Kann ein PC die Patientenverfügung ersetzen?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Kann ein PC die Patientenverfügung ersetzen?

Beitrag von Presse » 13.03.2007, 16:15

Patient im Koma: Entscheidungshilfe aus der Datenbank
Kann ein PC die Patientenverfügung ersetzen?
Ein Datenbank-gestütztes Computerprogramm könnte den mutmaßlichen Willen eines nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten mindestens so zuverlässig widergeben wie die nächsten Angehören. Das geht aus einer US-amerikanischen Studie hervor.

13.03.07 - Angenommen, ein Patient mit weit fortgeschrittener Alzheimerkrankheit erkrankt an Lungenentzündung. Leider hat er in besseren Zeiten nicht die Entscheidung getroffen, ob er sein Leben mit Hilfe von Antibiotika verlängern lassen will.

In dieser und vergleichbaren Situationen ist es üblich, die nächsten Angehörigen zu befragen, um den mußmaßlichen Willen des Patienten in Erfahrung zu bringen. Eine Datenbank, die auf die Entscheidung realer Patienten mit vergleichbarem Hintergrund (Alter, Diagnosen, Bildung et cetera) zurückgreift, könnte dies mindestens so zuverlässig tun.

Die geht aus einer Publikation von David Wendler et al. in PLoS Medicine hervor. Wendler, Bioethiker am Nationalen Gesundheitsinstitut in Behtesda (Maryland), und Kollegen werteten die Daten von 16 Studien aus, die sich mit der Zuverlässigkeit der Aussagen von Angehörigen befasst hatten.

Im Zuge dieser Studien waren freiwillige Probanden zu ihren Entscheidungen in diversen medizinischen Szenarios befragt worden. Parallel dazu waren Angehörige befragt worden, welche Antworten der Proband nach ihrer Vermutung gegeben haben könnte.

Es stellte sich heraus, dass die Angehörigen mit ihrer Einschätzung in annähernd 68 Prozent der Fälle richtig lagen. Als Wendlers Team die Auswertung auf leicht zu beurteilende medizinische Szenarios einschränkten, stieg diese Quote auf 78,4 Prozent. Das Datenbank-gestützte Verfahren brachte es auf 78,5 Prozent.

Bisher enthält die Datenbank nur sehr allgemeine Daten. Wendler geht davon aus, dass die Trefferquote einer gezielt erweiterten Datenbank den Wert von 90 Prozent erreichen könnte.

Behandeln oder nicht behandeln? Die Beantwortung dieser Frage, so Wendler, könnten Datenbank-gestützte Computerprogramme nicht nur den Ärzten erleichtern, sondern auch den Angehörigen.

me

Quelle: Zeitung "Ärztliche Praxis", 13.3.2007
http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_ ... 97.htm?n=1

ALfA-Newsletter

Entscheidungen über Leben & Tod am PC?

Beitrag von ALfA-Newsletter » 17.03.2007, 08:10

Fragwuerdiges Verfahren: Entscheidung ueber Leben und Tod mittels PC-Programm

Bethesda (ALfA). Wissenschaftlern des Department of Clinical Bioethics des National Institutes of Health in Bethesda, Maryland, USA, haben ein neues Computerprogramm entwickelt, das den mutmasslichen Willen schwer kranker Patienten ermitteln soll, die sich ueber ihre medizinische Behandlung nicht mehr aeussern koennen. Die Ergebnisse einer Studie wurden nun in dem Fachblatt Public Library of Science Medicine (Ausgabe March 2007, Volume 4, Issue 3) veroeffentlicht. Mittels dieser Software soll eine bessere Entscheidung ermoeglicht werden als bei einer Befragung von Angehoerigen. Diese koennte notwendig werden, wenn z.B. keine Patientenverfuegung vorliegt. Denn nach Ansicht der Forscher um David Wendler muessen Entscheidungen von Angehoerigen nicht unbedingt dem Willen der Patienten entsprechen. Es sei besser, sich auf die Ansicht von Personen zu stuetzen, die den gleichen Lebenshintergrund haben wie die betroffenen Patienten.

