Angehörige leisten Beihilfe beim Suizid der Mutter

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

Antworten
Service
phpBB God
Beiträge: 1828
Registriert: 14.09.2006, 07:10

Angehörige leisten Beihilfe beim Suizid der Mutter

Beitrag von Service » 08.09.2010, 13:21

Angehörige leisten Beihilfe beim Suizid der Mutter - Staatsanwaltschaft München bestätigt Rechtmäßigkeit des Handelns

Die 77 -jährige Münchnerin Anna P. (Name geändert) wusste seit langem, dass sie an Alzheimerscher Demenz litt. Sie war insoweit auch in ärztlicher Behandlung. Sie wusste um die Entwicklung dieses Krankheitsbildes. Sie plante deshalb, sich das Leben zu nehmen, bevor sie aufgrund des Fortschreitens der Krankheit dazu nicht mehr der Lage war.

Die Medizinrechtliche Sozietät Putz & Steldinger sicherte das Vorhaben der Dame rechtlich ab. Die Freiverantwortlichkeit wurde ärztlich attestiert. In einer von den Rechtsanwälten der Medizinrechtlichen Sozietät Putz & Steldinger erarbeiteten besonderen Erklärung der Mutter wurde den Kindern aufgegeben, ihren Willen zu respektieren und ihr Versterben nicht zu verhindern. Dadurch waren die Kinder abgesichert. So konnten sie ihrer Mutter bei ihrem Freitod beistehen. Die Familie versammelte sich, nahm Abschied und zwei Kinder verweilten bis zuletzt bei der Mutter, ohne sich strafbar zu machen. Nach dem Tod wurde wie geplant die Polizei verständigt und die Rechtsanwälte betreute die Familie im folgenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

In einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München I (125 Js 11736 / 09 - in Anlage *) wurde nun bestätigt, dass die Angehörigen sich dank dieser sorgfältigen juristischen Absicherung weder der Tötung durch Unterlassen noch der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hatten.

Zu rechtlicher Erläuterungen steht Rechtsanwalt Wolfgang Putz unter der u.g. Telefonnummer zur Verfügung.

Eine Identifizierung des Falles, Herausgabe von Bildern oder die Herstellung des Kontaktes zu den Beteiligten ist ausgeschlossen.

Quelle: Pressemitteilung vom 08.09.2010
------------------------------------------------------
PUTZ & STELDINGER
Medizinrechtliche Sozietät
Quagliostr. 7
81543 München
Tel. 089/ 65 20 07

*) Anlage (4 Seiten) als pdf-Datei auch bei Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk - ProPflege@wernerschell.de . abrufbar.
Wir werden den Text der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 30.07.2010 (anonymisiert) auch ins Netz stellen,
und zwar unter http://www.wernerschell.de - Aktuelles (Beiträge): http://www.wernerschell.de/aktuelles.php

+++
Zusatz der Moderation - siehe auch:
>> Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens ist nicht strafbar <<
Leitsatz: Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.
Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – (Freispruch RA Wolfgang Putz im Zusammenhang mit dem Abbruch der künstlichen Ernährung mittels Magensonde) hier - (PDF) http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... 062010.pdf
Diskussionen im Forum Werner Schell hier viewtopic.php?p=52776#52776

Presse
phpBB God
Beiträge: 14256
Registriert: 10.11.2006, 12:44

Suizidhilfe im Familienkreis rechtmäßig

Beitrag von Presse » 14.09.2010, 06:46

Suizidhilfe im Familienkreis: Staatsanwaltschaft bestätigt erstmals die Rechtmäßigkeit trotz bestehender Garantenpflicht

Was immer schon rechtstheoretisch formuliert, aber in der Praxis bisher nicht verifiziert war (trotz mehrfach angekündigtem „Präzedenzfall“ einer Suizidhilfeorganisation auf deutschem Boden, der jedoch stets ausblieb):

Nun hat relativ unspektakulär die Suizidbeihilfe bei der 77 -jährigen Münchnerin Anna P. (Name geändert) gezeigt, dass und wie eine solche auch in Deutschland juristisch möglich ist. Die Kinder selbst verständigten nach dem begleiteten Freitod wie geplant die Polizei, legten alles offen.

In der vorigen Woche veröffentlichte die Kanzlei Putz & Steldinger die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München I (125 Js 11736 / 09 – siehe Link unten) vom 30.7.2010. Darin wird sehr ausführlich juristisch begründet, dass sich die Angehörigen trotz bestehender Garantenpflicht dank sorgfältiger Absicherungskriterien keines gerichtstauglichen Deliktes schuldig gemacht haben. Folglich hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt und dies dankenswerterweise auch ausführlich begründet.

