Kanzlei für Medizinrecht
München
Urteil des Landgerichts München I bestätigt erstmals:
Lebensverlängerung war Behandlungsfehler

Das Landgericht München I, AZ 9 O 5246/14 hat die lebensverlängernde Behandlung eines an schwerster Demenz erkrankten Patienten durch eine künstliche Ernährung über eine Magensonde im Urteil vom 18.01.2017 als ärztlichen Behandlungsfehler bewertet. Da die Sondenernährung lediglich Leiden verlängerte, ohne durch ein Therapieziel gerechtfertigt zu sein, habe für die Behandlung des Patienten keine objektive ärztliche Indikation mehr vorgelegen. In einem solchen Fall müsse der Arzt nach dem Gesetz an die Angehörigen herantreten und klären, ob die Leidensverlängerung jedoch im Gegensatz zur objektiv fehlenden Indikation vom Patienten subjektiv gewollt sei. Dazu müsse nach dem Gesetz der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden.
Im vorliegenden Fall hatte der Hausarzt die künstliche Ernährung jahrelang fortgesetzt, ohne die gebotene Erörterung mit dem Betreuer und sodann mit der Familie herbeizuführen. Dies stelle einen Behandlungsfehler dar.
Im konkreten Fall sei es aber dem klagenden Sohn seines längst verstorbenen Vaters nicht gelungen, zu beweisen, dass ein rechtstreues Verhalten des beklagten Hausarztes dazu geführt hätte, dass der Sohn sich der medizinischen Betrachtungsweise, wie sie sich in der objektiven Indikation widerspiegelt, im Sinne seines Vaters angeschlossen hätte, so dass es tatsächlich auch zu einer Erlösung seines Vaters von seinem qualvollen Leiden gekommen wäre.
Rechtsanwalt Wolfgang Putz kann die letztere Argumentation im vorliegenden Fall nicht nachvollziehen und so wird die Kanzlei natürlich das Verfahren in der Berufung weiterverfolgen. Der Sohn wurde vom Gericht nicht einmal angehört. Zu Lebzeiten des Vaters hatte er sogar eine (andere) Münchner Anwaltskanzlei beauftragt, die Krankenunterlagen zu besorgen, um beweisen zu können, dass die Lebensverlängerung seines Vaters nur noch schwerstes Leiden verlängerte. So wollte er die Qualen seines Vaters beenden. Doch die Vorgehensweise dieser Kanzlei war nicht zielführend.
Die Kanzlei Putz - Sessel - Steldinger sieht dennoch in der Entscheidung einen neuen Meilenstein im Medizinrecht. Denn erstmals in der Medizinrechtsgeschichte Deutschlands hat ein Gericht entschieden, dass die künstliche Lebensverlängerung durch eine Magensonde bei schwerst chronisch Kranken ohne Therapieziel, also alleine lebens- und leidensverlängernd, nicht medizinisch indiziert ist. Das gilt auch für die Fortsetzung einer solchen Magensondenbehandlung durch einen Arzt, der selbst bei Anlage der Sonde gar nicht verantwortlicher Behandler war. Die fortgesetzte Behandlung müsse laufend indiziert werden.
In Zukunft sind Ärzte demnach einem gravierenden Haftungsrisiko ausgesetzt, wenn Sie bei solchen Fallkonstellationen nicht an die Familie des Patienten (Betreuer oder Bevollmächtigte) herantreten, ihnen die fehlende Indikation eröffnen und die Frage stellen, ob der Patient eine ärztlich nicht indizierte Behandlung wünsche, die kein Therapieziel mehr erreichen könne und nur noch Leiden künstlich verlängere.
Über die Berufung wird der Fall wohl auch an den Bundesgerichtshof geführt werden, so dass es zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommt.
Quelle: Pressemitteilung vom 18.01.2017
---------------------------------------------------
PUTZ - SESSEL - STELDINGER
Kanzlei für Medizinrecht
Quagliostr.7
81543 München
Tel: 089/ 65 20 07
Fax: 089/ 65 99 89
http://www.putz-medizinrecht.de/
+++
Siehe auch unter:
> http://www.gesetze-bayern.de/Content/Do ... eSupport=1
> http://www.christmann-law.de/neuigkeite ... -2017.html
> https://community.beck.de/2017/02/03/ke ... lebensende
> http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/l ... nskranker/
> http://www.spiegel.de/panorama/justiz/m ... 30587.html
> http://www.zeit.de/2017/06/palliativmed ... ettansicht
> http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ger ... -1.3270571
> http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/l ... -ernaehrt/
Verfahren ist anhängig beim OLG München - 1 U 454/17 -
+++
Siehe auch den Buchtipp:
Wolfgang Putz, Beate Steldinger
Patientenrechte am Ende des Lebens
Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Selbstbestimmtes Sterben

Quelle: viewtopic.php?f=2&t=21798
+++
Das Thema wird auch beim nächsten Vortrag in der Volkshochschule Neuss anzusprechen sein.
Siehe dazu folgenden Infotext:
Patienterechte - Was man wissen sollte … Vortragstermin: 23.01.2017, 17.30 – 19.00 Uhr, Volkshochschule Neuss, Romaneum,Brückstr. 1, Der Eintritt ist frei!
Jeden Tag lassen sich Millionen von Menschen krankheitsbedingt behandeln. Doch die Mehrzahl der Patienten kennt ihre Rechte im Behandlungsgeschehen gar nicht oder nur zum Teil. Wie und worüber muss der Therapeut aufklären? Wer entscheidet über die Therapie? Und was gehört in die Patientenakte? Inwieweit bestehen Einsichtsrechte in die Behandlungs- und Pflegedokumentation? Für beide Seiten – Therapeuten und Patienten – sind mit der medizinischen Behandlung klare Rechte und Pflichten verbunden. Dabei müssen Patienten als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden! - Werner Schell, Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk, informiert zu diesen Themen in einem Vortrag mit Diskussion. Die Patientenrechte werden einfach und verständlich erläutert. Dies gewährleistet, selbstbestimmt mit den Rechten und Pflichten im komplizierten Sozialleistungssystem – Krankenversicherung, Pflegeversicherung – besser zurecht zu kommen.
Näheres >>>viewtopic.php?f=7&t=21734