Sterbehilfe darf nicht Normalfall werden

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Sterbehilfe darf nicht Normalfall werden

Beitrag von Presse » 18.08.2010, 11:56

Ärzte-Umfrage: Nicht Sterbehilfe soll zum Normalfall werden, sondern der Zugang zu moderner Palliativmedizin

„Wir Ärzte wollen den Kranken zu ihrem Recht verhelfen. Wir wollen nicht, dass Kranke, entgegen ihrem eigentlichen Willen, unter gesellschaftlichen Druck geraten, Sterbehilfe meinen einfordern zu müssen. Wir Ärztinnen und Ärzte wollen nicht, dass Sterbehilfe – auch nicht als Beihilfe zur Selbsttötung – erst zur Norm und dann zur Normalität wird. Nicht Sterbehilfe soll zum Normalfall werden, sondern der Zugang zu einer modernen palliativmedizinischen Behandlung, die todkranken Menschen ein möglichst schmerz- und beschwerdefreies Leben ermöglicht. Ärztliche Aufgabe ist und bleibt es, Sterbenden beizustehen.“ So kommentierte Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), eine von der BÄK in Auftrag gegebene Befragung, bei der sich rund 80 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen haben.

Nach der Befragung des Allensbach-Instituts ist die große Mehrheit der Ärzte (79 Prozent) davon überzeugt, dass ein Ausbau der Palliativmedizin die Wünsche nach Sterbehilfe verringern würde. Fast ebenso viele (73 Prozent) beklagen aber, die Kapazitäten für die palliativmedizinische Versorgung seien ungenügend. „Dies ist sicher einer der Gründe, warum mittlerweile jeder dritte Arzt im Laufe seines Berufslebens um Hilfe beim Suizid gebeten wird“, sagte Hoppe. Hinzu komme ein schleichender Paradigmenwechsel in der Gesellschaft. Sterben und Tod würden zunehmend tabuisiert. „Macht und Materialismus werden glorifiziert. Wer diesem Zeitgeist nicht mehr folgen kann, empfindet sich oft als Belastung. Wir Ärzte sind es dann, die den Todeswunsch der Patienten erfüllen sollen.“

Dies stelle Ärztinnen und Ärzte vor schwierige Entscheidungen. Denn natürlich hätten sie Empathie mit ihren schwerstkranken Patienten, so Hoppe. Nach der Studie sind 74 Prozent der Auffassung, dass lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden sollten, wenn der Patient dies zuvor in einer Patientenverfügung ausdrücklich erklärt hat. Für 37 Prozent kommt ein begleiteter Suizid unter bestimmten Bedingungen in Frage. Aktive Sterbehilfe können sich 25 Prozent zumindest vorstellen. Als wichtigste Bedingungen für eine Suizidbeihilfe wurden eine medizinisch eindeutige - also hoffnungslose - Prognose, die gute Kenntnis des Patienten sowie ein hoher Leidensdruck genannt. „Die Studie zeigt aber auch: Empathie mit Patienten bedeutet nicht Akzeptanz für eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids sowie der aktiven Sterbehilfe“, stellte Hoppe klar.

Tatsächlich befürchtet die große Mehrheit der Ärzte (89 Prozent), eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids könne leicht dazu führen, dass sich Menschen um Hilfe beim Sterben bemühen, weil sie sich als Belastung für die Familie oder die Gesellschaft empfinden. Für zwei Drittel aller Ärzte verstößt es gegen den hippokratischen Eid, wenn Ärzte Patienten beim Suizid unterstützen.

„Die Studie belegt, dass wir mit unserer ablehnenden Haltung in der Diskussion um eine mögliche Legalisierung der Sterbehilfe die große Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte hinter uns haben. Die Ergebnisse lassen aber auch vermuten, dass der schleichende Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft unter Ärzten für Verunsicherung sorgt. Dies werden wir bei unseren Beratungen zur Neufassung der BÄK-Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung sowie zur Überarbeitung der (Muster)- Berufsordnung mit berücksichtigen“, kündigte Hoppe an. Dabei müsse die Frage beantwortet werden, wie das Standesrecht und das Strafrecht besser in Einklang gebracht werden können.

