Weitreichendes Urteil: Bundesgerichtshof entscheidet ueber Sterbehilfe
Muenchen / Karlsruhe / Berlin (ALfA). Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat sich am 2. Juni mit den grundsaetzlichen Fragen der Sterbehilfe befasst. In dem Verfahren wird ueber die Revision des Muenchner Rechtsanwalt fuer Medizinrecht und Lehrbeauftragter fuer Recht und Ethik der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universitaet Muenchen, Wolfgang Putz (59), verhandelt, der im April 2009 vom Landgericht Fulda wegen aktiver Sterbehilfe zu neun Monaten Haft verurteilt worden war. Die Strafe wurde damals gegen Zahlung von 20.000 EUR zur Bewaehrung ausgesetzt. In dem BGH-Verfahren geht es im Kern darum, Fragen der strafrechtlichen Erlaubtheit und Grenzen von passiver Sterbehilfe zu klaeren und auch zur gesamten Rechtslage nach dem neuen Patientenverfuegungsgesetz vom 1. September 2009 Stellung zu nehmen.
Hintergrund des Verfahrens ist der Fall der damals seit fuenf Jahren im Wachkoma in einem Pflegeheim liegenden 76-jaehrigen Erika K. Um ihrer Mutter nach eigenem Bekunden ein Sterben in Wuerde zu ermoeglichen, hatte die Tochter Elke G. Ende 2007 auf Behandlungsabbruch gedraengt. Putz veranlasste daraufhin im Dezember 2007 die Einstellung der kuenstlichen Ernaehrung. Dieser Anordnung hatten sich die Heimbetreiber in Bad Hersfeld jedoch nach einer bereits beendeten aerztlichen Infusionstherapie widersetzt und die kuenstliche Ernaehrung wieder aufgenommen. Auf Anraten von Putz durchschnitt die Tochter schliesslich den Schlauch der Magensonde, um das nach Ansicht des Anwalts rechtswidrige Handeln des Pflegeheimes wirksam zu verhindern.
Das Landgericht Fulda bewertete dies im anschliessenden Verfahren als versuchten Totschlag. Die Mitangeklagte Elke G. wurde in diesem Verfahren rechtskraeftig freigesprochen, weil sie sich laut Urteil vom 30. April 2009 angesichts des Rechtsrats durch den Anwalt in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und deshalb ohne Schuld gehandelt haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte in dem damaligen Verfahren fuer eine dreieinhalb-jaehrige Haftstrafe plaediert, da sie sowohl den behandelnden Arzt als auch das Pflegeheim erheblich unter Druck gesetzt haben soll. Laut Staatsanwaltschaft haetten Tochter und Anwalt gemeinschaftlich einen Rettungsversuch vereitelt und sich der aktiven Sterbehilfe schuldig gemacht. Die Patientin war bereits kurz nach Verlegung in eine Klinik, in der sie eine neue Magensonde bekam, an ihrer schweren Krankheit verstorben.
Nach der Urteilsverkuendung des Landgerichts Fulda ging Putz mit seiner auf die Sachruege gestuetzten Revision vor den Bundesgerichtshof, um einen Freispruch fuer sich zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft legte ebenfalls Revision ein. Sie beanstandete die Strafzumessung des Landgerichts und wollte im Revisionsverfahren eine Erhoehung des Strafmasses fuer Putz erwirken. Wie Putz in einer Pressemitteilung vom 15. Mai zur BGH-Verhandlung ausfuehrt, sieht er in seinem Handeln "die zwingend gebotene Abwehr des rechtswidrigen Vorhabens des Pflegeheimes". Das Landgericht Fulda habe festgestellt, dass es rechtmaessig und geboten war, die Patientin palliativ begleitet sterben zu lassen. Weiter habe es festgestellt, dass die geplante eigenmaechtige Wiederaufnahme der Ernaehrungstherapie durch das Pflegeheim eine Koerperverletzung gewesen waere. Er sei daher verpflichtet gewesen, diesen "strafbaren Angriff der Pflegekraefte" abzuwehren. Sowohl Verteidigung als auch Oberstaatsanwaltschaft beantragten vor dem BGH nun Freispruch. Oberstaatsanwalt Lothar Maur beantragte Freispruch, da der Anwalt im Sinne des Patientenverfuegungsgesetzes, d.h. nach dem Willen der Kranken, gehandelt habe.
Der Bundesgerichtshof muss sich nun mit der Frage befassen, inwieweit sich zwei Gesetze widersprechen. Zum einen das 2009 beschlossene Patientenverfuegungsgesetz, das den Sterbewillen der betroffenen Person respektiert und unabhaengig davon gilt, in welchem Gesundheitszustand sie sich befindet. Zum anderen das Verbot der Toetung auf Verlangen. Das Urteil des Landgerichts Fulda war vier Monate vor Inkrafttreten des Patientenverfuegungsgesetzes gefaellt worden. Der BGH hatte nach der Hauptverhandlung eine Entscheidung vertagt und die Urteilsverkuendung auf den 25. Juni angesetzt.
Weitreichende Folgen des zu erwartenden Urteils
Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung in Berlin hat unterdessen vor den Folgen des BGH-Urteils gewarnt. "Patienten im Wachkoma sind keine Sterbenden. Sie sind Schwerstkranke, die ein Recht auf umfassende Versorgung und Pflege haben. Wenn sich die Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes jetzt grundsaetzlich zum Abbruch lebenserhaltender Massnahmen bei entscheidungsunfaehigen Patienten aeussern, muessen sie dies in den Vordergrund ihrer Ueberlegungen stellen", erklaerte der Geschaeftsfuehrer der Stiftung, Eugen Brysch in einer Presseaussendung vom 1. Juni. "Die Entscheidung der Richter ist weitreichend. Sie wird auch die hunderttausende demenziell Erkrankten betreffen, die ebenso wenig Sterbende sind wie Patienten im Wachkoma."
Solche "Wild-West-Methoden" wie Putz sie angewandt hatte, duerfe man nicht zulassen. "Vor allem aber muss klar gestellt werden, dass es beim Abbruch lebenserhaltender Massnahmen einzig und allein auf den Willen des schwerstkranken Patienten ankommt", erklaerte Brysch. "Die entscheidenden Fragen muessen lauten: Woher wissen wir, ob das Opfer wirklich sterben wollte? Und inwiefern hatte sich im konkreten Fall, fuenf Jahre nachdem die Patientin ins Wachkoma gefallen war, ihre Situation grundsaetzlich geaendert? Schon das Landgericht Fulda haette hier Klarheit schaffen muessen. Doch der Wandel der aerztlichen Einschaetzung, ob kuenstliche Ernaehrung medizinisch angezeigt ist oder nicht, wurde nicht in Frage gestellt. Das ist gefaehrlich. Denn ob kuenstliche Ernaehrung Koerperverletzung ist, darf nicht davon abhaengen, wie lange sie andauert und wie gross die Last fuer Angehoerige ist", warnte Brysch.
Weitere Informationen
Bundesgerichtshof entscheidet am 25. Juni ueber Sterbehilfe
Von Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 02.06.10
http://faz-community.faz.net/blogs/biop ... hilfe.aspx
Quelle: Pressemitteilung vom 06.06.2010
Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA) e.V.
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