Psychopharmaka - Zurückhaltung bei der Verordnung

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Moderator: WernerSchell

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Psychopharmaka - Zurückhaltung bei der Verordnung

Beitrag von Presse » 01.04.2011, 19:51

AOK Rheinland/Hamburg fordert Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka

Psychopharmaka sollten sorgsamer und in geringerer Menge verordnet werden, fordert die AOK Rheinland/Hamburg. Anlass sind die Verordnungsdaten 2010 der hiesigen AOK aus der Behandlung von psychisch Erkrankten.

Die Auswertung zeigt, dass immer mehr Patienten immer größere Mengen von Psychopharmaka wie Mittel gegen Depressionen oder psychisch stimulierende Arzneien erhalten. Besonders kritisch ist dabei die stark wachsende Verordnung von Antidepressiva zu sehen. So erhöhte sich allein von 2009 auf 2010 die Zahl der antidepressiv behandelten Patienten um 21,4 Prozent, während die Verordnungsmenge der Antidepressiva um 12,8 Prozent zunahm. Hinzu kommt, dass bei den Verordnungen ein Umstieg von niedrigpreisigen zu höherpreisigen Psychopharmaka festzustellen ist.

Wie in den Vorjahren stieg die Verordnungsmenge der Psychopharmaka von 2009 auf 2010 weiter an und zwar um 2,1 Prozent. 2010 überschritten die Ausgaben bei der AOK Rheinland/Hamburg mit 101,5 Mio. € erstmals die 100-Millionen-Grenze. Damit haben sich die Ausgaben für diese Arzneimittel in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Der Ausgabenanstieg geht sowohl auf eine Zunahme der Verordnungsmenge (konkret: die Anzahl der Packungen) als auch auf eine größere Zahl von Patienten zurück. Dazu kommt ein Anstieg der Kosten je Tagesdosis. Insgesamt stieg in den letzten zehn Jahren die Zahl der verordneten Tagestherapiedosen um mehr als 55 Prozent, die Kosten je Tagestherapiedosis nahmen um fast 40 Prozent zu.

Wilfried Jacobs, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, erklärte: „Die Höhe des Anstiegs kann nicht rational nachvollzogen und begründet werden. Wir müssen feststellen, dass Psychopharmaka besonders bei alten Menschen verstärkt eingesetzt werden, aber auch Kindern und Jugendlichen verordnet werden. Hier stellt sich die Frage, ob die Vielzahl der Verordnungen überhaupt therapeutisch notwendig ist, und ob Umfang oder Art des Einsatzes angemessen und zweckmäßig erfolgen.“ Dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass Untersuchungen zum Krankenstand von Arbeitnehmern bundesweit eine Zunahme von psychischen Erkrankungen erkennen lassen.

Antidepressiva als Hauptgruppe unter den Psychopharmaka werden bei allen Formen von Depressionen eingesetzt. Depressionen müssen aber nicht zwangsläufig mit Antidepressiva behandelt werden. Es bestehen auch gut geprüfte, in den Leitlinien empfohlene, nichtmedikamentöse Therapieverfahren, besonders für „leichte“ Depressionen. Antidepressiva werden mit einem Anteil von 68 Prozent überwiegend Frauen verordnet. Insgesamt erhielt bereits knapp jeder elfte Versicherte der AOK Rheinland/Hamburg (8,6 Prozent) mindestens einmal im Jahr ein Antidepressivum verordnet. Bei den über 50jährigen Versicherten lag 2010 der Anteil bei 10,5 Prozent. Der höchste Anteil mit über 15 Prozent ist in der Altersgruppe der 75- bis 90jährigen Versicherten zu finden, und selbst Versicherte von über 90 Jahren wurden zu 11,6 Prozent mit Antidepressiva behandelt. Es gab aber auch Verordnungen für Kinder unter fünf Jahren.

Wenn auch die Verordnungszunahme zu einem gewissen Teil durch Leitlinien und Indikationsausweitungen erklärt werden kann, so lässt sich die Höhe des Anstiegs nicht klar begründen. Rückläufig ist dagegen die Verordnung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine) auf Kassenrezept. Wegen des Suchtpotentials dieser Arzneimittel ist jedoch zu vermuten, dass die verschreibenden Ärzte Verordnungen auf Privatrezept vornehmen.

Experten der AOK Rheinland/Hamburg befürchten angesichts des wachsenden Einsatzes von Psychopharmaka eine ähnliche Entwicklung wie bei der ADHS-Behandlung in den vergangenen Jahren. Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom wurde bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger festgestellt, vielfach ohne gesicherte Diagnose, und mit immer mehr Medikamenten behandelt. Bekannt ist aber, dass die methylphenidathaltigen Arzneimittel, die bei den Patienten eingesetzt werden, vor allem das bekannte Ritalin®, starke Nebenwirkungen haben. Erst durch eine Änderung der Richtlinie durch den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im letzten Jahr wurde sicher gestellt, dass die Behandlung von ADHS-Patienten heute auf einer umfangreichen Diagnose und mehr psychotherapeutischer Hilfe aufbauen muss, und dass vor allem Medikamente das Mittel zweiter Wahl sind.

Bei den Psychopharmaka stellt sich vor dem Hintergrund, dass ein frühzeitiger und unkritischer Einsatz dieser Arzneimittel den Patienten mehr schadet als nutzt, die skizzierte Verordnungsentwicklung als besorgniserregend dar.

