Patientenverfügungen & die Reichweitenbegrenzung
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Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
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Neuss, den 27.07.2012
An das
Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter
des Landes Nordrhein-Westfalen
Frau Ministerin Barbara Steffens
40190 Düsseldorf
info@mgepa.nrw.de; barbara.steffens@mgepa.nrw.de; presse@mgepa.nrw.de;
Nachrichtlich (per E-Mail)
An die
Verbraucherzentrale
Bundesverband
Markgrafenstraße 66
10969 Berlin
info@vzbv.de; duenkel@vzbv.de;
Betr.: Umgang mit Patientenverfügungen – Reichweitenbegrenzung darf nicht verpflichtend sein
Bezug.: „Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügungen“ (Ethikrat Caritasverband Paderborn) -
Sehr geehrte Frau Ministerin Steffens,
in meinem Forum gibt es interessante Texthinweise:
Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügungen
Diözesaner Ethikrat macht katholische Einrichtungen auf Nachteile der gesetzlichen Regelung aufmerksam
>>> siehe viewtopic.php?t=17623
In den Empfehlungen
>>>> siehe http://www.caritas-paderborn.de/aspe_sh ... krates.pdf
wird auf die Reichweitenbeschränkung aufmerksam gemacht und in diesem Zusammenhang von einem "Selbsttötungswunsch" gesprochen. Am Ende des Papiers wird sogar angeregt (oder im Kern sogar gefordert), dass ggf. auf einen Vertragsabschluss verzichtet werden soll. Das ist natürlich alles sehr vorsichtig umschrieben. Im Ergebnis heißt das aber wohl: Wer nicht die Reichweitenbegrenzung akzeptiert, den nimmt ein katholischer Heimträger nicht auf!
Damit wird möglicherweise genau dem entgegen gewirkt, was der Deutsche Bundestag bei der Abfassung des sog. Patientenverfügungsgesetzes 2009 ausschließen wollte.
In § 1901a Abs. 4 BGB heißt es daher folgerichtig:
“Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.”
Die o.a. Empfehlungen wollen offensichtlich genau das Gegenteil bewirken und untergraben damit nach meinem Eindruck die Patientenautonomie, die durch die o.a. Regelungen gestärkt werden sollte. Dass vor allem katholische Einrichtungsträger immer wieder versuchen, die vermeintlich christlichen Erwägungen und damit auch die Reichweitenbegrenzung durch die Hintertür einzuführen, hat sich auch an anderen Stellen in unerfreulicher Weise herausgestellt.
Um solchen Bestrebungen entgegen zu treten, hat sich Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk in mehreren Erklärungen wie folgt zu Wort gemeldet:
Patientenverfügung muss auch in stationären Pflegeeinrichtungen uneingeschränkt gelten
Pressemitteilung vom 14.01.2011 – nachlesbar unter folgender Adresse: http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... gelten.php
Patientenverfügung darf nicht durch Gewissensklausel im Heimvertrag außer Kraft gesetzt werden
Pressemitteilung vom 20.11.2012 – unten angefügt und auch nachlesbar mit weiteren Texten unter folgender Adresse: viewtopic.php?p=58134
Ich rege daher an, in einem klärenden Erlass darzustellen, dass solche Erwägungen bei der Aufnahme in einem Pflegeheim den Absichten der Patientenautonomie entgegen stehen und rechtswidrig sind. Gegebenenfalls sollten auch die Pflegekassen(verbände) auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht werden. Denn die hier in Rede stehenden Bemühungen, die HeimbewohnerInnen zu einer bestimmten Erklärung zu drängen, dürfte für die Zulassung von stationären Pflegeeinrichtungen von Belang sein.
Zusatz für die Verbraucherzentrale – Bundesverband:
Es sollte geprüft werden, ob die hier aufgezeigten Bestrebungen ggf. eine Abmahnung wegen einer möglichen unzulässigen Heimvertragsklausel rechtfertigen.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
Diplom-Verwaltungswirt - Oberamtsrat a.D. - Buchautor/Journalist - Dozent für Pflegerecht (u.a. an der St. Elisabeth-Akademie Düsseldorf/Neuss und der Volkshochschule Neuss)
Mitglied im Verband der Medizin- und Wissenschaftsjournalisten e. V.- http://www.medizinjournalisten.de/
http://www.wernerschell.de - Pflegerecht und Gesundheitswesen - Infos auch bei http://www.facebook.com/
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Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
Pressemitteilung vom 20.07.2011
Patientenverfügung darf nicht durch Gewissensklausel im Heimvertrag außer Kraft gesetzt werden
Nach den seit dem 01.09.2009 neugefassten Vorschriften im Betreuungsrecht (§ 1901a ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) hat jeder einwilligungsfähige Volljährige die Möglichkeit, mittels einer schriftlich abgefassten Patientenverfügung zu bestimmen, dass im Falle einer exakt festgelegten Lebenssituation bestimmte (in der Regel lebensverlängernde) Maßnahmen, wie z.B. die Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit mittels Magensonde (PEG) oder die künstliche Beatmung, zu unterbleiben haben. Insoweit gibt es auch keine Einschränkungen dergestalt, dass solche Unterlassungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn sich der Betroffene im Sterbeprozess befindet (sog. Reichweitenbegrenzung). Letztlich darf auch niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet oder die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass niemand verpflichtet werden kann, von der Errichtung einer Patientenverfügung oder bestimmten Festlegungen hinsichtlich Behandlungsabbruch abzusehen. Der Gesetzgeber hat mit den neuen Regelungen eine eindeutige Rechtslage geschaffen mit der Folge, dass sich auch bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Heimbewohnern uneingeschränkte Pflichten dahingehend ergeben, eine wirksam errichtete Patientenverfügungen zu respektieren und ihre Durchsetzung zu gewährleisten.
