Neopaternalisten – „Bleibt bei Euren Leisten"!

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
Lutz Barth
phpBB God
Beiträge: 1148
Registriert: 26.12.2007, 10:05
Kontaktdaten:

Neopaternalisten – „Bleibt bei Euren Leisten"!

Beitrag von Lutz Barth » 31.12.2010, 07:29

Neopaternalisten – „Bleibt bei Euren Leisten"!

Kaum hat der Präsident der BÄK zur Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts Stellung genommen, zeigen sich unsere namhaften Oberethiker in unserem Lande wenn nicht empört, so doch zumindest verunsichert.

Der Präsident möge standhaft bleiben – so wird ihm geraten und auch aus den eigenen Reihen werden nunmehr Botschaften in der Öffentlichkeit transportiert, mit denen gleichsam eine Änderung des bisherigen konservativen – im Übrigen aber verfassungswidrig bedenklichen – Berufs- und Standesrechts abgelehnt werden.

Dass Rudolf Henke sich gegen eine Liberalisierung ausspricht, ist insofern bedauerlich, weil von ihm gerade in seiner Eigenschaft als Abgeordneter erwartet werden darf, dass er sich dem Grundrechtsschutz besonders verpflichtet weiß. Denn auch ihm dürfte nicht entgangen sein, dass die Ärztekammer nicht private Organisationen sind, die gleichsam nach Gutsherrenart eine Ethik und Moral vorgeben können, die dann von der verfassten Ärzteschaft als verbindlich zu internalisieren sind.

Auch öffentlich-rechtliche Körperschaften müssen für einen Grundrechtsschutz Sorge tragen und dort, wo dieser nicht gewährleistet oder wie in der Vergangenheit, schlicht verkannt worden ist, wieder hergestellt werden. Hierzu bietet dann sich in der Tat eine Novellierung des Berufs- und Standesrechts der Ärzteschaft an und es ist unverständlich, warum sich die verfasste Ärzteschaft bei individuellen Gewissensentscheidungen derart „gängeln“ lässt.

Weder den Herren Hoppe, Montgomery, Henke oder anderen namhaften Vertretern der Zunft der Ethik oder Hobbyphilosophie kommt das „Recht“ zu, Einfluss auf das Recht zur individuellen Gewissensentscheidung zu nehmen.

Nicht der tausendjährige Mief unter den Arztkitteln ist zu bewahren, sondern es ist vielmehr Zeit für ein zeitgemäßes Berufs- und Standesrecht, dass mehr die einzelne Ärztinnen und Ärzte in den Blickpunkt nimmt und nicht eine „Institution“ und deren Organwalter, die da glauben, ihre ureigene Auffassung von Moral und Ethik zum Maßstab aller Entscheidungen erheben zu können.

Die bisherigen Formulierungen im ärztlichen Berufs- resp. Standesrecht sind entgegen der Auffassung von R. Henke nicht „beizubehalten“, sondern dringend zu ändern, anderenfalls die Rechtsaufsicht des Staates gehalten wäre, diesbezüglich zu intervenieren!

Wir brauchen keine „Oberethiker“ oder Neopaternalisten, die da meinen, einer gesamten Berufsgruppe eine „Gewissensentscheidung“ verordnen zu können. Als geeignete „Therapie“ könnte diesbezüglich ein Lesestudium eines allgemein zugänglichen Grundgesetzkommentars empfohlen werden und zumindest in diesem Zusammenhang stehend wird allzu deutlich, dass der professionsinternen Normsetzung zwingend Grenzen zu setzen sind.

Alle Ärztinnen und Ärzte „guten Willens“ sind aufgerufen, für ihren Grundrechtsschutz einzutreten und dort, wo es besonders dringlich erscheint, sollten ihnen aufgeklärte Verfassungsjuristen und im Zweifel die bei der BÄK eingerichtete Ethikkommission hilfreich zur Seite stehen. Es kann und darf nicht sein, dass einige Funktionäre meinen, die ethische und moralische „Marschrichtung“ eines gesamten Berufsstandes vorgeben zu können.

Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Lutz Barth
phpBB God
Beiträge: 1148
Registriert: 26.12.2007, 10:05
Kontaktdaten:

Zwei Professoren erteilen wohlmeinende Ratschläge!

Beitrag von Lutz Barth » 05.01.2011, 18:02

Zwei Professoren warnen aktuell vor der Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts

Es war eigentlich nicht anders zu erwarten: Zwei Professoren, namentlich der Palliativmediziner Christoph Student und der Jurist Thomas Klie, warnen vor einer Lockerung des ärztlichen Berufs- und Standesrechts:

„Student und Klie warnten, es sei mehr als unbedacht, in einer Zeit über die Freigabe der ärztlichen Beihilfe zum Suizid nachzudenken, in der der Pflegenotstand beschworen werde und eine neue Lebenswertdiskussion aufkomme. „Den Herausforderungen des demographischen Wandels haben wir anders zu begegnen als durch die Lockerungen des Standesrechts“, so Klie.