Quelle: Pressemitteilung vom 30.03.2011
AOK Rheinland/Hamburg
Die Gesundheitskasse
Stabsstelle Presse
Kontakt: André Maßmann
E-Mail: andre.massmann@rh.aok.de
Telefon: 0211 8791-1262
Telefax: 0211 8791-1125
http://www.aok.de/rh/tool/pressedb_text ... php?ID=530
+++
WDR-Fernsehen berichtete am 31.03.2011 zum Thema:
Zurückhaltung bei Verordnung von Psychopharmaka gefordert
http://www.wdr.de/tv/wdraktuell/sendung ... rmaka3.jsp

WernerSchell
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Psychopharmaka - Zurückhaltung bei der Verordnung

Beitrag von WernerSchell » 02.04.2011, 07:02

Die medizinische Versorgung in den Pflegeeinrichtungen, aber auch Zuhause, wird Gegenstand des Pflegetreffs am 20.04.2011 sein:
viewtopic.php?t=15134
Es wird daher auch am 20.04.2011 die Verordnung von Psychopharmaka anzusprechen sein.

Werner Schell
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Herbert Kunst
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Psychopharmaka - Zurückhaltung bei der Verordnung

Beitrag von Herbert Kunst » 28.04.2011, 06:51

Hallo,
es wäre gut, von der AOK Rheinland/Hamburg zu erfahren, welche Festsstellungen sie im Einzelnen getroffen hat und was sie konkret rät. Der hier vorgestellte AOK-Texte bleibt im Allgemeinen stecken und ist so für die praktische Nutzanwendung wenig hilfreich.
Gruß Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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Medikation bei Demenzkranken erneut problematisiert

Beitrag von WernerSchell » 16.06.2011, 06:56

Siehe aus aktuellem Anlass auch unter
viewtopic.php?t=14576
Die Medikation bei Demenzkranken wird erneut problematisiert.
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Presse
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Zu viele Beruhigungsmittel für Demenzkranke

Beitrag von Presse » 16.06.2011, 12:07

Zu viele Beruhigungsmittel für Demenzkranke
Jeder dritte Demenzkranke erhält starke Beruhigungsmittel - trotz erhöhtem Sterblichkeitsrisiko. Das geht aus dem Arzneimittelreport 2011 der Barmer GEK hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. mehr »
http://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=659 ... tik&n=1166

WernerSchell
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Demenzkranke - Medikation verbessern !

Beitrag von WernerSchell » 18.06.2011, 16:14

Siehe auch die Pressemitteilung vom 18.06.2011 - Demenzkranke - Medikation verbessern - unter
viewtopic.php?t=15951
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Anja Jansen
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Demenzkranke - Medikation verbessern !

Beitrag von Anja Jansen » 27.06.2011, 11:35

WernerSchell hat geschrieben:Siehe auch die Pressemitteilung vom 18.06.2011 - Demenzkranke - Medikation verbessern - unter
viewtopic.php?t=15951
Hallo Herr Schell,
Ihre Ausführungen kann man nur unterstreichen. Es wäre wünschenswert, dass sich vor allem die Ärzte den Problemen einmal wirklich stellen.
Demenzkranke verdienen erheblich mehr Aufmerksamkeit, von allen Beteiligten.
Lb. Grüße Anja
Es ist mehr Aufmerksamkeit für dementiell erkrankte Menschen nötig. Unser Pflegesystem braucht deshalb eine grundlegende Reform!

WernerSchell
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Medikamentöse Versorgung älterer Menschen verbessern

Beitrag von WernerSchell » 27.07.2011, 06:54

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk führt regelmäßig Pflegetreffs mit bundesweiter Ausrichtung durch.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist Kooperationspartner der „Aktion Saubere Hände.“


27.07.2011

An die
AOK Rheinland/Hamburg
Neuss


Nachrichtlich:
An die Apothekerkammer Nordrhein
An den GKV-Spitzenverband und verschiedene Medien
An den Patientenbeauftragten der Bundesregierung
An das Bayerische Fernsehen, Redaktion Geld & Leben

Medikamentöse Versorgung der (älteren bzw. dementen) Patienten muss dringend verbessert werden

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich mache seit geraumer Zeit auf die Probleme (Mängel) bei der medikamentösen Versorgung, vor allem bei älteren bzw. dementen Patienten, aufmerksam. Nachdem das Thema beim Neusser Pflegetreff am 20.04.2011 mit Hinweis auf die sog. „Priscusliste“ kurz angesprochen wurde, gab es am 18.06.2011 von hier eine Pressemitteilung. Sie ist dieser Zuschrift (nochmals) angefügt.

Danach wurde auch von anderer Seite auf die Mängel bei der Medikation aufmerksam gemacht, u.a.:

· Gerd Glaeske/Christel Schicktanz: Barmer GEK Arzneimittelreport 2011
· Ruhiggestellte Senioren – Neuroleptika in Altersheimen – Bericht Sabine Winter vom 04.07.2011 BR-online.de
· Bahrmann / Haack, Sieber: Iatrogenität – Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen. Deutsche Medizinische Wochenschrift 2011 (Pressemitteilung Thieme Verlag vom 06.07.2011)
· Zu Risiken und Nebenwirkungen – Münstersche Studie soll Arzneitherapie von Alten- und Pflegeheimbewohnern verbessern (Pressemitteilung vom 15.07.2011)
· Siehe auch Pantel et al.: Optimierung der Psychopharmaka-Therapie in Altenpflegeheimen („OPTimAL“), Logos Verlag, Berlin 2009

