lösen zu können, bedarf es eines Kommunikationsnetzes für alle Teilnehmer des Gesundheitswesens. Für die
Übertragung datenschutzunkritischer nicht-patientenbezogener Daten stehen dazu öffentliche Netze (z. B. Internet) zur Verfügung. Für die Übertragung
sensibler patientenbezogener Daten bieten derzeit nur Netze für geschlossene Nutzergruppen (Intranets) ausreichende Sicherungsmechanismen.
In wenigen Jahren werden Sicherheitslösungen existieren, die auch die sichere Übertragung von Patientendaten auf öffentlichen Netzen
ermöglichen. Dies bedeutet, daß langfristig geschlossene Intranets nicht erforderlich sein werden.
Telemedizin-Projekte (Kapitel 5)
In Deutschland wurde eine Vielzahl von Telemedizin-Projekten (detaillierte Beschreibung im Anlagenband) durchgeführt, die jeweils nur
Teilaspekte der zweckorientierten Integration dezentraler Informationsprozesse auf der Basis moderner Technologie beleuchteten. Auch
erfolgreich abgeschlossene Projekte führten nicht zu einer bundesweiten Umsetzung, da kein Projekt ausreichend dimensioniert war, um die
erforderliche Infrastruktur aufzubauen. Die Pilotprojekte führten zum Aufbau einer Vielzahl nicht kompatibler Lösungen, aber nicht zu einem
einheitlichen Kommunikationssystem, auf dem die Anwendungen aufsetzen können. Die in den Pilotprojekten gewonnenen wertvollen Erfahrungen und
Lösungsvorschläge zu den verschiedenen Einzelaspekten könnten jedoch zur Konzipierung und Umsetzung einer "Gesundheitsplattform", einem
Informations- und Kommunikationssystem zur effizienten Bearbeitung zentraler Aufgaben des Gesundheitswesens, zusammengeführt werden.
Kosten-/Nutzenerwägung (Kapitel 5)
Die Abwägung von Kosten und Nutzen einer telemedizinischen Anwendung erfolgt derzeit alleine auf betriebswirtschaftlicher Basis durch die
jeweilige versorgende Einheit, da diese die erforderliche Investition tätigen und die Betriebskosten tragen muß. Volkswirtschaftlich sinnvolle
Lösungen bleiben dabei meist auf der Strecke, weil es bisher keine aktuelle und gesicherte Datenbasis gibt, das komplexe Gesamtsystem
kostenoptimierend zu steuern. Das heutige Vergütungssystem wirkt in dieser Hinsicht kontraproduktiv. Um das Potential von Telematik im
Gesundheitswesen wirksam werden zu lassen, bedarf es der Definition volkswirtschaftlich sinnvoller Verhaltensweisen im Gesundheitssystem und
deren Transformation in ein Anreizsystem auf der Ebene von Vergütungsrichtlinien.
Die meisten finanziellen Vorteile der Anwendung von Telematik sollten sich jedoch implizit über den betrieblich erzielten Wirkungsgrad
darstellen lassen.
Rahmenbedingungen für die Telemedizin in Deutschland (Kapitel 6)
Ein weiterer Grund für die fehlende breite Umsetzung von erfolgreichen Telemedizin-Anwendungen liegt in der Tatsache, daß vielfach die
technischen Voraussetzungen nur in medizinischen Zentren geschaffen wurden; eine bidirektionale Kommunikation zwischen Krankenhäusern und
Praxen war in der Regel nicht Bestandteil der Investition. Auch wesentliche Infrastrukturelemente, wie Stellen zur Zertifizierung und
Gewährleistung des Zugriffsschutzes, wurden bisher nicht implementiert. Weitere Probleme sind fehlende Strukturierung in der medizinischen
Dokumentation und das weitgehende Fehlen digitaler Archive.
Zwischenfazit: Hindernisse für die breite Anwendung der Telemedizin
Die Bewertung der abgeschlossenen Telemedizin-Projekte führt zu folgender Schlußfolgerung: Die erfolgreiche Verbreitung von Telemedizin
setzt das Vorhandensein einer bundesweiten Kommunikationsplattform voraus sowie adäquate Dokumentation und ein Managementsystem zur Verteilung der
benötigten Daten an berechtigte Nutzer. Diese Kommunikationsplattform mit darauf installierten Diensten wird nachfolgend "Gesundheitsplattform" genannt.