Der BÄK-Präsident forderte zudem, dass Ärzte in Aus-, Fort- und Weiterbildung auf den Umgang mit sterbewilligen Patienten vorbereitet werden müssten. Die Ergebnisse ließen auch darauf schließen, dass noch nicht alle Ärzte ausreichend über die Möglichkeiten der Schmerz- und Symptombehandlung informiert seien. „Wir müssen schwerstkranken und sterbenden Patienten qualifizierte Schmerztherapie und bestmögliche Pflege bieten. Dazu brauchen wir bundesweit palliativmedizinische Versorgungsstrukturen. Erst wenn dies erreicht ist und die Menschen über diese Angebote informiert sind, dann wird auch der Ruf nach aktiver Sterbehilfe verhallen“, sagte Hoppe.

Studie: Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft.pdf
http://www.bundesaerztekammer.de/downlo ... ehilfe.pdf

Quelle: Pressemitteilung vom 17.08.2010

Lutz Barth
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Erneute Kritik von der Hospiz Stiftung an BÄK-Präsident!

Beitrag von Lutz Barth » 20.08.2010, 06:50

BÄK-Präsident Hoppe erntet Kritik von der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung

Nachdem der BÄK-Präsident gegenüber der Rheinischen Post (siehe dazu unten) sich dahingehend geäußert hat, dass er sich eine Formulierung im Berufsrecht vorstellen kann, wonach ein Arzt einem Menschen beim Suizid helfe dürfe, wenn er das mit seinem Gewissen vereinbaren könne, erntete er gleich postwendend Kritik von Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung. Damit wachse der Druck auf schwerstkranke Menschen, von einem ärztlich assistierten Suizid Gebrauch zu machen, um anderen nicht zur Last zu fallen, so offensichtlich Brysch (vgl. dazu Ärzteblatt.de v. 18.08.10 >>> http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/4 ... regeln.htm <<<).

Dieses von Brysch bemühte Argument ist nicht durchschlagend, mal abgesehen davon, dass es auch in der Kompetenz und Verantwortung eines jeden Einzelnen liegt, hierüber entscheiden zu können.

Allerdings befindet sich Brysch mit seiner Meinung durchaus in prominenter Gesellschaft: Auch Alexander Sitte, Vorstandschef der Deutschen Palliativstiftung, gibt zu bedenken, „dass Ärzte beim Suizid nicht assistieren. (dürfen). Das gehört absolut nicht zu ihrer Aufgabe“. Heiner Melching, Geschäftsführer Gesellschaft für Palliativmedizin, betont darüber hinaus, dass die ärztliche Suizidbeihilfe nicht zur einforderbaren Aufgabe des Arztes werden kann (vgl. dazu Südwest Presse, Das Gewissen entscheidet >>> http://www.swp.de/ulm/nachrichten/polit ... 306,599636 <<<).

Das „Last-Argument“ – wie im Übrigen andere Dammbruchargumente auch – erfreut sich seit jeher in der Debatte größter Beliebtheit, auch wenn es „nur“ zur Schilderung von Szenarien dient, die besonders eindringlich zu sein scheinen, gleichwohl aber davon ausgegangen werden kann, dass gegenüber solchen Visionen jedenfalls unsere Verfassung im wahrsten Sinne des Wortes „verfassungsfest“ ist. Entscheidend ist nicht ein „gesellschaftlicher Druck“, sondern einzig die Werthaltung des Suizidenten und sofern dieser meint, mit seiner Schwersterkrankung und seinem Leid seiner Umgebung – mithin also wohl in erster Linie den Verwandten – nicht zur Last fallen zu wollen, werden wir dies schlicht zu akzeptieren haben.

Im Übrigen ist es bezeichnend, dass gerade im Zusammenhang mit solchen Botschaften nunmehr auch die aktuelle Umfrage zur ärztlichen Suizidbeihilfe, die die BÄK in Auftrag gegeben hat, bemüht wird und sogleich mitgeteilt wird, dass die Mehrheit der Ärzte eine Legalisierung der ärztlichen Sterbehilfe ablehnt und viel mehr davon überzeugt ist, dass der Ausbau der Palliativmedizin die Wünsche nach Sterbehilfe verringern würde.

