Streik in kirchlichen Einrichtungen - wann zulässig ?
Verfasst: 14.01.2011, 07:53
Landesarbeitsgerichts Hamm:
Streik in kirchlichen Einrichtungen nicht ausnahmslos unzulässig
Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm hat am heutigen Tage (13.01.2011) das Berufungsverfahren 8 Sa 788/10 entschieden, in dem es um die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen im Bereich der Evangelischen Kirche geht.
Im August 2008 hatte die Gewerkschaft ver.di den Verband der Diakonischen Dienstgeber zu Tarifverhandlungen aufgefordert, was dieser ablehnte. Daraufhin rief die Gewerkschaft die Mitarbeiter in Diakonischen Einrichtungen in NRW zu Aktionen und Warnstreiks auf. Im Mai 2009 fand eine Streik- und Aktionswoche statt.
Gegen die Arbeitskampfmaßnahmen regte sich die von der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover sowie Diakonischen Werken, Diakonien und weiteren Einrichtungen beim Arbeitsgericht Bielefeld erhobene Klage. Mit Urteil vom 03.03.2010 hat das Arbeitsgericht die Gewerkschaft ver.di zur Unterlassung von Streikmaßnahmen gegenüber der Evangelischen Kirche, dem Diakonischen Werk und einzelner Einrichtungen verurteilt.
Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat die Klage im Gegensatz zur Vorinstanz abgewiesen, da auch in kirchlichen Einrichtungen gewerkschaftlich organisierte Streikmaßnahmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind.
Bei der Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Streikrecht ist zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen auch Arbeitnehmer beschäftigt werden, deren Tätigkeit nicht zum in christlicher Überzeugung geleisteten „Dienst am Nächsten“ zählen. Äußerlich erkennbar wird dies u. a. daran, dass bestimmte Aufgabenbereiche mit Hilfsfunktionen (z. B. Krankenhausküche, Reinigungsdienst) ausgegliedert und auf nicht kirchliche Einrichtungen übertragen werden können. Daher ist ein Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen unverhältnismäßig. Schon deswegen ist der umfassende Unterlassungsantrag der Kläger unbegründet.
Der Ausschluss des Streikrechts lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass in kirchlichen Einrichtungen der „Dritte Weg“ beschritten wird. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Beschlüsse der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ stellt kein gleichwertiges System zur Regelung der Arbeitsbedingungen nach § 9 Abs. 3 GG dar. Da ⅔ der Arbeitnehmervertreter der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ im kirchlichen Dienst tätig sein müssen, können hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter keinen maßgeblichen Einfluss ausüben. Weitere Einschränkungen gewerkschaftlicher Interessenvertretung erfolgt dadurch, dass sich die Arbeitnehmervertreter aus sämtlichen in der Einrichtung vertretenen Mitarbeitervereinigung zusammensetzen müssen. Daher kann auch die formale Gleichheit der Anzahl von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberstimmen in der Kommission die im Vergleich zum staatlichen Tarif- und Arbeitskampfrecht erkennbare Beschränkung der kollektiven Interessenvertretung nicht ausgleichen.
Welche Einschränkungen des Streikrechts aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen folgen und wie der „Dritte Weg“ auszugestalten ist, um eine Gleichwertigkeit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen annehmen zu können, musste die Kammer nicht entscheiden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Der Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland – Westfalen - Lippe (vkm-rwl) begrüßt das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm zum Streikrecht kirchlicher Mitarbeitender. Es bedeutet zwar nicht, dass kurzfristig der sogenannte DRITTE WEG durch Tarifverträge abgelöst wird, aber der Weg dahin ist vorgezeichnet. Die Sonderstellung der Kirchen nach dem Grundgesetz ist nicht berührt, was dadurch bestätigt wird, dass einige Landeskirchen unproblematisch die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden über Tarifverträge regeln.
In den vergangenen Jahren war die kircheneigene Arbeitsrechtsregelung immer mehr in die Kritik geraten, weil die Bedingungen immer wieder arbeitgeberseitig verändert wurden , unter denen paritätisch mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzte Kommissionen verhandelten.
Kirche und Diakonie werden ihr eigenes System der Arbeitsrechtssetzung nur weiter aufrecht erhalten können, wenn die immer wieder beschworene Dienstgemeinschaft tatsächlich mit Leben erfüllt wird und der DRITTE WEG durch eine eigene Qualität Anerkennung in der Arbeitnehmerschaft und der Rechtsprechung findet.
Ein mutiger Schritt dazu wäre die Anerkennung dieses Urteils durch Kirche und Diakonie und ein Zugehen auf die Verbände, in denen sich Mitarbeitende zusammengeschlossen haben, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, auf denen in Zukunft ausgewogene Arbeitsbedingungen für die engagierte Mitarbeiterschaft gefunden werden können.