Das Bayerische Fernsehen berichtete am 25.07.2011 in seiner Sendung „Geld & Leben“ und titelte: „Apothekencheck - Wenn Medikamente sich nicht vertragen.“ Dazu wurde im Internet folgender Hinweis gegeben:

„Viele ältere Menschen müssen, gerade wenn sie chronisch krank sind, mehrere Medikamente auf einmal einnehmen. Damit steigt aber gleichzeitig das Risiko von gefährlichen Wechselwirkungen. Die AOK und Apotheken in Mittelfranken haben auch in diesem Jahr eine Aktion gestartet, die tödliche Risiken vermeiden soll.“
Quelle:
http://www.br-online.de/bayerisches-fer ... /index.xml
http://www.br-online.de/bayerisches-fer ... 841930.xml
Anschrift: Das Sozialmagazin - Bayerischer Rundfunk
Redaktion Geld & Leben, Floriansmühlstr. 60, 80939 München - E-Mail: soziales@br-online.de

In einer Mitteilung der Apothekerkammer in Bayern wird dazu u.a. ausgeführt:

„Größere Therapiesicherheit nützt dem Patient und spart Kosten
Je mehr Medikamente ein Patient einnimmt, desto größer ist das Risiko arzneimittelbezogener Probleme. „Fast 7 Millionen aller Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nehmen fünf oder mehr Arzneimittel in der Dauertherapie ein. Hinzu kommt noch die Selbstmedikation.“ Dadurch steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse wie z. B. Wechselwirkungen, die der Grund für etwa fünf Prozent aller Krankenhausaufnahmen sind. Bei Patienten mit starken Altersbeschwerden sind es sogar bis zu 30 Prozent. Zwei Drittel dieser Fälle gelten als vermeidbar!“
Quelle: http://www.bav-bayern.de/4/news/news.ex ... Kosten.pdf

Ich möchte Sie hiermit (erneut) auf das Thema ansprechen und bitten zu prüfen, ob für Ihren Zuständigkeitsbereich (sozusagen musterhaft) ggf. kurzfristig eine Aktion „Apothekencheck“ angestoßen und durchgeführt werden kann.

Ich knüpfe insoweit an Ihre Pressemitteilung vom 30.03.2011 an, mit der Sie die medikamentöse Versorgung der Versicherten angesprochen und bereits zu mehr Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka aufgerufen haben. Leider waren die hiesigen Bemühungen, von Ihnen in dieser Angelegenheit nähere Informationen zu bekommen, erfolglos. Mit öffentlichen Erklärungen zu mehr Zurückhaltung ist es m.E. allein nicht getan. Konkretere Maßnahmen sind nach hiesiger Überzeugung mehr als dringlich.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat im Übrigen vorgesehen, die medikamentöse Versorgung beim nächsten Pflegetreff am 13.09.2011 mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung; Herrn Wolfgang Zöller, anzusprechen – Näheres dazu unter:
viewtopic.php?t=15674

Herr Zöller hat im Rahmen der erwähnten BR-Sendung vom 25.07.2011 ein kurzes Statement abgegeben, ist also über die Problematik gut informiert.

Für Ihre Bemühungen bereits jetzt vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
http://www.wernerschell.de

+++

Pressemitteilung vom 18.06.2011

Demenzkranke: Die Versorgung mit Medikamenten ist dringend verbesserungsbedürftig

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk fordert mehr Sorgfalt bei der Verordnung und Abgabe von Medikamenten

Seit Jahren ist bekannt, dass die medikamentöse Versorgung von Demenzkranken den wirklichen Bedürfnissen dieser Menschen nur unzureichend gerecht wird. Man darf vermuten, dass allzu oft Nebenwirkungen und Risiken einfach billigend in Kauf genommen werden.

Bereits im August 2010 wurde von Arzneimittelexperten die sog. Priscus-Liste vorgestellt, eine Zusammenstellung gefährlicher Medikamente für ältere Menschen. Diese Liste verdeutlichte, dass fast dreiviertel von 83 Medikamenten für ältere Menschen, Demenzkranke eingeschlossen, ungeeignet sind. Als konkrete Folgen der ungeeigneten Medikation wurden u.a. genannt: Sturzgefahr, Nierenschäden, Magenblutungen.

Mit ihrem Ergebnis, dass ältere Menschen im Schnitt sechs Medikamente täglich einnehmen, von denen viele gar nicht für sie geeignet sind oder sich untereinander nicht vertragen, haben die Forscher im Verbund PRISCUS für viel Aufsehen gesorgt. Als Gegenmaßnahme entwickelten sie nun eine Liste, die Ärzten als Hilfe bei der Auswahl und Zusammenstellung von Medikamenten für Ältere dienen soll. Ob und wie die Liste wirkt, wollen sie in der zweiten Projektphase untersuchen.

