Ärztliche Aufklärung: Hat der Patient immer Anspruch auf die volle Wahrheit?
Ärztliche und pflegerische Maßnahmen sind nur dann zulässig (= rechtmäßig), wenn der Patient nach vorangegangener Aufklärung seine Einwilligung erteilt hat. Es gilt der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz: Nicht das Wohlergehen des Kranken ist oberstes Gebot, sondern der Wille des Patienten ist die entscheidende Richtlinie!
Es stellt sich nicht selten die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit einem Patienten Informationen (z.B. Krebs- oder Alzheimerdiagnose) vorenthalten werden darf und gleichwohl die darauf folgende Behandlung rechtlich korrekt ist.
Das Thema ist in einer Zuschrift kurz aufgegriffen und wie folgt beschrieben worden:
Unser Ärzteteam hat bei einem Patienten entschieden, diesem eine "vernichtende" Diagnose zunächst nicht mitzuteilen, weil dieser z.Zt. ziemlich labil ist. Ich als Pflegekraft stehe aber in ständigen Kontakt zu diesem Patienten und werde täglich von ihm nach seinem Zustand befragt. Er hat wohl eine Vorahnung und verlangt von mir eine ehrliche Antwort. Ich muss also weiterhin lügen, was mir sehr schwer fällt. Allerdings denke ich auch, dass die Wahrheit im Moment nur sehr schwer erträglich wäre. Was soll ich tun, wie verhalte ich mich richtig? Ich meine damit nicht nur vor dem Gesetz oder den Vorschriften, sondern auch vor ethischen Wertvorstellungen?
Zu der rechtlichen Seite ergibt sich folgende Einschätzung:
Eine Aufklärung kann bei einer lebensgefährlichen Erkrankung unterbleiben, wenn durch die Aufklärung ein schwerer seelischer Schock des Kranken bewirkt und dadurch der Lebenswille nachhaltig schwerstens beeinträchtigt würde. Bloße Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit reichen aber für die Unterlassung einer Aufklärung nicht aus. Zu bedenken ist, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in der Regel eine Aufklärung erfordert. Es kann somit ausnahmsweise therapeutische Gründe geben, von einer vollständigen Aufklärung abzusehen.
Die Aufklärung des Patienten ist immer alleinige Angelegenheit des Arztes; sie darf nicht auf das Pflegepersonal delegiert werden. Es kann daher auch nicht die Aufgabe des Pflegepersonals sein, die zur Aufklärung gehörenden Fragen des Patienten nach eigenen Einschätzungen zu beantworten. Äußert der Patient Fragen zur Aufklärung, sollte immer der Arzt hinzugezogen werden.
Werden einem Patienten aus therapeutischem Grund Informationen vorenthalten, sollte dem Patienten vom Pflegepersonal verdeutlicht werden, dass allein der Arzt zur Aufklärung berechtigt ist und diesbezüglich sicherlich auch seine Pflichten voll wahrgenommen hat. Der Patient sollte ermuntert werden, weitergehende Fragen an den Arzt zu richten. Vielleicht sollte das Thema weiter im Team diskutiert werden mit dem Ziel herauszufinden, ob dem Patienten denn wirklich die Wahrheit vorenthalten werden darf und ob nicht die wahrheitsgemäße Aufklärung trotz aller entgegenstehenden Erwägungen im Patienteninteresse liegt (siehe hierzu auch Schell, W. „Staatsbürger und Gesetzeskunde für die Pflegeberufe in Frage und Antwort“. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 12. Auflage 2005).
Siehe auch in diesem Forum unter
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Ärztliche Aufklärung: Anspruch auf Wahrheit?!
Moderator: WernerSchell
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