Quelle: Pressemitteilung vom 13.01.2011
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
Weißenburger Straße 12
44135 Dortmund
Tel.: 0231/ 579743
Streik in kirchlichen Einrichtungen nicht ausnahmslos unzulässig
Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm hat am heutigen Tage (13.01.2011) das Berufungsverfahren 8 Sa 788/10 entschieden, in dem es um die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen im Bereich der Evangelischen Kirche geht.
Im August 2008 hatte die Gewerkschaft ver.di den Verband der Diakonischen Dienstgeber zu Tarifverhandlungen aufgefordert, was dieser ablehnte. Daraufhin rief die Gewerkschaft die Mitarbeiter in Diakonischen Einrichtungen in NRW zu Aktionen und Warnstreiks auf. Im Mai 2009 fand eine Streik- und Aktionswoche statt.
Gegen die Arbeitskampfmaßnahmen regte sich die von der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover sowie Diakonischen Werken, Diakonien und weiteren Einrichtungen beim Arbeitsgericht Bielefeld erhobene Klage. Mit Urteil vom 03.03.2010 hat das Arbeitsgericht die Gewerkschaft ver.di zur Unterlassung von Streikmaßnahmen gegenüber der Evangelischen Kirche, dem Diakonischen Werk und einzelner Einrichtungen verurteilt.
Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat die Klage im Gegensatz zur Vorinstanz abgewiesen, da auch in kirchlichen Einrichtungen gewerkschaftlich organisierte Streikmaßnahmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind.
Bei der Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Streikrecht ist zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen auch Arbeitnehmer beschäftigt werden, deren Tätigkeit nicht zum in christlicher Überzeugung geleisteten „Dienst am Nächsten“ zählen. Äußerlich erkennbar wird dies u. a. daran, dass bestimmte Aufgabenbereiche mit Hilfsfunktionen (z. B. Krankenhausküche, Reinigungsdienst) ausgegliedert und auf nicht kirchliche Einrichtungen übertragen werden können. Daher ist ein Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen unverhältnismäßig. Schon deswegen ist der umfassende Unterlassungsantrag der Kläger unbegründet.
Der Ausschluss des Streikrechts lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass in kirchlichen Einrichtungen der „Dritte Weg“ beschritten wird. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Beschlüsse der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ stellt kein gleichwertiges System zur Regelung der Arbeitsbedingungen nach § 9 Abs. 3 GG dar. Da ⅔ der Arbeitnehmervertreter der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ im kirchlichen Dienst tätig sein müssen, können hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter keinen maßgeblichen Einfluss ausüben. Weitere Einschränkungen gewerkschaftlicher Interessenvertretung erfolgt dadurch, dass sich die Arbeitnehmervertreter aus sämtlichen in der Einrichtung vertretenen Mitarbeitervereinigung zusammensetzen müssen. Daher kann auch die formale Gleichheit der Anzahl von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberstimmen in der Kommission die im Vergleich zum staatlichen Tarif- und Arbeitskampfrecht erkennbare Beschränkung der kollektiven Interessenvertretung nicht ausgleichen.
Welche Einschränkungen des Streikrechts aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen folgen und wie der „Dritte Weg“ auszugestalten ist, um eine Gleichwertigkeit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen annehmen zu können, musste die Kammer nicht entscheiden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Der Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland – Westfalen - Lippe (vkm-rwl) begrüßt das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm zum Streikrecht kirchlicher Mitarbeitender. Es bedeutet zwar nicht, dass kurzfristig der sogenannte DRITTE WEG durch Tarifverträge abgelöst wird, aber der Weg dahin ist vorgezeichnet. Die Sonderstellung der Kirchen nach dem Grundgesetz ist nicht berührt, was dadurch bestätigt wird, dass einige Landeskirchen unproblematisch die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden über Tarifverträge regeln.
In den vergangenen Jahren war die kircheneigene Arbeitsrechtsregelung immer mehr in die Kritik geraten, weil die Bedingungen immer wieder arbeitgeberseitig verändert wurden , unter denen paritätisch mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzte Kommissionen verhandelten.
Kirche und Diakonie werden ihr eigenes System der Arbeitsrechtssetzung nur weiter aufrecht erhalten können, wenn die immer wieder beschworene Dienstgemeinschaft tatsächlich mit Leben erfüllt wird und der DRITTE WEG durch eine eigene Qualität Anerkennung in der Arbeitnehmerschaft und der Rechtsprechung findet.
Ein mutiger Schritt dazu wäre die Anerkennung dieses Urteils durch Kirche und Diakonie und ein Zugehen auf die Verbände, in denen sich Mitarbeitende zusammengeschlossen haben, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, auf denen in Zukunft ausgewogene Arbeitsbedingungen für die engagierte Mitarbeiterschaft gefunden werden können.
Quelle: Pressemitteilung vom 13.01.2011
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
Weißenburger Straße 12
44135 Dortmund
Tel.: 0231/ 579743