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Übersicht / Review
Rechtliche und ethische Aspekte der Sondenernährung älterer Patienten mit
fortgeschrittener Demenz
G. Kolb
Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover, Abteilung
Innere Medizin,
Fachbereich Geriatrie, Lingen
Zusammenfassung
Seit Jahren hat sich der Indikationsschwerpunkt zur perkutanen endoskopischen
Gastrostomie (PEG) deutlich in Richtung älterer Patienten und Patienten mit
fortgeschrittenen demenziellen Syndromen verlagert. Ungeklärt ist nach wie vor,
ob diese Patientengruppe hinsichtlich Aspirationspneumonien, Kachexie,
Überlebenszeit und Lebensqualität bzw. -komfort profitiert. Um so bedeutender
ist die Beachtung rechtlicher und ethischer Aspekte zur Abwägung von Nutzen und
Risiko im Einzelfall.
Nach aktueller Auffassung der Deutschen Bundesärztekammer stellt die
Sondenernährung eine außergewöhnliche Maßnahme dar, deren Durchführung beim
nichteinwilligungsfähigen Patienten im besonderen Maße die Erforschung des
mutmaßlichen Willens des Patienten erfordert. Dabei wird der Arzt zum
Treuhänder, der zwar faktisch alles zu entscheiden und zu verantworten hat, von
seiner eigenen Überzeugung jedoch tunlichst Abstand wahrt. Insofern ist aus dem
mutmaßlichen Willen des Patienten eine mutmaßliche Entscheidung des Patienten
im konkreten Fall zu rekonstruieren. Dabei sind Hinweise über frühere
Äußerungen des Patienten einzubeziehen, die um so schwerer wiegen, je
zeitnaher, je konkreter und je sicherer verbürgt sie sind. Unterstützend
wirken weltanschauliche Ausrichtung und religiöse Bindungen des Patienten. Die
Rolle der unmittelbaren Angehörigen bleibt problematisch. Sie sind oftmals mit
einer Entscheidung überfordert, was allzuoft dazu führt, dass vermeintlich
lebenserhaltende Ernährungssonden auch dann gewünscht werden, wenn der
bohrende Zweifel mit dieser Entscheidung verbunden ist, gegen den Willen des
Betroffenen entschieden zu haben. Die Übertragung von Verantwortung im
Zusammenhang mit der Übertragung des Betreuungsauftrages auf entferntere
Angehörige als etwa Ehepartner und Kinder ist anzuraten.
Es ist sicherlich umstritten, ob die bei fortgeschrittener Demenz oftmals
vorgefundene Trink- und Nahrungsverweigerung als eine nonverbale
Willensäußerung des Patienten gegen eine Sondenapplikation verstanden werden
muss. Ein pragmatischer Vorschlag ist, die zumeist exsikkierten Patienten für
einige Tage per Infusionsbehandlung in einen optimalen Hydratationszustand zu
bringen, gleichzeitig muss durch das häufige Anreichen von Speisen und
Getränken im Zusammenhang mit einer basalen Stimulation des Patienten durch
Geruch, taktile und paraorale Reize die Nahrungs- bzw. Flüssigkeitsappetenz
gefördert werden. Bleibt der Patient trotz dieser Maßnahmen bei seiner
strikten Nahrungsablehnung und entfernt er sich zudem wiederholt artifizielle
Zugänge, sollte ernsthaft von einer nonverbalen Willensäußerung und damit von
einer Patientenentscheidung gegen eine Sondenernährung ausgegangen werden.
Ein eigenes Thema stellt die Frage nach Flüssigkeitszufuhr bei Sterbenden
dar. Hier wird oftmals von wohlmeinenden Ärzten und Pflegenden „zu viel des
Guten" getan.
Quelle: European Journal of Geriatrics 3 (2001) 1, 7-12.
Copyright: Vincentz Verlag, Hannover 2001
Werner Schell (04.03.2001)
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