Den Berichten zufolge trifft das Computerprogramm seine Entscheidungen auf der Grundlage von verschiedenen Fallstudien, bei denen Teilnehmer Angaben zu ihrem medizinischen Willen bei fiktiven Krankheitsszenarien gemacht haben. Dabei wurden die Befragten von Wissenschaftlern nach soziooekonomischen Faktoren in Gruppen zusammengefasst, was einen exakten Vergleich mit dem Lebensstil des Patienten und seinem vermuteten medizinischen Willen garantieren solle, hiess es. Dazu gibt der behandelnde Arzt als erstes das genaue Krankheitsbild des Patienten und dessen Indikatoren fuer seinen sozialen Status ein. Danach vergleicht das Programm die Werte mit den angegebenen Daten der zugehoerigen sozialen Gruppe und berechnet auf dieser Basis die Wahrscheinlichkeit dafuer, dass der Patient eine bestimmte medizinische Behandlung gewuenscht haette.

Normalerweise werden bei schwerkranken Patienten, die sich nicht mehr selbst aeussern koennen, von den Aerzten die engsten Familienangehoerigen befragt, falls der betroffene Patient selbst keine Angaben darueber gemacht hat, welche Behandlung er sich im Falle einer schweren Erkrankung wuenscht. Wie Wendler und seine Kollegen mit einer Analyse von 16 Studien jedoch angeblich nachwiesen, haetten die Befragten nur in 68 Prozent der Faelle die richtige Entscheidung getroffen. Ein Vergleich der Ergebnisse der Software mit den Empfehlungen der engsten Angehoerigen habe aehnlich gute Entscheidungen ergeben. Problematisch dabei sei jedoch gewesen, dass der Computer mangels detaillierter Studien nur mit sehr allgemeinen Daten gefuettert werden konnte, welche die US-Bevoelkerung im Allgemeinen widerspiegeln. Dennoch habe das Programm die Praeferenzen der Patienten ebenso haeufig wie die Angehoerigen getroffen. Nach Einschaetzung der Forscher waere das Programm vermutlich sogar zuverlaessiger, wenn es auf einer groesseren Menge von Fallstudien basieren wuerde. Ob die Akzeptanz, eine Entscheidung durch den Computer mittels des so genannten ?bevoelkerungsbasierten Behandlungsindikators? treffen zu lassen, in der Bevoelkerung und bei Aerzten hoch waere, erscheint jedoch fraglich.

Auf deutsche Verhaeltnisse angewendet waere dieses Programm nach Meinung von Arnd May vom Universitaetsklinikum der RWTH Aachen einem Bericht von Pressetext.Austria vom 14. Maerz zufolge jedoch ungeeignet. Bei uns wuerden zunaechst Diagnose und Therapiemoeglichkeiten bestimmt und anschliessend der Patientenwille beruecksichtigt, waehrend dieser Prozess in Amerika genau anders herum laufe, so May.

Weitere Informationen:

How Should Treatment Decisions Be Made for Incapacitated Patients, and Why?
David I. Shalowitz, Elizabeth Garrett-Mayer, David Wendler*
Public Library of Science Medicine, March 2007, Volume 4, Issue 3 im PDF-Format
http://medicine.plosjournals.org/archiv ... 0035-S.pdf

Leben oder sterben lassen?
Matthias Graebner
Fragen Sie nicht die Verwandten, fragen Sie den Computer - empfehlen US-Mediziner
TELEPOLIS 13.03.2007
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24825/1.html

Bioethiker: Computerprogramm koennte Aerzten bei kritischen Therapieentscheidungen helfen
Bethesda - Wenn keine Patientenverfuegung vorliegt, wenden sich die Aerzte bei kritischen Therapieentscheidungen haeufig an die Angehoerigen. Nach Ansicht von US-Ethikern koennte ein Computerprogramm, dass sie in der Public Library of Science Medicine (2007; 4: e35) vorschlagen, die Absichten der nicht einwilligungsfaehigen Patienten moeglicherweise besser erkennen.
DEUTSCHES AERZTEBLATT 14.03.07
http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=27814

Computer als Vormund unmuendiger Patienten
Vorstoss amerikanischer Forscher stoesst in Deutschland auf Kritik

PRESSETEXT.AUSTRIA 14.03.07
http://www.pressetext.at/pte.mc?pte=070314026

Quelle: ALfA-Newsletter 11/07 vom 16.03.2007

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