Oberlandesgericht Hamm
Folgen einer strafbaren Beschneidung
müssen aufgeklärt werden
Wird ein Angeklagter nach einer rechtswidrigen Beschneidung eines Kindes
wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, hat das Tatgericht im
Rahmen der Strafzumessung regelmäßig das Ausmaß der konkreten Verletzung
und die Auswirkungen der Tat auf das geschädigte Kind aufzuklä-
ren. Ausgehend von dieser Rechtslage hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts
Hamm am 21.11.2017 das von der Staatsanwaltschaft mit der
Revision angefochtene Berufungsurteil des Landgerichts Essen vom
22.05.2017 (Az. 31 Ns 13/17 LG Essen) aufgehoben und das Verfahren zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer
des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Der heute 35 Jahre alte Angeklagte aus Langenberg stammt aus Südosteuropa.
Für die beiden Kinder des Angeklagten, einen Jungen und ein Mädchen,
hat die vom Angeklagten getrennt lebende Kindesmutter das alleinige
Sorgerecht. Die Beteiligten bekennen sich zum islamischen Glauben.
In Absprache mit der Mutter verbrachten beide Kinder die Sommerferien
des Jahres 2015 bei dem Angeklagten. Während der Sommerferien ließ
der Angeklagte seinen seinerzeit 6 Jahre alten Sohn ohne Zustimmung der
Mutter und gegen den Willen des Kindes in einem Beschneidungszentrum
in Essen beschneiden. Zur Tatzeit bestand keine gesundheitliche Gefahr
für den Jungen, die durch den Eingriff hätte abgewendet werden müssen.
Wegen dieser Tat verurteilte das Amtsgericht - Schöffengericht - Essen den
Angeklagten am 01.09.2016 (Az. 58 Ls 91/16 AG Essen) wegen vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung der
Staatsanwaltschaft Essen gegen dieses Urteil verhängte das Landgericht -
kleine Strafkammer - Essen im Berufungsverfahren gegen den Angeklagten
eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und setzte deren Vollstreckung wiederum
zur Bewährung aus. Die vom Angeklagten gegen das erstinstanzliche
Urteil eingelegte Berufung wies das Landgericht Essen als unbegründet
zurück. In der Berufungsverhandlung beschränkten die Staatsanwaltschaft
und der Angeklagte ihre jeweiligen Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch.
Zur Begründung seiner Strafzumessungsentscheidung führte das Landgericht
in den schriftlich abgesetzten Urteilsgründen - neben Gründen der
Strafmilderung - aus, strafschärfend wirke, dass sich der Angeklagte über
die Meinung der allein sorgeberechtigten Mutter hinweggesetzt und die
Zeit, in der sein Sohn seine Sommerferien bei ihm verbracht habe, zu der
Tat ausgenutzt habe. Ferner sei strafschärfend zu berücksichtigen, dass
der Junge bereits relativ alt gewesen sei und trotz seines Alters keine Möglichkeit
gehabt habe, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken.
Mit der gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft
die Verletzung materiellen Rechts. Aus ihrer Sicht ist die Bestra-
fung des Angeklagten unangemessen milde, die Aussetzung der Vollstreckung
der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung sei, so die Anklagebehörde,
rechtsfehlerhaft und beruhe u.a. auf einer lückenhaften Aufklä-
rung der Tatfolgen.
Das von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel war erfolgreich.
Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat das angefochtene Berufungsurteil
im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen
aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts
Essen zurückverwiesen.
Die Staatsanwaltschaft rüge zu Recht, so der Senat, dass die Strafzumessung
des Berufungsgerichts lückenhaft und damit fehlerhaft sei. So habe
das Berufungsgericht versäumt aufzuklären, wie der eigentliche "Beschneidungsvorgang"
abgelaufen und in welchem Ausmaß das geschädigte Kind
bei der - regelmäßig mit Schmerzen verbunden - Operation psychischen
oder physischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Ebenso wenig habe
das Berufungsgericht festgestellt, ob und welche Auswirkungen die Tat auf
die spätere Entwicklung des Kindes in körperlicher und auch in psychischer
Hinsicht im Sinne sogenannter nachhaltiger Tatfolgen haben könne.
Der zu beurteilende Fall gebe Veranlassung zu derartigen Feststellungen.
Sorgeberechtigte Eltern seien nach dem Gesetz verpflichtet, einen beabsichtigten
Eingriff mit ihrem Kind in einer seinem Alter und seinen Entwicklungsstand
entsprechenden Art und Weise zu besprechen. Es sei in kindgerechter
Weise zu versuchen, mit dem Kind Einvernehmen herzustellen.
Auch wenn der Angeklagte zu keiner Zeit sorgeberechtigt gewesen sei,
habe er doch ein solches Gespräch mit dem Kind vor der Durchführung der
Beschneidung führen müssen. Ob und gegebenenfalls inwieweit ein solches
Gespräch stattgefunden habe, sei im Rahmen der Strafzumessung im
Zusammenhang mit der Frage eines kindgerechten Umgangs mit dem geschädigten
Kind von Bedeutung.
Aufgrund der Darstellungsmängel sei das Berufungsurteil im Rechtsfolgenausspruch
aufzuheben. Es sei nicht auszuschließen, dass die Mängel die
Strafzumessung des Berufungsgerichts beeinflusst hätten. Diese habe
nunmehr eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen in einer
erneuten Verhandlung vorzunehmen.
Rechtskräftiges Urteil des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm
vom 21.11.2017 (Az. 5 RVs 125/17 OLG Hamm)
Quelle: Pressemitteilung vom 18.01.2018
Oberlandesgericht Hamm
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