In einer Pressemitteilung der AOK Rheinland / Hamburg vom 30.03.2011 wurde unter Berufung auf die Verordnungsdaten des Jahres 2010 Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka angemahnt. Dazu wurde u.a. ausgeführt:

„Die Auswertung zeigt, dass immer mehr Patienten immer größere Mengen von Psychopharmaka wie Mittel gegen Depressionen oder psychisch stimulierende Arzneien erhalten. Besonders kritisch ist dabei die stark wachsende Verordnung von Antidepressiva zu sehen. So erhöhte sich allein von 2009 auf 2010 die Zahl der antidepressiv behandelten Patienten um 21,4 Prozent, während die Verordnungsmenge der Antidepressiva um 12,8 Prozent zunahm. Hinzu kommt, dass bei den Verordnungen ein Umstieg von niedrigpreisigen zu höherpreisigen Psychopharmaka festzustellen ist. Bei den Psychopharmaka stellt sich vor dem Hintergrund, dass ein frühzeitiger und unkritischer Einsatz dieser Arzneimittel den Patienten mehr schadet als nutzt, die skizzierte Verordnungsentwicklung als besorgniserregend dar.“

In einer Arzneimittelstudie der Barmer GEK, vorgestellt am 15.06.2011, werden weitere Besorgnisse hinsichtlich der Medikation geäußert. In der Studie heißt es u.a.:

„Demenzkranke erhalten sechsmal häufiger Neuroleptika als Patienten ohne Demenz. Gleichzeitig ist seit Jahren bekannt, dass Demenzkranke nach Einnahme von Neuroleptika eine 1,6- bis 1,7-fach erhöhte Sterblichkeitsrate gegenüber der Placebogruppe aufweisen. Gesundheitsexperte Glaeske: Hier erhält eine Patientengruppe mit erhöhtem Sterblichkeitsrisiko Medikamente, deren Wirksamkeit teilweise nicht belegt ist und deren Folgen bei Langzeitgabe weithin ungeklärt bleiben."

Das Thema Medikation in Pflegeeinrichtungen wird auch kritisch im Abschlussbericht „Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe“, vorgelegt am 17.06.2011 durch das Bundesfamilienministerium und Bundesgesundheitsministerim, angesprochen.

Da alte und demente Patienten nicht selten unerkannt Schmerzen leiden, ist viel Aufmerksamkeit des Personals erforderlich. Denn Schmerzen können nach einer Mitteilung des Universitätsklinikums Jena vom 08.06.2011 Verhaltensauffälligkeiten wie Unruhe und Aggressionen hervorrufen. Wird dem nicht genug Beachtung geschenkt, können dabei selbst Brüche nach Stürzen übersehen werden oder Schmerzen durch Gelenkerkrankungen. Studien zeigen nach Angaben des Klinikums Jena, dass demente Patienten weniger Schmerzmittel erhalten als gleichaltrige kognitiv unbeeinträchtigte Patienten. Dies spricht für die häufige Verkennung des Problems.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk greift die besorgniserregenden Informationen auf und fordert mehr Sorgfalt bei der medikamentösen Versorgung der pflegebedürftigen Menschen, vor allem bei den Demenzkranken. Es wird in diesem Zusammenhang u.a. erforderlich sein, die ärztliche Versorgung in den Pflegeeinrichtungen bundesweit deutlich zu verbessern und im erforderlichen Umfang die notwendigen Hausbesuche, auch außerhalb der Sprechstundenzeiten, sicherzustellen. In der 2010 vorgestellten „KV-Initiative Pflegeheim“ wurden gleichlautende Forderungen ausgeführt.

Bezüglich der Medikation erscheinen neben der Einbeziehung des pharmakologischen Sachverstandes der Apotheken (auch mit Blick auf die mögliche Verblisterung von Medikamenten) Kooperationsvereinbarungen zwischen den Trägern von Pflegeeinrichtungen und Ärzten sinnvoll. Darin sollten u.a. die Kommunikations- und Dokumentationserfordernisse näher beschrieben sein. Fortbildungsveranstaltungen, in denen das Wissen um eine zielführende Versorgung mit Medikamenten vermittelt und stets aktualisiert wird, erscheinen ebenfalls dringend geboten.

Es muss so auch sichergestellt werden, dass telefonische Medikationsverordnungen und weitreichende Bedarfsmedikationen möglichst vermieden werden. Medikamente müssen im notwendigen und ausreichenden Umfange verfügbar sein, dürfen aber unter keinen Umständen als „pflegeerleichternde Maßnahmen“ zum Einsatz gelangen (können). Ärzte, die sich solchen Praktiken entgegen stellen und sich allein am Patienteninteresse und am Sorgfaltsgebot orientieren, verdienen Anerkennung und Unterstützung.

Werner Schell
Dozent für Pflegerecht, Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk

Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei

Siehe auch die Texteinstellung unter
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... kation.php

Beiträge im Forum u.a. unter
viewtopic.php?t=15951
viewtopic.php?t=15935
viewtopic.php?t=14771
viewtopic.php?t=15675
viewtopic.php?t=14576
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Nursing-Neuss
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Psychopharmaka - Medikationspraxis ändern

Beitrag von Nursing-Neuss » 30.07.2011, 09:39

Herbert Kunst hat geschrieben: .... es wäre gut, von der AOK Rheinland/Hamburg zu erfahren, welche Festsstellungen sie im Einzelnen getroffen hat und was sie konkret rät. Der hier vorgestellte AOK-Texte bleibt im Allgemeinen stecken und ist so für die praktische Nutzanwendung wenig hilfreich. ....
Guten Morgen,
ich habe mich inzwischen ein wenig umgehört und versucht, in Erfahrung zu bringen, was bezüglich der HeimbewohnerInnen von der AOK ermittelt worden ist. Denn nähere Hinweise wären schon wichtig. Leider bin ich nicht fündig geworden. Es gab auch kaum Interesse, in das Thema weiter / tiefer einzusteigen.
Ich begrüße daher die neuerliche Zuschrift an die AOK und hoffe, dass es bald weitere Aktivitäten gibt. Die jetzige Medikationspraxis gehört abgestellt.
Wir müssen mehr auf Zuwendung statt auf Medikamente setzen!
MfG Nursing Neuss
Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden. U.a. ist deutlich mehr Pflegepersonal erforderlich!

