Gefahr für Leib und Leben, das steht in einer anonymen Mail, mit der diese Recherche beginnt. In der Seniorenresidenz Schliersee sind Bewohner offenbar über Jahre vernachlässigt worden. Die Vorwürfe: nicht versorgte Wunden, Unterernährung, falsche Medikamente. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt wegen Körperverletzungsdelikten bei 88 Bewohnern und prüft 17 Todesfälle. Senioren könnten verhungert sein. Im vergangenen Sommer stirbt eine Frau nach dem Angriff eines dementen Mannes. Fast ein Jahr haben BR-Reporterinnen recherchiert und gehen in der Story der Frage nach, wie sich in einem einzigen Altenpflegeheim so viele Probleme und ungeklärte Fragen anhäufen können. Eine Recherche, die bald über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus führen wird. Autorinnen: Claudia Gürkov, Christiane Hawranek, Melanie Marks
Es folgen u.a. Informationen zu der Recherche rund um das "Horrorheim".
+++ Die Zeitschrift "Rechtsdepesche" hat das Thema am 08.04.2021 ebenfalls aufgegriffen und wie folgt berichtet:
Skandalfall
Ein Horrorheim mit Alpenblick Schimmel, Schmutz, Verwahrlosung, Bewohner und Bewohnerinnen am Rande des Verhungerns: In einer Seniorenresidenz am bayerischen Schliersee soll es über Jahre unfassbare Zustände gegeben haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in 88 Fällen wegen Körperverletzung und untersucht 17 Todesfälle. Endgültig ans Licht kam der Skandal durch einen Corona-Ausbruch, doch schon Jahre zuvor stand das Heim im Gerede.
BERND SCHÖNECK
Die Objektbeschreibung des Seniorenhauses, in dem sich furchtbarste Dinge ereignet haben sollen, liest sich glatt wie aus einem Reisekatalog. „Eingebettet in die grünen Hügel Oberbayerns und mit einem großen Park von Bedeutung ausgestattet, bietet das RSA von Schliersee 142 Betten, verteilt auf Einzel- und Doppelzimmer, alle mit TV und eigenem Bad ausgestattet“, heißt es im Portrait-Text des Heimträgers, der auf mehreren Pflegeplatz-Portalen zu lesen ist.
Von einem „hervorragenden Niveau des Gesundheitswesens“ in der Einrichtung ist in der Eigenbeschreibung die Rede. Das Essen: à la carte und vier Mahlzeiten, mit Kaffee und Kuchen, auf Wunsch auch vegetarisch oder Schonkost. Und auch das Drumherum könne sich sehen lassen: „Der große Park, der zum Bauwerk gehört, und der 500 Meter entfernte See bieten Gästen eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Erholung.“ Auch der bayerische Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) schien noch im Juni 2019 bei seiner routinemäßigen Prüfung regelrecht angetan. Er vergab die Gesamtnote 1,2 ans Heim; in den beiden Kategorien „Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung“ sowie „Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene“ sogar die Bestnote 1,0.
88 Verdachtsfälle auf Körperverletzung – 17 Todesfälle werden nachträglich überprüft
... (weiter lesen unter) ... > https://www.rechtsdepesche.de/ein-horro ... JH0BvirjO0
Nach Schliersee: Massive Missstände auch in Augsburger Heim Vier Monate nach Schließung der Seniorenresidenz Schliersee belegen BR-Recherchen: Auch im Augsburger Heim des Trägers gibt es massive Pflegemängel. Wieder geht es um unversorgte Wunden, falsche Medikamente, zu wenig Essen und Trinken und um Gewalt.
... (weiter lesen unter) >>> https://www.br.de/nachrichten/bayern/na ... S1yjDhdi-g
Nachfolgend werden Teile eines Interviews zum Schliersee-Skandal - geführt von Melanie Klimmer mit der Whistleblowerin Andrea Würtz - vorgestellt. Beide Beiträge sind erschienen im Pflegen Online-Magazin der Schlüterschen Fachmedien (Verlag: Schlütersche Fachmedien GmbH, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover. Tel. 0511 8550-0, info@schluetersche.de, https://www.schluetersche.de ). Die Interviewbeiträge sind mit Hilfe der nachfolgenden Links bei Pflegen-online nachlesbar:
Melanie Klimmer, MR-Journalistin aus Würzburg, hält eine weitere Verbreitung der Informationen für geboten, auch in den Pflegeschulen. Ergänzend wurde von Melanie Klimmer bemerkt:
"Ein großer Teil der dringend notwendigen Veränderung in der Pflege muss von den Pflegekräften selbst ausgehen. Sie müssen sich gegenseitig unterstützen und gegen Missstände aufstehen. Es reicht bei Weitem nicht, nur mehr Geld zu fordern, die Strukturen aber beim Alten zu lassen. Was hätte es genutzt, wenn in Schliersee das Personal teurer gewesen wäre? Was wären das für Pflegekräfte? In einem Konzern, der Gewinne maximieren will?
Notfalls müssen Mittel des gewaltfreien Widerstands ergriffen werden: mit gemeinschaftlichen Kündigungen bei solchen Konzernen. Auch das hat es schon gegeben, in einer Chirurgischen Station.
