111. Deutscher Ärztetag beendet: Zusammenfassung

Gesundheitswesen, Krankenhaus- und Heimwesen, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Arzneimittel- und Lebensmittelwesen, Infektionsschutzrecht, Sozialrecht (z.B. Krankenversicherung, Pflegeversicherung) einschl. Sozialhilfe und private Versorgung

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111. Deutscher Ärztetag beendet: Zusammenfassung

Beitrag von Presse » 24.05.2008, 07:11

111. Deutscher Ärztetag beendet: Zusammenfassung
Ulm, 23.05.2008

Gesundheitspolitik benachteiligt sozial schlechter gestellte Menschen

Mit Sorge hat der 111. Deutsche Ärztetag am Freitag in Ulm registriert, dass die Gesundheitspolitik insbesondere jene Menschen benachteiligt, die ohnehin in einer schlechteren sozialen Situation leben. Die individuelle Patient-Arzt-Beziehung werde ausgehöhlt und Leistungen für Kranke schleichend und zunehmend rationiert. Die Zerstörung von bewährten Strukturen in der ambulanten und stationären Patientenversorgung führe zu Wartelistenmedizin. Ressourcen aus der Patientenversorgung würden zunehmend hin zu einer Kontroll- und Verteilungsbürokratie verlagert. Der Ärztetag forderte deshalb die Bundesregierung auf, „nachhaltige und ausreichende Finanzierungsmodelle für eine zukunftsfeste Gesundheitsversorgung der Bevölkerung vorzulegen“.

Praxisgebühr wieder abschaffen

Die Abschaffung der Praxisgebühr und der Notfallpraxisgebühr hat der 111. Deutsche Ärztetag vom Gesetzgeber gefordert. „Die Praxisgebühr hat den bürokratischen Aufwand in den Arztpraxen und Notfallambulanzen sowie bei den Verwaltungen der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenhäuser und Kassen erheblich erhöht“, kritisierten die Delegierten. Damit würden neue Kosten verursacht, die der Gesundheitsversorgung nicht zugute kämen. Zudem gehe die erhoffte steuernde Wirkung der Praxisgebühr vor allem zu Lasten der wirtschaftlich schlechter gestellten Bürger. Diese würden trotz bestehender Befreiungsregelungen auf notwendige Arztbesuche verzichten. „Dadurch erhöht sich zusätzlich das gesundheitliche Risiko der Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen“, erklärte der Ärztetag.

Praktisches Jahr vergüten

Der 111. Deutsche Ärztetag forderte Universitäten und Lehrkrankenhäuser auf, die Tätigkeit junger Mediziner im Praktischen Jahr zu vergüten. „Die Studenten im Praktischen Jahr sind in erheblichem Maße in den Klinikalltag eingebunden und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zum Ablauf in der stationären Versorgung“, betonten die Delegierten. Durch die Anerkennung ihrer Arbeit würde der ärztliche Nachwuchs motiviert, weiterhin in der Patientenversorgung tätig zu sein.

Abschiebung ist kein flugmedizinisches Problem

„Die Frage, ob der Abzuschiebende im engsten Sinne flugtauglich ist, greift zu kurz“, beurteilte der 111. Deutsche Ärztetag Überlegungen der Innenministerkonferenz zu einem Pool von „Ärzten für Flugmedizin“, um so die Flugtauglichkeit abzuschiebender Personen feststellen zu lassen. „Nicht die allein flugmedizinische Begutachtung oder Betreuung des Einzelnen ist das Entscheidende, sondern die qualifizierte Betreuung von Menschen, die sich mit der Abschiebung in einer schweren Ausnahmesituation befinden“, heißt es in dem Beschluss. Wenn etwa eine bestimmte Krankheit im Rückführungsland nicht behandelt werden könne oder Suizidgefahr bestehe, müsse dies in die Beurteilung einfließen. Die Ausländerbehörden sollten sich an die Psychotherapeuten und Allgemeinmediziner wenden, die diese Menschen behandelt haben. Zudem verwies der Ärztetag auf den Informations- und Kriterienkatalog einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer zu Fragen der ärztlichen Mitwirkung bei Rückführungsfragen von 2004. „Diesem Katalog ist zu folgen“, erklärten die Delegierten.

Keine Lockerung des Werbeverbots für rezeptpflichtige Arzneimittel

Bestrebungen der Europäischen Kommission zu einer Veränderung der Patienteninformation auf rezeptpflichtige Arzneimittel hat der 111. Deutsche Ärztetag abgelehnt. Der Kommissionsentwurf sieht vor, dass die Pharmaindustrie die Öffentlichkeit direkt mit vermeintlich objektiven Informationen über ihre Produkte versorgt. „Die Industrie verfolgt legitimerweise primär das Ziel, Gewinne zu erzielen. Sie hat im Gegensatz zu Körperschaften öffentlichen Rechts keine Gemeinwohlbindung“, stellten die Delegierten klar. Daher sei die pharmazeutische Industrie als Quelle unabhängiger, objektiver und unverzerrter Patienteninformationen ungeeignet. Das habe auch eine von der Europäischen Kommission mitfinanzierte Studie der Weltgesundheitsorganisation ergeben, erklärte der Ärztetag.