(Quelle: Schweizer Verhältnisse? Professoren warnen vor Lockerung der Suizid-Beihilfe, in Domradio.de v. 04.01.11 >>> http://www.domradio.de/aktuell/70538/sc ... nisse.html <<< (html)


So wie seinerzeit die beiden Herren ihre „Cave-Patientenverfügung“ in der Öffentlichkeit proklamiert haben und gelegentlich der Jurist Klie in seinen Beiträgen dazu hingewiesen hat, dass die Patientenverfügung das „Opium fürs Volk sei“ und hierfür freilich heftige Kritik erntete, sehen sich nunmehr die beiden Professoren erneut veranlasst, gegen den Autonomiegedanken im weitesten Sinne ins Feld zu ziehen. Die beabsichtigten Lockerungen des ärztlichen Standesrechts sind nicht etwa dem demografischen Wandel geschuldet, sondern schlicht der Notwendigkeit, den längst überfälligen Schutz der Gewissensfreiheit der Ärzteschaft nachhaltig abzusichern. Ein Grundrechtsschutz, der weder im Belieben der Kammern steht, geschweige denn an den moralischen Werten einiger Oberethiker in unserem Lande auszurichten ist.

Während das Statement des Palliativmediziners vielleicht noch aufgrund fehlender verfassungsrechtlicher Kenntnisse verzeihlich ist, gilt dies nicht ohne weiteres für den Juristen Klie.

Gerade von den Rechtswissenschaftlern darf erwartet werden, dass diese den Grundrechten eine überragende Bedeutung beimessen und zumindest hierbei die herrschende Lehre auch über den näheren Sinn und Zweck des Selbstbestimmungsrechts widerspiegeln. Ein solches gilt auch für den Rechtswissenschaftler Klie, der sich bereits in der Debatte um die Patientenverfügung besonders hervorgetan und letztlich vehement vor dieser gewarnt hat.

Der aktuelle Versuch, sich gegen die Liberalisierung des ärztlichen Standesrechts stemmen zu wollen, wird – ebenso wie bei der Debatte um die Patientenverfügung – ohne Erfolg bleiben, ist doch davon auszugehen, dass die Liberalisierung des Berufsrechts allein aus verfassungsrechtlichen Gründen unabdingbar ist.

Dies nicht zu erkennen, ist mehr als bedauerlich und zeigt erneut, dass nicht nur eine offene, sondern letztlich auch eine Fachdebatte zu führen ist, in der das Verfassungsrecht die entscheidenden Impulse setzt: Die Ethik und die moralischen Wertvorstellungen einiger Weniger ersetzen oder verdrängen nicht die Grundrechte und zwar weder der Ärzteschaft noch die der Patienten.

Ein offener Blick in das Verfassungsrecht kann hier ganz entscheidend zur Rechtsfindung beitragen.

Um es deutlich auf den Punkt zu bringen: Derartige Botschaften bedrohen die Freiheit Andersdenkender und lässt auf ein Verständnis von Grundfreiheiten schließen, dass mehr als seltsam ist.

Und in der Tat: Seit geraumer Zeit ist auffällig, dass gerade der Grundrechtsschutz etwa der Ärzte und Patienten zunehmend in den Fokus der Betrachtungen rückt, aufgrund dessen es zwingend erforderlich erscheint, vor den Gefahren der Botschaften einiger Überzeugungstäter nachhaltig zu warnen.

Es wird keine lex Hoppe noch eine lex Klie, Student, Dörner oder Bauer (und freilich anderer) geben, bei der zentrale Grundrechte versenkt werden. Punkt um!
Auch professionsinterne Normen oder standesrechtliche Botschaften müssen sich an dem übergeordneten Verfassungsrecht messen lassen – ein Umstand, der deutlich in der aktuellen Debatte um die Liberalisierung der ärztlichen Suizidassistenz hervorzuheben ist.

Mehr aber eben auch nicht weniger ist gefordert und die Kritiker einer Liberalisierung des ärztlichen Berufs- und Standesrechts sind hier ausgedrücklich aufgefordert, ihre Argumente zu offenbaren, bei denen es dann in der Folge Sinn machen könnte, inhaltlich zu diskutieren.

Ansonsten gilt: Abusus non tollit usum!

Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

johannes
Sr. Member
Beiträge: 309
Registriert: 05.08.2006, 21:31

Beitrag von johannes » 05.01.2011, 23:18

Es ist schon interessant, daß bei der Lockerung des Lebensschutzes immer wieder

Code: Alles auswählen

zentrale Grundrechte
ins Feld geführt werden. Mir scheint, daß an die Stelle einer übergeordneten, der Willkür des Menschen entzogenen Rechtsordnung, das Recht des Stärkeren rückt. Gewiß, zu Beginn zaghaft, verbrämt mit den Begriffen Menschenwürde und Grundrecht, später immer offener, ohne den zur Etablierung erforderlichen Deckmantel.

Es ist wohl eine Tatsache, daß die Entartung des menschlichen Denkens nicht aufzuhalten ist. In diesem Zusammenhang wird eine sich entwickelnde Rechtsprechung zu einer in ihrer Endphase mörderischen Tötungsmentalität führen.

