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Der nachfolgende Brieftext ist auch als pdf-Datei angefügt
und steht somit als Download zur Verfügung (siehe unten)!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
Neuss, den 07.09.2015
An die
SPD-Bundestagsfraktion
Per E-Mail an: fraktionsbuero@spdfraktion.de; presse@spdfraktion.de
oeffentlichkeitsarbeit@spdfraktion.de;
Betr.: Pflegenotstand – deutlich mehr Pflegekräfte zwingend erforderlich – Weitere Reformschritte sind dringlich
Bezug: Entwurf / SPD-Bundestagsfraktion 04.09.2015
Sehr geehrter Herr Oppermann,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße es sehr, dass sich die SPD-Bundestagsfraktion aktuellen Pflegethemen zugewandt und in einem Statement einige Reformpositionen angesprochen hat. Der mir vorliegende Text Ihres Statements ist als Anlage 1 angefügt.
Siehe auch unter folgender Adresse:
viewtopic.php?f=3&t=21248
Es ist so, dass ich mich u.a. aufgrund meiner über 40jährigen nebenberuflichen Lehrtätigkeit an Krankenpflegeschulen und Weiterbildungseinrichtungen stets mit gesundheits- und pflegepolitischen Themen befasst habe und in diesem Zusammenhang auch seit etwa 1995 intensiv die Personalbemessung in Krankenhäusern und Heimen im Auge habe. Damals wurde die Pflegepersonalregelung (PPR) abgeschafft, weil es opportun erschien, die Kosten für das Pflegepersonal nicht steigen zu lassen. Für die Heime kam es zur Einführung von Stellenschlüsseln, die nie – auch nicht annähernd - den wirklichen Pflegestellenbedarf aufzeigen konnten. Da in den Krankenhäusern und Heimen zunehmend schwerstkranke bzw. schwerstpflegebedürftige Menschen zu versorgen sind, werden die Pflege-Personalengpässe immer deutlicher. Die Lücke zwischen zwischen Bedarf und der tatsächlichen Personalstärke liegt bei einer pauschalierten Betrachtung zwischen 20 – 30 %.
Ich habe diese Situation bei einem Pflegetreff am 13.05.2014 in Neuss in Anwesenheit des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe deutlich gemacht und dazu schriftliche Unterlagen übergeben:
• Anschreiben von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 13.05.2014 an den Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hier (PDF) - Download:
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... iefBMG.pdf
• Statement vom 13.05.2014 hier (PDF) - Download:
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... se2014.pdf
Leider wurde die entscheidende Forderung nach Einführung eines bundeseinheitlichen Pflege – Personalbemessungssystems trotz mündlicher Erläuterungen im Bundesgesundheitsministerium am 08.07.2014 nicht in das erste Pflegestärkungsgesetz (PSG I) aufgenommen. Es wurde lediglich vorgesehen, 20.000 niedrigschwellige Betreuungskräfte zu finanzieren. Dies wurde und wird aber in breiter Front kritisch beurteilt bzw. als Fehlentscheidung eingestuft. Es wird u.a. von „Amateuren in Altenheimen“ gesprochen. Diese Betreuungskräfte lösen keine Probleme, sind eher selbst ein Problem (kann näher erläutert werden).
• Siehe dazu u.a. unter
viewtopic.php?f=3&t=21010 und
viewtopic.php?f=3&t=21090
Auch wenn das geplante Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) in einem § 113c SGB XI nunmehr die Schaffung eines Personalbemessungssystems vorsieht, ist das keine wirkliche Lösung. Dieses System soll erst einmal bis zum Jahre 2020 entwickelt werden. Und dann wird mit ungewissem Ausgang möglicherweise an Folgerungen gedacht. Möglicherweise wird man dann – ähnlich wie 1995 bei der PPR – eine Umsetzung nicht oder nur unvollkommen vollziehen.
Dazu gibt es von hier ein Statement vom 24.08.2015, das sich mit der Unzulänglichkeit dieser geplanten Regelung befasst - Anlage 2.
• Siehe auch unter:
viewtopic.php?f=3&t=21228
Es ist nun vorgesehen, im anstehenden Pflegetreff am 21.10.2015, zudem u.a. wieder der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe kommen wird, auch über den Pflegenotstand zu sprechen.
