Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
www.wernerschell.de
Aktuelles
Forum (Beiträge ab 2021)
Archiviertes Forum
Rechtsalmanach
Pflege
Patientenrecht
Sozialmedizin - Telemedizin
Publikationen
Links
Datenschutz
Impressum
Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk
>> Aktivitäten im Überblick! <<
|
Ärzte müssen aufpassen, dass Leitlinien Therapie-Empfehlung und Erkenntnisquelle bleiben
Bitte keine Richtlinien im Westentaschenformat!
Leitlinien sind Entscheidungshilfen für Vertragsärzte, um Patienten
medizinisch angemessen zu versorgen. Allerdings geraten die
Therapie-Empfehlungen zunehmend in Gefahr, zu sozial-, zivil- und sogar
strafrechtlichen Standards zu mutieren. Deshalb läutete man auf einem
Leitlinien-Symposium während des Internisten-Kongresses schon mal die
Alarmglocken. Richtlinien im Westentaschenformat will keiner haben.
Der Münchner Arzt und Rechtsanwalt Dr. med. Dr. jur. Alexander P. F. Ehlers
riet sehr zur Vorsicht: Juristen benutzen gerne, was in den Leitlinien steht,
und konfrontieren damit den Vertragsarzt zum Beispiel im Haftungsfalle. Solange
man die Definition der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer
Fachgesellschaften (AWMF) nimmt, kann dem Doktor eigentlich nicht viel
passieren.
1 000 Leitlinien stehen im Internet
Die AWMF-Leitlinien – inzwischen knapp 1 000 im Internet abrufbar (www.awmf-online.de)
– sind unverbindlich. Oder wie Ehlers es formulierte: „Sie haben weder eine
haftungsbegründende noch eine haftungsbefreiende Wirkung." Aber darauf
darf man sich nicht verlassen, meinte der Jurist, denn manchmal neigen Dinge
dazu, sich zu verselbstständigen.
Der Weg von der Leitlinie zur Richtlinie ist nämlich nur kurz. Im Unterschied
zu unverbindlichen Leitlinien sind Richtlinien rechtlich verbindlich. „An ihre
Nichtbeachtung knüpfen sich Rechtsfolgen." Aus ärztlicher Sicht, so der
Münchner Anwalt, sei das äußerst bedenklich. In dem Moment, wo man Leitlinien
verabschiedet, die Richtlinien-Qualität bekommen, torpediert man seiner Ansicht
nach die Medizin.
Leitlinie da, Richtlinie hier
Leitlinien werden von den Fachgesellschaften erstellt, Richtlinien erlässt der
Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen. Beispiele für Leitlinien:
- Brennen beim Wasserlassen (von der DEGAM),
- Therapie bei chronischer Herzinsuffizenz (von der Arzneimittelkommission).
Beispiele für Richtlinien:
- Mutterschafts-Richtlinien,
- Krebsfrüherkennungs-Richtlinien.
Wirtschaftlicher Umgang mit knappen Ressourcen
Etwas anderes steht für Prof. Dr. med. Martin Hansis, Leitender Arzt beim
Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, im Mittelpunkt. Er
setzt auf Leitlinien, wenn es darum geht, mit mit knappen Ressourcen
wirtschaftlich umzugehen. In der Bewertung gleichwertiger, aber unterschiedlich
teurer Verfahren benötige der einzelne Arzt die Rückendeckung durch eine
Leitlinie, verdeutlichte er.
Er hält es für unvermeidlich, dass Leitlinien Hilfe und Hürde zugleich sind.
Gleichgültig, ob es darum geht, was vernünftigerweise Bestandteil der
präoperativen Diagnostik beim Kolonkarzinom ist, oder ob definiert werden muss,
welche Leistungen ein guter Hausarzt beim ersten ambulanten Patientenkontakt
obligat erbringt.
Durch die Novellierung des Sozialgesetzbuchs (SGB) V per Gesundheitsreformgesetz
2000 von Andrea Fischer ist das Leitlinien-Thema auch Gegenstand des Gesetzes
geworden. Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger, Leiter der Ärztlichen
Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ), sieht die Ärzte damit in eine
Situation gebracht, in der sie Farbe bekennen müssen, ob sie mit Leitlinien
gute Medizin machen können.
Das ist mehr Verbindlichkeit als gewünscht
Für Prof. Dr. med. Hans Reinauer, den Präsidenten der AWMF, ist das eher
bedenklich. Die Forderung des Paragraphen 137 e SGB V, jährlich Kriterien für
Diagnostik und Therapie von zehn Krankheiten auf der Basis von Evidenz-basierten
Leitlinien zu erarbeiten, bekommt in seinen Augen schon sehr viel mehr
Verbindlichkeit, als Leitlinien eigentlich haben sollten.
Nach offizieller AWMF-Meinung, die auch von Bundesärztekammer und
Kassenärztlicher Bundesvereinigung geteilt wird, sind Leitlinien „nur"
wissenschaftlich begründete, praxisorientierte Handlungs-Empfehlungen, die der
Arzt nicht beachten muss. Sie beruhen auf wissenschaftlichen Grundlagen und
Erkenntnissen sowie klinischem Urteilsvermögen.
Krankenversorgung wird nicht automatisch preiswerter
Die häufig zu hörende Kritik an der AWMF, sie habe zu viele Leitlinien ins
Internet gestellt, will Reinauer nicht gelten lassen. „Es gibt eher zu wenige
Diagnose- und Therapie-Leitlinien als zu viele." Dass sie gleichzeitig aber
auch die Forderung nach Wirtschaftlichkeit erfüllen sollen, ist nach seiner
Auffassung „ein Spagat, von dem ich nicht weiß, ob sie das leisten
können". So viel sei jedenfalls klar: Mit einer Diagnostik und Therapie
nach dem jeweiligen „state of the art" werde die Krankenversorgung nicht
automatisch preiswerter.
ÄP-HINTERGRUND
Leitlinien und Hausarzt-Honorar
Das Wichtigste ist in den Augen von Prof. Dr. med. Jan Schulze, dem
Ärztekammer-Präsidenten von Sachsen, Leitlinien in Verträge mit
Kostenträgern einzubinden und dann kontinuierlich an den Ergebnissen zu messen.
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das in Verträgen mit den
Krankenkassen zur Versorgung des Diabetes mellitus gelungen. In 150 000
Exemplaren wurden die Leitlinien in Heftform in den Arztpraxen verbreitet. Sie
finden in der täglichen Praxis wie auch in der ärztlichen Fortbildung immer
stärkere Beachtung. Bestehende Schnittstellen zwischen den Versorgungsebenen
konnten laut Schulze überwunden werden.
Hausärzte kümmern sich in erster Linie um Prävention und Früherkennung und
führen Patienten ohne Komplikationen oder sonstige Probleme. Nach
strukturierter Schulung sollen sie Problem-Patienten zur nächsten
Versorgungsebene weiterleiten. Gemeinsam mit den Krankenkassen wurden die
Prozess-Standards formuliert – die Streifen für die Blutzucker-Messung werden
in Sachsen außerhalb des Budgets gezahlt. Die Dokumentationsbögen, zum
Beispiel für die Überweisung vom Hausarzt zum Facharzt, sind verbindlich.
Daran ist auch die Vergütung gekoppelt. Schulze berichtete in Wiesbaden, die
Diabetes-Vereinbarung werde von den Hausärzten gut akzeptiert.
Klaus Schmidt
Quelle: Ärztliche Praxis vom 15. Mai 2001
Werner Schell (20.05.2001)
|