Mit Verlaub: Hier sollten nicht „Äpfel“ mit „Birnen“ verglichen werden, denn es wird nicht der „aktiven Sterbehilfe“ das Wort geredet und sofern überhaupt der Verweis auf den Ausbau der Palliativmedizin bemüht wird, sollte diesbezüglich eher davor gemahnt werden, darauf zu achten, dass der schwersterkrankte Patient nicht um den „Preis“ einer ohne Frage auszubauenden Palliativmedizin instrumentalisiert wird. Ein Sterbewunsch des Patienten ist hiervon gänzlich unabhängig, wenn und soweit der Patient meint, hier und jetzt eine individuelle Entscheidung treffen zu müssen, mag ihm auch in Gesprächen bedeutet werden, dass im Zweifel sein „Sterben“ den Fortschritt der modernen Schmerzmedizin oder den weiteren Ausbau der Palliativmedizin verhindere. Zu fragen ist also, wer hier auf wen und mit welchen Mitteln Druck auszuüben beabsichtigt?

Legen wir allerdings die Auffassung mancher Gegenwartsethiker zugrunde, so werden wir uns vielmehr die Frage gefallen lassen müssen, ob wir letztlich „unanständig“ seien, da wir einen Suizidwunsch hegen und zugleich uns hierbei auch von dem Motiv im Zweifel leiten lassen, unserer Familie nicht zur Last fallen zu wollen.

Nun – wenn es der ethischen Debatte dienlich ist: Ja, wir dürfen „unanständig“ sein und dies gar mit „Segen“ unserer Verfassungsordnung!

Lutz Barth (19.08.10)
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Patientenwille - Patientenautonomie - was denn sonst ?

Beitrag von Rüdiger Bastigkeit » 23.08.2010, 09:15

Guten Morgen an alle im Forum!

Seit geraumer Zeit wird hier - kompetent und sachlich - über die Patientenautonomie (am Lebensende) diskutiert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Strafrechtsentscheidungen des LG Fulda vom 30.04.2010 und des BGH vom 25.06.2010. Hinzu kommen Erörterungen über einen Sterbehilfefall in Geldern:

viewtopic.php?t=14607
viewtopic.php?t=14370
viewtopic.php?t=11710
viewtopic.php?t=14475

Aktuell ergaben sich weitere Diskussionen über Veränderungen bezüglich einer Sterbehilfe-Beihilfe durch die Ärzteschaft:

viewtopic.php?t=14072
viewtopic.php?t=14639
viewtopic.php?t=14652


Da rechtsdogmatische Fragestellungen oder sonstige theoretische Erörterungen über Recht, Ethik, Sitte und Moral nicht so sehr mein Ding sind, möchte ich einfach aus der praktischen / pflegerischen Hinsicht sagen:

Ich halte es für richtig, dass (endlich) der eindeutige Patientenwille ohne jegliche Einschränkungen anerkannt und durchgesetzt wird. Das war bislang wegen zahlreicher Einwände seitens der Ärzteschaft, Kirchenvertreter, moralisierenden Juristen .... (usw.) nicht immer möglich. Dass der BGH (Strafrecht) hier jetzt Position bezogen hat, ist eine gute Sache (und damit bewegt er sich mit dem Zivilsenat auf einer verfassungsrechtlich klaren Linie).
Ich halte wenig davon, über die verschiedenen Begrifflichkeiten in der Sterbehilfedebatte (z.B. passive Sterbehilfe, indirektikte Sterbehilfe usw.) und gar über die Frage, was aktives und passives Handeln strafrechtlich bedeutet, zu diskutieren.
Für mich ist einfach wichtig, was der Patient will - und das gilt es umzusetzen. Dabei erkenne ich an, dass der Staat die aktive Tötung ausdrücklich - und auch weiterhin - mit Strafe bedroht. Allerdings bedarf diese Vorschrift möglicherweise einer Veränderung, weil es Situationen geben kann, wo eine aktive Sterbehilfe auf Verlangen gerechtfertigt erscheinen kann und sich der Staat mit seinem Strafanspruch zurück nehmen muss. Auch im ärztlichen Berufsrecht erscheinen mir Veränderungen wichtig.

Die hier im Forum angesprochenen kritischen Stimmen von Brysch, Tolmein und Kirchenvertretern sind auch für mich nicht nachvollziehbar. Da wollen wohl einige Leute das "Rad wieder zurückdrehen". Oder haben sie einfach nichts verstanden?

Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Bastigkeit
Pflegesystem verbessern - dringend!

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