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Zuwendung statt Pillen

Beitrag von Marlene Böttinger » 05.08.2011, 10:29

Ich wäre auch sehr dafür, die Medikamentengabe zu verringern und stattdessen mehr auf personelle Zuwendung zu setzen.
Die Pflegekräfte müssen sich dieser Thematik vermehrt stellen und auf Korrekturen aufmerksam machen.
Natürlich sind auch die Ärzte gefordert.

M.B.
Pflege braucht Zuwendungszeit!

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Medikamentöse Versorgung älterer Menschen verbessern

Beitrag von Service » 08.08.2011, 08:46

Heimbewohner schlucken zu viele Medikamente
Insbesondere Psychopharmaka erhöhen die Sturzgefahr / Zu viele Ärzte beteiligt


Münster (epd). Die Deutsche Hauptstelle für Sucht-fragen (DHS) beklagt "einen Medikamentenmissbrauch" unter Senioren. Viele ältere Menschen seien arzneimittelabhängig, oft sogar ohne es bewusst wahrzunehmen, erklärt die DHS. Dabei handelt es sich überwiegend um Beruhigungs- und Schlafmittel. Nach einer neuen Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster schlucken insbesondere Bewohner von Alten- und Pflegeheimen zu viele verschiedene Medikamente. Die Untersuchung in sieben Heimen in Nordrhein-Westfalen ergab, dass die Bewohner im Schnitt 8,4 verschiedene Medikamente dauerhaft zu sich nehmen.

.... weiter lesen unter
http://www.epd.de/sozial/sozial_index_90155.html

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7 Millionen Bundesbürger brauchen mehr als 5 Medikamente

Beitrag von WernerSchell » 30.08.2011, 07:20

7 Millionen Bundesbürger brauchen mehr als 5 Medikamente

Rund sieben Millionen Bundesbürger brauchen dauerhaft fünf oder mehr Medikamente. Fachleute nennen das ‚Polymedikation‘. „Vor allem ältere oder mehrfach erkrankte Menschen sind von Polymedikation betroffen. Diese Patienten bekommen pro Jahr durchschnittlich 65 Arzneimittel verordnet, die Selbstmedikation ist dabei noch nicht erfasst“, so Friedemann Schmidt, Vizepräsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Privatpatienten sind bei dieser Schätzung nicht berücksichtigt.
„Die erste Tablette eine halbe Stunde vor dem Frühstück, zwei zum Frühstück, eine davon nochmals zum Abendessen, vor dem Schlafengehen Tropfen und zweimal pro Woche ein Wirkstoffpflaster: Je mehr Medikamente ein Patient braucht, desto schwieriger fällt es ihm, den Überblick zu behalten“, sagt Schmidt. „Wird durch einen Rabattvertrag ein Präparat gegen ein wirkstoffgleiches ausgetauscht, können die Tabletten zusätzlich anders aussehen als gewohnt. Da ist es leicht verständlich, dass sich viele Patienten überfordert fühlen. Apotheker und Ärzte können diesen Patienten mit einem individuellen Medikationsmanagement helfen.“
Mit der Anzahl der gleichzeitig angewendeten Wirkstoffe steigt auch das Risiko für Wechselwirkungen. Wenn verschiedene Ärzte Medikamente verordnen, kann der Apotheker Wechselwirkungen erkennen und mögliche Probleme gemeinsam mit dem verordnenden Arzt lösen. Für Patienten sind Doppelverordnungen nicht ohne weiteres erkennbar, wenn die Präparate unterschiedlich heißen. Schmidt: „Mein Rat an Patienten: Berichten Sie Ihrem Arzt oder Apotheker von allen Präparaten, die sie einnehmen. Nur wenn Patienten, Ärzte und Apotheker eng zusammenarbeiten, ist die Arzneimitteltherapie sicher.“
Die ABDA und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben in ihrem „Zukunftskonzept“ Maßnahmen vorgestellt, wie sie die Arzneimitteltherapie preiswerter und besser gestalten können. Auf Basis einer Wirkstoffverordnung und einer Medikationsliste wollen die Heilberufler ein gemeinsames Medikationsmanagement anbieten.

Quelle: Pressemitteilung vom 29.08.2011
ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Jägerstr. 49/50
10117 Berlin
Tel: 030/40004-0
Fax: 030/40004-598
E-Mail: pressestelle@abda.aponet.de
Internet: http://www.abda.de
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Presse
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Arzneitherapie für Ältere - eine Kunst des Weglassens

Beitrag von Presse » 09.09.2011, 06:33

Ärzte Zeitung, 09.09.2011

Geriatrie
Arzneitherapie für Ältere - eine Kunst des Weglassens


Multimorbide ältere Patienten brauchen oft viele Medikamente - und Ärzte brauchen bei der Verordnung die Sicherheit, dass keine Interaktionen auftreten.

Mehr Sicherheit in der Polypharmakotherapie können sich Ärzte durch das Buch "Arzneitherapie für Ältere" erwerben. Etwa medizinische Sicherheit: Sie erfahren, welche Medikamente Priorität haben und welche man weglassen darf. Weiterhin juristische Sicherheit: durch Aufklärung darüber, wie man sich "rechtssicher", leitliniengerecht und evidenzbasiert verhält. ..... (mehr)
http://www.aerztezeitung.de/medizin/kra ... sid=658741

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Arzneitherapie für Ältere

Beitrag von WernerSchell » 26.09.2011, 07:05

Buchtipp!

