Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

Gesundheitswesen, Krankenhaus- und Heimwesen, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Arzneimittel- und Lebensmittelwesen, Infektionsschutzrecht, Sozialrecht (z.B. Krankenversicherung, Pflegeversicherung) einschl. Sozialhilfe und private Versorgung

Moderator: WernerSchell

Gesperrt
WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25301
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

Beitrag von WernerSchell » 09.08.2018, 05:58

Bild

Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

Von Big Data versprechen sich viele Akteure im Gesundheitswesen bessere Erkenntnisse und damit bessere Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Professor Gerd Antes, Co-Direktor von Cochrane Deutschland und wissenschaftlicher Vorstand der Cochrane Deutschland Stiftung in Freiburg, warnt davor, dass das Thema viel zu unkritisch betrachtet wird.

Warum mehr Daten eben nicht unbedingt mehr Wissen bedeuten, und wie ein verantwortungsvoller Umgang damit aussehen sollte, legt er in seiner mit Spannung erwarteten Keynote „Big Data – Datenrauschen auch in der Geriatrie?“ dar – beim gemeinsamen Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Der Kongress findet unter dem Motto „Vielfalt des Alterns: biomedizinische und psychosoziale Herausforderungen“ vom 6. bis 8. September 2018 in Köln statt.

Herr Professor Antes, warum setzen Sie sich mit dem Thema „Big Data im Gesundheitswesen“ auseinander?

Big Data ist gerade in aller Munde und viele Akteure im Gesundheitswesen versprechen sich davon, dass mehr Daten auch zu mehr Wissen und damit zu besseren Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten führen. Sicherlich gibt es zum Beispiel hervorragende Apps oder Erinnerungssysteme, die insbesondere in der Altersmedizin die Versorgung erleichtern. Ich bin allerdings der festen Überzeugung und kann auch belegen, dass das Thema Big Data, insbesondere im Gesundheitswesen, viel zu unkritisch gesehen wird.

Was müsste denn kritischer gesehen werden?

Ich kritisiere, dass dabei das wissenschaftliche Denken außer Kraft gesetzt wird. Dank unbegrenzter Datenmengen wird Korrelation auf einmal zu Kausalität. Nach dem Motto: Je mehr Daten wir haben, desto genauere Aussagen können wir daraus ableiten. Dieser versprochene Nutzen lässt sich bisher aber nicht feststellen und die Risiken und Kosten werden nicht dazu in Bezug gesetzt. Die Vermutung, dass mehr Daten automatisch auch zu mehr Wissen führen, ist schlichtweg falsch. Im Gegenteil: Mehr Daten können auch mehr Fehler bedeuten, was ein großes Risiko in der Patientenversorgung darstellt. Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte rationale Betrachtung von Big Data, wie es in jeder Technikfolgenabschätzung üblich ist. Es braucht nicht weniger, sondern mehr Methoden als sonst.

Warum ist das Thema besonders relevant in der Altersmedizin?

Weil sie in der Altersmedizin noch mehr Daten zu den Patientinnen und Patienten haben, aufgrund der längeren Lebenszeit und der Multimorbidität. Wenn man bei diesen hochdimensionalen Daten einzelne Mechanismen herausfischen will, läuft man noch mehr Gefahr, etwas richtig falsch zu machen. Besonders in der Geriatrie sollte man also nicht einfach die Datenkrake loslaufen lassen. Der Begriff Qualität, der sonst im Gesundheitswesen allerhöchste Priorität hat, taucht bei dem Thema Big Data interessanterweise an keiner Stelle auf!

Aber Big Data und Co bringen ja auch neue Möglichkeiten mit sich, um der Vielfalt des Alterns zu begegnen.

Wir erleben gerade eine große Entfremdung der Bevölkerung von der Medizin. Alle wollen mehr Sprechzeiten und persönliche Zuwendung. Aber alles, was jetzt gerade passiert im Hinblick auf die Digitalisierung und Big Data, geht in eine ganz andere Richtung. Das trifft massiv die älteren Patientinnen und Patienten. Neue Technologien bringen zwar neue Möglichkeiten und damit Vielfalt mit sich, haben jedoch ernsthafte Nebenwirkungen, die mit hoher Priorität ebenfalls betrachtet werden müssen.

Wie wird das Thema Big Data im Gesundheitswesen in anderen Ländern gehandhabt und was wünschen Sie sich hier für die Zukunft?

Einzelne Länder gehen derzeit sehr unterschiedlich mit dem Thema Datenschutz und Datenmanagement im Gesundheitswesen um. Während in Ländern wie den USA die Privatheit der eigenen Daten kaum noch existiert, wird das in Europa sehr viel anders gehandhabt, seit Kurzem durch die EU-Datenschutzverordnung auch mit zunehmender Harmonisierung zwischen den einzelnen Ländern. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn international das Thema Big Data und der Umgang damit kritischer gesehen wird und wissenschaftlich fundierte Datenqualität in Zukunft den nötigen Stellenwert bekommt. Praktisch heißt das, sich nicht nur von den Versprechungen leiten zu lassen, sondern für die Nutzung sorgfältig abwägende Nutzen-Risiko-Betrachtungen verpflichtend zu machen.

