Nürtinger Betreuungsrichter zu Haftstrafe verurteilt

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25258
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Nürtinger Betreuungsrichter zu Haftstrafe verurteilt

Beitrag von WernerSchell » 16.11.2008, 07:31

Nürtinger Betreuungsrichter zu Haftstrafe verurteilt

Kurzbeschreibung:

Die 16. große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart hat heute am siebten Verhandlungstag den vom Dienst suspendierten Amtsrichter wegen Rechtsbeugung in 54 Fällen, davon in 7 Fällen versucht, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Am 10. Oktober 2007 hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den zuvor in einem Betreuungsreferat tätigen Vormundschaftsrichter Anklage zum Landgericht erhoben.

Die 16. große Strafkammer hat unter dem Vorsitz der Vorsitzenden Richterin am Landgericht Helga Müller 27 Zeugen und einen psychiatrischen Sachverständigen vernommen. Sie ist zu der Überzeugung gelangt, dass der voll schuldfähige Angeklagte im Zeitraum von März 2003 bis November 2006 ohne eine persönliche Anhörung der in einem Heim untergebrachten, betreuungsbedürftigen Personen durchgeführt oder sich einen unmittelbaren Eindruck von den Betroffenen verschafft zu haben, freiheitsentziehende Maßnahmen, wie die Anbringung von Bettgittern und Fixierungen, genehmigte. In einem Fall brachte er zudem einen Betreuten in einer geschlossenen Einrichtung unter, ohne das vorgeschriebene Sachverständigengutachten einzuholen. In allen 54 Fällen täuschte er mit fingierten Anhörungsprotokollen eine Anhörung vor. Zum überwiegenden Teil wurden die Beschlüsse in den Pflegeheimen vollzogen, sieben Betroffene waren jedoch zum Zeitpunkt der angeblichen Anhörung bereits verstorben.

Der Angeklagte hat den ihm zur Last gelegten Vorwurf der Rechtsbeugung bis zuletzt bestritten. Er vertritt die Meinung, sich durchweg korrekt verhalten zu haben. So habe er jedenfalls in einigen Fällen die Anhörung tatsächlich durchgeführt. Im Übrigen sei den gesetzlichen Vorschriften aus seiner Sicht bereits genüge getan worden, wenn er sich einen mittelbaren Eindruck von den Betroffenen durch Gespräche mit dem Pflegepersonal vor Ort und durch Einsicht in die Pflegeakten verschafft habe.

Die Vorsitzende Helga Müller hat in ihrer Urteilsbegründung darauf hingewiesen, dass sich der Angeklagte dadurch, dass er nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme die vorgeschriebenen Anhörungen unterließ und sich auch anderweitig keinen persönlichen unmittelbaren Eindruck von den Betroffenen verschafft hat, bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt habe. Der persönliche Kontakt zwischen dem Betreuten und dem Vormundschaftrichter sei eines der wichtigsten Anliegen des Betreuungsrechts. Ein solcher könne gerade nicht durch die Anhörung des möglicherweise anderweitige Interessen verfolgenden Pflegepersonals ersetzt werden. Die ihm vorgeworfenen Rechtsbrüche habe der Angeklagte in Kenntnis der Vorschriften bewusst begangen, um sich die Arbeit zu erleichtern und um mehr freie Zeit für sich und seine Familie zur Verfügung zu haben. Die konkrete Gefahr eines Nachteils für die Betroffenen habe er dabei billigend in Kauf genommen.

Da der Angeklagte wegen einer Vielzahl von Straftaten verurteilt wurde, die jeweils mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht sind, kam die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe, die noch zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können, nicht in Betracht.

Nach den einschlägigen Vorschriften endet das Dienstverhältnis eines Richters, der wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, mit Rechtskraft des Urteils. Zeitgleich entfallen die Ansprüche auf Dienstbezüge. Auch bei den Versorgungsansprüchen hat der ausgeschiedene Richter mit deutlichen Einbußen zu rechnen.

Urteil vom 14.11.2008 - 16 KLs 180 Js 10961/06 -

Eva Bezold, stellv. Pressesprecherin in Strafsachen

Quelle: Pressemitteilung vom 14.11.2008
http://www.lgstuttgart.de/servlet/PB/me ... OT=1169294

Vorschriften:

§ 339 StGB: Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft.

§ 1906 BGB: (1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen Schaden zufügt. … (2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig. … (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

§ 70c FGG: Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat das Gericht den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen…S.5: im Übrigen gilt § 68 Abs.1 S.5, Abs.2 bis 5 entsprechend..

