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Stellenschlüssel der Pflegefachkräfte ....

Verfasst: 21.11.2010, 07:39
von WernerSchell
Der Erfttaler Pflegetreff am 16.11.2010 informierte über die anstehenden Reformen in den Pflegesystemen und die „KV-Initiative Pflegeheim“
Pressemitteilung vom Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk vom 19.11.2010 mit zahlreichen Fotos hier:

http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 161110.php

Textauszug
Pflegenotstand und die zur Behebung erforderlichen Personalbemessungssysteme

Der Pflegenotstand – in Heimen und Krankenhäusern – kann ernstlich von niemandem geleugnet werden. Allenfalls lässt sich über das Ausmaß streiten.
Für Krankenhäuser – mit Ausnahme der Häuser mit psychiatrischer Ausrichtung – gibt es überhaupt kein Personalbemessungssystem für die Pflege. Die frühere Pflege-Personalregelung (PPR) für die allgemeine Krankenpflege wurde Mitte der 90er Jahre außer Kraft gesetzt. Seither gibt es nur noch Stellen für Pflegekräfte nach Kassenlage. Nach der Buchveröffentlichung von Prof. Michael Simon „Personalabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser - Hintergründe – Ursachen – Auswirkungen“ (Vincentz Verlag) fehlen rund 70.000 Stellen für Pflegekräfte. Berechnungen von Prof. Dr. Michael Isfort, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (dip), Köln, ist der Fehlbestand mit 50.000 anzugeben. Dazu hat Prof. Dr. Michale Isfort beim Pflegetreff am 27.04.2010 hier eindrucksvoll vorgetragen. Seine Zahlenangaben sind durch die Forschungsaktivitäten von dip gut belegt. Dazu wurden in den letzten Jahren sog. „Pflege-Thermometer“ veröffentlicht. Nach der im Mai 2010 vorgelegten Studie des Instituts herrscht chronischer Pflegekräftemangel. Um zu einem Ausgleich dieser Mangelsituation zu kommen, schlägt Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk die Schaffung eines bundeseinheitlichen Personalbemessungssystems vor.

In der Heimpflege gibt es auf der Grundlage von § 75 Abs. 3 SGB XI sog. Stellenschlüssel für die Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs. Diese Stellenschlüssel werden aber den wirklichen Bedürfnissen nicht gerecht und sind im Übrigen regional unterschiedlich. So sind zum Beispiel die Pflegepersonalschlüssel im Saarland wie folgt festgesetzt worden (in Klammern Angaben für NRW):

Pflegestufe 0 1 : 8,00 – ab 2011 = 7,60 (8,0)
Pflegestufe 1 1 : 3,92 – ab 2011 = 3,66 (4,0)
Pflegestufe 2 1 : 2,81 – ab 2011 = 2,65 (2,5)
Pflegestufe 3 1 : 2,07 – ab 2011 = 2,05 (1,8 )

Diese Stellenschlüssel berücksichtigen in ungenügender Weise die Anforderungen, die bei sorgfältiger und standardausgerichteter Pflege zu beachten sind. Ungenügend berücksichtigt werden z.B. aktivierende Pflege, Dokumentationsarbeiten, Ausfallzeiten bei Fort- und Weiterbildung, Krankheitszeiten. Bezogen auf ein saarländisches Musterpflegeheim mit 100 Plätzen ergibt sich:

Pflegestufe 0 = 13 BewohnerInnen (1:8,00 = 1,63 P.)
Pflegestufe 1 = 38 BewohnerInnen (1:3,92 = 9,69 P.)
Pflegestufe 2 = 35 BewohnerInnen (1:2,81 = 12,46 P.)
Pflegestufe 3 = 14 BewohnerInnen (1:2,07 = 6,79 P.)

Damit stehen dem Musterpflegeheim insgesamt 30,54 Pflegekräfte in Vollzeit zur Verfügung, Unter Berücksichtigung der sog. Fachkraftquote müssen 15,27 Stellen mit Fachkräften besetzt sein. Mit einer Verbesserung der Stellenschlüssel ab 2011 erhöht sich Stellenzahl um rund 1,5 Vollzeitstellen in der Pflege.
Hinzu kommt ggf. Betreuungspersonal für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Insoweit gilt ein Betreuungsschlüssel von 1 : 25 (§ 87b SGB XI).
Nach Ermittlungen der saarländischen Pflegegesellschaft verbleibt bei Absetzung von Dokumentationsaufgaben, Besprechungen, Übergaben, Unterbrechungen, Organisatorische etc.) eine Nettopflegezeit von nicht einmal 67 %. D.h., 33% der Bruttopflegezeit geht für die bewohnerbezogene Pflege und sonstige Betreuung verloren.
Die Saarländische Pflegegesellschaft hat daher aktuell eine Verbesserung der Personalausstattung von 16% gefordert. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk schätzt den Verbesserungsbedarf sogar bundesweit mit rd. 20% ein.
Um aus der personellen Unterversorgung herauszukommen, muss sichergestellt werden, dass die nach § 75 Abs. 3 SGB XI Personalrichtwerte bzw. Anhaltszahlen den gesamten Pflege- und Betreuungsbedarf wirklichkeitsgerecht abbilden. Ggf. müssen die diesbezüglichen Anforderungen vom Bundesgesetzgeber mit der notwendigen Klarheit novelliert werden.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk fordert zur Gewährleistung einer einheitlichen Leistungsgewährung in der Heimpflege, ähnlich wie für die Krankenhauspflege, bundeweit geltende Personalbemessungssysteme. Solche Personalbemessungssysteme sollte schnellstens geschaffen werden. Denn es erscheinen als das einzig geeignete Mittel, Pflegemängel weitgehend auszuschließen.
Denn bei all den diesbezüglichen Diskussionen geht es in Wahrheit nicht vorwiegend um wirkliche Mängel in der Pflege, sondern um Mängel in einem Pflegesystem, das allein der Gesetzgeber und die ausführenden Institutionen zu verantworten haben.