Bild
Professor Gerd Antes, Co-Direktor von Cochrane Deutschland
Medienzentrum Universitätsklinikum Freiburg


Zur Person:
Professor Gerd Antes ist Co-Direktor von Cochrane Deutschland sowie wissenschaftlicher Direktor der Cochrane Deutschland Stiftung in Freiburg und gilt als einer der Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin in Deutschland. Der Mathematiker und Biometriker ist seit 2000 Gründungs- und Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Seit 1987 ist er, mit einer Unterbrechung von zwei Jahren, angestellt beim Universitätsklinikum Freiburg, 2012 wurde er zum Honorarprofessor ernannt. Professor Antes war Mitglied der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut. Im Jahr 2009 erhielt er das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft.

Termin:
Prof. Dr. Gerd Antes
Keynote-Lecture: „Big Data – Datenrauschen auch in der Geriatrie?“
Hörsaalgebäude 105, Hörsaal B, Universität zu Köln

Freitag, 07.09.2018
09:45 – 10:30 Uhr

Pressekontakt der DGG
Torben Brinkema
medXmedia Consulting KG
Nymphenburger Str. 19
80335 München
Tel: +49 (0)89 / 230 69 60 21
Fax: +49 (0)89 / 230 69 60 24
E-Mail: presse@dggeriatrie.de

Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Ärzte, die sich auf die Medizin der späten Lebensphase spezialisiert haben. Wichtige Schwerpunkte ihrer Arbeit sind neben vielen anderen Bewegungseinschränkungen und Stürze, Demenz, Inkontinenz, Depressionen und Ernährungsfragen im Alter. Häufig befassen Geriater sich auch mit Fragen der Arzneimitteltherapie von alten Menschen und den Wechselwirkungen, die verschiedene Medikamente haben. Bei der Versorgung geht es darum, den alten Menschen ganzheitlich zu betreuen und ihm dabei zu helfen, so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt zu leben. Die DGG wurde 1985 gegründet und hat heute rund 1700 Mitglieder.

Quelle: Pressemitteilung vom 08.08.2018
Torben Brinkema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
https://idw-online.de/de/news700396

Anhang > https://idw-online.de/de/attachment66280
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25301
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

Beitrag von WernerSchell » 10.08.2018, 06:06

Ärzte Zeitung vom 09.08.2018:
Cochrane Deutschland Stiftung
Big Data: "Mehr Daten können auch mehr Fehler bedeuten"

Vor einer zu unkritischen Betrachtung des Themas Big Data in der Medizin hat Professor Gerd Antes, wissenschaftlicher Vorstand der Cochrane Deutschland Stiftung in Freiburg, gewarnt. mehr » https://www.aerztezeitung.de/nl/?sid=96 ... efpuryykqr
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25301
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

Beitrag von WernerSchell » 04.07.2019, 12:44

Bild

Länger gesund leben: Was die Altersmedizin von den Fischen lernen kann

Was passiert eigentlich genau beim Alterungsprozess? Warum altern wir? Und wie können Menschen noch möglichst lange in ihrem Leben gesund und fit bleiben? Zu diesen komplexen und spannenden Fragen forscht Professor Dr. Christoph Englert am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut in Jena. Um Antworten zu finden, helfen dem renommierten Genetiker Experimente mit Tieren, wie zum Beispiel ein kurzlebiger Killifisch aus Afrika oder Fadenwürmer.

Welche aktuellen Erkenntnisse hat er daraus gewonnen und wie kommen diese möglicherweise auch dem älteren Menschen zugute? – Das zeigt Englert in seiner Keynote „Warum altern wir? Möglichkeiten und Grenzen der Alternsforschung“ beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), der vom 5. bis 7. September 2019 in Frankfurt am Main stattfindet.

Aktuell Eine grundsätzliche Frage, mit der sich Christoph Englert schon lange intensiv auseinandersetzt, ist: Wie beeinflussen Genetik auf der einen Seite und äußere Umweltfaktoren sowie Verhalten auf der anderen Seite den eigenen Alterungsprozess und die Lebenserwartung? „Ich würde es so beschreiben: Unsere Gene schaffen einen Möglichkeitsraum und mit unserer Lebensweise füllen wir diesen Raum aus. Wie wir das machen, ist uns selbst überlassen“, erklärt er.

Tiermodelle in der Alternsforschung sollen Menschen nutzen

Anhand von Experimenten, etwa mit bestimmten kurzlebigen Fischarten, versucht Englerts Forschungsgruppe herauszufinden, welche genetischen Programme und biochemischen Signalwege die Lebensspanne von Wirbeltieren steuern. „Es gibt sehr große Evidenz dafür, dass es allgemeine Alterungsprinzipien gibt, die etwa beim Fadenwurm, beim Fisch, bei der Maus und eben auch beim Menschen auftreten. Wir brauchen daher Tiermodelle in der Alternsforschung, um Mechanismen für den Menschen abzuleiten und uns zunutze zu machen“, sagt Englert.

