Gefährdungsanzeige: Helios scheitert mit Ausschlussverfahren

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Gefährdungsanzeige: Helios scheitert mit Ausschlussverfahren

Beitrag von WernerSchell » 19.08.2016, 07:05

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Helios-Klinikum Salzgitter
Helios-Konzern scheitert mit Ausschlussverfahren gegen Betriebsratsmitglied Jana

34 Patienten - versorgt nur von einer Krankenschwester und einer Auszubildenden? Das Helios Klinikum Salzgitter findet das ganz normal und wollte das Betriebsratsmitglied Jana aus dem Betriebsrat ausschließen lassen, nachdem Jana im April 2015 der betroffenen Krankenschwester bei der Abfassung einer sog. Gefährdungsanzeige behilflich war.
Das Arbeitsgericht Braunschweig hat in seiner heutigen Verhandlung diesen Antrag abgewiesen. Jana habe keinen Pflichtverstoß begangen, sondern ihre Aufgaben als Betriebsrat ordnungsgemäß wahrgenommen.


Die Gewerkschaft ver.di sieht darin eine wegweisende Entscheidung mit bundesweiter Bedeutung. „Helios ist mit dem Versuch gescheitert, persönlichen Druck auf einzelne Betriebsratsmitglieder auszuüben, die die Personaldecke kritisieren und sich somit kritisch zu dem Geschäftsmodell des Konzerns stellen. Das ist ein wichtiges Signal für alle Beschäftigten, aber auch für die Patienten. Die Betriebsräte können nun wieder ohne Angst ihren Aufgaben nachkommen“, so Jens Havemann, verdi-Krankenhausexperte in Braunschweig.

Vielfältige Auseinandersetzungen der Betriebsräte mit Helios zum Thema Personalausstattung.

Der Gerichtsprozess steht im Kontext mit vielfältigen Auseinandersetzungen der Betriebsräte in den Helios-Kliniken. Thema dabei immer wieder die unzureichende Personalausstattung!

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Offensichtlich wird die zu dünne Personaldecke – wie auch im Fall Jana - stets bei Krankheitsausfällen. Die Personalausstattung ist so eng, dass Krankheitsausfälle zu großen Schwierigkeiten führen. Entweder müssen Beschäftigte kurzfristig aus ihrem Frei geholt werden oder die vorhandenen Beschäftigten, die ohnehin schon an der Grenze des Leistbaren sind, werden vor die vielfach unlösbare Aufgabe gestellt, die wichtigsten Arbeiten der erkrankten Kollegen irgendwie abzudecken. Auszubildende werden häufig
zwischen den Stationen hin und her geschoben, um die größten Lücken zumindest notdürftig zu stopfen. Ob sie dafür qualifiziert sind, ist nicht entscheidend.

Betriebsräte in den Helios-Kliniken fordern deshalb zusätzliches Personal. Helios kann sich nicht der Verantwortung entziehen, Vorkehrungen für Krankheitsfälle zu treffen. Die Betriebsräte haben deshalb Gerichtsverfahren eingeleitet, um Helios über die Zahlung von Strafgeldern zu Verbesserungen zu bewegen.


Amtsgericht Braunschweig lehnt die von Helios beantragte Abberufung des Gewerkschaftsvertreters aus dem Aufsichtsrat Klinikum Salzgitter ab.

Auch in einem zweiten Ausschlussverfahren ist Helios gescheitert. Das Amtsgericht Braunschweig lehnte es mit Beschluss vom 1. August 2016 ab, den Gewerkschaftsvertreter Jens Havemann aus dem Aufsichtsrat des Klinikums Salzgitter auszuschließen. Helios hatte diesen Ausschluss mit der Informationspolitik von Havemann über den Fall Jana begründet.

Ausschlussverfahren gegen Jana – der Sachverhalt.

Jana war der betroffenen Kollegin bei der Abfassung einer Gefährdungsanzeige behilflich. Inhalt dieser Anzeige: Aufgrund eines Krankheitsausfalls war die vorgesehene Besetzung unterschritten worden. Statt wie üblich mit zwei examinierten Pflegekräften (und das ist schon eng bemessen) war die betreffende Krankenschwester mit einer Auszubildenden aus dem ersten Ausbildungsjahr allein für 34 Patienten in der Spätschicht zuständig.
In der Zwischenzeit kamen der betroffenen Kollegin nach einem Gespräch mit der stellvertretenden Pflegedienstleitung Bedenken, ob sie die Gefährdungsanzeige aufrechterhalten wollte. Der Betriebsrat verfolgte die Gefährdung weiter, weil aus seiner Sicht ein wichtiger Anlass zugrunde lag und übergab das Schreiben wegen des Verdachts auf mangelnde Ruhepausengewährung zur Überprüfung an das Gewerbeaufsichtsamt.
Daraufhin setze Helios das Verfahren in Gang, um Jana aus dem Betriebsrat auszuschließen. Jana sei widerrechtlich tätig geworden und habe das Schreiben der Kollegin ohne Auftrag weitergegeben!

