Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

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Gast

Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 30.07.2003, 16:40

Hallo Leute!
Es wird ja immer wieder behauptet, die Einwilligung eines Patienten sei für die Diagnostik und Therapie zwingend erforderlich. Ich denke, dass dies so zutrifft. Vor allem im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen wegen eines Fehlers kann die mangelnde Einwilligung als Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes zum Prozesserfolg führen.
Wie sieht es aber aus, wenn es an einer wirksamen Einwilligung mangelt, aber die Maßnahme (Eingriff) selbst ohne jeden Fehler durchgeführt wurde. Dazu ergab sich im Rahmen einer Diskussion, dass dann gleichwohl Folgen eintreten können. Wer weiß mehr dazu?
MfG
Gabriele Schneider

Gast

Re: Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 31.07.2003, 11:03

Hallo Gabriele, zu Deiner Fragestellung ergibt sich, dass die Einwilligung – von Ausnahmefällen abgesehen - zwingend erforderlich ist. Selbst dann können nachteilige Folgerungen für den Arzt eintreten. So kann dem Arzt z.B. das Honorar für die rechtswidrige Behandlung vorenthalten werden. Weitere Hinweise ergibt sich aus dem nachfolgenden Text, der eindrucksvoll schadensersatzrechtliche Folgewirkungen aufzeigt. Gruß Berti

Fehlerfrei operiert, aber ohne Patienteneinwilligung - Verstoß gegen Selbstbestimmungsrecht: Arzt verurteilt
Von (S.)
Wegen Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat das Landgericht Osnabrück einen Orthopäden zu 6500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Der Arzt hatte, so die Richter, entgegen der Vereinbarung während einer Kniespiegelung eine offene Schnitt-Operation ausgeführt.
Der 24-jährige Kläger hatte sich wegen eines schmerzhaften linken Knies behandeln lassen und in eine ambulante Arthroskopie eingewilligt. Während der Spiegelung sah es der Orthopäde als medizinisch richtig an, den Eingriff in eine Operation auszuweiten. Anschließend kam es bei dem jungen Mann zu Wundheilungsstörungen, die eine längere Arbeitsunfähigkeit und Verdienstausfall nach sich zogen.
Die Beschwerden besserten sich erst drei Monate später nach einer erneuten Operation. Mit Hinweis auf den nicht erlaubten, fehlerhaft und ambulant ausgeführten Eingriff und die damit verbundenen Schmerzen hatte der Patient geklagt.
Ein vom Gericht eingeholtes fachorthopädisches Gutachten machte jedoch deutlich, dass die Operation nach "den Regeln der ärztlichen Kunst" erfolgt sei und die Beschwerden auch bei einer stationären Behandlung nicht vermeidbar gewesen wären. Die OP sei aber nicht akut notwendig gewesen, weil die Möglichkeit bestanden habe, zunächst abzuwarten und später zu operieren.
Die eigenständige Entscheidung des Mediziners verstoße gegen das Recht auf körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Dieser dürfe grundsätzlich entscheiden, ob er stationär oder ambulant behandelt werden wolle.
Auch das Gutachten konnte nicht eindeutig nachweisen, ob die Beschwerden durch die Spiegelung oder die Operation entstanden sind. Habe die Operation wenigsten mit zu den Schmerzen geführt, sei "es Sache des Arztes zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden gehabt hätte", urteilte das Landgericht: "Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Eingriff, für den keine Patientenbewilligung vorlag, fehlerfrei durchgeführt wurde".
Dem jungen Mann wurde ein Schmerzensgeld über 6500 Euro zugesprochen. Außerdem muss der verklagte Orthopäde sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus der Operation erstatten.

