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Pflegewohnheime müssen die körperliche Unversehrtheit der Heimbewohner schützen

Diese Verpflichtung ist allerdings, so hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 28.4.2005 in einer Einzelfallentscheidung herausgestellt, begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar seien. Maßstab müssten das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei insbesondere auch die Würde und die Selbständigkeit der Bewohner zu wahren seien.

Der BGH hat in seinem Urteil eine Einschätzung der Rechtslage eingenommen, die in einer Vielzahl von Einzelfällen auch von anderen Gerichten ausgeführt worden ist. Es besteht daher kein Anlass, mit diesem Urteil Folgerungen zu verbinden, die dieser Einzelfallentscheidung nicht zustehen.

Pflegemängel müssen vermieden werden!

Es ist grundsätzlich nachvollziehbar und richtig, dass sich die bundesdeutschen Gerichte und jetzt auch der BGH „im Zweifel für die Freiheit" der Heimbewohner ausgesprochen haben. Freiheitsbeschränkende (unterbringungsähnliche) Maßnahmen müssen sich an strengen Kriterien orientieren – grundsätzlich! Der BGH hat so gesehen nicht Neues gesagt: die Haftungssituation erscheint unverändert!

Andererseits darf die Rechtsprechung jetzt aber nicht zum Anlass genommen werden, sich bei allen möglichen Pflegefehlern und Sorgfaltspflichtverletzungen herausreden zu wollen. Fatal wäre, wenn die Rechtsprechung sogar „klammheimlich" zum Anlass genommen würde, sich personell (zur Kosteneinsparung) zurückzunehmen nach der Methode, der BGH hat ja die Haftungsanforderungen eingeschränkt.

Tatsache ist, dass die beunruhigenden Berichte über Pflegefehler und Sorgfaltspflichtverletzungen in jüngster Zeit deutlich zugenommen haben. Die „Ärzte Zeitung" berichtete darüber zuletzt in ihrer Ausgabe vom 28.4.2005, u.a. mit der Titelung „Elend in Pflegeheimen - doch der Notstand wird verschleiert - Kritiker schlagen Alarm / Alte Menschen leben oft unter skandalösen Bedingungen." Pflegefehlern und Sorgfaltspflichtverletzungen muss entschieden entgegen gewirkt werden. Aufmunterungen zu mehr Prävention, aktivierender Pflege usw. sind gut und richtig, laufen aber wahrscheinlich weitgehend ins Leere, weil das insoweit benötigte qualifizierte Personal fehlt. Das Personal ist zwar auf dem „Gesundheitsmarkt" vorhanden, wird aber (aus Kostengründen) nicht in ausreichender Zahl (im Stellenplan) vorgesehen bzw. eingestellt. Dies ist so nicht hinnehmbar: Zur menschenwürdigen Pflege ist mehr qualifiziertes Personal zwingend erforderlich!

Der Fall:
In den Jahren 1994 bis 1998 hatte sich eine 1912 geborene und bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Berlin versicherte Frau bei drei Stürzen jeweils erhebliche Verletzungen zugezogen. Ausweislich eines von der AOK vorgelegten Pflegegutachtens ist die in einem Pflegewohnheim lebende Frau hochgradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt; ihr Gang ist sehr unsicher. Sie ist der Pflegestufe III zugeordnet. Am 27.06.2001 wurde sie in der Zeit der Mittagsruhe in ihrem Zimmer vor ihrem Bett liegend aufgefunden. Sie hatte sich eine Oberschenkelhalsfraktur zugezogen, derentwegen sie stationär und anschließend ambulant behandelt werden musste. Die AOK machte daraufhin gegen den Träger des Altenpflegewohnheims einen kraft Gesetzes (§ 116 Sozialgesetzbuch – SGB -X) übergegangenen Schadensersatzanspruch gegen den Heimträger geltend. Die AOK war der Auffassung, dass der Unfall auf eine Pflichtverletzung des Heimträgers zurückzuführen sei. Sie lastete dem Heimträger insbesondere an, er habe es versäumt, die sturzgefährdete Bewohnerin in ihrem Bett zu fixieren, zumindest die Bettgitter hochzufahren. Außerdem hätte der Heimträger der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anlegen müssen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre. Das Landgericht (LG) Berlin hat der auf Ersatz der von der AOK getragenen Heilbehandlungskosten gerichteten Klage im Wesentlichen stattgegeben (Urteil des LG Berlin vom 14.02.2003 - 28 O 336/02 -); das Kammergericht (KG) Berlin hat sie abgewiesen und die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, unter welchen Voraussetzungen ein Pflegeheim für Verletzungen einzustehen hat, die sich ein Heimbewohner während des Heimaufenthaltes zuzieht (Urteil des KG Berlin vom 02.09.2004 - 12 U 107/03 -). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision der AOK mit Urteil vom 28.04.2005 zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:
Zwar seien dem Heimträger aus den jeweiligen Heimverträgen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner erwachsen. Ebenso habe eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen bzw. geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten, bestanden. Diese Pflichten seien allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar seien. Maßstab müssten das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei insbesondere auch die Würde und die Selbständigkeit der Bewohner zu wahren seien. Im vorliegenden Fall sei der Unfallhergang im Einzelnen nicht mehr aufklärbar. Das Berufungsgericht habe es mit Recht abgelehnt, der AOK Beweiserleichterungen im Sinne einer Beweislastumkehr zugute kommen zu lassen. Allein aus dem Umstand, dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten gestürzt sei und sich dabei verletzt hatte, könne nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals des Heimträgers geschlossen werden. Darlegungs- und beweispflichtig sei vielmehr insoweit die AOK. Nach den Besonderheiten des Falles habe für das Pflegepersonal insbesondere kein hinreichender Anlass bestanden, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens aber die Bettgitter hochzufahren. In rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung habe das Berufungsgericht eine schuldhafte Pflichtverletzung auch nicht darin erblickt, dass die Mitarbeiter des Heimträgers es unterlassen hatten, der Bewohnerin Hüftschutzhosen (Protektorhosen) anzulegen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre. Die AOK habe weder konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit Verletzungen, wie sie die Bewohnerin erlitten hatte, durch das Tragen dieser Schutzvorrichtung zu verhindern gewesen wären.

Urteil des BGH vom 28.04.2005 - III ZR 399/04 -

Werner Schell