• Nähere Hinweise zum geplanten Pflegetreff am 21.10.2015 finden Sie unter folgender Adresse:
viewtopic.php?f=7&t=20711
Die Aktion „Pflege am Boden“ befasst sich in jüngster Zeit ebenfalls lebhaft mit dem Pflegenotstand und hat erst am 03.09.2015 vor dem Düsseldorfer Landtag eine Demonstration durchgeführt. Ich war anwesend und habe dazu in einem Statement vom 04.09.2015 Ausführungen gemacht.
• Nähere Hinweise dazu unter folgender Adresse:
viewtopic.php?f=3&t=21248
Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Fraktion ggf. Bereitschaft zeigen sollte, die hiesigen Vorstellungen zur schnellstmöglichen Auflösung des Pflegenotstandes durch entsprechende Korrekturen im PSG II zu unterstützen und dies möglicherweise auch beim Pflegetreff am 21.10.2015 durch Entsendung eines Vertreters zum Ausdruck bringen könnte.
Abschließend noch einige weitere Hinweise:
Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes und die Regelungen zur Familienpflegezeit können auch kritisch gesehen werden.
• Näheres dazu u.a. unter:
viewtopic.php?f=4&t=21227 /
viewtopic.php?f=4&t=20671
Auch die geplante Neuordnung der Berufsgesetze wird zu optimistisch eingeschätzt. Aufgrund meiner Erfahrungen wird die Neuordnung erst einmal neue bürokratische und sonstige Schwierigkeiten mit sich bringen, ohne damit eine Verbesserung der „Wertschätzung und Anerkennung“ für die Pflegekräfte zu erreichen. Dies ist nur durch eine zügige Pflege - Personalaufstockung und ggf. verbesserte Vergütungen zu erreichen. Und damit sind wir wieder beim Hauptknackpunkt der Reformerfordernisse!
Die im PSG II vorgesehenen neuen Regelungen zur Pflegeberatung bedürfen nach hiesiger Einschätzung einer Veränderung. Die Pflegeberatung ist ein wichtiger Präventionsbaustein für alle Beteiligten in der Pflege und muss deshalb deutlich stärker gefördert werden. Es ist nicht schlüssig, warum ein Pflegeberater nach § 7a SGB XI nicht direkt mit den Kassen abrechnen kann und darf. Viele Pflegeberater, die nach § 7a SGB XI ausgebildet sind, haben bisher nicht die Möglichkeit, ihr Wissen und Können den Versicherten und Hilfebedürftigen weiterzugeben, weil sie nicht abrechnen können. Im Übrigen erscheint es sinnvoll, auch die Beratungseinsätze nach § 37 Abs. 3 SGB XI zugelassenen Pflegeberatern mit zu übertragen. Den Einsatz allein auf Pflegedienste zu beschränken, erscheint problematisch, weil hier ggf. Abhängigkeiten bestehen, die möglicherweise zu geschönten Ergebnissen führen.
Pflegeberatung gehört im Übrigen in die zwingend erforderlichen altengerechten Quartiere der Kommunen. Insoweit sollte das PSG II klare Aussagen vorsehen, um so dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ deutlicher zur Geltung zu verhelfen. Bedauerlicherweise sieht weder das PSG I noch das PSG II die systematische Einführung und (Mit)finanzierung wohnortnaher Quartierskonzepte vor. Diesbezüglich muss dringend nachgebessert werden!
Siehe insoweit:
• Quartierskonzepte gestalten: Kommunen sind mit Blick auf die Daseinsvorsorge der BürgerInnen gefordert. Quartiershilfen müssen die Leistungen der Pflegeversicherung zielgerichtet ergänzen. - Pressemitteilung vom 17.08.2015. >
viewtopic.php?f=4&t=21213
• Ein umfangreiches Statement (mit zahlreichen Hinweisen zu Filmen, Power Points, Broschüren und Büchern …) zu den Erfordernissen der Quartiersgestaltung kann auf Anforderung gerne als pdf-Datei zur Verfügung gestellt werden. Es gibt aber auch folgende Downloadmöglichkeit: >
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 082015.pdf
• Patientenberatung - nahe bei den BürgerInnen gestalten!>
viewtopic.php?f=2&t=21191
Wenn auch zahlreiche Neuerungen der aktuellen Reformschritte richtig sind, darf nicht übersehen werden, dass verschiedene Regelungen doch mit Blick auf die praktische Handhabung als sehr kompliziert erscheinen. Wer zukünftig die günstigsten Leistungsvarianten in Anspruch nehmen will, wird sich notgedrungen einer Beratung bedienen müssen. Daher muss, wie bereits ausgeführt, die Pflegeberatung zielgerichtet gestärkt werden.
