Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers wegen Verletzung bestehender Schutzpflichten durch den Arbeitgeber

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers wegen Verletzung bestehender Schutzpflichten durch den Arbeitgeber

Beitrag von WernerSchell » 17.06.2018, 06:11

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Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 09.06.2017 – 7 Sa 231/16

Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen bedingt vorsätzlichem Verstoß gegen Unfallverhütungsbestimmungen

Leitsätze:

1. Der beklagte Arzt stellte einer mit der Blutentnahme allein beauftragten Auszubildenden bewusst nicht die seit Jahren vorgeschriebenen Sicherheitskanülen zur Verfügung, obwohl er wusste, dass der Patient an Hepatitis C erkrankt ist. Die Auszubildende infizierte sich daher bei der Blutentnahme selbst und erkrankte in Folge der notwendigen Interferonbehandlung dauerhaft an rheumatischer Arthritis mit daraus folgenden schweren Lebensbeeinträchtigungen. Sie ist nunmehr schwerbehindert. Das Gericht nahm an, dass der Arzt mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, die Haftung deshalb nicht gem. § 104 SGB VII ausgeschlossen sei und verurteilte ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,- €.
2. Einem Arbeitgeber obliegt es, dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitsmittel, die er seinem Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, den Unfallverhütungsbestimmungen entsprechen (hier: unterlassene Verwendung der seit 2008 vorgeschriebenen Sicherheitskanülen zur Blutentnahme). (Rn. 33) (red. LS Alke Kayser)
3. Der Verstoß eines Arbeitgebers gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls iSd § 104 SGB VII. Ein Arbeitgeber wird trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften regelmäßig darauf hoffen, es werde kein Unfall eintreten. Umgekehrt gibt es jedoch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt. (Rn. 54 – 57) (red. LS Alke Kayser)
4. Zur Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit vom bedingten Vorsatz. (Rn. 58 – 76) (red. LS Alke Kayser)
5. Führt der Arbeitnehmer aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers oder dessen Vertreters eine gefährliche Arbeit aus, so ist regelmäßig ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Arbeitnehmers zu verneinen (Anschluss an BAG BeckRS 1983, 04997). (Rn. 103) (red. LS Alke Kayser)


Download Urteil des o.a. LAG Nürnberg > http://www.gesetze-bayern.de/Content/Do ... eSupport=1

Rechtsmittel:
BAG, Nichtzulassungsbeschwerde vom 04.08.2017, Aktenzeichen: 8 AZN 614/17 wurde am 14.12.2017 als unzulässig verworfen. > https://www.arbg.bayern.de/nuernberg/en ... /index.php
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