§ 68 Abs.2 FGG: Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn......der Betroffene nach dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun.

§ 70e FGG: Vor einer Unterbringungsmaßnahme … hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, der den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen hat. Der Sachverständige soll in der Regel Arzt der Psychiatrie sein … Für eine … [Maßnahme nach § 1906 Abs.4 BGB] … genügt ein ärztliches Attest.

Siehe auch die Beiträge in diesem Forum unter
Fixierung im Pflegeheim ... TV-Tipp 29.09.2008
viewtopic.php?t=9920
Fixierungen ohne ausreichende Anhörungen - Rechtsbeugung
viewtopic.php?t=6594
Fixierung im Pflegeheim - Beugen Richter Recht?
viewtopic.php?t=9959
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Presse
phpBB God
Beiträge: 14249
Registriert: 10.11.2006, 12:44

Betreuungsrichter wegen Rechtsbeugung verurteilt

Beitrag von Presse » 23.07.2009, 15:42

Verurteilung eines Betreuungsrichters wegen
Rechtsbeugung rechtskräftig


Das Landgericht Stuttgart hat den Angeklagten, einen Richter am Amtsgericht Nürtingen, am 14. November 2008 wegen Rechtsbeugung in 47 Fällen und versuchter Rechtsbeugung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen des Landgerichts genehmigte der Angeklagte freiheitsentziehende Unterbringungsmaßnahmen nach § 1906 Abs. 1 und Abs. 4 BGB, ohne die Betroffenen zuvor persönlich angehört oder sich von diesen einen unmittelbaren Eindruck verschafft zu haben. Obwohl er wusste, dass dies zur Ermittlung einer vollständigen Entscheidungsgrundlage und wegen der Kontrollfunktion des Gerichts in Betreuungssachen gemäß § 70c FGG zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist, sah er bewusst hiervon ab, um sich Arbeit zu ersparen, weil er mehr Zeit für seine Familie und seine Lehraufträge an zwei Fachhochschulen haben wollte. Um seine gesetzeswidrige Arbeitsweise zu vertuschen, fertigte der Angeklagte inhaltlich falsche Anhörungsprotokolle an, um damit den Anschein zu erwecken, dass er sich vor Genehmigung der Maßnahme einen unmittelbaren Eindruck von den Betroffenen verschafft habe. Diese Vorgehensweise des Angeklagten fiel einer Mitarbeiterin seiner Geschäftsstelle auf, die zufällig bemerkte, dass der Angeklagte die Anhörung eines Betroffenen protokolliert hatte, obwohl dieser schon längst verstorben war.

Der 1. Strafsenat hat mit Beschluss vom 24. Juni 2009 die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen. Maßgeblich war hierfür insbesondere, dass der Angeklagte seine richterliche Pflicht zur Anhörung der Betroffenen nicht nur im Einzelfall, etwa aus beruflicher Überlastung, vernachlässigte, sondern systematisch auf Anhörungen verzichtete, um seine Freizeit zu optimieren, und diese schwerwiegenden Verfahrensverletzungen durch fingierte Anhörungsprotokolle planvoll vertuschte. Das Urteil ist mit der Entscheidung des Senats rechtskräftig.

Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09

Landgericht Stuttgart - 16 KLs 3 Js 109 613/06 – Entscheidung vom 14. November 2008

Quelle: Pressemitteilung vom 23. Juli 2009
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Siehe auch:
Beschluss des 1. Strafsenats vom 24.6.2009 - 1 StR 201/09 -
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... kument.pdf

Presse
phpBB God
Beiträge: 14249
Registriert: 10.11.2006, 12:44

Richter bleibt wegen Fesselung von Pflegebedürftigen in Haft

Beitrag von Presse » 29.07.2009, 06:58

Richter bleibt wegen Fesselung von Pflegebedürftigen in Haft

Ein Richter, der Menschen in einem Pflegeheim an Betten und Rollstühle fesseln ließ, bleibt in Haft.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss, dass der Nürtinger Amtsrichter zu Recht vom Landgericht Stuttgart zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt wurde. Er habe sich der versuchten und tatsächlich begangenen Rechtsbeugung in 54 Fällen schuldig gemacht, so der BGH. (AZ: 1 StR 201/09)

.... (mehr)
http://www.unserekirche.de/gesellschaft ... _3814.html

Antworten