Entgegen der Aussage der Klinik hat es keinen Rückruf der Gefährdungsanzeige durch die betroffene Kollegin gegeben. Ebenso wenig stimmt die Behauptung der Klinik, die Anzeige sei „inhaltlich falsch“ gewesen. 34 Patienten mit einer Pflegekraft und einer Auszubildenden, dieser Fakt bleibt. Die Aussage der Klinik, es sei ja Hilfe angeboten worden, macht die Anzeige mitnichten falsch, sondern zeigt vielmehr, wie fahrlässig das Klinikum mit Krankheitsausfällen umgeht. Die Klinik zieht sich aus der Verantwortung zurück und überlässt es sogar im Extremfall der Selbstorganisation der Beschäftigten.

Quelle: Pressemitteilung vom , den 09.08.2016
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Region Süd-Ost-Niedersachsen
Wilhelmstraße 5
38100 Braunschweig
Telefon: 05 31 / 2 44 08-0
Telefax: 05 31 / 2 44 08-22
v.i.S.d.P.
Jens Havemann
Mobil: 0170-3385009


Der vorstehende Text wurde übermittelt von
ver.di
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Anmerkungen von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk:

Die Helios-Kliniken wurden um eine Äußerung gebeten und haben daraufhin am 10.08.2016 folgende Stellungnahme übermittelt:
„Wir haben vor über einem Jahr ein Verhalten eines Betriebsratsmitglieds festgestellt, dass unserer Ansicht nach den Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigt. Der Gesetzgeber hat für diese Situation einen Weg vorgegeben – nämlich ein gerichtliches Amtsenthebungsverfahren. Diesen Weg haben wir gewählt und das Arbeitsgericht hat heute erstinstanzlich entschieden. Jana K. wird als Betriebsratsmitglied ihres Amtes nicht enthoben. Nun werden wir in aller Ruhe diese Entscheidung sorgfältig prüfen, intern bewerten und dann entscheiden, wie wir im Sinne unseres Klinikums weiter vorgehen werden. Öffentlich werden wir dazu im Sinne des Betriebsfriedens und zum Schutz unserer Mitarbeiter und Patienten keine Stellung nehmen.“

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Pro Pflege befasst sich seit vielen Jahren mit der Personalausstattung vin Krankenhäusern und Heimen und hat dazu in vielfältiger Weise Position bezogen. U.a. wurden anlässlich mehrerer Neusser Pflegetreffs 2014, 2015 und 2016 über die unzureichenden Pflege-Rahmenbedingungen diskutiert. U.a. wurde gegenüber den Podiumsgästen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Pflegebeauftragten Karl-Josef Laumann und NRW-Pflegeministerin Barbara Steffens bundeseinheitliche Personalbemessungssysteme für die Pflege gefordert.
Für die Pflegeeinrichtungen soll es nun auf der Basis von § 113c SGB XI Verbesserungen geben. Zwischenzeitlich sollen die Länder nachbessern. Siehe insoweit > viewtopic.php?f=4&t=21511 Bezüglich der Krankenhauspflege soll erst einmal eine Expertenkommission tätig werden: > viewtopic.php?f=3&t=21289 Der Pflegenotstand muss aber JETZT aufgelöst werden!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk ist der Meinung, dass die Träger ungeachtet der fehlenden auskömmlichen Stellenschlüssel im Patienteninteresse verpflichtet sind, für eine angemessene Personalausstattung zu sorgen. Dabei müssen ausreichende Zuwendungsmöglichkeiten gewährleistet und vor allem Patientengefährdungen ausgeschlossen werden.
Soweit Pflegekräfte den Eindruck gewinnen, dass sie den ihnen obliegenden pflegerischen Anforderungen (vgl. z.B. § 11 SGB XI) nicht gerecht werden können, sind sie nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Besorgnisse mitzuteilen und auf entsprechende personelle bzw. organisatorische Folgerungen aufmerksam zu machen. Eine solche Vorgehensweise kann nicht beanstandet werden, vielmehr verdient sie eher ausdrücklich Anerkennung.
Angesichts der Tatsache, dass es im Zusammenhang mit Entlastungs- oder Gefährdungsanzeigen immer mal wieder zu kritischen Anmerkungen oder Vorhaltungen der Arbeitgeberseite gekommen ist, wurde die Buchveröffentlichung "100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen" (Kunz Verlag, Schlütersche, 2011) vorgelegt. Darin sind entsprechende Verhaltensregeln aufgezeigt. - Siehe dazu die Textbeiträge unter:
http://www.wernerschell.de/Buchtipps/10 ... tungen.php
viewtopic.php?f=5&t=21519

Werner Schell
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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