Es zeichnen sich auch jetzt schon einige Fehlentwicklungen ab. Pflegeleistungen, v.a. Pflegegeldzahlungen, werden nicht selten als eine Art „zweite Rente“ angesehen und nicht im erforderlichen Umfange zur pflegerischen und sonstigen Versorgung genutzt. Dies wurde von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk bereits im Statement vom 13.05.2014 angesprochen und angemahnt, die Leistungen deutlicher auf die schwerstpflegebedürftigen Menschen zu konzentrieren. Mit dem Prinzip „Taschengeld für alle“ werden Begehrlichkeiten geweckt, die mit den Grundsätzen von „Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit“ nur eingeschränkt in Einklang zu bringen sind.
Mit Rücksicht auf die geforderte deutliche Verbesserung der Stellenschlüssel in den Heimen und deren Finanzierung ist die Einrichtung eines Fonds (für Rücklagen) nicht akzeptabel. Ein solcher Fond, mit einem nicht unwesentlichen Beitragsanteil finanziert, widerspricht auch den Grundsätzen einer Umlagefinanzierung (basierend auf dem sog. Generationenvertrag). Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hält eine kurzfristige Einführung einer Bürgerversicherung für abwegig. Denn damit müssten vielfältige andere Veränderungen, z.B. im Steuersystem, einher gehen.
Für Ihre Bemühungen in dieser Angelegenheit vielen Dank im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell, Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk, Dozent für Pflegerecht und Fachbuchautor
https://www.facebook.com/werner.schell.7
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Anlage 1:
Nur gute Arbeitsbedingungen sichern die Pflege von morgen!
Die soziale Pflegeversicherung bewährt sich seit 20 Jahren als solidarisch finanzierte Versicherung für über 70 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. In der letzten großen Koalition konnten wir mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wichtige Schritte für den Ausbau der Pflegeversicherung einleiten. Mit dem Gesetz haben wir u.a. einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegeberatung geschaffen und den erhöhten Betreuungsbedarf von Menschen mit demenziell bzw. psychisch bedingten Erkrankungen sowie Menschen mit geistigen Behinderungen berücksichtigt. Zugleich haben wir die Pflegezeit für beschäftigte pflegende Angehörige verankert. Außerdem konnten wir bereits zum 01.01.2010 die Einführung des Mindestlohns in der Pflegebranche durchsetzen.
In dieser Legislaturperiode haben wir unseren Reformkurs wieder aufgenommen und mit dem Pflegestärkungsgesetz (PSG) I einen zentralen Baustein für eine umfassende Pflegereform gelegt. Das Gesetz bringt zahlreiche Leistungsausweitungen und Leistungserhöhungen für Betroffene. Darüber hinaus stärken wir die ambulante Pflege und verbessern die Situation für pflegende Angehörige durch Änderungen in der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Gleichzeitig haben wir das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf beschlossen, das die Rechte von berufstätigen pflegenden Angehörigen, z.B. durch die Einführung des Pflegeunterstützungsgeldes, zusätzlich stärkt und die geltenden Regelungen der Pflegezeit flexibilisiert bzw. erweitert.
Gegenwärtig ist der zweite Teil unserer Pflegereform, das Pflegestärkungsgesetz II, auf den parlamentarischen Weg gebracht worden. Mit diesem Gesetz werden wir endlich den von uns lange angestrebten Paradigmenwechsel vollziehen: Weg von der „Minutenpflege“, hin zu einer gerechten, menschenwürdigen und ganzheitlichen Betrachtung der Pflegebedürftigen. Durch Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs werden wir die bisherigen Leistungsunterschiede bei Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen einerseits und psychisch bzw. demenziell bedingten Erkrankungen andererseits abschaffen. Anstelle der drei Pflegestufen treten zukünftig fünf Pflegegrade, die eine differenziertere Ermittlung des Hilfebedarfs gemessen am Grad der Selbstständigkeit ermöglichen. Wir stellen dabei sicher, dass bei der Überleitung niemand schlechter gestellt wird als heute.
