
Der Runde Tisch Demenz Neuss befasste sich am 22.08.2023 intensiv mit dem Thema "Delir"
Der Runde Tisch Demenz Neuss hat am 22.08.2023 ein Treffen aller Beteiligten durchgeführt und sich vornehmlich mit dem Thema "Delir" befasst. Ein dazu vorbereitetes Statement ist nachfolgend angefügt. Es wurde nach einer lebhaften und sehr konstruktiven Diskussion als notwendig erachtet, dem Rhein-Kreis Neuss vorzuschlagen, das Thema "Delir" in der nächsten Sitzung der Konferenz für Alter, Gesundheit und Pflege am 24.10.2023 anzusprechen und weiterführende Erörterungen bzw. Handlungsanforderungen in einem einzurichtenden Arbeitskreis zu erörtern.
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Delir - eine Beeinträchtigung, die v.a. ältere Patienten betrifft!
Statement Werner Schell
Zum Thema Delir gab es bereits am 04.06.2014 einen Vortrag in der Gesundheitskonferenz des Rhein-Kreises Neuss durch die Ärztin Dr. med. Simone Gurlit (Münster). Ich hatte die Aufnahme dieses Themas mit Blick auf die immer älter werdenden Patienten in der Krankenhausversorgung angeregt. Mir waren zuvor bereits mehrfach Delirsituationen bei älteren Patienten (teilweise) aufgefallen. Es war damals klar, dass man sich im Rhein-Kreis Neuss um das Thema kümmern wolle. Erkennbar geschehen ist aber nichts. - Daher macht es Sinn, das Thema nochmals aufzugreifen mit dem Ziel, vor allem ältere Patienten zur Delirvermeidung besonders in den Blick zu nehmen.
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Delir (auch als Delirium bzw. Verwirrtheitssyndroum bezeichnet)
Delir bedeutet übersetzt etwa so viel wie "aus der Spur geraten". - Hauptsymptome sind eine akute Wesensän-derung im Rahmen einer schweren Akuterkrankung und geht mit einer Unordnung der Wahrnehmung und Gedanken sowie einem selbstgefährdenden Bewe-gungsdrang einher.
Im Gegensatz zu einer Demenz entwickelt sich das Delir nicht schleichend und kontinuierlich, sondern plötzlich innerhalb von Stunden oder Tagen. Das Delir ist ei-ne der häufigsten Komplikationen im Verlauf einer Demenzerkrankung.
Die Unterscheidung zwischen Delir und Demenz ist oftmals schwierig, da die Symptome sehr ähnlich sind. Das Delir kann die Symptomatik einer vorbestehenden Demenz verstärken.
Die Diagnostik erfolgt durch klinische Untersuchung von Orientiertheit, Aufmerksamkeit und Ablenkbarkeit durch verschiedene Tests.
Die Behandlung besteht aus intensiver Zuwendung und Medikamentengabe. In der Mehrzahl der Fälle bildet sich ein Delir zurück.
Dennoch: Ein (postoperatives) Delir birgt die Gefahr einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit und ein erhöhtes Sterberisiko. Daher ist es wichtig, Delir gefährdete Personen bei der Behandlungsplanung frühzeitig zu erkennen und ggf. geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen.
Daher: Delirprävention wichtig!
Weitere Informationen zum Delir - ein Überblick:
Nach einer Operation unter Narkose leiden etwa 5 bis 15% aller Patienten an einem sog. postoperativen Delir. Bei den über 60-Jährigen sind es sogar 30 bis 40%. Die schwere Funktionsstörung des Gehirns ist mit einem lang anhaltenden intensiven Albtraum vergleichbar. Gestört sind bei einem Delir zum Beispiel:
• Bewusstsein, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Denken und Gedächtnis
• Psychomotorik und Emotionalität
• Schlaf-Wach-Rhythmus
Je älter Patienten sind, desto eher wirken sich Eingriffe im Krankenhaus negativ aufs Gehirn aus - und somit auch auf das Gedächtnis. Denn durch Alterung lässt die Fähigkeit des Gehirns nach, auf Störungen zu reagieren und sie auszugleichen. Durch eine Operation oder einen Aufenthalt auf der In-tensivstation ist das Gehirn dann schnell überfordert.