Englerts Vision: die Gesundheitsspanne im menschlichen Leben verlängern

In der Hoffnung auf ein längeres Menschenleben testet man in der Pharmakologie derzeit zum Beispiel sogenannte Senolytika: Das sind Medikamente, die darauf abzielen, bestimmte alternde Zellen zu entfernen. Professor Dr. Englert kann die Faszination für ein sehr langes Leben zwar nachvollziehen, hat selbst aber ein anderes Ziel: „Mit meiner Forschung will ich dazu beizutragen, die Gesundheitsspanne in einem menschlichen Leben zu verlängern, nicht das Leben insgesamt. Die multimorbiden Phasen könnten so verkürzt und die Lebensqualität im Alter gesteigert werden.“

Geriatrie wird in Zukunft immer wichtiger

Für die geriatrische Praxis würde das nur eine Verschiebung bedeuten. „Auch wenn viele Menschen länger fit sein werden, wird die Altersmedizin immer wichtiger. Denn es wird insgesamt immer mehr ältere Menschen geben – und mit steigendem Alter nehmen nun auch einmal Krankheiten zu. Man denke allein an Alzheimer“, so Englert.

Der alte Mensch muss mehr in den gesellschaftlichen Fokus rücken

Damit Menschen länger gesund leben können, seien neben der Biomedizin aber auch zahlreiche andere Bereiche gefragt: „Wichtige Faktoren sind zum Beispiel Bildung, die Wohnsituation oder auch das Altersbild allgemein. Den alten Menschen mehr in die Mitte der Gesellschaft zu rücken, ist auch eine Aufgabe der Politik“, so Englert. Noch sei das Altern für viele Menschen eher eine Horrorvorstellung. Das könnte man ändern, wenn Senioren mehr Bedeutung und Aufgaben in der Gesellschaft hätten.

Zur Person:
Professor Dr. Englert leitet die Forschungsgruppe Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena. Nach dem Diplom-Studium der Biochemie an der Universität Tübingen promovierte er am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und habilitierte in Genetik an der Universität Karlsruhe. Seit 2004 ist er Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Professor Dr. Englert ist Editorial Bord Member der Zeitschriften „Cells“, „Experimental Gerontology“ und „PLoS ONE“. Im Jahr 2010 erhielt er den Max-Bürger-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie und 2018 den Thüringer Forschungspreis.

Termin:
Prof. Dr. Christoph Englert
Keynote-Lecture: „Warum altern wir? Möglichkeiten und Grenzen der Alternsforschung“
Geriatrie-Kongress
Hörsaalzentrum, Campus Westend, Goethe Universität Frankfurt am Main
Freitag, 6. September 2019
14.30 Uhr, Hörsaal 2

Pressekontakt der DGG

Torben Brinkema
medXmedia Consulting KG
Nymphenburger Str. 19
80335 München
Tel: +49 (0)89 / 230 69 60 21
Fax: +49 (0)89 / 230 69 60 41
E-Mail: presse@dggeriatrie.de

Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Ärzte, die sich auf die Medizin der späten Lebensphase spezialisiert haben. Wichtige Schwerpunkte ihrer Arbeit sind neben vielen anderen Bewegungseinschränkungen und Stürze, Demenz, Inkontinenz, Depressionen und Ernährungsfragen im Alter. Häufig befassen Geriater sich auch mit Fragen der Arzneimitteltherapie von alten Menschen und den Wechselwirkungen, die verschiedene Medikamente haben. Bei der Versorgung geht es darum, den alten Menschen ganzheitlich zu betreuen und ihm dabei zu helfen, so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt zu leben. Die DGG wurde 1985 gegründet und hat heute rund 1700 Mitglieder.

Weitere Informationen:
https://www.dggeriatrie.de/presse/press ... gesund-leb...
http://geriatrie-kongress.de/

Anhang
attachment icon PM: Länger gesund leben: Was die Altersmedizin von den Fischen lernen kann > https://idw-online.de/de/attachment72387

Quelle: Pressemitteilung vom 04.07.2019
Torben Brinkema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
https://idw-online.de/de/news718742
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25301
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Wohnortnahe geriatrische Versorgung bis 2050 etablieren

Beitrag von WernerSchell » 08.07.2019, 06:11

Ärzte Zeitung vom 08.07.2019:
Problemfall demografischer Wandel
Wohnortnahe geriatrische Versorgung bis 2050 etablieren

Wie können ältere Menschen in Zukunft gut versorgt werden? Auf einer Fachtagung wurde zum Beispiel die Forderung nach einem dichten Netz von geriatrischen Rehazentren laut. ... > http://ods-mailing.springer-sbm.com/d-r ... &tags=test
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Gesperrt