Erinnern wir uns. Anfangs hieß es, daß jeder Einzelne ein Grundrecht habe, sein Leben zu beenden. Dies war der erste Schritt! Wir sind in der Diskussion bereits über dies Phase hinaus, da es nicht mehr um ein imaginäres Recht auf Selbsttötung geht, sondern auf ein Recht, Dritte in diesen Prozess einzubeziehen. Wenn auch dieser zweite Schritt derzeit noch auf der Basis der Freiwilligkeit der Beteiligung Dritter beruht, ist abzusehen, daß der dritte Schritt mit einer Verpflichtung Dritter, in diesen Tötungsmechanismus eingebunden zu werden bereits vorbereitet wird.

Dadurch, daß die bisherige Ethik und moralische Wertvorstellung zum Schutz des Lebens bereits offen kritisiert wird und deren Vertreter in die Ecke gestellt werden als Auslaufmodell, findet ein systematischer Umerziehungsprozess statt. Wir sind bereits so weit, daß von Menschen, die sich gegen eine gesetzliche Freigabe einer Tötungmentalität wenden, öffentlich als von

Code: Alles auswählen

Überzeugungstätern
gesprochen wird.

Es ist faszinierend zu beobachten, wie die alten Worte der Bibel Wirklichkeit werden, daß bisheriges Unrecht zu Recht erhoben wird und bisheriges Recht für Unrecht erklärt wird. Wir sind also schon so weit, daß der Schutz des Lebens eine "gefährliche Botschaft ist, vor der nachhaltig zu warnen" ist.

Es mag zutreffen, daß es keine lex Hoppe oder Klie, Student, u.a. geben wird. Ich bin überzeugt davon, daß es sehr wohl sehr bald eine lex Barth und Gleichgesinnter geben wird, auch wenn ich sie zutiefst ablehne. Ich hoffe nur, daß ich sie nicht mehr erleben muß.

Derzeit fliehen alte, pflegebedürftige Menschen aus Holland noch nach Deutschland ob der bereits über lex Barth hinausgehenden Wirklichkeit in ihrem Heimatland. Kommt die lex Barth in Deutschland, habe diese sich wohl geschnitten. Sie werden dann vielleicht in die Taiga fliehen müssen, um dem moralischen Verfall zu entweichen, der sie bereits heute zum Freiwild der Mediziner gemacht hat.

Mehrere tausend Menschen - allein in den Niederlanden, die ohne ihr Einverständnis, ja sogar ohne ihr Wissen, als lebensunwert behandelt wurden und damit ihr Todesurteil empfingen, sind ein beredtes Zeugnis dieser Entwicklung.
Ein Mensch funktioniert nicht - er lebt!

Lutz Barth
phpBB God
Beiträge: 1148
Registriert: 26.12.2007, 10:05
Kontaktdaten:

@Johannes

Beitrag von Lutz Barth » 09.01.2011, 08:05

Verehrter Johannes.

Ob es faszinierend ist, zu beobachten,

"wie die alten Worte der Bibel Wirklichkeit werden, daß bisheriges Unrecht zu Recht erhoben wird und bisheriges Recht für Unrecht erklärt wird"

vermag ich nicht beurteilen wollen, da ich im Diesseits lebe, denke und beabsichtige, ggf. für eine Wertekultur einzutreten, die von Toleranz geprägt ist und zwar auf der Grundlage unseres gemeinsamen Verfassungsrechts.

Ob dies gleichsam auf eine "Entartung menschlichen Denkens" zurückzuführen ist, die nicht mehr aufzuhalten ist, ist - auch wenn der Sprachduktus etwas ungewöhnlich und verdächtig erscheinen muss - aus meiner Sicht mit Blick auf einen freiheitsliebenden Menschen mehr als begrüßenswert, sind wir doch in unserer säkularen Gesellschaft weit davon entfernt, "keine anderen Göttern (oder eben Ethiker oder Moralisten) neben uns haben zu dürfen".

Insofern sind es die "Überzeugungstäter", von denen Gefahren ausgehen, auch wenn diese ihre Überzeugungen entweder aus ihrem "Glauben" oder ihren ethischen und moralischen Werte generieren und damit speisen.

Ob eine "Flucht" von alten und pflegebedürftigen Menschen nach Deutschland stattgefunden hat oder im Zweifel noch stattfinden wird, vermag ich in Ermangelung eines empirischen Nachweises nicht beurteilen wollen, wenngleich dies auch nicht entscheidungserheblich ist. Im Zweifel sollten die nach Lebensschutz strebenden Menschen eine Fahrkarte in den Vatikan-Staat lösen, so wie hierzulande der Sterbewillige eine Fahrkarte ins europäische Ausland lösen muss, um seine letzte Fahrt ins Jenseits antreten zu können. Der "Lebenstourismus" gesellt sich dann zum "Sterbetourismus" und so manches "Reisebüro" würde sich durch eine Erweiterung seines "Angebots" einen weiteren Markt erschließen.

Gruß Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Antworten