Das Delir kann direkt nach dem Erwachen aus der Narkose auftreten, innerhalb der ersten Stunden nach der Operation oder erst einige Tage später. Typische Symptome sind Pha-sen von Desorientierung, Verwirrtheit, körperlicher Unruhe, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Betroffene sehen zum Beispiel Gegenstände oder Lebewesen, die nicht real sind, oder sie erkennen ihre Angehörigen nicht, sind verwirrt oder aggressiv. Doch meist sind die Anzeichen viel subtiler: Die Betroffenen wirken apathisch und depressiv. Oft fällt den Angehörigen erst zu Hause auf, dass etwas nicht stimmt.
In vielen Fällen handelt es sich beim Delir um eine vorübergehende Störung ohne Spätfolgen. Etwa 40% der Betroffenen sind jedoch auch ein Jahr nach dem Ereignis noch so stark in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkt, dass sie dauerhaft unselbständig bleiben.
Ein Delir kann die Entwicklung von Demenzerkrankungen fördern. In einigen Fällen bestanden bereits leichte Gedächtnisstörungen oder erste Anzeichen einer Demenz, die aber im Alltag nicht aufgefallen waren. Ein postoperatives Delir kann zu einem deutlichen Fortschreiten dieser Entwicklung führen.
Die genauen Ursachen für die Entstehung eines Delirs sind noch nicht geklärt. Fest steht, dass es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren handelt. Eine entscheidende Rolle wird dabei der Reaktion des Gehirns auf entzündliche Prozesse im Körper zugeschrieben. Die Kombination aus Narkosemitteln, Schmerzbotenstoffen, Entzündungsmediatoren und Stresshormonen führt zu Veränderungen der Kommunikation der Nervenzellen untereinander und zur Schädigung von Nervenzellen im zentralen Nervensystem. Dabei scheint das Gehirn von älteren Menschen anfälliger zu sein als das von jungen.
Sicher ist, dass das Gehirn nicht allein durch die Narkose belastet wird. Auch der Eingriff selbst spielt eine Rolle, denn eine Operation provoziert das Immunsystem und führt zu Entzündungsreaktionen. Auch ein Aufenthalt auf der Intensivstation oder eine schwere Erkrankung ohne OP können zum Delir führen. Oft scheinen es vor allem sedierende Medikamente zu sein, die das Gehirn belasten:
• Beruhigungsmittel, die Ängste nehmen und den Schlaf anstoßen sollen
• Medikamente, die in das Bewusstsein eingreifen und den Antrieb dämpfen
Es muss darum gehen, Risikofaktoren zeitgerecht zu erkennen! - Nur selten wird ein Delir durch einen Faktor allein verursacht. Risikofaktoren sind:
• vorbestehende kognitive Defizite
• männliches Geschlecht
• Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck
• Flüssigkeitsdefizite
• Eingriffe mit Herz-Lungen-Maschine
Ein besonders hohes Risiko für das Auftreten eines Delirs besteht nach großen Operationen mit langer Narkose, zum Beispiel am Herzen oder bei Oberschenkelhalsbrüchen. Bis zu 80% der betroffenen Patienten, die auf einer Intensivstation liegen und beatmet werden, leiden an einem Delir. Bei nicht beatmeten Patienten sind es bis zu 45%.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtete dazu bereits am 07.06.2015 wie folgt:
"Etwa ein Drittel aller Intensivpatienten entwickelt ein Delirium, das nach einer Meta-Analyse im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2015; 350: h2538) das Risiko auf längere Liegezeiten oder einen Tod im Krankenhaus erhöht. Viele überlebende Patienten leiden noch Jahre nach der Entlassung unter kognitiven Folgeschäden.