Es gibt weder technische noch grundsätzliche juristische Hindernisse, bundesweit eine "Gesundheitsplattform" zu errichten. Diese scheint
auch unter ökonomischen Aspekten sinnvoll. Die erforderliche Infrastruktur ist derzeit jedoch nicht existent und kann auch im Rahmen von regional
begrenzten Pilotprojekten, wie sie bisher in großer Zahl durchgeführt wurden, nicht aufgebaut werden.
Bisher fehlt eine Initiative, die bundesweite "Gesundheitsplattform" einschließlich der Basis-Infrastruktur zu
errichten. Diese Initiative kann nur durch die Organe der Selbstverwaltung, gegebenenfalls unterstützt durch die Politik, gemeinsam
ergriffen werden. Würde eine Basislösung und die erforderliche Infrastruktur erst einmal existieren, so könnten jederzeit auf diese Basis
kostengünstig eine Vielzahl von sinnvollen Anwendungslösungen aufsetzen, sofern die "Gesundheitsplattform" aufwärtskompatibel und
erweiterbar geplant wurde. Unbedingt zu vermeiden ist jedoch die dauerhafte Koexistenz von telematischen und papiergebundenen Lösungen. Ein
direkter Übergang von einer relativ unstrukturierten papiergeführten Dokumentation auf eine stringente elektronische ist aber mit hoher
Sicherheit zum Scheitern verurteilt.
Zukunftsperspektiven (Kapitel 7)
Das Szenario des Aufbaus einer "Gesundheitsplattform" wird in drei Stufen entwickelt. Die erste Stufe würde die notwendigen Bausteine
einer Basis-Infrastruktur bereitstellen. Die Finanzierung des Aufbaus dieser ersten Stufe durch die Kostenträger scheint gerechtfertigt, weil
diese einen unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Nutzen bei kurzfristiger Amortisation realisieren könnten, wenn eine geeignete
Anwendung darauf installiert wird.
Entscheidend ist, daß diese Basislösung bereits möglichst viele Teilnehmer des Gesundheitssystems einbezieht. Als eine erste Anwendung
wurde die Realisierung der Netzvariante des Elektronischen Rezepts definiert. Diese würde Patienten, Ärzte, Apotheker sowie die
Selbstverwaltung flächendeckend einbeziehen. Wesentlich ist, daß die technische und organisatorische Umsetzung derart gestaltet wird, daß sie
weitere sinnvolle Anwendungen zuläßt, und nicht ausschließlich auf die Arzneimittelverschreibung ausgelegt wird. Würde diese Lösung um die
Möglichkeit der Elektronischen Arztbriefschreibung ergänzt, so würde die Akzeptanz bei den Ärzten für dieses System hergestellt.
In einer zweiten Stufe würde die "Gesundheitsplattform" um Dienste erweitert, die Patienten und Ärzte informieren, die medizinische
und verwaltungstechnische Arbeit erleichtern und die Qualität der Versorgung verbessern würden. Für die Gesundheitspolitik und -verwaltung
entstünden Grundlagen zur Planung und zur Entscheidung für eine bedarfsgerechte, wirtschaftliche und dabei hochqualitative Versorgung.
Auf die in den ersten Stufen aufgebaute Infrastruktur können in Stufe 3 weiterreichende medizinische Anwendungen aufgesetzt und die sonstigen
Leistungserbringer einbezogen werden. Parallel müssen terminologische und dokumentarische Standards implementiert werden. Die Zusatzinvestitionen
zur ersten Stufe wären vergleichsweise gering.
Handlungsbedarf (Kapitel 8)
Der Handlungsbedarf zur Umsetzung des beschriebenen Stufenkonzepts bezüglich Forschung und Technologieentwicklung, Standardisierung,
Organisation, Finanzierung und Gesetzgebung wird abgeleitet und die Verantwortlichkeiten zugeordnet.