Ergebnisse von Anwendungsbeobachtungen veröffentlichen

Der 111. Deutsche Ärztetag hat sich für eine verpflichtende Offenlegung des Studiendesigns sowie der Ergebnisse von Anwendungsbeobachtungen im Arzneimittelgesetz ausgesprochen. Bislang gebe es lediglich eine Verpflichtung zur Offenlegung der Namen aller teilnehmenden Ärzte, deren Vergütung sowie der Verträge mit den Pharmafirmen. Von einer zusätzlichen Veröffentlichung von Beobachtungsergebnissen würden Patienten, Ärzte und die Politik profitieren.


Neue Arzneimittel kennzeichnen

Der 111. Deutsche Ärztetag in Ulm hat den Gesetzgeber aufgefordert, eine Verpflichtung zur Kennzeichnung von Arzneimitteln einzuführen, die weniger als fünf Jahre auf dem Markt sind. Dadurch wäre für Patienten nachvollziehbar, dass die Sicherheit des entsprechenden Mittels noch nicht abschließend bewertet sei, heißt es in dem Beschluss. Präparate, die neue auf den Markt kommen, hatten bis 2006 nach dem Arzneimittelgesetz eine automatische Verschreibungspflicht von fünf Jahren, bis eine Bewertung der Risiken in der breiten Anwendung bestand.

Quelle: Pressemitteilung vom 23.5.2008
http://www.bundesaerztekammer.de/page.a ... .6202.6249

Herbert Kunst
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Höheres Budget für das Personal in Heimen

Beitrag von Herbert Kunst » 24.05.2008, 09:17

Die Ärzteschaft hat in ihren Beschlüssen beim Ärztetag durchaus vernünftige Forderungen erhoben. Denn die Ärzteschaft fordert ein höheres Budget für das Personal in Heimen. Eine solche Personalaufstockung soll den dementiell erkrankten Menschen zugute kommen!

Einzelheiten dazu teilte jetzt CAREkonkret - http://www.vincentz.net/ - mit: Neben den stationären Einrichtungen seien ambu­lante Pflege, teilstationäre Angebote und betreute Wohngruppen stärker zu fördern und wohnortnah auszubauen, haben die Delegierten des Ärztetages gefordert.

"Die derzeitige Finanzierung stationärer Pflege­einrichtungen ermöglicht nur ein ‚satt, still, sauber’", hätte das Statement der Delegierten gelautet.
Daher sei eine Aufstockung der Finanzmittel im Pflegebereich die Grundbedingung für eine würdige und umfassende Versorgung im Alter. "Eine würdige und moderne pflegerische Versorgung im Heim wird sich nur durch eine Aufstockung der derzeitigen Personalbudgets um rund 30 Prozent realisieren lassen", sagt Cornelia Goesmann, Vizepräsidentin der Kammer.

CAREkinkret weiter:
Darüber hinaus setzt sich die Bundesärztekammer für eine bessere finanzielle Unterstützung der Angehörigen alter und demenzkranker Menschen ein. Denn sie lehnt die "polnische Lösung", bei der ausländische Frauen als Pflegekräfte eingestellt werden, entschieden ab. Stattdessen fordert die Vizepräsidentin: "Die Kosten für die Betreuung von Kindern, Kranken und alten Angehörigen in ihrer häuslichen Umgebung sollten zukünftig voll steuerlich absetzbar sein." Politik und Krankenkassen forderte der Ärztetag auf, „endlich die im Gesetz garantierte Rehabilitation geriatrischer Patienten bundesweit sicherzustellen“. Zugleich lehnten die Ärztevertreter die Ermächtigung von so genannten Heimärzten ab. Stattdessen sollten in stationären Pflegeeinrichtungen Kooperationen mit besonders qualifizierten Vertragsärzten beschlossen werden. ....

Ich gehe davon aus, dass die Zeitschrift CAREkonkret in ihrer nächsten Ausgabe ergänzend berichten wird.
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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... mehr Finanzmittel für die Behandlung Demenzkranker

Beitrag von Presse » 24.05.2008, 10:10

Ärztetag fordert mehr Finanzmittel für die Behandlung Demenzkranker

Größere Anstrengungen für eine bestmögliche Betreuung Demenzkranker hat der 111. Deutsche Ärztetag in Ulm angemahnt. Neben den stationären Einrichtungen seien ambu­lante Pflege, teilstationäre Angebote und betreute Wohngruppen stärker zu fördern und wohnortnah auszubauen, forderten die Delegierten. Ziel müsse es sein, Demenzkranken zu einem möglichst langen selbstbestimmten Leben in der Gesellschaft zu verhelfen. „Die derzeitige Finanzierung stationärer Pflege­einrichtungen ermöglicht nur ein ‚satt, still, sauber’“, kritisierten die Delegierten. Daher sei eine Aufstockung der Finanzmittel im Pflegebereich die Grundbedingung für eine würdige und umfassende Versorgung im Alter. Politik und Krankenkassen forderte der Ärztetag auf, „endlich die im Gesetz garantierte Rehabilitation geriatrischer Patienten bundesweit sicherzustellen“. Zugleich lehnten die Ärztevertreter die Ermächtigung von so genannten Heimärzten ab. Stattdessen sollten in stationären Pflegeeinrichtungen Kooperationen mit besonders qualifizierten Vertragsärzten beschlossen werden.