Wehling / Burkhardt:

Arzneitherapie für Ältere

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Näheres hier:
http://www.wernerschell.de/Buchtipps/arzneitherapie.php
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Medikation bei (älteren) pflegebedürftigen Menschen

Beitrag von WernerSchell » 24.11.2011, 10:47

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
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Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk führt regelmäßig Pflegetreffs mit bundesweiter Ausrichtung durch.
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23.11.2011

An
Medizinischer Dienst
des Spitzenverbandes Bund
der Krankenkassen e. V. (MDS)
Lützowstraße 53
45141 Essen


Medikamentöse Versorgung (älterer) pflegebedürftiger Menschen ist dringend verbesserungsbedürftig

Sehr geehrte Damen und Herren,

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat bereits vor über einem Jahr das o.a. Thema mit überregionaler Ausrichtung angesprochen und dann noch einmal mit Schreiben vom 27.07.2011 gezielt informiert (Brief unten angefügt). Es hat dann vereinzelt Maßnahmen gegeben, um den Missständen in der medikamentösen Versorgung (siehe u.a. Priscus-Liste und weitere Studien) entgegen zu treten. Leider ist aber bislang eine breitere Diskussion ausgeblieben.

Unverständlicherweise hat mir die AOK Rheinland/Hamburg (trotz Erinnerungen) zum Thema nicht geantwortet, obwohl die Kasse mit einer Pressemitteilung vom 30.03.2011 ausdrücklich um Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka gebeten hat: viewtopic.php?t=15675

Auch weitere Berichte der Kassenseite machen deutlich, dass die ausufernde Medikation als problematisch gesehen wird.

Ich habe daher beim letzten Pflegetreff in Neuss am 10.11.2011 in Anwesenheit der Gesundheits- und Pflegeministerin NRW, Frau Barbara Steffens, angekündigt, das Thema erneut aufgreifen zu wollen: viewtopic.php?t=16467

Zur Zeit wird geprüft, wie in der Angelegenheit zielgerichtet weiter vorgegangen werden soll.

In diesem Zusammenhang frage ich bei Ihnen an, wie das Thema - bei einer bundesweiten Betrachtung - im Rahmen der Qualitätsprüfungen aufgegriffen werden kann. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass die jeweiligen Prüfgruppen sich verstärkt der medikamentösen Versorgung von Heimbewohnern zuwenden und so Veranlassung nehmen können, auf Problemsituationen aufmerksam zu machen. Eine erste Prüfung, ob Bewohner ohne unvertretbare Wechsel- und Nebenwirkungen mit Medikamenten versorgt werden, kann m.E. ohne große Probleme bei Durchsicht der entsprechenden Dokumentationen abgeklärt werden. Wenn es dann weiteren Klärungsbedarf gibt, können die behandelnden Ärzte bzw. verantwortlichen Apotheker eingeschaltet werden (siehe auch Stichwort "Apothekencheck").

So wurde zum Beispiel in einem mir bekannten Neusser Heim mit Hilfe eines Apothekers ein Check aller veordneten Medikamente durchgeführt mit dem Ergebnis, dass in einer Vielzahl von Fällen Korrekturen notwendig wurden.

Bevor von hier aus Weiteres veranlasst wird, wäre ich Ihnen für eine Überprüfung dankbar, ob und ggf. inwieweit seitens der Medizinischen Dienste geprüft und Einfluss genommen werden kann. Ggf. ist auch eine Erörterung im Zusammenhang mit der sog. Pflegereform, vom Bundeskabinett am 16.11.2011 mit einem Minkonzept beschlossen, geboten:
viewtopic.php?t=16609

Für Ihre Bemühungen vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell - Dozent für Pflegerecht
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PS.:
Pflegetreff am 15.05.2012 - Pflegereform und Entbürokratisierung in der Pflege ... (weitere Infos folgen)
viewtopic.php?t=16058

Buchtipp!
Schell, Werner: "100 Fragen zum Umgang mit Mängeln in Pflegeeinrichtungen"
viewtopic.php?t=15822
Pflegemängel – schnelle Hilfe für den Notfall
viewtopic.php?t=15828

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27.07.2011

An die
AOK Rheinland/Hamburg
Neuss

Nachrichtlich:
An die Apothekerkammer Nordrhein
An den GKV-Spitzenverband und verschiedene Medien
An den Patientenbeauftragten der Bundesregierung
An das Bayerische Fernsehen, Redaktion Geld & Leben

Medikamentöse Versorgung der (älteren bzw. dementen) Patienten muss dringend verbessert werden

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich mache seit geraumer Zeit auf die Probleme (Mängel) bei der medikamentösen Versorgung, vor allem bei älteren bzw. dementen Patienten, aufmerksam. Nachdem das Thema beim Neusser Pflegetreff am 20.04.2011 mit Hinweis auf die sog. „Priscusliste“ kurz angesprochen wurde, gab es am 18.06.2011 von hier eine Pressemitteilung. Sie ist dieser Zuschrift (nochmals) angefügt.