C. Fazit der Bestandsaufnahme
Telemedizin, auf der Ebene einzelner Projekte betrachtet, konnte nicht zwingend verdeutlichen, daß der Nutzen die hohen
Investitionskosten rechtfertigt und daß sie geeignet ist, Beiträge zur Lösung der dringendsten Probleme des Gesundheitssystems zu
leisten.
Telematik, ganzheitlich betrachtet, zeigt auf, daß moderne Informations- und Kommunikationstechnologie sehr wohl geeignet ist,
Lösungsansätze für Transparenz, Integration und Vernetzung zu bieten. Strebt man eine weitere Entwicklung der medizinischen
Leistungsfähigkeit unter gleichzeitiger Kostenbegrenzung an, so ist dies kaum ohne den Einsatz telematischer Lösungen erreichbar.
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Die medizinische Versorgung kann in ihrer Qualität und Reichweite
verbessert und gleichzeitig wirtschaftlicher gestaltet werden durch die
Zusammenführung aller behandlungsrelevanter Patienteninformationen zum
Zeitpunkt der Behandlung am Ort der Behandlung. Dazu ist die Einführung
einer Gesundheitsplattform erforderlich, die jederzeit eine virtuelle
aktuelle integrierte elektronische Patientenakte ermöglicht sowie eines
Managementsystems zur Bereitstellung der Akten an berechtigte Nutzer.
Leitlinien- und Informationssammlungen sowie wissensbasierte Systeme
können für die medizinische Versorgung fallspezifisch Informationen für
Patienten, Leistungserbringer und Experten zur Verfügung stellen.
Werden anonymisierte Informationen aus der Gesamtheit der
Patientenakten aller Versicherten um systembeschreibende Daten ergänzt, so
werden Planungen und Entscheidungen im Gesundheitswesen auf der Basis
aktueller, realer, krankheitsbezogener Daten ermöglicht.
Diese Optimierungen können erreicht werden
- ohne daß eine Strukturänderung des Versorgungssystems erforderlich ist, das heißt, ohne die Vorteile des dezentralen föderalen Systems
anzutasten
- während dem Patienten mehr Rechte und Möglichkeiten zur Mitbestimmung gegeben werden
- und die Belange des Datenschutzes besser erfüllt werden, als dies die heutige Praxis gewährleisten kann.
Das Ergebnis wäre ein Informations- und Kommunikationssystem zur
effizienten Bearbeitung zentraler Aufgaben des Gesundheitswesens (Abb. 2). Dieses "Gesundheitsplattform" bezeichnete System stellt
einen wesentlichen Strukturbeitrag für das Gesundheitswesen dar und
schafft die Voraussetzung für "evidenzgestützte Medizin" 1.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür müßten durch die Organe der
Selbstverwaltung gemeinsam entwickelt werden.
In Pilotprojekten wurden wertvolle Erfahrungen zu Einzelaspekten der
Telematik im Gesundheitswesen gesammelt. Allerdings konnten diese
Erfahrungen aus den oben genannten Gründen bisher nicht zu einer
bundesweiten Anwendung oder gar einer "Gesundheitsplattform"
zusammengefügt werden. Daher ist es nicht sinnvoll, weitere Pilotprojekte
zu starten, die nur Teilaspekte betrachten, ohne eine ganzheitliche
Maßnahme zu initiieren, die geeignet wäre, die erforderliche Infrastruktur
aufzubauen. Diese ist ihrerseits wiederum Voraussetzung, um erfolgreiche
Teillösungen aus Einzelprojekten überregional wirksam werden zu lassen.

Abb. 2: "Gesundheitsplattform": Teilnehmer und Funktionen
D. Empfehlungen
Mehrjährige nationale und europäische Förderung der Telemedizin hat die
Entwicklung der benötigten Technologie bewirkt, aber nicht zum Aufbau der
erforderlichen Infrastruktur und zur Entstehung eines Marktes für
telemedizinische Produkte und Dienste geführt.
Die Nachfrage der potentiellen Nutzer (u. a. Ärzte, Krankenhäuser,
Apotheken, Patienten) kann sich - trotz des vorhandenen Bedarfs - im
"administrierten Markt Gesundheitswesen" nicht entwickeln.