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung vom 7.10.2002
http://www.landgericht-osnabrueck.niede ... ktuell.htm

Axel_E._Schmidt
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Re: Haftung des Heilberuflers

Beitrag von Axel_E._Schmidt » 01.08.2003, 00:17

Hallo Gabriele und Berti,

wo haben Sie, Berti, denn immer so schnell die passenden Beispiele aus der Literatur her?
Zu diesem Beispiel fällt eben schlicht auf, daß die wirksame Einwilligung die rechtzeitig vorherige und wirksame Aufklärung des Patienten über mögliche Erweiterungen des ursprünglich geplanten ("elektiven") Eingriffes bedeutet hätte. Ausweitungen von Eingriffen sind nicht ungwöhnlich. Auch Wundheilungsstörungen gehören m. E. in das Standardrepertoire jeder chirurgischen Risikoaufklärung; ich kann fast nicht glauben, daß beide Phänomene in diesem Falle - unabhängig von den Details des Eingriffes, die ich nicht beurteilen kann - nicht vorher zur Sprache kamen.

Seltene Risiken hingegen müssen nicht aufgeklärt werden.

Wahrscheinlich findet es der Laie erstaunlich, das im Heilberuf ein Eingriff angeblich fehlerfrei erfolgen, und die Sache insgesamt dann trotzdem "schief gehen" kann.
Zur fehlerfreien Arbeit des Heilberuflers gehört eben - übrigens nicht nur von Rechts wegen - die passende Aufklärung mit dazu. Insoweit relativiert sich dann die eingangs unterstellte Fehlerfreiheit.

Die von Ihnen, Gabriele, getätigte Betonung auf "(...)aber die Maßnahme (Eingriff) selbst ohne jeden Fehler durchgeführt wurde." führt scheinbar in die Irre, weil die ärztliche Maßnahme der Aufklärung (des Gesprächs) nicht von der Maßnahme im engeren Sinne losgelöst betrachtet werden kann; sie ist unteilbar; was der Laie als Maßnahme in engerem Sinne auffasst, stellt sich im Zweifelsfall - vor allem auch aus professioneller Sicht - als Marginalie heraus.
So sind die Sichtweisen von Laien und Professionellen - und bei Letzteren sind hier nun Heilberufler und Juristen gleichermaßen gemeint - also einfach (wieder einmal) verschieden.

Gruß! Axel Eberhard Schmidt

Gast

Re: Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 01.08.2003, 10:38

Hallo Herr Dr. Schmidt,
ich interessiere mich seit längerer Zeit besonders für rechtliche Fragen in der Pflege (Medizin). Daher ist es nicht verwunderlich, dass ich einige Infos gesammelt habe. Im Übrigen habe ich das Onlinebuch von Herrn Schell (http://www.pflegerechtportal.de) und bin dadurch zusätzlich motiviert.
Es liegt mir am Herzen - wie die anderen, die sich rechtlich auskennen - immer wieder herauszustellen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ernster zu nehmen ist.
"Nicht das Wohl, sondern der Wille des Patienten" ist entscheidend!. Diese wichtige Botschaft ist noch nicht überall angekommen.
Gruß Berti

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Re: Recht des Gesundheitswesens

Beitrag von Axel_E._Schmidt » 01.08.2003, 23:10

Hallo Berti und Gabriele,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

vielen Dank für Ihren Hinweis, Berti! Mit Ihrer Sammlung haben Sie mir wahrscheinlich etwas voraus; aber Ihr Anliegen ist, glaube ich, bei mir zumindest angekommen.

Die bisherigen Betrachtungen bezogen sich auf die viel zitierte Arzt-Patienten-Beziehung mit der Maßgabe, daß der oder die Patient(in) als der oder die Schwächere geschützt werden muß. Heute beginnend würde ich gerne einmal - wirklich nur ganz kurz bzw. kaum losgelöst vom in Rede stehenden Einzelfall - die hier sogenannte "Gemeinwesen-Gesundheitswesen-Beziehung" betrachten; wiederum verbunden mit der Vorgabe, daß auch in diesem Falle das Gesundheitswesen als das Schwächere ebenso geschützt werden sollte.

Vielleicht lassen Sie und andere sich zur Darstellung von alternativen Problemsichten anregen.