Zudem verlangten die Delegierten, den gesellschaftlichen Blick auf das Problem Demenz im familiären und sozialen Umfeld zu schärfen. Etwa 30 Prozent der Demenzkranken werden von Familienangehörigen versorgt. Ein Ende der Tabuisierung und der Isolation von Demenzkranken und ihren Angehörigen sei längst überfällig. „Wir dürfen die Probleme des langen Lebens nicht länger verdrängen und müssen denjenigen, die bei der Pflege Alter und Dementer Schwerstarbeit leisten, höchste Anerkennung zollen“, sagte Dr. Cornelia Goesmann, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer. Notwendig sei deshalb auch eine Änderung der Steuergesetze. „Die Kosten für die Betreuung von Kindern, Kranken und alten Angehörigen in ihrer häuslichen Umgebung sollten künftig voll steuerlich absetzbar sein“, forderten die Dele­gierten des Ärztetages.

Auf die Defizite in der Versorgung dementer und verwirrter Menschen wies Prof. Dr. Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, hin. Insbesondere in der fachärztlichen Versorgung gebe es erhebliche Lücken. „Nur etwa ein Drittel der Demenzkranken in Pflegeheimen wird von Psychia­tern und Neurologen betreut“, sagte Kruse. Eine Kooperation aller Akteure sei notwendig, um die bestmögliche Betreuung Demenzkranker zu gewährleisten.

Laut Statistischem Bundesamt wird der Anteil der über 80-jährigen Bundesbürger von heute vier Millionen auf etwa zehn Millionen im Jahr 2050 ansteigen. Da die Demenzrate mit zunehmendem Alter expotentiell wächst, ist mit einer deutlich steigenden Anzahl Demenzkranker in den kommenden Jahren zu rechnen. Bereits heute sind zwölf Prozent der 75- bis 78-Jährigen, 25 Prozent der 80- bis 90-Jährigen und fast 50 Prozent der über 90-Jährigen an Demenz erkrankt. Insgesamt leiden derzeit ca. 1,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer demenziellen Erkrankung.

Quelle: Pressemitteilung der Bundesärztekammer vom 21.5.2008
http://www.bundesaerztekammer.de/page.a ... .6202.6230

Siehe auch die Informationen in diesem Forum unter
viewtopic.php?t=8921
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viewtopic.php?t=8776

WernerSchell
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Personalbudgets aufstocken!

Beitrag von WernerSchell » 26.05.2008, 15:09

Die Situation pflegebedürftiger Menschen in der BRD am Beispiel Demenz
Referate auf dem 111. Deutschen Ärztetag 2008 in Ulm
viewtopic.php?p=34633#34633

Gefordert wird u.a. „eine Aufstockung der derzeitigen Personalbudgets um rund 30%.“ Damit geht die Ärzteschaft über die eigenen Forderungen, die bei rund 20% Stellenaufstockung liegen, deutlich hinaus! - Siehe dazu im Forum:
viewtopic.php?t=3917&highlight=stellenschl%FCssel
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Cicero
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Pflege mehr Aufmerksamkeit schenken

Beitrag von Cicero » 31.05.2008, 06:55

WernerSchell hat geschrieben:Personalbudgets in der Pflege aufstocken!

Die Situation pflegebedürftiger Menschen in der BRD am Beispiel Demenz
Referate auf dem 111. Deutschen Ärztetag 2008 in Ulm
viewtopic.php?p=34633#34633

Gefordert wird u.a. „eine Aufstockung der derzeitigen Personalbudgets um rund 30%.“ Damit geht die Ärzteschaft über die eigenen Forderungen, die bei rund 20% Stellenaufstockung liegen, deutlich hinaus! - Siehe dazu im Forum:
viewtopic.php?t=3917&highlight=stellenschl%FCssel
Ich denke, dass mit diesen Einschätzungen die richtigen "Vorlagen" gegeben worden sind. Wir brauchen dringend Personalverstärkung in den Pflegeeinrichtungen und können eigentlich nicht bis zur nächsten Pflegereform warten. Die pflegebedürftigen Menschen brauchen jetzt Zuwendung!
Die Kritik an den Pflegenden - FusseK: Pflegekräfte sind zu 40% ungeeignet - ist kontraproduktiv und ist eher ein Signal dafür, dass Kritiker u.U. selbst keine Ahnung haben und nur auf sich aufmerksam machen wollen (wg. Buchabsatz!). Solche Kritiker brauchen wir nicht (mehr), sie wollen doch wohl auch nur an der Pflegemisere verdienen.

Cicero
Politisch interessierter Pflegefan!
Im Gleichklang: Frieden - Ausgleich - Demokratie - und: "Die Menschenwürde ist unantastbar"!

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