Danach wurde auch von anderer Seite auf die Mängel bei der Medikation aufmerksam gemacht, u.a.:

· Gerd Glaeske/Christel Schicktanz: Barmer GEK Arzneimittelreport 2011
· Ruhiggestellte Senioren – Neuroleptika in Altersheimen – Bericht Sabine Winter vom 04.07.2011 BR-online.de
· Bahrmann / Haack, Sieber: Iatrogenität – Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen. Deutsche Medizinische Wochenschrift 2011 (Pressemitteilung Thieme Verlag vom 06.07.2011)
· Zu Risiken und Nebenwirkungen – Münstersche Studie soll Arzneitherapie von Alten- und Pflegeheimbewohnern verbessern (Pressemitteilung vom 15.07.2011)
· Siehe auch Pantel et al.: Optimierung der Psychopharmaka-Therapie in Altenpflegeheimen („OPTimAL“), Logos Verlag, Berlin 2009

Das Bayerische Fernsehen berichtete am 25.07.2011 in seiner Sendung „Geld & Leben“ und titelte: „Apothekencheck - Wenn Medikamente sich nicht vertragen.“ Dazu wurde im Internet folgender Hinweis gegeben:

„Viele ältere Menschen müssen, gerade wenn sie chronisch krank sind, mehrere Medikamente auf einmal einnehmen. Damit steigt aber gleichzeitig das Risiko von gefährlichen Wechselwirkungen. Die AOK und Apotheken in Mittelfranken haben auch in diesem Jahr eine Aktion gestartet, die tödliche Risiken vermeiden soll.“
Quelle:
http://www.br-online.de/bayerisches-fer ... /index.xml
http://www.br-online.de/bayerisches-fer ... 841930.xml
Anschrift: Das Sozialmagazin - Bayerischer Rundfunk
Redaktion Geld & Leben, Floriansmühlstr. 60, 80939 München - E-Mail: soziales@br-online.de

In einer Mitteilung der Apothekerkammer in Bayern wird dazu u.a. ausgeführt:

„Größere Therapiesicherheit nützt dem Patient und spart Kosten
Je mehr Medikamente ein Patient einnimmt, desto größer ist das Risiko arzneimittelbezogener Probleme. „Fast 7 Millionen aller Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nehmen fünf oder mehr Arzneimittel in der Dauertherapie ein. Hinzu kommt noch die Selbstmedikation.“ Dadurch steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse wie z. B. Wechselwirkungen, die der Grund für etwa fünf Prozent aller Krankenhausaufnahmen sind. Bei Patienten mit starken Altersbeschwerden sind es sogar bis zu 30 Prozent. Zwei Drittel dieser Fälle gelten als vermeidbar!“
Quelle: http://www.bav-bayern.de/4/news/news.ex ... Kosten.pdf

Ich möchte Sie hiermit (erneut) auf das Thema ansprechen und bitten zu prüfen, ob für Ihren Zuständigkeitsbereich (sozusagen musterhaft) ggf. kurzfristig eine Aktion „Apothekencheck“ angestoßen und durchgeführt werden kann.

Ich knüpfe insoweit an Ihre Pressemitteilung vom 30.03.2011 an, mit der Sie die medikamentöse Versorgung der Versicherten angesprochen und bereits zu mehr Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka aufgerufen haben. Leider waren die hiesigen Bemühungen, von Ihnen in dieser Angelegenheit nähere Informationen zu bekommen, erfolglos. Mit öffentlichen Erklärungen zu mehr Zurückhaltung ist es m.E. allein nicht getan. Konkretere Maßnahmen sind nach hiesiger Überzeugung mehr als dringlich.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat im Übrigen vorgesehen, die medikamentöse Versorgung beim nächsten Pflegetreff am 13.09.2011 mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung; Herrn Wolfgang Zöller, anzusprechen – Näheres dazu unter:
viewtopic.php?t=15674

Herr Zöller hat im Rahmen der erwähnten BR-Sendung vom 25.07.2011 ein kurzes Statement abgegeben, ist also über die Problematik gut informiert.

Für Ihre Bemühungen bereits jetzt vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
http://www.wernerschell.de

+++

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative
Vorstand: Werner Schell - Harffer Straße 59, 41469 Neuss
Telefon 02131 – 150779 - E-Mail: ProPflege@wernerschell.de
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Pressemitteilung vom 18.06.2011

Demenzkranke: Die Versorgung mit Medikamenten ist dringend verbesserungsbedürftig

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk fordert mehr Sorgfalt bei der Verordnung und Abgabe von Medikamenten

Seit Jahren ist bekannt, dass die medikamentöse Versorgung von Demenzkranken den wirklichen Bedürfnissen dieser Menschen nur unzureichend gerecht wird. Man darf vermuten, dass allzu oft Nebenwirkungen und Risiken einfach billigend in Kauf genommen werden.

Bereits im August 2010 wurde von Arzneimittelexperten die sog. Priscus-Liste vorgestellt, eine Zusammenstellung gefährlicher Medikamente für ältere Menschen. Diese Liste verdeutlichte, dass fast dreiviertel von 83 Medikamenten für ältere Menschen, Demenzkranke eingeschlossen, ungeeignet sind. Als konkrete Folgen der ungeeigneten Medikation wurden u.a. genannt: Sturzgefahr, Nierenschäden, Magenblutungen.

