Hallo Herr Schell,
ich bin ein große Fan ihres Forums, auch wenn ich oft lange Zeitstrecken zwischen meine Beiträge lasse, es ist eben viel zu tun …
Ein entscheidendes Problem ist, dass das Pflegessystem allein auf körperliche Defizite abstellt und darauf basierend die Personalausstattung unzureichend ist.
Es ist eben frustrierend mit einem Gutachter zu feilschen über Pflegeminuten, die der Stellenschlüssel einfach nicht hergibt, was zwangsweise bedeutet, dass man lügt. Wo aber hört die Lüge auf bevor es zum Lebenslüge wird, die man nicht mehr merkt? In eine Fortbildung zum Umgang mit dem MDK-Gutachter sagte die Dozentin, man sollte die Gutachter nicht an die Nase herumführen, sondern offen sein. Wenn das Gutachtenverfahren aber auf eine Hypothese gestellt wird, die weit von der Pflegewirklichkeit entfernt ist, und der Gutachter eine Erklärung für jede Minute verlangt, dann hat man keine Wahl als zu übertreiben bzw. lügen.
Ich bin sogar die Überzeugung, dass wenn es das Gutachtenverfahren für Heime nicht Gäbe, dass die Gesamtkosten gesenkt werden könnten und es den Bewohnern besser gehen würde. Für mich sind die Verwaltungskosten (siehe auch Pflegestützpunkte) eine gefräßige Schöpfung des Misstrauens, die dadurch zustande kommen, dass die Gesetzgeber die Hälfte immer ungesagt lassen und dringende Themen verschieben. Es sind zu viele Köche um den Topf „Altenpflege“ und alle haben ihre unterschiedlichen Vorstellungen. Es wird fieberhaft an Teillösungen gearbeitet, die aber keine Schnittstellen haben.
Hinzu kommt, dass in Deutschland das Rad neu erfunden werden muss. Andere Länder haben längst die Entwicklungen durchgemacht, die wir vor uns haben, doch es muss eine „deutsche Weg“ geben. Ich habe einige Gedanken dazu, die ich hier zusammenstellen möchte.
Es ist bedauerlicherweise so, dass es – außerhalb des § 5 Heimpersonalverordnung - eigentlich keine verbindlichen Vorschriften dazu gibt, wie die Stellenberechnung für die Heime auskömmlich zu gestalten ist. Daher haben sich verschiedene Modelle zur Stellenberechnung entwickelt.
Wenn man die Ergebnisse den verschiedenen Systemen ansieht, dann gehen sie durchschnittlich davon aus, dass die Heime nur zu 80% besetzt sind, weil „nichtproduktive“ Kräfte inbegriffen sind und die 20% Fehlzeiten nicht mitgerechnet sind. Das bedeutet, wenn für 80 Bewohner 32 Pflegestellen nach Verhandlung normal sind, 6 Stellen dazukommen müssten. 38 Stellen = 1463 Wochenstunden. Geteilt durch 7 Tage = 209 Tagesstunden. Minus 20% Fehlzeit = 167 Tagestunden. Das sind 2 Stunden pro Bewohner, pro Tag. Geben wir sie 25 Minuten für die Morgentoilette, 45 Minuten insgesamt für Zwischenpflege während des Tages (inkl. nachts), 15 Minuten abends, 10 Minuten pro Mahlzeit, dann hat man Mühe auch noch Gespräche mit Bewohner und Angehörigen, eine beratende Pflegeplanung, Arztvisiten und sonstige Dokumentation unterzubringen – aber es würde gehen. Das will heißen, mit sechs Personen mehr wären wir bedient – ohne diese sechs, ist es Akkord.
Das Problem ist, dass sechs Stellen ungefähr 24.300 € im Monat Kosten, was 300 € pro Bewohner bedeutet, bzw. 150 €, wenn die Pflegeversicherung die Hälfte tragen würden. Allerdings muss ein Bewusstsein entwickelt werden, dass die „auskömmliche Zeiten für die soziale Betreuung/ Zuwendung bei dementen Menschen und Alzheimerpatienten“, wie Sie es genannt haben, eine Notwendigkeit darstellen, nicht ein Luxus. Die behandlungspflegerischen Verrichtungen (Unterstützung bei ärztliche Diagnose und Behandlung), sowie die Dokumentationserfordernisse (obwohl ich den hohen Zeitfaktor - bis zu 40% - nicht teile) habe ich noch gar nicht extra genannt, obwohl die Mängel, die den meisten Raum in ein MDK-Abschlussbericht einnehmen, mehr mit Pflegedokumentation (zumindest bei uns) als mit das Ergebnisqualität zu tun hat. Der Grund ist, dass die Mitarbeiter ihre Zeit, die sie zwischen direkte Pflege am Bewohner und indirekte Pflege (z.B. Dokumentation) aufteilen müssen, immer wieder die Bewohner geben – was wenig genug ist. Sie bekommen es eben hin, so dass es den Bewohnern bzw. ihre Angehörigen genügt und keine Beschwerde abgibt.
Qualitätsprüfungen haben nur dann einen Sinn, wenn kontrolliert wird, was vor allem große Träger verhandelt haben, und was tatsächlich in den Heimen umgesetzt wird. Der ursächliche Zusammenhang zwischen eine fehlende Umsetzung von Auflagen und eine unzureichende personelle Besetzung muss bei Prüfungen aufgedeckt werden, und nicht durch die Kostenträger verboten sein.
Wenn man eine Veränderung in den Strukturen haben will, ist es nicht verständlich, wenn überall die Heime nach dem alten Muster gebaut werden. Ich bin für Wohngruppen – auch in bestehende stationäre Einrichtungen – aber die finanzielle Mittel für solche Projekte ist begrenzt. Wer nach dem zweiten Modell vor zwanzig Jahren gebaut hat kann nicht ohne Weiteres umbauen – was ohnehin meistens teuerer ist als neues Bauen. Die Belastung für Bewohner und Mitarbeiter steigt und das Umbauen dauert einige Jahre – und die Kosten steigen.
Wenn man den Druck auf den Markt erhöht indem man die private Träger Altenheime der „alten“ Typs bauen lässt, dann lässt man das Einzugsgebiet abgrasen, ohne eine wirklichen Verbesserung gefördert zu haben. Im Gegenteil, die Löhne werden gedrückt, weil die Kosten zu senken ist oberstes Devise, und Bewohner und Mitarbeiter tragen die Konsequenzen – was häufig viel Theater ist. Wohlfahrtsverbände fangen an, Menschen in „Billig-Jobs“ zu beschäftigen und das ganze Niveau sinkt – bei gleichzeitigen höheren Anforderungen. Die Altenpflege wird zu einem Dampfkessel – wer leidet letztlich daran?
Mit freundlichen Grüßen