Ein Delirium mit Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit oder Änderungen der Wahrnehmung (Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Auffassung) ist eine häufige Beobachtung bei Intensivpatienten. Früher wurde es auch als Durchgangssyndrom bezeichnet in der Hoffnung, dass die meisten Patienten sich früher oder später von der Störung ihrer Hirn-funktion erholen.
In Wirklichkeit ist ein Delirium ein prognostisch ungünstiges Zeichen. Nicht selten zeigt es an, dass der Patient die Station nicht lebend verlas-sen oder mit langfristigen kognitiven Einschränkungen entlassen wird. Nach den jetzt von Robert Stevens von der Johns Hopkins University School of Medicine vorgelegten Zahlen, die auf 16.595 Patienten aus 42 Studien beruhen, kommt es bei 32 Prozent aller Intensivpatienten zu ei-nem Delirium. …."
… (weiter lesen unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/ ... erberisiko )
Um ein Delir frühzeitig zu erkennen, kann der geistige Zustand schon kurz nach dem Erwachen aus einer Narkose getestet werden. Dazu überprüft geschultes Pflegepersonal das Orientierungsvermögen mit einfachen Fragen zu Zeit, Ort und Person.
Die Behandlung eines Delirs muss als schwierig eingestuft werden. Medikamente können es noch verstärken. Helfen kann das Pflegeteam:
• Reorientierung: Immer wieder den Ort deutlich benennen. Dinge wie Brille, Hörgerät und Gebiss sofort nach der Operation zurückgeben.
• Mobilisation: Kreislauf und Muskeln nach einer Operation stärken.
• Angehörige einbeziehen: Die persönliche Ansprache hilft, die Verbindung zur Realität wiederherzustellen. Familienfotos, Kalender und eine Uhr am Bett sind oft hilfreich.
• Gehirn aktivieren: Zum Beispiel kann Gedächtnistraining bei der Erholung helfen.
Mit einfachen Maßnahmen lässt sich das Risiko für das Auftreten eines Delirs senken:
• Bei geplanten Eingriffen vorher für den bestmöglichen Gesundheitszustand sorgen: Sind bestehende Erkrankun-gen wie Diabetes oder Bluthochdruck ausreichend behan-delt? Wie gut sind Ernährungszustand und Flüssigkeits-haushalt? Gibt es chronische Entzündungsherde, zum Beispiel an den Zähnen, die vorher behoben werden können? Physiotherapie und Atemtraining vor dem Eingriff können die Gebrechlichkeit vermindern damit das Delir-Risiko senken.
• Bis zu zwei Stunden vor der OP und danach schluckweise trinken, zum Beispiel Wasser, klare Fruchtsäfte, Kaffee und Tee
• Frühzeitig nach der Operation wieder bewegen
• Schlaf-Wach-Rhythmus erhalten
• Sedierende Medikamente meiden
Vor allem bei älteren Patienten kann es hilfreich sein, ihre geistige Leistungsfähigkeit bereits vor der Operation zu überprüfen und die Wahl des Operations- und Narkosever-fahrens vom Ergebnis abhängig zu machen. So kann zum Beispiel bei einer Teilnarkose auf den Einsatz sedierender Me-dikamente verzichtet werden, indem geschultes Pflegepersonal während des Eingriffs zur Seite steht, um Angst und Stress zu nehmen.
Quelle: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/ ... ir108.html
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Einige weiterführende Informationen:
* Pressemitteilung der Universität Bonn vom 26.03.2019:
• Titel "Verwirrtheit nach einer OP im Alter vorbeugen" - > https://idw-online.de/de/news712840 .