Der Fall:
Anna P. wusste seit langem, dass sie an Alzheimerscher Demenz litt. Sie war insoweit auch in ärztlicher Behandlung. Sie wusste um die Entwicklung dieses Krankheitsbildes. Sie plante deshalb, sich das Leben zu nehmen, bevor sie aufgrund des Fortschreitens der Krankheit dazu nicht mehr freiverantwortlich in der Lage gewesen wäre.

Sie trat einer Schweizer Sterbehilfeorganisation bei, die ihr jedoch bescheinigte, ihr nicht beim Freitod helfen zu können. Grund: Ihr Leiden war noch nicht weit genug fortgeschritten (es ging ihr noch zu gut), so dass mit der Organisation kooperierende Ärzte kein tödliches Rezept für sie ausstellen würden. So entschied sich Anna P. zur Selbsthilfe in den eigenen vier Wänden und besorte sich selbst tödlich wirkende Medikamente.

Die Freiverantwortlichkeit wurde ärztlich attestiert. Die Klinik, in der sich Anna P. in ambulanter Behandlung befand, war involviert und informiert. Dort verabschiedete sich die Patientin, um wie dort offen dargelegt an einem festgelegten Tag im Kreise ihrer Kinder Suizid zu begehen ...

Weiter zum Fall Anna P. und zur Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ihre Kinder betreffend (Original-Scan anonymisiert):
„Seit 30.7. 2010 amtlich: Wie Hilfe und Begleitung zum Suizid juristisch folgenlos bleibt“

Hinzu kam in der letzten Woche der Doppelsuizid des ehemaligen Flick-Managers Eberhard von Brauchitsch und seiner Frau, beide körperlich leidend (er an Lungenemphysem, sie an fortgeschrittener Parkinson-Krankheit). Fast alle Medien berichteten darüber – in einem Sinn, als sei das „Wählen des Freitods“ im hohen Alter bei schwerster Krankheit auch in Deutschland als Selbstverständlichkeit inzwischen voll akzeptiert.

Zum Welt-Suizid-Präventionstag am 10. September
Nun fand am Freitag voriger Woche ausgerechnet auch der Welt-Suizid-Präventionstag statt unter dem Motto: Suizid hat viele Gesichter. In Deutschland nehmen sich jährlich – offiziell festgestellt - fast 10 000 Menschen das Leben (die Dunkelziffer ist erheblich höher). Bei Männern ist die Suizidrate mit 14,9 Fällen je 100 000 Einwohner mehr als dreimal so hoch wie bei Frauen, berichtete der Suizidforscher Manfred Wolfersdorf tags zuvor in Bayreuth.Die Häufigkeit von Selbsttötungen nimmt insbesondere bei Männern mit wachsendem Alter zu, berichtete Wolfersdorf.

Der Welt-Suizid-Präventionstag soll dazu beitragen, das Thema zu enttabuisieren und Anzeichen für eine Gefährdung im persönlichen Umfeld besser zu erkennen.

Dabei wird natürlich nicht von der legitimen Möglichkeit ausgegangen, eine Selbsttötung – wie oben dargestellt – als freiverantwortlich zu akzeptieren oder gar zu unterstützen. Zwischen Suizidprävention und Suizidhilfe tut sich – noch – ein scheinbar unüberbrückbarer Graben auf.

Zum Welttag der Suizidprävention:
http://www.dermerkur.de/experten_forder ... idthematik

Die Prävention ist vor allem für Menschen mit psychischer Erkrankung wie Depression wichtig:
http://www.aerzteblatt.de/Suizidpraeven ... pressionen

Aber auch die „Moderne Einsamkeit“ fördert den Suizid:
http://derstandard.at/Psyche-Moderne-Ei ... ert-Suizid

Quelle: Mitteilung vom 13.09.2010
http://www.patientenverfuegung.de

Lutz Barth
phpBB God
Beiträge: 1148
Registriert: 26.12.2007, 10:05
Kontaktdaten:

Beitrag von Lutz Barth » 14.09.2010, 13:47

Der HVD - Bundeszentralstelle Patientenverfügung geht erkennbar in seiner PM v. 13.09.10 davon aus, dass nunmehr in Deutschland die Suizidbegleitung möglich sei und im Übrigen die Rechtsmäßigkeit trotz bestehender Garantenpflicht durch die StA München I festgestellt worden ist.

In der Tat ist die Einstellungsverfügung der StA insofern eindeutig, als dass hieran anlehnend der Schluss gezogen werden kann, dass sich die StA von der Garantenpflicht verabschiedet hat. Fraglich ist allerdings, ob dem tatsächlich so ist und ob hieraus allgemeine Rechtskonsequenzen gezogen werden können, zumal gerade die "Garantenpflicht" nach wie vor umstritten ist.
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Antworten