Pflegenotstand beseitigen - das A & O

Verfasst: 22.11.2010, 07:51
von Cornelia Süstersell
Hallo Herr Schell,
ich danke sehr, dass Sie die Stellenproblematik so deutlich angesprochen haben. Es reicht wirklich hinten und vorne nicht. Ich bin auch der Meinung, dass eine Pflege-Personalvermehrung von rd. 20% dringend geboten ist.
Hoffentlich wird die Pressemitteilung auch von den zuständigen Politikern gelesen. Aber, so, wie ich Sie kenne, werden Sie für genügend Aufmerksamkeit sorgen. Danke.
Lb. Grüße
Cornelia Süstersell

Stellenschlüssel - Nachfrage

Verfasst: 22.11.2010, 09:11
von Lutz Barth
Und wie darf man/frau sich die Finanzierung vorstellen?

Gibt es hierzu auch entsprechende Vorschläge?

Lutz Barth

Pflegenotstand - Finanzierung

Verfasst: 22.11.2010, 12:26
von WernerSchell
Lutz Barth hat geschrieben:Und wie darf man/frau sich die Finanzierung vorstellen? Gibt es hierzu auch entsprechende Vorschläge? ...
Hallo Herr Barth,

dass Pflege deutlich teurer wird, müsste eigentlich jedem klar sein. Die heutige Pressemitteilung des Stat. Bundesamtes bekräftigt noch einmal die Zahlen anhand der demografischen Entwicklung.
Man kann aber in der Tat darüber streiten, wie die zusätzlichen Mittel aufzubringen sind: Anhebung des bisherigen Beitragssatzes (es gibt Berechnungen, die von 4 - 7 % Steigerung ausgehen), kapitalgedeckte Zussatzversicherung oder gar Umstellung auf Bürgerversicherung. Vielleicht gibt es ein Konzept, das alle Erwägungen zusammenführt?
Ich selbst bin hinsichtlich der Finanzierung offen, allerdings muss m.E. der solidarische Gedanke im Zentrum der Erwägungen stehen.
Zum Thema habe ich im Übrigen als Vertreter von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk mehrfach das BMG angeschrieben und Gesprächsbedarf signalisiert. Da die Interessenvertretung der pflegebedürftigen Menschen aber offensichtlich nicht in die "Klientelpolitik" eingebunden werden soll, gibt es keine Antworten aus dem Ministerium.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell

Pflegeversicherung wird teurer

Verfasst: 22.11.2010, 12:44
von Presse
Pflegeversicherung wird teurer
Berlin – Wie in der Kranken­versicherung müssen sich die Bürger auch bei der Pflege­versicherung auf steigende Kosten einstellen. Allerdings steht das Modell für die künftige Finanzierung noch nicht, [mehr]
http://www.aerzteblatt.de/v4/news/lette ... m&id=38133

Pflege wird teurer - finanzierungsmodalität offen

Verfasst: 12.12.2010, 10:02
von Gerhard Schenker
Wer sich mit den aktuellen Problemen der Pflege(versicherung) befasst, muss erkennen, dass die dringend notwendigen Verbesserungen mehr Geld erfordern. Darüber besteht weitgehend sogar schon Einvernehmen. Die Frage ist nur, wie die Finanzierung gestaltet werden soll, per Individualversicherung (kapitalgedeckt) oder solidarisch (durch Erhöhung des Beitragssatzes. Eine weitere Alternative wäre die Bürgerversicherung. Allerdings müsste dann möglicherweise das gesamte Sozialversicherungssystem umgekrempelt werden. Ob es dafür eine Mehrheit gibt, ist mehr als fraglich.

G.Sch.

]Personalschlüssel - kein Ausgleich durch Überstunden ...

Verfasst: 05.08.2012, 06:35
von WernerSchell
Aus Forum
viewtopic.php?t=17664

Personalschlüssel - kein Ausgleich durch Überstunden bei Mangelsituationen

Leitsätze:
1. Die Anordnung von Überstunden ist für vorübergehende Mangelsituationen gedacht und daher nicht geeignet, eine dauernde Personalunterdeckung auszugleichen. Überstunden können daher nicht bei der Berechnung der Einhaltung des Personalschlüssels herangezogen werden.
2. Die einem Heim zur Ausbildung zugewiesenen Studierenden der Dualen Hochschule bedürfen der Anleitung, so dass ihre Arbeitsleistung nur mit einer Quote von 0,2 auf die Beschäftigtenzahl anrechenbar ist.

Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Stuttgart vom 21.6.2012 - 4 K 2370/11 -

Personalschlüssel - kein Ausgleich durch Überstunden ...

Verfasst: 13.08.2012, 06:11
von Karl Büser
WernerSchell hat geschrieben: Personalschlüssel - kein Ausgleich durch Überstunden bei Mangelsituationen
Angesichts der Mitteilungen von Pflegekräften, dass die Zahl der Überstunden enorm ansteigt, ist es wohl Zeit, dass die Heimaufsichten einmal generell überprüfen, wie hinsichtlich der Stellenbesetzung und der Anordnung von Überstunden für nicht besetzte Stellen verfahren wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Überstundenregelung nicht nur als "Lückenbüßer" gerne genommen wird.

Karl Büser