Kommunikationsabläufe im Gesundheitswesen sind durch konventionelle
Verfahren vorgeschrieben (z.B. papiergebundene Rezepte, Archivierung), die
weder durch die Industrie, die geeignete Produkte anbietet, noch durch
einen Kostenträger oder den einzelnen Arzt oder Apotheker geändert werden
können.
Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, daß die Förderung des Aufbaus
einer "Gesundheitsplattform" mit der zugehörigen Infrastruktur
sowie die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen eine zwingend notwendige
Voraussetzung für die volkswirtschaftlich sinnvolle Anwendung moderner
Informations- und Kommunikationstechnik im deutschen Gesundheitswesen ist.
Erst auf einer derartigen Plattform können einzelne Telemedizinanwendungen
implementiert werden. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß Einzellösungen,
die nicht zwischen allen Beteiligten abgestimmt sind, sich letztlich als
inkompatibel und nicht umsetzbar erweisen.
Empfehlung 1: Initiative zum Aufbau der Infrastruktur für
die "Gesundheitsplattform"
Der Selbstverwaltung wird empfohlen, kurzfristig eine gemeinsame
Willensbildung aller Handelnden im Gesundheitswesen herbeizuführen
mit der Zielsetzung, den Aufbau der Infrastruktur für eine
bundesweite "Gesundheitsplattform" zu beschließen. Eine
Aktionsgruppe der Organe der Selbstverwaltung sollte gemeinsam eine
Strategie der Informationsnutzung verabschieden.
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Die "Gesundheitsplattform", wie zuvor beschrieben, bietet Nutzen
für alle Beteiligten des Gesundheitssystems, da sie Versorgungsqualität
und Wirtschaftlichkeit fördert. Sie bietet damit auch allen Organen der
Selbstverwaltung die Möglichkeit, ihrem Auftrag noch effektiver und
effizienter nachzukommen. Daher sollte eine gemeinsame Aktionsgruppe der
Organe der Selbstverwaltung, gegebenenfalls durch die zuständigen Ressorts
der Bundesregierung unterstützt, in einem Konsensusprozeß eine Strategie
und einen Aktionsrahmen für den Einsatz von Telematik festlegen und den
Aufbau dafür erforderlicher organisatorischer Strukturen beschließen.
Die Dringlichkeit ist deshalb geboten, da die Entwicklung nicht
aufzuhalten ist und die Gefahr besteht, daß unabgestimmt mehrere teure
Lösungen implementiert werden, die anschließend nicht mehr
kompatibilisierbar sind.
Empfehlung 2: Konzipierung der
"Gesundheitsplattform" und Entwicklung eines Stufenplans zum
Aufbau der Infrastruktur
Der Selbstverwaltung wird empfohlen, Anwendungen zu wählen, die
auf der "Gesundheit-splattform" implementiert werden sollen.
Ausgehend von diesen Anwendungen sollte ein Anforderungskatalog für
die Gesundheitsplattform definiert werden. In Arbeitsgruppen sollte
die Infrastruktur geplant und Arbeitsschritte zur Realisierung der
Infrastruktur formuliert werden. |
Der Aufbau der Infrastruktur für die "Gesundheitsplattform" wird
Investitionen in beträchtlicher Höhe erforderlich machen. Daher müssen
Anwendungslösungen identifiziert und spezifiziert werden, die von der
Existenz der "Gesundheitsplattform" profitieren und, über
Einsparung von Verwaltungskosten, kurzfristige Amortisation der
Investitionen ermöglichen. Für den Aufbau der Basis-Infrastruktur sollte
die ausgewählte Anwendung, die möglichst medizinischer als auch
verwaltungstechnischer Art sein sollte, bereits viele Beteiligte im
Gesundheitssystem einschließen, damit ein hoher Vernetzungsgrad erreicht
wird. Die Basis-Infrastruktur sollte so gestaltet werden, daß weitere
medizinische Anwendungen ohne große zusätzliche Investitionen darauf
aufsetzen können.
