Neue berufsrechtliche Regeln für ärztliche Suizidbeihilfe!

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
Lutz Barth
phpBB God
Beiträge: 1148
Registriert: 26.12.2007, 10:05
Kontaktdaten:

Neue berufsrechtliche Regeln für ärztliche Suizidbeihilfe!

Beitrag von Lutz Barth » 31.12.2010, 07:28

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Nach dem die BÄK zur Einsicht gelangt ist, dass das ärztliche Berufsrecht dringend einer Novellierung zu unterziehen ist, sollte es nun auch den Palliativmedizinern daran gelegen sein, ihren ethischen Sonderweg, den diese u.a. mit der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen eingeschlagen haben, zu überdenken: Die ärztliche Suizidhilfe (und nach diesseitiger Auffassung in Einzelfällen auch die aktive Sterbehilfe) ist ein humanitärer Akt, der moralisch und ethisch zu akzeptieren ist. Ansonsten läuft die ethische Werthaltung führender Palliativmediziner Gefahr, das unsägliche Leiden mancher schwerkranker und sterbender Patienten zu negieren und so einer Machbarkeitsideologie zu erliegen, nach der gleichsam unerträgliches Leid aus der Innenperspektive des Patienten um der Palliativmedizin willen zu tragen sei, in dem diese ganz auf die weitere palliativmedizinische Forschung zu setzen haben.

Es bedarf nicht der moralischen und ethischen Ächtung des frei verantwortlichen Suizids eines schwersterkrankten und sterbenden Menschen, um daran zu erinnern, dass die Palliativmedizin dringend auszubauen sei und dass hierdurch ein Beitrag zum „Sterben in Würde“ geleistet werde. In dem die Initiatoren der Charta und ihnen erkennbar folgend Institutionen und Einzelpersonen die Suizidbeihilfe nicht zu akzeptieren bereit sind, leisten diese der Palliativmedizin, aber auch der Hospizidee einen Bärendienst, der ihnen mehr schadet denn nützt.

Es ist keine Frage: Auch die Palliativmediziner werden die neue berufsrechtliche Regelung zu beherzigen haben und vielleicht liegt hierin die Chance, dass das „restliche Drittel“ der Ärzteschaft sich mit der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen nachhaltig identifizieren kann, wenn und soweit diese Ärztinnen und Ärzte frei von einem ethischen Diktat ihre ureigene Gewissensentscheidung treffen können, ohne auf einen nicht haltbaren berufsethischen Konsens verpflichtet zu werden. Dies würde freilich voraussetzen, dass die Charta-Initiatoren sich in Teilen von ihren bisherigen Botschaften verabschieden würden.

Ob dann in der Folge die ärztliche Suizidassistenz als eine „ärztliche Aufgabe“ begriffen werden kann oder nicht, mag im interprofessionellen Raum entschieden werden. Aus diesseitiger Warte ist dies sehr wohl der Fall, wenngleich es hierauf nicht (mehr) ankommt. Entscheidend war und ist, dass die Freiheit zur individuellen Gewissensentscheidung mehr wiegt als ein fragwürdiger berufsethischer Konsens, der im Zweifel große Teile der verfassten Ärzteschaft in ernsthafte Gewissensnöte gestürzt hat.

Indes besteht gleichwohl nach der Ankündigung der BÄK, die berufrechtlichen Regelungen ändern zu wollen, kein Grund zur allgemeinen Euphorie. Freilich ist es zu begrüßen, dass allen voran bei der BÄK ein Erkenntnisfortschritt zu verzeichnen ist, der allerdings mehr als überfällig war: es ging im Kern nicht um ein „Mehr“ bei der Einräumung ethischer Grundfreiheiten für die verfasste Ärzteschaft, sondern „lediglich“ um die Bereinigung eines verfassungswidrigen Berufsrechts, welches über Gebühr in die Grundrechte der Ärzteschaft eingegriffen hat.

In der Folge bleibt nun allerdings zu hoffen, das zugleich auch die „Oberethiker“ in unserem Lande sich in dezenter Zurückhaltung bei der Verkündung ihrer nicht selten transzendenten Botschaften üben, so dass es nicht darum gehen kann, neue moralische Grundpflichten nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern zugleich auch für die Ärzteschaft zu generieren.

Es mag provokant erscheinen: Aber die „Flucht“ so mancher Oberethiker in die „Charta“ mit einer entsprechenden Selbstverpflichtung dürfte als gescheitert angesehen werden, zumal wenn es der Intention der Initiatoren entsprechen sollte, moralischen Druck auf die Adressaten aufbauen zu wollen, dem diese sich nicht ohne weiteres entziehen können. Der Versuch, über den ohne Frage schillernden Begriff einer „Charta“ einen ethischen Grundkonsens „zwangsweise“ zu verordnen, konnte nicht von Erfolg gekrönt sein, bricht doch auch die „Charta“ nicht geltendes Verfassungsrecht. In diesem Sinne ist die Charta ein „Glaubensbekenntnis besonderer Art“, in dem kein Platz für Toleranz und für eine plurale Wertekultur ist. Wir können den Kernbotschaften der Charta „Glauben schenken oder nicht“ – entscheidend ist, dass die „Charta“ mit ihrer ablehnenden Haltung zur Suizidassistenz zugleich eine moralische (Wert)Haltung impliziert, nach der der suizidwillige Patient als ein „egozentrischer Individualist“ stigmatisiert werden kann und es moralisch verwerflich sei, überhaupt an eine Selbstentleibung zu denken, geschweige denn um eine entsprechende Assistenz hierzu nachzusuchen.

In diesem Sinne ist die Charta ein zeitgenössisches Dokument, dass nicht frei von Ideologien einer bestimmten Sterbe- und Wertekultur ist, in dessen Dienst sich gleichsam der Adressat, aber – und das ist ganz entscheidend – auch der schwersterkrankte und sterbende Patient stellen kann, aber eben nicht muss!

Nun bliebe noch zu klären, ob mit den in Aussicht gestellten neuen berufsrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Suizidbeihilfe der hier vor nahezu zwei Jahren eröffnete BLOG seine Beendigung gefunden hat.

Dies ist nicht der Fall, zumal es in der Folge darum geht, nicht „nur“ für die ärztliche Suizidassistenz „zu werben“, sondern zugleich für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einzutreten, mal ganz davon abgesehen, dass die Debatte über die ärztliche Suizidassistenz wohl noch nicht beendet ist und es zu vermuten ansteht, dass einige Oberethiker in ihrem Bemühen nicht nachlassen werden, die ärztliche Suizidassistenz zu geißeln.

Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Antworten