Gute Pflege ist jedoch nur möglich, wenn in den Heimen vor Ort ausreichend professionelle Pflegerinnen und Pfleger vorhanden sind, um die Versorgung unserer Mitmenschen sicherzustellen! Aus diesem Grund wollen wir zum einen mit dem noch für diese Legislaturperiode geplanten Pflegeberufsgesetz das Berufsfeld der Pflege für Neueinsteiger attraktiver gestalten. Das Gesetz sieht die Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung mit Spezialisierungsmöglichkeit und einheitlichem Berufsabschluss vor.
Zum anderen ist es uns ein großes Anliegen, dass in den Pflegeheimen ausreichend Personal vorhanden ist, um den Pflegebedürftigen die Zuwendung und Hilfe zu geben, die sie benötigen. Deshalb muss verbindlich festlegt werden, wie viele Pflegebedürftige von einer Pflegekraft versorgt werden und fordern deshalb die Einführung eines bundeseinheitlichen Personalschlüssels für stationäre Pflegeheime. Gegenwärtig gibt es keine einheitlichen Vorgaben zum Verhältnis von Heimbewohnern und Pflege-/Betreuungskräften. Die Folge sind große, und vor allem auch regionale Unterschiede in den Personalstärken der stationären Einrichtungen. Es darf und kann nicht sein, dass die Personalausstattung und damit auch die Belastung der Pflegerinnen und Pfleger sowie die Qualität der Pflege davon abhängig sind, wo sich das Pflegeheim befindet.
--- Wir fordern einen verbindlichen Personalschlüssel, der nicht nur die Qualität der Pflege verbessern und mehr Zeit für die Betroffenen und Angehörigen schaffen soll. Er soll zudem dazu beitragen, die Pflegekräfte zu schützen und ihre Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die Pflegerinnen und Pfleger, die täglich hervorragende Arbeit leisten, langfristig in ihrem Beruf bleiben. Denn schon heute spiegeln sich die berufsbedingten Belastungen in hohen Fehlzeiten wider. Nur sehr wenige Pflegekräfte üben ihren Beruf über 20 Jahre hinweg aus.
--- Eine gerechte Bezahlung der Pflegekräfte ist uns wichtig! Wir möchten den Pflegerinnen und Pflegern die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdienen. Deshalb haben wir mit dem PSG I bereits durchgesetzt, dass Pflegeeinrichtungen, die Tariflohn bezahlen, gestärkt werden. Tariflöhne dürfen in den Verhandlungen zwischen Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen bzw. Sozialhilfeträgern nicht weiter als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Wir werden sicherstellen, dass alle Pflegeheime und Pflegedienste ihren Pflegekräften eine angemessene Bezahlung in Höhe von mindestens des Tariflohnes gewähren. Denn über 60 % der Altenpflegerinnen und Altenpfleger arbeiten heute in nicht tarifgebundenen Betrieben und verdienen damit deutlich weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen endlich flächendeckend eine gerechte Bezahlung in der Pflegebranche!
--- Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland im Alter gut versorgt sind und Pflege auch in Zukunft für alle Menschen erschwinglich ist und nicht zum Luxusgut wird. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, die soziale Pflegeversicherung in eine Pflege - Bürgerversicherung zu überführen. Damit werden wir eine solidarische Absicherung für alle Menschen in Deutschland gewährleisten und das Zwei-Klassen-System abschaffen. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eine einheitliche, gerechte, zukunftssichere und solidarische Versicherung braucht!
Quelle: Entwurf/SPD-Bundestagsfraktion 4.9.2015
Anlage 2:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
Neuss, den 24.08.2015
Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Pflegepersonalbedarfs in Pflegeeinrichtungen muss schnellstmöglich eingeführt werden. Insoweit gibt es keine Erkenntnisprobleme. Es fehlte bislang allein der politische Gestaltungswille
Werner Schell, Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk, erklärt zur geplanten Einführung eines § 113c im SGB XI:
Seit mindestens 20 Jahren wird von hier auf die Erfordernisse von Personalbemessungssystemen für die Pflege in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern aufmerksam gemacht. Diesbezügliche Forderungen wurden folgerichtig auch immer wieder von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk formuliert und u.a. an das Bundesgesundheitsministerium bzw. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages herangetragen.
Es ist zu begrüßen, wenn diese Forderungen nun auch von anderen Institutionen, Einzelpersonen und den politisch Verantwortlichen aufgegriffen und unterstützt werden.
