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Ärzte müssen aufpassen, dass Leitlinien Therapie-Empfehlung und Erkenntnisquelle bleiben

Bitte keine Richtlinien im Westentaschenformat!

Leitlinien sind Entscheidungshilfen für Vertragsärzte, um Patienten medizinisch angemessen zu versorgen. Allerdings geraten die Therapie-Empfehlungen zunehmend in Gefahr, zu sozial-, zivil- und sogar strafrechtlichen Standards zu mutieren. Deshalb läutete man auf einem Leitlinien-Symposium während des Internisten-Kongresses schon mal die Alarmglocken. Richtlinien im Westentaschenformat will keiner haben.

Der Münchner Arzt und Rechtsanwalt Dr. med. Dr. jur. Alexander P. F. Ehlers riet sehr zur Vorsicht: Juristen benutzen gerne, was in den Leitlinien steht, und konfrontieren damit den Vertragsarzt zum Beispiel im Haftungsfalle. Solange man die Definition der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) nimmt, kann dem Doktor eigentlich nicht viel passieren.

1 000 Leitlinien stehen im Internet
Die AWMF-Leitlinien – inzwischen knapp 1 000 im Internet abrufbar (www.awmf-online.de) – sind unverbindlich. Oder wie Ehlers es formulierte: „Sie haben weder eine haftungsbegründende noch eine haftungsbefreiende Wirkung." Aber darauf darf man sich nicht verlassen, meinte der Jurist, denn manchmal neigen Dinge dazu, sich zu verselbstständigen.
Der Weg von der Leitlinie zur Richtlinie ist nämlich nur kurz. Im Unterschied zu unverbindlichen Leitlinien sind Richtlinien rechtlich verbindlich. „An ihre Nichtbeachtung knüpfen sich Rechtsfolgen." Aus ärztlicher Sicht, so der Münchner Anwalt, sei das äußerst bedenklich. In dem Moment, wo man Leitlinien verabschiedet, die Richtlinien-Qualität bekommen, torpediert man seiner Ansicht nach die Medizin.

Leitlinie da, Richtlinie hier
Leitlinien werden von den Fachgesellschaften erstellt, Richtlinien erlässt der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen. Beispiele für Leitlinien:
- Brennen beim Wasserlassen (von der DEGAM),
- Therapie bei chronischer Herzinsuffizenz (von der Arzneimittelkommission).
Beispiele für Richtlinien:
- Mutterschafts-Richtlinien,
- Krebsfrüherkennungs-Richtlinien.

Wirtschaftlicher Umgang mit knappen Ressourcen
Etwas anderes steht für Prof. Dr. med. Martin Hansis, Leitender Arzt beim Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, im Mittelpunkt. Er setzt auf Leitlinien, wenn es darum geht, mit mit knappen Ressourcen wirtschaftlich umzugehen. In der Bewertung gleichwertiger, aber unterschiedlich teurer Verfahren benötige der einzelne Arzt die Rückendeckung durch eine Leitlinie, verdeutlichte er.
Er hält es für unvermeidlich, dass Leitlinien Hilfe und Hürde zugleich sind. Gleichgültig, ob es darum geht, was vernünftigerweise Bestandteil der präoperativen Diagnostik beim Kolonkarzinom ist, oder ob definiert werden muss, welche Leistungen ein guter Hausarzt beim ersten ambulanten Patientenkontakt obligat erbringt.
Durch die Novellierung des Sozialgesetzbuchs (SGB) V per Gesundheitsreformgesetz 2000 von Andrea Fischer ist das Leitlinien-Thema auch Gegenstand des Gesetzes geworden. Prof. Dr. med. Günter Ollenschläger, Leiter der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ), sieht die Ärzte damit in eine Situation gebracht, in der sie Farbe bekennen müssen, ob sie mit Leitlinien gute Medizin machen können.

Das ist mehr Verbindlichkeit als gewünscht
Für Prof. Dr. med. Hans Reinauer, den Präsidenten der AWMF, ist das eher bedenklich. Die Forderung des Paragraphen 137 e SGB V, jährlich Kriterien für Diagnostik und Therapie von zehn Krankheiten auf der Basis von Evidenz-basierten Leitlinien zu erarbeiten, bekommt in seinen Augen schon sehr viel mehr Verbindlichkeit, als Leitlinien eigentlich haben sollten.
Nach offizieller AWMF-Meinung, die auch von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung geteilt wird, sind Leitlinien „nur" wissenschaftlich begründete, praxisorientierte Handlungs-Empfehlungen, die der Arzt nicht beachten muss. Sie beruhen auf wissenschaftlichen Grundlagen und Erkenntnissen sowie klinischem Urteilsvermögen.

Krankenversorgung wird nicht automatisch preiswerter
Die häufig zu hörende Kritik an der AWMF, sie habe zu viele Leitlinien ins Internet gestellt, will Reinauer nicht gelten lassen. „Es gibt eher zu wenige Diagnose- und Therapie-Leitlinien als zu viele." Dass sie gleichzeitig aber auch die Forderung nach Wirtschaftlichkeit erfüllen sollen, ist nach seiner Auffassung „ein Spagat, von dem ich nicht weiß, ob sie das leisten können". So viel sei jedenfalls klar: Mit einer Diagnostik und Therapie nach dem jeweiligen „state of the art" werde die Krankenversorgung nicht automatisch preiswerter.

ÄP-HINTERGRUND

Leitlinien und Hausarzt-Honorar
Das Wichtigste ist in den Augen von Prof. Dr. med. Jan Schulze, dem Ärztekammer-Präsidenten von Sachsen, Leitlinien in Verträge mit Kostenträgern einzubinden und dann kontinuierlich an den Ergebnissen zu messen. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das in Verträgen mit den Krankenkassen zur Versorgung des Diabetes mellitus gelungen. In 150 000 Exemplaren wurden die Leitlinien in Heftform in den Arztpraxen verbreitet. Sie finden in der täglichen Praxis wie auch in der ärztlichen Fortbildung immer stärkere Beachtung. Bestehende Schnittstellen zwischen den Versorgungsebenen konnten laut Schulze überwunden werden.
Hausärzte kümmern sich in erster Linie um Prävention und Früherkennung und führen Patienten ohne Komplikationen oder sonstige Probleme. Nach strukturierter Schulung sollen sie Problem-Patienten zur nächsten Versorgungsebene weiterleiten. Gemeinsam mit den Krankenkassen wurden die Prozess-Standards formuliert – die Streifen für die Blutzucker-Messung werden in Sachsen außerhalb des Budgets gezahlt. Die Dokumentationsbögen, zum Beispiel für die Überweisung vom Hausarzt zum Facharzt, sind verbindlich. Daran ist auch die Vergütung gekoppelt. Schulze berichtete in Wiesbaden, die Diabetes-Vereinbarung werde von den Hausärzten gut akzeptiert.

Klaus Schmidt

Quelle: Ärztliche Praxis vom 15. Mai 2001

Werner Schell (20.05.2001)