Empfehlung 3: Aufbau der Basis-Infrastruktur durch
Realisierung der Anwendung "Elektronisches Rezept"
Der Selbstverwaltung wird empfohlen, als Anwendung zum Aufbau der
Basis-Infrastruktur der "Gesundheitsplattform" die
Realisierung der Netzlösung für das "Elektronische Rezept" zu
wählen. Damit Akzeptanz in der Ärzteschaft geschaffen wird, sollte
diese Lösung gleichzeitig die ãElektronische Arztbriefschreibung"
unterstützen. |
Als eine geeignete Anwendung zur Schaffung einer Basislösung für die
"Gesundheits-plattform" erscheint die Realisierung des
"Elektronischen Rezepts", da dies eine der häufigsten Interaktionen
innerhalb des Gesundheitssystems darstellt und immer vier Parteien
involviert: Patient, niedergelassenen Arzt, Apotheker und Kostenträger.
Das "Elektronische Rezept" sollte jedoch nicht ausschließlich zur
Optimierung der verwaltungstechnischen Belange der Verordnung führen,
sondern gleichzeitig medizinische Qualität und Wirtschaftlichkeit
steigern. Basierend auf einer elektronischen Dokumentation von Diagnose,
Befunden und Therapieempfehlungen sollen Rezeptvorschläge automatisch
generiert werden durch Einbeziehung von Gesundheitsinformationssystemen
zum Abgleich von Risiken und Verträglichkeiten sowie von
Preisoptimierungssystemen. Elektronische Dokumentation würde auch die
"Elektronische Arztbriefschreibung" unterstützen und durch
Arbeitserleichterung die Bereitschaft der Ärzte stärken, adäquat zu
dokumentieren und in die benötigte EDV zu investieren.
Mit der Einführung des "Elektronischen Rezepts" würden alle Komponenten
einer "Gesundheitsplattform" (Intranet, Verschlüsselung,
Zertifizierungsstellen, Kommunikationsserver, Kommunikationsschnittstellen
und die Hard- und Software in Arztpraxen und Apotheken) geschaffen. Dabei
können vorhandene Netze, Kommunikationsschnittstellen, bereits
implementierte Arzneimittelinformationssysteme, Rechenzentren als
Kommunikationsserver sowie existierende Computerausstattung genutzt
werden.
Ein wesentlicher Vorteil der Wahl der Netzlösung des "Elektronischen
Rezepts" liegt darin, daß die Umsetzung dieser Variante keiner
Gesetzesänderung bedarf, sondern durch die Organe der Selbstverwaltung zu
regeln wäre.
Um die Vorteile der Basislösung weiteren sinnvollen Anwendungen zu
eröffnen, muß verhindert werden, daß die Lösung ausschließlich auf die
Anforderungen der Arzneimittelverordnung ausgelegt wird, wie dies bei
einer Apothekenkartenlösung der Fall wäre. Vielmehr muß sie erweiterbar
konzipiert werden, so daß die Entstehung der virtuellen integrierten
elektronischen Patientenakte unterstützt wird. Erst diese führt letztlich
zur Optimierung der Versorgung, zu höherer Wirtschaftlichkeit und
ermöglicht die Steuerung des Gesundheitswesens.
Die Umsetzung sollte regional versetzt erfolgen, um die Logistik zu
organisieren. Die Kostenträger sollten Investitionskosten für
Infrastruktur und Technik tragen, da sie aus dieser Lösung unmittelbar
betriebswirtschaftliche Vorteile ableiten können.
Die Forschungs- und Innovationsaspekte müssen von den unmittelbar
Handelnden unabhängig sein und sollten nach BMBF-Kriterien bearbeitet werden.
Empfehlung 4: Begleitforschung
Dem BMBF wird empfohlen, die Begleitforschung zum Aufbau der
"Gesundheitsplattform" zu koordinieren.
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Wegen der überragenden Bedeutung des Vorhabens für die Zukunft der
Telematik in der Bundesrepublik, sollte das BMBF die begleitende Forschung
zur Einführung der "Gesundheitsplattform" koordinieren. Diese
beinhaltet neben der Evaluierung des konkreten Vorhabens ("Elektronisches
Rezept") die Untersuchung von Gesichtspunkten, die für die Entwicklung der
Telematik von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Die Begleitforschung muß zeitnah den Anpassungsbedarf erkennen,
beschreiben, Problemlösungen vorschlagen sowie Zukunftsentwicklungen
definieren und erweiterte Lösungen modellieren. Die Erkenntnisse der
Begleitforschung müssen unmittelbar in die Arbeit der Planungsgruppe der
Selbstverwaltung einfließen.