* Einige Videos zum Thema:
• "Delir - Verwirrung nach einer Operation" (07:50 Min.) - > https://www.youtube.com/watch?v=C9aBdTeBeIk
• "Delir-Netzwerk" > Infofilm 5 Min. - > https://www.delir-netzwerk.de/
• https://www.youtube.com/watch?v=Cf16xGogdD4
• https://www.youtube.com/watch?v=BmH3lS8r-JQ
* Broschüren informieren, z.B.:
• Der alte Mensch im OP. Praktische Anregungen zur besseren Versorgung und Verhinderung eines perioperativen Altersdelirs (Broschüre 2012 - Modell St. Franzikus-Krankenhaus Münster) - > https://www.dkgev.de/fileadmin/default/ ... _im_OP.pdf
• Delir auf der Intensivstation Eine Informationsbroschüre für Angehö-rige (Broschüre 2017 - 13 Seiten) - > https://www.bg-kliniken.de/fileadmin//0 ... tation.pdf
* Zusätzlich informiert eine umfängliche Leitlinie:
• S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der In-tensivmedizin (DAS-Leitlinie 2020) > https://register.awmf.org/assets/guidel ... 021-08.pdf
* Delir: Symptome, Ursachen, Behandlung - Informationen Deutsche Hirnstiftung …
https://hirnstiftung.org/alle-erkrankun ... 20beachten
* PowerPoint - Präsentation - Helios 2019
https://www.helios-gesundheit.de/filead ... Demenz.pdf
Perioperative Altersmedizin
Wir begleiten ältere Menschen, die sich im St. Franziskus-Hospital Münster operieren lassen.
Heute ist es durch große Fortschritte in den Operations- und Narkosever-fahren sowie ggf. der anschließenden intensivmedizinischen Behandlung möglich, auch hochaltrige Patientinnen und Patienten sehr gut anästhesio-logisch zu betreuen, Schmerzen zu nehmen und die Narkose sicher zu ge-stalten.
Mit dem Alter kommt es zu Veränderungen vieler Organfunktionen im Körper. Dies führt dazu, dass bei einem operativen Eingriff neben der ge-planten Versorgung eines konkreten Befundes auch Begleiterkrankungen anderer Organe berücksichtigt werden müssen. Besonders ältere Menschen haben ein erhöhtes Risiko, während des Krankenhausaufenthaltes einen akuten Verwirrtheitszustand (ein sogenanntes „Delir“) zu entwickeln. Dies kann Komplikationen (wie z.B. einen Sturz) zur Folge haben, die sich dann u.U. nachteilig auf ihre Lebenssituation auswirken. Unser Ziel ist es, älteren Patienten ein auf sie individuell abgestimmtes Behandlungskonzept anzubieten und damit das Risiko für das Erleiden eines Delirs zu minimieren.
Speziell geschulte examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen- bzw. Altenpflegerinnen begleiten ältere Patienten vor, während und in den ersten Tagen nach der Operation.
Ergänzend zu diesem speziellen und seit über 20 Jahren am St. Franziskus- Hospital erfolgreichen Konzept, empfehlen wir Patienten, die sich ei-ner geplanten Operation unterziehen, sich bereits im Vorfeld gut auf diese vorzubereiten.
Als ein Baustein dieser Vorbereitung möchten wir die Patienten darin be-stärken, zuhause selbständig ein leichtes körperliches Training durchzu-führen. Für eine bessere Mobilität nach der Operation ist es hilfreich, die Muskulatur so zu kräftigen, dass sie den chirurgischen Eingriff gut kom-pensieren kann und dabei hilft, schneller aus dem Bett aufstehen und nach Hause entlassen werden zu können. Darüber hinaus fördert regelmäßige Bewegung die Koordination, stärkt das Immunsystem und verbessert Atmung- und Kreislauffunktionen, sodass in der Folge nicht nur der Heilungsprozess begünstigt, sondern zusätzlich auch der Entstehung eines Delirs vorgebeugt werden kann.
Quelle: https://www.sfh-muenster.de/unsere-komp ... rsmedizin/
Zusammenstellung Werner Schell