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von Lutz Barth » 31.10.2011, 12:16
Vorausgesetzt, wir haben tatsächlich keinen Analysebedarf mehr für den eingetretenen Pflegenotstand, dann drängt sich doch die Frage auf, was ganz konkret zu tun ist?
Sofern hierüber Einvernehmen hergestellt ist, können die ganz konkreten Forderungen durch entsprechenden Aktionen begleitet werden!
Dass den Pflegekräften letztlich nur die Möglichkeit verbleibt, nach bestem Wissen und Gewissen aus der "Not eine Tugend" zu machen, können wir seit Jahrzehnten vernehmen.
Zu fragen aber ist, wann die Grenze der "Toleranz zum Leiden" der Pflegekräfte erreicht ist und was die große Gruppe der 1,2 Millionen Beschäftigten imstande ist, zu "bewegen" (sehen wir mal von dem Pflegebett auf der Zugspitze ab)?
Warum gelingt es den Professionellen nicht, sich entsprechend "sozial mächtig" zu organisieren, wenn es doch mittlerweile "unerträglich" ist, unter diesen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu arbeiten?
Mit Verlaub: Allein mir fehlt der "Glaube", dass es gelingen wird, die Professionellen aus dem "irdischen Jammertal" herauszuführen und entsprechend zu mobilisieren, weil es vielleicht "nur" eine verschwindet geringe Zahl von Pflegekräften gibt, die sich kollektiv gegen den "Pflegenotstand" stemmt.
Das Engagement von PRO-Pflege und anderen Mitstreitern an den vesrchiedensten Fronten, zu denen sicherlich auch C. Fussek oder M. Breitscheidel zählen, ist ohne Frage ehrenwert, aber es bleibt bei der bitteren Erkenntnis, dass es ohne eine "breite Bewegung" nicht geht.
Allein mit "Willens- und Unmutsbekundungen" ist es nicht getan; Veränderungen lassen sich so nicht bewerkstelligen, wie die Geschichte zuhauf lehrt.
Es muss ein entsprechender "Druck" aufgebaut werden und hier könnte in den Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften ein geeignetes Instrument erblickt werden, insbesondere unter der Maßgabe, dass ggf. organisationsrechtliche Verstöße strafrechtlich geahnet werden. Hier geraten dann weniger die Mitarbeiter als vielmehr die Träger in den Fokus der Betrachtungen.
Ob allerdings das "Strafrecht" der geeignete Rechtsrahmen ist, um die Probleme zu lösen, darf aus prinzipiellen Gründen heraus bezweifelt werden.
Das "Sozialrecht" gibt die entscheidenden Parameter vor, so dass hier ggf. zu intervenieren ist. War es Zufall, dass bereits vor Jahren Claus Fussek die These vertreten hat, dass eigentlich Staatsanwälte an den Tisch von Pflegesatzverhandlungen gehören?
Wenn ein privatwirtschaftlich orientiertes Dienstleistungsunternehmen erkennt, gewünschte Leistungen zu einem bestimmten Preis nicht erbringen zu können, dann stellt sich für jeden (!) Unternehmer die Frage, wie angemessen zu reagieren ist.
Vielleicht könnte ein erster Weg auch darin erblickt werden, zunächst eine Pflichtprüfung für alle Pflegeeinrichtungen durch kompetente Wirtschaftsprüungsgesellschaften vorzusehen, um einen status quo erheben zu können. Sind da vielleicht doch noch "Reserven" mobilisierbar, auch mit Blick auf den Personaleinsatz? Darf daran erinnert werden, dass manche Altenpflegerechtler schon vor Jahren darauf hingewiesen haben, dass die "Fachkraftquote" durchaus Spielräume eröffnet, die zunächst ausgelotet werden müssen?
Sind stationäre Einrichtungen ggf. auch "Opfer" ihrer eigenen Unzulänglichkeiten geworden, betriebswirtschaftlich sich zu organisieren? Sind die "Gewinnerwartungen" zu hoch?
Warum kommen keine "Personalbemessungssysteme" zum Einsatz, schon um des "eigenen Dienstleistungsunternehmens" willen?