Mit ihrem Ergebnis, dass ältere Menschen im Schnitt sechs Medikamente täglich einnehmen, von denen viele gar nicht für sie geeignet sind oder sich untereinander nicht vertragen, haben die Forscher im Verbund PRISCUS für viel Aufsehen gesorgt. Als Gegenmaßnahme entwickelten sie nun eine Liste, die Ärzten als Hilfe bei der Auswahl und Zusammenstellung von Medikamenten für Ältere dienen soll. Ob und wie die Liste wirkt, wollen sie in der zweiten Projektphase untersuchen.

In einer Pressemitteilung der AOK Rheinland / Hamburg vom 30.03.2011 wurde unter Berufung auf die Verordnungsdaten des Jahres 2010 Zurückhaltung bei der Verordnung von Psychopharmaka angemahnt. Dazu wurde u.a. ausgeführt:

„Die Auswertung zeigt, dass immer mehr Patienten immer größere Mengen von Psychopharmaka wie Mittel gegen Depressionen oder psychisch stimulierende Arzneien erhalten. Besonders kritisch ist dabei die stark wachsende Verordnung von Antidepressiva zu sehen. So erhöhte sich allein von 2009 auf 2010 die Zahl der antidepressiv behandelten Patienten um 21,4 Prozent, während die Verordnungsmenge der Antidepressiva um 12,8 Prozent zunahm. Hinzu kommt, dass bei den Verordnungen ein Umstieg von niedrigpreisigen zu höherpreisigen Psychopharmaka festzustellen ist. Bei den Psychopharmaka stellt sich vor dem Hintergrund, dass ein frühzeitiger und unkritischer Einsatz dieser Arzneimittel den Patienten mehr schadet als nutzt, die skizzierte Verordnungsentwicklung als besorgniserregend dar.“

In einer Arzneimittelstudie der Barmer GEK, vorgestellt am 15.06.2011, werden weitere Besorgnisse hinsichtlich der Medikation geäußert. In der Studie heißt es u.a.:

„Demenzkranke erhalten sechsmal häufiger Neuroleptika als Patienten ohne Demenz. Gleichzeitig ist seit Jahren bekannt, dass Demenzkranke nach Einnahme von Neuroleptika eine 1,6- bis 1,7-fach erhöhte Sterblichkeitsrate gegenüber der Placebogruppe aufweisen. Gesundheitsexperte Glaeske: Hier erhält eine Patientengruppe mit erhöhtem Sterblichkeitsrisiko Medikamente, deren Wirksamkeit teilweise nicht belegt ist und deren Folgen bei Langzeitgabe weithin ungeklärt bleiben."

Das Thema Medikation in Pflegeeinrichtungen wird auch kritisch im Abschlussbericht „Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe“, vorgelegt am 17.06.2011 durch das Bundesfamilienministerium und Bundesgesundheitsministerim, angesprochen.

Da alte und demente Patienten nicht selten unerkannt Schmerzen leiden, ist viel Aufmerksamkeit des Personals erforderlich. Denn Schmerzen können nach einer Mitteilung des Universitätsklinikums Jena vom 08.06.2011 Verhaltensauffälligkeiten wie Unruhe und Aggressionen hervorrufen. Wird dem nicht genug Beachtung geschenkt, können dabei selbst Brüche nach Stürzen übersehen werden oder Schmerzen durch Gelenkerkrankungen. Studien zeigen nach Angaben des Klinikums Jena, dass demente Patienten weniger Schmerzmittel erhalten als gleichaltrige kognitiv unbeeinträchtigte Patienten. Dies spricht für die häufige Verkennung des Problems.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk greift die besorgniserregenden Informationen auf und fordert mehr Sorgfalt bei der medikamentösen Versorgung der pflegebedürftigen Menschen, vor allem bei den Demenzkranken. Es wird in diesem Zusammenhang u.a. erforderlich sein, die ärztliche Versorgung in den Pflegeeinrichtungen bundesweit deutlich zu verbessern und im erforderlichen Umfang die notwendigen Hausbesuche, auch außerhalb der Sprechstundenzeiten, sicherzustellen. In der 2010 vorgestellten „KV-Initiative Pflegeheim“ wurden gleichlautende Forderungen ausgeführt.

Bezüglich der Medikation erscheinen neben der Einbeziehung des pharmakologischen Sachverstandes der Apotheken (auch mit Blick auf die mögliche Verblisterung von Medikamenten) Kooperationsvereinbarungen zwischen den Trägern von Pflegeeinrichtungen und Ärzten sinnvoll. Darin sollten u.a. die Kommunikations- und Dokumentationserfordernisse näher beschrieben sein. Fortbildungsveranstaltungen, in denen das Wissen um eine zielführende Versorgung mit Medikamenten vermittelt und stets aktualisiert wird, erscheinen ebenfalls dringend geboten.

Es muss so auch sichergestellt werden, dass telefonische Medikationsverordnungen und weitreichende Bedarfsmedikationen möglichst vermieden werden. Medikamente müssen im notwendigen und ausreichenden Umfange verfügbar sein, dürfen aber unter keinen Umständen als „pflegeerleichternde Maßnahmen“ zum Einsatz gelangen (können). Ärzte, die sich solchen Praktiken entgegen stellen und sich allein am Patienteninteresse und am Sorgfaltsgebot orientieren, verdienen Anerkennung und Unterstützung.

Werner Schell
Dozent für Pflegerecht, Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk

Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei

Siehe auch die Texteinstellung unter
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... kation.php

Beiträge im Forum u.a. unter
viewtopic.php?t=15951
viewtopic.php?t=15935
viewtopic.php?t=14771
viewtopic.php?t=15675
viewtopic.php?t=14576
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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