Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
www.wernerschell.de
Aktuelles
Forum (Beiträge ab 2021)
Archiviertes Forum
Rechtsalmanach
Pflege
Patientenrecht
Sozialmedizin - Telemedizin
Publikationen
Links
Datenschutz
Impressum
Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk
>> Aktivitäten im Überblick! <<
|
Pflegewohnheime müssen die körperliche
Unversehrtheit der Heimbewohner schützen
Diese Verpflichtung ist allerdings, so hat der
Bundesgerichtshof (BGH) am 28.4.2005 in einer Einzelfallentscheidung
herausgestellt, begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit
einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar seien.
Maßstab müssten das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das
Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei insbesondere auch die Würde und die
Selbständigkeit der Bewohner zu wahren seien.
Der BGH hat in seinem Urteil eine Einschätzung
der Rechtslage eingenommen, die in einer Vielzahl von Einzelfällen auch von
anderen Gerichten ausgeführt worden ist. Es besteht daher kein Anlass, mit
diesem Urteil Folgerungen zu verbinden, die dieser Einzelfallentscheidung nicht
zustehen.
Pflegemängel müssen vermieden werden!
Es ist grundsätzlich nachvollziehbar und richtig, dass sich
die bundesdeutschen Gerichte und jetzt auch der BGH „im Zweifel für die
Freiheit" der Heimbewohner ausgesprochen haben. Freiheitsbeschränkende
(unterbringungsähnliche) Maßnahmen müssen sich an strengen Kriterien
orientieren – grundsätzlich! Der BGH hat so gesehen nicht Neues gesagt: die
Haftungssituation erscheint unverändert!
Andererseits darf die Rechtsprechung jetzt aber nicht zum
Anlass genommen werden, sich bei allen möglichen Pflegefehlern und
Sorgfaltspflichtverletzungen herausreden zu wollen. Fatal wäre, wenn die
Rechtsprechung sogar „klammheimlich" zum Anlass genommen würde, sich
personell (zur Kosteneinsparung) zurückzunehmen nach der Methode, der BGH hat
ja die Haftungsanforderungen eingeschränkt.
Tatsache ist, dass die beunruhigenden Berichte über
Pflegefehler und Sorgfaltspflichtverletzungen in jüngster Zeit deutlich
zugenommen haben. Die „Ärzte Zeitung" berichtete darüber zuletzt in
ihrer Ausgabe vom 28.4.2005, u.a. mit der Titelung „Elend in Pflegeheimen -
doch der Notstand wird verschleiert - Kritiker schlagen Alarm / Alte Menschen
leben oft unter skandalösen Bedingungen." Pflegefehlern und
Sorgfaltspflichtverletzungen muss entschieden entgegen gewirkt werden.
Aufmunterungen zu mehr Prävention, aktivierender Pflege usw. sind gut und
richtig, laufen aber wahrscheinlich weitgehend ins Leere, weil das insoweit
benötigte qualifizierte Personal fehlt. Das Personal ist zwar auf dem „Gesundheitsmarkt"
vorhanden, wird aber (aus Kostengründen) nicht in ausreichender Zahl (im
Stellenplan) vorgesehen bzw. eingestellt. Dies ist so nicht hinnehmbar: Zur
menschenwürdigen Pflege ist mehr qualifiziertes Personal zwingend erforderlich!
Der Fall:
In den Jahren 1994 bis 1998 hatte sich eine 1912 geborene und bei der
Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Berlin versicherte Frau bei drei Stürzen
jeweils erhebliche Verletzungen zugezogen. Ausweislich eines von der AOK
vorgelegten Pflegegutachtens ist die in einem Pflegewohnheim lebende Frau
hochgradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt; ihr Gang ist sehr
unsicher. Sie ist der Pflegestufe III zugeordnet. Am 27.06.2001 wurde sie
in der Zeit der Mittagsruhe in ihrem Zimmer vor ihrem Bett liegend aufgefunden.
Sie hatte sich eine Oberschenkelhalsfraktur zugezogen, derentwegen sie
stationär und anschließend ambulant behandelt werden musste. Die AOK machte
daraufhin gegen den Träger des Altenpflegewohnheims einen kraft Gesetzes
(§ 116 Sozialgesetzbuch – SGB -X) übergegangenen Schadensersatzanspruch
gegen den Heimträger geltend. Die AOK war der Auffassung, dass der Unfall auf
eine Pflichtverletzung des Heimträgers zurückzuführen sei. Sie lastete dem
Heimträger insbesondere an, er habe es versäumt, die sturzgefährdete
Bewohnerin in ihrem Bett zu fixieren, zumindest die Bettgitter hochzufahren.
Außerdem hätte der Heimträger der Bewohnerin Hüftschutzhosen
(Protektorhosen) anlegen müssen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei
einem Sturz gemindert worden wäre. Das Landgericht (LG) Berlin hat der auf
Ersatz der von der AOK getragenen Heilbehandlungskosten gerichteten Klage im
Wesentlichen stattgegeben (Urteil des LG Berlin vom 14.02.2003 - 28 O 336/02 -);
das Kammergericht (KG) Berlin hat sie abgewiesen und die Revision zur Klärung
der Frage zugelassen, unter welchen Voraussetzungen ein Pflegeheim für
Verletzungen einzustehen hat, die sich ein Heimbewohner während des
Heimaufenthaltes zuzieht (Urteil des KG Berlin vom 02.09.2004 - 12 U 107/03
-). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision der AOK mit Urteil vom
28.04.2005 zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Zwar seien dem Heimträger aus den jeweiligen Heimverträgen Obhutspflichten zum
Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner
erwachsen. Ebenso habe eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht
zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer
sonstigen körperlichen bzw. geistigen Einschränkung durch sie selbst oder
durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten, bestanden.
Diese Pflichten seien allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen
Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand
realisierbar seien. Maßstab müssten das Erforderliche und das für die
Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei insbesondere auch die
Würde und die Selbständigkeit der Bewohner zu wahren seien. Im vorliegenden
Fall sei der Unfallhergang im Einzelnen nicht mehr aufklärbar. Das
Berufungsgericht habe es mit Recht abgelehnt, der AOK Beweiserleichterungen im
Sinne einer Beweislastumkehr zugute kommen zu lassen. Allein aus dem Umstand,
dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten gestürzt sei
und sich dabei verletzt hatte, könne nicht auf eine schuldhafte
Pflichtverletzung des Pflegepersonals des Heimträgers geschlossen werden.
Darlegungs- und beweispflichtig sei vielmehr insoweit die AOK. Nach den
Besonderheiten des Falles habe für das Pflegepersonal insbesondere kein
hinreichender Anlass bestanden, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens
aber die Bettgitter hochzufahren. In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher
Würdigung habe das Berufungsgericht eine schuldhafte Pflichtverletzung auch
nicht darin erblickt, dass die Mitarbeiter des Heimträgers es unterlassen
hatten, der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anzulegen, durch die
die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre. Die AOK
habe weder konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, mit welchem Grad an
Wahrscheinlichkeit Verletzungen, wie sie die Bewohnerin erlitten hatte, durch
das Tragen dieser Schutzvorrichtung zu verhindern gewesen wären.
Urteil des BGH vom 28.04.2005 - III ZR 399/04 -
Werner Schell
|