Mit Gewissensklauseln darf die Rechtslage nicht verändert werden.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die durch den Gesetzgeber geschaffene Rechtslage als mit dem Lebensschutz nicht vereinbar hinzustellen. Vor allem sind seit dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 25.06.2010 - 2 StR 454/09 - immer wieder Rufe laut geworden, die neuen Vorschiften im BGB im Sinne einer vermeintlichen Stärkung des Lebensschutzes zu korrigieren und die Verfügungskompetenzen Volljähriger hinsichtlich der Unterlassung bzw. des Abbruches von Behandlungs- und Pflegemaßnahmen einzuschränken.
Solche Erwägungen haben einen Heimträger bewogen, dem rechtlichen Betreuer einer Bewohnerin eine Nebenabrede zum Heimvertrag abzuverlangen. Der diesbezügliche Text (verkürzt und anonymisiert):
„Zwischen der Pflegeeinrichtung X und Frau Y wird der Heimvertrag in § 11 wie folgt ergänzt:
Das Heim und dessen Mitarbeiter haben die sittliche Überzeugung, dass die Verpflichtung besteht, Leben zu schützen und zu pflegen. Der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter wird vom Heim und seinen Mitarbeitern daher ein Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit nicht verlangen, auch wenn eine entsprechende Patientenverfügung oder ein entsprechender mutmaßlicher Wille vorliegt. Sollte der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter daher beabsichtigen, das Leben des Bewohners durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug zu beenden, verpflichtet er sich, den Heimvertrag zu kündigen und die beabsichtigte Maßnahmen in einer damit vertrauten Institution (Hospiz o.ä.) oder zu Hause durchzuführen.“
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat daraufhin die Frage, ob und inwieweit solche Nebenabreden zulässig sind, geprüft und folgende Beurteilung vorgenommen:
Der rechtliche Betreuer (bzw. Bevollmächtigte) hat dem Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a BGB). Dies auch dann, wenn es z.B. um einen Behandlungsabbruch bzw. das Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit geht. Der Heimträger bzw. die Führungsverantwortlichen sind in der Pflicht, die Patientenautonomie zu achten (siehe auch die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“). Es kann unter diesen Umständen keine Veranlassung gesehen werden, die gewünschte Vertragsänderung als zulässige Ergänzung des Heimvertrages anzusehen. Im Übrigen sind die Gründe, aus denen ein Heimvertrag beendet werden darf und kann, im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) abschließend geregelt. Dies ist zwingendes Recht, so dass ein zusätzlicher Beendigungstatbestand nicht durch eine Nebenabrede im Heimvertrag – als sog. „Gewissensklausel“ - geschaffen werden kann.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat - unabhängig von der eigenen Einschätzung - die Projektleitung „Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)“ bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit der Angelegenheit befassen können. Es hat daraufhin eine juristische Prüfung und eine Abmahnung gegenüber der Einrichtung gegeben mit der Folge, dass die hier angesprochene Pflegeeinrichtung am 14.07.2011 die nachfolgende Unterlassungserklärung abgegeben hat (anonymisiert und auszugsweise zitiert):
„Hiermit verpflichtet sich der/die Unterzeichnende … in Bezug auf Verträge über vollstationäre Pflege, dort in Regelungen zur Patientenverfügung, zur Beachtung des Patientenwillens und zur Umsetzung dieses Willens durch Betreuer bzw. Bevollmächtigte, die Verwendung folgender und diesen inhaltsgleichen Klauseln zu unterlassen:“
1. „Der/die Bewohner(in) oder sein(e) rechtlichen Vertreter(in) wird vom Heim und seinen Mitarbeitern (…) ein Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit nicht verlangen, auch wenn eine entsprechende Patientenverfügung oder ein entsprechender mutmaßlicher Wille vorliegt. Sollte der/die Bewohner(in) oder sein/ihr rechtlicher Vertreter(in) daher beabsichtigten, das Leben des/der Bewohners/in durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug zu beenden, verpflichten er/sie sich, den Heimvertrag zu kündigen (…)“
oder
2. „Dies wiederum kann dazu führen, dass im Einzelfall ein verlangter Abbruch pflegerischer Behandlungen nicht vorgenommen werden kann.“
Mit dieser Erklärung hat sich die vom vzbv abgemahnte Einrichtung verpflichtet, künftig die Verwendung von Vertragsklauseln zu unterlassen, die den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Patientenwillen im Hinblick auf lebenserhaltende Maßnahmen missachten oder ein eigenes Entscheidungsrecht der Einrichtung im Hinblick auf die Erforderlichkeit solcher Maßnahmen vorsehen.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk sieht sich in seiner Rechtseinschätzung bestärkt und begrüßt die zusätzliche Klarstellung durch den vzbv.
Werner Schell
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei.