Eigendiagnose eines sachkundigen Patienten - kein Freibrief

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Eigendiagnose eines sachkundigen Patienten - kein Freibrief

Beitrag von Presse » 18.04.2012, 10:18

Eigendiagnose eines sachkundigen Patienten - kein Freibrief für Arzt
Selbstbewusster Patient darf nicht nachlässiger behandelt werden


Auch wenn ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient eine laienhafte Eigendiagnose stellt, muss ein Arzt diese kritisch betrachten und den Patienten sorgfältig und medizinisch umfassend befragen. Wird aufgrund einer unzureichenden Anamnese die sonst zweifelsfrei erforderliche Hinzuziehung eines anderen Facharztes unterlassen, haftet der erstbehandelnde Arzt den Hinterbliebenen auf Schadensersatz. Dies hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz entschieden (Beschluss vom 30. Januar 2012, Aktenzeichen: 5 U 857/11) und damit – wie zuvor das Landgericht Mainz – der Klage der Ehefrau und der beiden Kinder des Patienten auf Schadensersatz dem Grunde nach stattgegeben.
An einem Nachmittag im Mai 2007 in Mainz wurde der 36-jährige Vater und Ehemann der Kläger, selbst Rettungssanitäter von Beruf, von zwei Kollegen gegen 16:00 Uhr mit dem Krankenwagen zum beklagten Arzt, einem Orthopäden, gebracht. Dort berichtete der Patient von außergewöhnlich starken Schmerzen in der linken Körperseite und äußerte den Verdacht, Ursache der Schmerzen sei eine Einklemmung eines Nervs im Bereich der Halswirbelsäule. Der sehr selbstbewusst und sachkundig auftretende Patient erwähnte zudem, das Ganze sei bereits internistisch abgeklärt worden. Damit meinte er allerdings eine im Vorjahr erfolgte internistische Befunderhebung, während der Beklagte davon ausging, die internistische Untersuchung sei am selben Tage erfolgt.

Der Beklagte diagnostizierte eine Querwirbelblockade und eine Muskelverspannung und entließ den Patienten gegen 16.40 Uhr nach Hause. Gegen 18.00 Uhr fand ihn seine Ehefrau im Bad bewusstlos auf dem Boden liegend. Der herbeigerufene Notarzt stellte nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen gegen 19.00 Uhr den Tod fest. Todesursächlich war ein akuter vollständiger Verschluss der rechten Herzkranzarterie.

Das Landgericht Mainz stellte eine Haftung des beklagten Orthopäden für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden der Hinterbliebenen fest. Die unterbliebene internistische Abklärung trotz vorhandener Leitsymptome eines Herzinfarktes sei ein grober Behandlungsfehler. Mit seiner Berufung erstrebte der verurteilte Arzt die Abweisung der Klage. Aufgrund der irreführenden Angaben des Patienten sei er lediglich verpflichtet gewesen, eine Untersuchung auf seinem orthopädischen Fachgebiet vorzunehmen.

Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Ein Arzt sei unabhängig von seinem Fachgebiet gegenüber dem Patienten verpflichtet, alles zur Erforschung und Behebung einer Erkrankung Erforderliche zu unternehmen. Jeder Arzt müsse laienhafte „Diagnosen“ mit kritischer Distanz aufnehmen, um dann eigenverantwortlich sämtliche objektive Befunde zu erheben. Demnach sei der Beklagte verpflichtet gewesen, das erstmalige Auftreten und die Entwicklung der geschilderten Schmerzen genauer zu erfragen. Wäre er dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sich zweifelsfrei ergeben, dass die Schmerzen erst vor einer Stunde aufgetreten waren und eine vorherige internistische Abklärung am selben Tage nicht erfolgt sein konnte. Es wäre klar gewesen, dass die Symptome ergänzend durch einen Internisten hätten abgeklärt werden müssen. Diese Untersuchung hätte einen infarktbedingten Untergang der Herzbeutelmuskulatur zu Tage gefördert und die daran anknüpfende unverzügliche kardiologische und internistische Krisenintervention hätte das Leben des Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit gerettet.

Wegen der Besonderheiten des Falles sah der 5. Zivilsenat hierin zwar keinen groben Behandlungsfehler, dem Beklagten sei doch ein ebenfalls zur Beweislastumkehr führender Befunderhebungsmangel anzulasten. In der Folge seien das Zahlungsverlangen der Klägerinnen sowie der Anspruch auf Ersatz des künftigen Unterhaltsschadens dem Grunde nach gerechtfertigt. Über die Höhe ist im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem Landgericht Mainz zu befinden.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt hat.

Im parallel geführten Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung ist gegen den Beklagten wegen versäumter Abklärung des internistischen Befundes durch rechtskräftigen Strafbefehl auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen erkannt worden.

Quelle: Pressemitteilung vom 13.04.2012
Herausgeber: Oberlandesgericht Koblenz
http://www.mjv.rlp.de

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Ärzte müssen Eigendiagnosen kritisch prüfen

Beitrag von Presse » 22.06.2012, 06:36

Ärzte müssen Eigendiagnosen kritisch prüfen
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Wenn Patienten gegenüber Ärzten sachkundig erscheinende Eigendiagnosen äußern, müssen Ärzte trotzdem eigenverantwortlich alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Erkrankung zu untersuchen und zu behandeln. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit Beschluss vom 30.01.2012 (Az. 5 U 857/11) festgehalten.

Ein Patient, selbst von Beruf Rettungssanitäter, hatte gegenüber einem Orthopäden über starke Schmerzen in der linken Körperseite geklagt und den Verdacht geäußert, Grund hierfür sei ein eingeklemmter Nerv im Bereich der Halswirbelsäule. Beim Internisten wäre er bereits gewesen. Der Arzt, der davon ausging, die Untersuchung – die in Wirklichkeit Monate zurücklag – habe am selben Tag stattgefunden, entließ den Patienten nach Hause. Hier verstarb er an einem Herzinfarkt. Das OLG befand, dass der Orthopäde, unabhängig von seinem eigenen medizinischen Fachgebiet, die Äußerung des Patienten hätte kritischer hinterfragen und ihn unmittelbar zu einem Internisten überweisen müssen. Das selbstbewusste und sachkundige Auftreten des Patienten spiele dabei keine Rolle. Der Mediziner muss Schadenersatz an die Familie des Verstorbenen zahlen.

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Quelle: Pressemitteilung vom 21. Juni 2012
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