Die empfohlene erste Stufe der "Gesundheitsplattform" wird die
Infrastruktur aufbauen, aber noch nicht alle Teilnehmer des
Gesundheitssystems vernetzen. In den Folgestufen sollte die komplette
Vernetzung aller Beteiligten erfolgen und Dienste implementiert werden,
die weitere Qualitätssicherungsmaßnahmen umsetzen und die
Versorgungsabläufe optimieren.
Empfehlung 5: Umfassende "Gesundheitsplattform"
Der Selbstverwaltung wird empfohlen, den sonstigen
Leistungserbringern, die in der ersten Stufe nicht eingeschlossen
wurden, durch geeignete Maßnahmen den Zugang zur
"Gesundheitsplattform" zu ermöglichen. Ferner wird empfohlen,
Dienste zu initiieren oder zu implementieren, die die Nutzung der
"Gesundheitsplattform" für den täglichen Bedarf erleichtern
und Zukunftsentwicklungen integrieren. |
Die Finanzierung der zusätzlichen Investitionen sollte in dieser Stufe
in der Zuständigkeit der Leistungserbringer liegen; durch geeignete
Vergütungsrichtlinien sollte volkswirtschaftlich sinnvolles Verhalten der
Beteiligten belohnt werden. Durch Erhöhung der Einnahmen einerseits und
Senkung der Betriebskosten andererseits sollte die kurzfristige
Amortisation der Investitionskosten gefördert werden.
Synergieeffekte
Alle Beteiligten gewinnen durch die Realisierung der
"Gesundheitsplattform".
Den Kostenträgern, Leistungserbringern und der Selbstverwaltung entstehen durch dieses Instrument die Vorteile des Effizienzgewinns und
der Kostensenkung, der Gesellschaft die Vorteile der Optimierung von Versorgungsqualität- und Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems unter
Nutzbarmachung zukunftsorientierter Entwicklungen und Einbeziehung der Stärken des gegenwärtigen Systems (Abb. 3). Der Informationsbedarf aller im Gesundheitssystem beteiligten
Gruppen, der sich durch die jeweilige Rolle definiert, kann für folgende Zwecke durch die "Gesundheitsplattform" unterstützt werden
- Entscheidungsträger: Gesundheitspolitik sowie Planung und Steuerung des Systems
- Kostenträger: Mittelzuteilung und Organisation der Versorgung
- Leistungserbringer: Leistungs- und Ressourcen-Management
- Patienten: Informierung und Selbstbestimmung im Behandlungsablauf (Patient als informierter Kunde)
 Abb. 3: Synergieeffekte durch Realisierung der "Gesundheitsplattform"
Datenschutz
Zur weitergehenden Nutzung der im Rahmen des Gesamtszenarios zu schaffenden Infrastruktur sollten Zugangs-, Such- und Kontrollmechanismen
etabliert werden, die dem Patienten das alleinige Verfügungsrecht über seine Daten geben und gleichzeitig die volle Nutzung der integrierten
elektronischen Patientenakte auf der "Gesundheitsplattform"
ermöglichen. Die genannten Mechanismen könnten auf einer multifunktionalen Patientenkarte (Super Smart Card) implementiert werden, die neben den
Sicherheitsfunktionen Speicheradressen von Patientendaten enthalten sollte (Pointercard). Eine derartige Chipkarte würde das Auffinden von
behandlungsrelevanten Patientendaten in einem vernetzten System erheblich erleichtern, den geschützten Zugang zu Daten gewähren und dem Patienten
die alleinige Entscheidung über die Verwendung seiner Daten garantieren. Diese Karte könnte die Krankenversichertenkarte ersetzen - wozu eine
Gesetzesänderung erforderlich wäre - oder als freiwillige Zusatzkarte eingeführt werden.
1 Prozeß einer strengen Evaluation der Wirksamkeit von Interventionen der Gesundheitsversorgung, Verbreitung der
Evaluationsergebnisse und Nutzung dieser Erkenntnisse, um die klinische Praxis zu beeinflussen.
Bundesministerium für Bildung und Forschung, 1999
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