Herzlicher Gruß!
Axel Eberhard Schmidt
Email: daes-koeln@netcologne.de

Gast

Re: Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 02.08.2003, 10:40

Entscheidend für die Betrachtungen sind u.a. die Vorschriften im Strafgesetzbuch, die die Eingriffe beim Patienten zunächst rein tatbestandlich als Körperverletzung einstufen. Körperverletzungen sind aber dann nicht strafbar, wenn sie mit Einwilligung des Patienten erfolgen. Die Rechtsprechung hat den Grundsatz entwickelt, dass nur die Einwilligung des ausreichend aufgeklärten Patienten wirksam ist. Der Patient muss zum sachverständigen Partner des Arztes geworden sein. Nur dann kann er in Kenntnis aller Umstände, z.B. Risiken und Komplikationen, wirksam etwas billigen.

Gruß Sven

Axel_E._Schmidt
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Re: Recht des Gemeinwesens

Beitrag von Axel_E._Schmidt » 02.08.2003, 18:38

Hallo Sven, das Gemeinwesen, vertreten durch Bürgerinnen und Bürger und "das Rechtliche", hat also vor allem auch aus Angst vor Fehlversorgung im Gesundheitswesen, vertreten durch ärztliche aber auch andere Einrichtungen, einen Strafkatalog erlassen. Gruß! Axel Eberhard Schmidt, daes-koeln@netrcologne.de

Axel_E._Schmidt
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Re: ERRATUM

Beitrag von Axel_E._Schmidt » 04.08.2003, 18:12

ERRATUM zum Beitrag "Haftung des Arztes"


Bevor wir gegebenenfalls hier weiterdiskutieren: Eine vorschnelle öffentliche Neubeurteilung des in Rede stehenden Beispiels durch das Forum aufgrund der (rechtlichen) Falldarstellung alleine, so wie ich selbst entsprechend durch meine eigene Kommentierung mißverstanden werden könnte, ist nicht sinnvoll. Erstens schildert der oder die Berichterstatter(in) die Angelegenheit rückblickend und aus der Sicht des Rechtes so, daß die Entscheidung des Rechtes, vertreten durch das Gericht, zwangsläufig nachvollziehbar erscheint; die Angelegenheit erscheint "eindimensional" ("Hinterher ist man immer schlauer"). Zweitens wäre es für eine faire Neubeurteilung durch das Forum notwendig, die Sichtweisen aller genannten Beteiligten und ggf. darüberhinaus (Praxismitarbeiterinnen, Angehörige etc.) "im Originalton" neu anzuhören und die im Regelfall auf alle Beteiligten in unterschliedlichem Ausmaß verteilten Schuldanteile neu festzustellen und gegeneinander neu zu wägen.
So fehlt beispielsweise eine eingehende Darstellung des Erstkontaktes der (späteren) Parteien, wo regelhaft die Weichen gestellt werden; diesbezügliche sachliche Zweifel hatte ich im o. g. Beitrag bereits angeführt. So wäre z. B. zu klären, warum eine Routinemaßnahme allem ersten Anschein nach nicht ausgeführt wurde.
Es wird deutlich, daß dies vom Forum also hier wie möglicherweise auch in anderen Fällen nicht so ohne weiteres leistbar sein wird.

Dabei ging es Berti wohl - wenn überhaupt - nur am Rande um eine Neubeurteilung, sondern vorrangig um eine Unterlegung des von Frau Gabriele Schneider aufgeworfenen Problems. Dabei wird jetzt klar, daß das Beispiel selbst auch hinterfragt werden kann oder sogar muß.

Auch besteht bei mir heute der Verdacht, daß durch die Verbreitung von solchen Beispielen des Fehlschlages Beispiele von geglückten Interaktionen zu sehr in das Hintertreffen geraten könnten; daß mithin das Bild in der Öffentlichkeit vom regelhaften Umgang in der Heilberufler-Patienten-Beziehung verzerrt werden könnte (mehrere Hundertmillionen Kontakte per anno).