Wo also liegt das Probem, wenn feststeht, dass mit dem Personal die erforderliche Dienstleistung nicht erbracht werden kann und eine Änderung nur dann zu erwarten ansteht, wenn mehr Personal eingestellt wird und freilich dann auch entsprechend zu vergüten ist?
Mit anderen Worten: Bevor ich mich auf die Suche nach "systemischen Ursachen" begebe, sollte auf der Mikroebene eine Analyse der unternehmerischen Gegegebenheiten vorgenommen werden, da ich zumindest nicht ausschließen würde, dass hier einige Reserven fruchtbar gemacht werden können.
Wie mehrfach schon betont: Es wird der Pflege als Dienstleistungsgesellschaft nicht gelingen, mit dem Faustpfand gehöriger Empathie und gutbürgerlicher Tugenden die Dichotomie zwischen "Kapital" und "Arbeit" zu durchbrechen und darauf zu bauen, dass dies ausreicht, um ein Dienstleistungsunternehmen auch wirtschaftlich erfolgreich zu führen.
Egal, wie nun die Whistleblower-Problematik gelöst wird, aber auch sie wird nicht dazu führen, dass künftig Pflegeunternehmen aus dem "Vollen" schöpfen können. Umjeden Euro und jede zusätzliche Stelle wird "gekämpft" werden müssen und solange dies nicht ausreichend erkannt wird, bleibt alles beim Alten: "Sonntagsreden" werden geschwungen und es scheint, als seien diese auch notwendig, um einerseits das eigene Gewissen beruhigen zu können und andererseits vielleicht auch von einem zwingend notwendigen und vor allem konsequenten Engagement ablenken zu können.
Die unrühmliche Rolle der "Berufsverbände" scheint mir hier beredtes Beispiel dafür zu sein, wie eben eine konkrete Berufspolitik mit unmittelbaren Auswirkungen auf die "Kunden" nicht aussehen sollte. Der "heiße Herbst" neigt sich dem Ende entgegen ...
In der leidigen Debatte um den "Pflegenotstand" dürfte alles gesagt sein und es liegt m.E. nach an der "Pflege", sich nicht "nur" zu positionieren, sondern vor allem auch zu handeln. Schön zu lesende Worte werden zu keinen nachhaltigen Veränderungen führen und darauf zu bauen, dass die Bevölkerung aus eigenem Antrieb sich für die brennenden Fragen interessiert und zwar mit Blick auf die Solidargemeinschaft, dürfte eher müßig sein, denn gerade hier gilt das Motto: "Das Hemd ist mir näher als die Hose"!
Insofern darf die Prognose abgegeben werden, dass angesichts des demografischen Wandels der Grundsatz "ambulant vor stationär" desillusioniert wird und das Bemühen nicht weniger Altenpflegekundler für mehr zivilgesellschaftliches Engagement sich zunehmend verflüchtigen wird, weil die Basis der "Solidargemeinschaft" mit jeden Jahr zunehmend schmaler wird und die immensen Kosten nicht mehr "schultern" kann, mal ganz davon abgesehen, dass die junge Generation völlig andere Maßstäbe für ein "gelungenes Leben" entwickelt hat und noch weiter entwickeln wird und - von einigen Ausnahmen mal abgesehen - jedenfalls in der "Pflege" hochaltriger Familienangehöriger und dem "schmalen Budget" kein erstrebenswertes Ziel erblickt wird, und wenn doch, dann um den Preis von engagierten Pflegekräften, die aus den europäischen Nachbarländer kommen und jedenfalls "preislich" mit ihren pflegerischen Dienstleistungsangeboten attraktiv erscheinen. Auch hier gilt dann das alte Prinzip: "Angebot und Nachfrage" steuern den Preis und vielleicht könnte dann die neue Generation der zu Pflegenden auf die Idee kommen, ihren Lebensabend in Thailand bei guter Pflege, Kost und Logie zu verbringen - freilich mit den entsprechenden Konsequenzen für den hiesigen Arbeitsmarkt.
Nun - wir werden sehen...
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!