Offensichtliche Menschenrechtsverletzungen sind keine Lapalie, nichts, was man bagatellisieren darf. Wegschauen ist fast noch schlimmer als aktives Tun, denn es fördert die Resignation aller. Wir leben nicht mehr in einem Regime, wo die Konsequenzen tödlich sind. Wir haben Verantwortung!
Auch Ärztinnen und Ärzte, Notfallsanitäter:innen, Anwält:innen müssen mithelfen, wenn es um die Aufklärung von Misshandlungen und sogar Vergewaltigungen, wie in Schliersee und Bethel, geht.
Wir dürfen uns an Missstände niemals GEWÖHNEN.
Alles, was man duldet, tut man sich selbst an. Kann man noch irgendjemandem vertrauen, wenn man sich selbst und seine (ursprünglichen) Werte so verraten hat? Ich glaube nicht." - Melanie Klimmer
Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Holetschek: "Pflege-SOS Bayern" beim Landesamt für Pflege ab Montag (07.03.2022) erreichbar - Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister: Bei Missständen gibt es jetzt Unterstützung unter der kostenfreien Rufnummer 09621 966 966 0 Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek treibt seine Offensive für einen besseren Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen weiter voran. Am Montag (7. März) startet für den Fall von Missständen die neue Anlaufstelle mit dem Namen „Pflege-SOS Bayern“, die gemeinsam mit dem Bayerischen Landesamt für Pflege (LfP) aufgebaut wurde. Der Minister betonte am Sonntag: „Missstände in Pflegeheimen müssen schnell erkannt und behoben werden. Deshalb ist es wichtig, dass alle – wie Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegekräfte – mögliche Beschwerden rasch vortragen können. Wenn gewünscht, ist das auch anonym möglich.“
Holetschek fügte hinzu: „‚Pflege-SOS Bayern‘ ist ab dem 7. März unter folgender kostenfreier Nummer erreichbar: 09621 966 966 0. Pflegebedürftige, An- und Zugehörige sowie Pflegekräfte können sich aber auch schriftlich per E-Mail an pflege-sos@lfp.bayern.de wenden.“
Das „Pflege-SOS Bayern“ eröffnet Betroffenen zusätzlich zu den bereits bestehenden Wegen eine einfache und unkomplizierte Möglichkeit, ihre Anliegen zentral anzubringen. Der Minister unterstrich: „Mit dem Angebot unterstützen wir Betroffene und bieten Ihnen kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ‚Pflege-SOS Bayern‘ sind pflegefachlich qualifizierte Expertinnen und Experten. Und wo wir nicht unmittelbar weiterhelfen können, vermitteln wir weiter.“
Zusätzlich gibt es weiterhin die übergeordneten Beschwerdestellen bei den sieben bayerischen Regierungen. Auch an die vor Ort zuständige Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen (FQA) kann man sich selbstverständlich auch künftig wenden.
Der Minister erläuterte: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden die Anliegen aufnehmen und an die richtige Stelle weitergeben, beispielsweise an die zuständige Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen. Wenn gewünscht, geschieht dies selbstverständlich anonym.“
Das „Pflege-SOS Bayern“ ist Teil des Fünf-Punkte-Plans, den Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister am 20. Februar als Konsequenz aus den Vorfällen in einem Augsburger Pflegeheim vorgelegt hatte. Holetschek betonte: „Wir haben mehr als 1.600 bayerische Pflegeheime. Es ist unbestritten, dass in Bayern in der Pflege gute Arbeit geleistet wird. Umso wichtiger ist es aber, dass in einzelnen kritischen Fällen genau hingeschaut und schonungslos aufgeklärt wird.“ Ziel ist es, die Qualitätssicherung in der Pflege voranzutreiben.
Der Minister bekräftigte: „Die fünf Maßnahmen unseres Plans sind klar: das ‚Pflege-SOS Bayern‘ bei Missständen beim LfP, ein Expertengespräch, ein Gutachten als Handreichung zur Verbesserung der Strukturen, eine stärkere Einbindung der Steuerungsstelle Pflege, die beim LGL in der Task-Force Infektiologie angesiedelt ist, und schnelle Sofortmaßnahmen bei Mängeln.“ Die Steuerungsstelle Pflege der Task-Force Infektiologie wird zudem noch stärker bei den Maßnahmen zum Erhalt und Ausbau der guten Pflege in Bayern eingebunden.
Holetschek fügte hinzu: „Auch der Termin für unser Expertengespräch steht schon. Wir werden am 25. März mit den zentralen Vertreterinnen und Vertreter der Pflegebedürftigen, Prüfinstanzen, Verbände, aber auch aller Landtags-Fraktionen über die Novellierung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes diskutieren und die Ausschreibung des externen Organisationsgutachten vorbereiten.“ Ziel des Gutachtens ist es, Verbesserungspotenziale unter Beteiligung der FQA sowie der Regierungen herauszuarbeiten.
Holetschek verwies zudem erneut darauf, dass die örtlichen Behörden bereits angewiesen wurden, bei bestimmten Mängeln sofort Maßnahmen anzuordnen und nicht erneut zu beraten. Der Minister unterstrich: „Wir brauchen effiziente Kontrollen – und das bedeutet keine überbordende Bürokratie, sondern einen Fokus auf das, was zum Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner wirklich zählt. Klar ist: Wir müssen alles dafür tun, dass bei der Pflege der Mensch mit seiner Würde und seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht.“