Das Recht liefert die Theorie für den Umgang und ist vergleichsweise leicht Konsens bezüglich bestehender Regeln. Die Praxis muß sachlich regelhaft von der Theorie (divergierend) abweichen. Lebensnahe Prozesse sollten m. E. beides - Rechtliches und Sachliches - berücksichtigen bzw. sich nach beiden Dimensionen hin verorten. Dies heißt nicht, daß im konkreten Beispiel die Fehlerfreiheit in der Arzt-Patienten-Interaktion nicht wünschenswert wäre.
Vorschnelle Beurteilungen "im nachhinein" sind jedenfalls m. W. zu vermeiden.

Sollte der o. g. Beitrag diesbezüglich mißverständlich sein, so bitte ich, dies hiermit zu entschuldigen bzw. die jetzige Präzisierung zuzulassen.

Das Erratum liefert gleichzeitig die nachträgliche Begründung für meine letzte Anregung, strukturelle Probleme auch in der anderen Dimension (kurz) zu betrachten, um dann wieder zum Einzelfall zurückzukehren, weil das Kollektiv auf seine Akteure "im Kleinen" unter Umständen mehr einwirkt, als das es sich die Akteure "im Kleinen" vielleicht bewußt sind.

Köln, den 04. August 2003

Axel Eberhard Schmidt
daes-koeln@netcologne.de

Gast

Re: Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 04.08.2003, 19:02

Hallo Herr Dr. Schmidt,
ich habe Ihre weiteren Ausführungen mit Interesse gelesen und möchte zur rechtlichen Betrachtung noch etwas klarstellen:
In meiner Antwort für Gabriele habe ich kurz und bündig beschrieben, wie die Rechtslage aussieht, bezogen auf die Fragestellung. Ergänzend habe ich ein Fallbeispiel vorgestellt. Solche Beispiele beziehen sich natürlich immer nur auf eine ganz spezielle Situation und können nur mit Vorsicht verallgemeinert werden. Gleichwohl sind aber solche Beispiele durchaus geeignet aufzuzeigen, wie man sich verhalten sollte, um ähnliche Fehler mit den aufgezeigten Folgen zu vermeiden.
Gruß Berti

Axel_E._Schmidt
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Re: Selbstbestimmungsrechte, verschiedene

Beitrag von Axel_E._Schmidt » 04.08.2003, 20:12

Hallo Berti,

ich kann Sie ja nur mit Vornamen anschreiben; was persönliches angeht, möchte ich Sie und auch Herrn Sven und Frau Gabriele Schneider auf meinen Beitrag/Antrag "Neuzugang" (Rubrik "Tagesaktuelles") aufmerksam machen; und Ihnen allen hier gleichfalls schon einmal meine beiden Vornamen für das Anschreiben anbieten - bitte.

Ich bin, wie gesagt, nicht gegen Sie, Ihr Anliegen oder das konkrete Beispiel per se; ich bitte nur, wie Sie, um Vorsicht gegenüber dem, was mit (dem) Beispiel(en) in der Öffentlichkeit von der Öffentlichkeit alles - nicht zutreffend - "phantasiert" werden könnte, solange nicht mindestens ein (positives) Gegenbeispiel zum Problem gleichzeitig vorgetragen wird.

Ich bin vollumfänglich bei Ihnen, wenn es darum geht, aus Fehlern von anderen - von Heilberuflern, Schutzbefohlenen, Personen der jeweiligen Umfelder etc. - (und aus eigenen Fehlern) zu lernen.

Vielleicht mögen sich Frau Gabriele Schneider, Herr Sven und/oder andere auch (nochmals) dazu äußern.

Gruß! Axel Eberhard Schmidt

Gast

Re: Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Beitrag von Gast » 19.08.2003, 15:34

Siehe auch den Beitrag im Forum, Rubrik Pflegerecht und Pflegethemen, mit der Titeilung

-- Patienteneinwilligung im OP unvollkommen - Hilfe!

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