Im hiesigen Statement vom 13.5.2014, dem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe beim Neusser Pflegetreff übergeben, sind die Erfordernisse zur Auflösung des Pflegenotstandes und zur Gestaltung einer einheitlichen und angemessenen Personalbemessung umfänglich näher beschrieben und begründet:
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http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... se2014.pdf
Nun sieht die Gesetzesinitiative der Bundesregierung für ein Pflegestärkungsgesetz (PSG) II in einem geplanten § 113c SGB XI die Schaffung eines wissenschaftlich fundierten Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen vor. Allerdings soll erst einmal ein Expertengremium ein solches Verfahren bis zum Jahre 2020 entwickeln und erproben. Erst danach wird politisch zu entscheiden sein, ob und inwieweit irgendwelche Personalbemessungserkenntnisse umzusetzen sind. Die eigentliche Problemlösung ist damit auf den „Sankt Nimmerleinstag“ verschoben.
Die jetzt gefundene Regelung ist völlig inakzeptabel, weil die Pflegeeinrichtungen schon seit langer Zeit deutliche Personalaufstockungen benötigen und Verzögerungen anhand der insoweit vorliegenden Erkenntnisse keine Lösung sein können. Man darf mutmaßen, dass die Handlungsgebote grundsätzlich erkannt worden sind, aber kein politischer Wille besteht, schnellstmöglich im Interesse der pflegebedürftigen Menschen und der professionell Pflegenden zu handeln.
Wenn erklärt werden sollte, mehr Pflegekräfte seien zur Zeit nicht finanzierbar, ergibt sich: Das PSG I und das geplante PSG II sieht vielfältige Leistungsausweitungen vor, zum Teil mehr als kompliziert gestaltet und auch nicht immer vordringlich. Zwingend geboten ist aber auf jeden Fall, diejenigen pflegebedürftigen Menschen stärker zu unterstützen, die sich aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigungen in stationären Einrichtungen befinden. Und das ist nur mit Regelungen möglich, die eine deutliche Aufstockung des Pflegepersonals ermöglichen. Die Finanzierung von niedrigschwellig qualifizierten Betreuungskräften hat in diesem Zusammenhang nachrangige Bedeutung. Diese Betreuungskräfte können gerne zusätzlich bewilligt werden, Vorrang muss aber den Pflegekräften eingeräumt werden! – Und das ist alternativlos.
Helmut Wallrafen-Dreisow, Geschäftsführer der Sozial-Holding in Mönchengladbach kritisiert die gefundenen Regelungen und formuliert deutlich "Ich bin maßlos enttäuscht - die Ergebnisse sind erschütternd" (Quelle: Zeitschrift "CAREkonkret" vom 21.08.2015).
"Dass der Arbeitsalltag in der Pflege seit langem von großer Belastung, Zeitdruck und wenig motivierenden Bedingungen geprägt ist, wissen die politisch Verantwortlichen sehr wohl. Die deutsche Pflegezukunft wird düster werden, wenn hier nicht schnellstens – und spürbar – eine Verbesserung herbeigeführt wird" (Quelle: Presseinfo des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe e.V. - DBfK - vom 14.07.2015). In einer ergänzenden Pressemitteilung des DBfK vom 12.08.2015 wird herausgestellt, dass die geplante Erprobungsregelung in § 113c SGB XI zu spät greifen wird. Daher sei rasch ein Zwischenschritt erforderlich. Durch weniger Teilzeitarbeit und Rückkehrer in den Beruf ließen sich jetzt über Nacht zehntausende Stellen besetzen.
Diesen Anmerkungen kann sich Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk nur uneingeschränkt anschließen.
Die verantwortlichen Entscheidungsträger werden daher erneut aufgefordert, die vorliegenden Erkenntnisse hinsichtlich des Pflegenotstandes so im PSG II umzusetzen, dass spätestens 2016 bzw. 2017 im gesamten Bundesgebiet deutlich verbesserte einheitliche Stellenschlüssel die Basis für gute Pflegeangebote in den Einrichtungen sein können, und zwar ohne regionale Unterschiede. Dies könnte als Zwischenlösung gestaltet werden, so dass die angestrebte Erprobungsregelung in aller Ruhe abgewartet und umgesetzt werden kann.
Unabhängig von der jetzt in Aussicht genommenen Personalbemessung für die Pflegeeinrichtungen sind natürlich auch entsprechende Regelungen für die Pflege in den Krankenhäusern geboten. Notfallmäßig geschaffene Pflegestellenprogramme helfen insoweit nicht weiter.
Werner Schell,
Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk und Dozent für Pflegerecht
Text mit weiteren Verweisungen auch nachlesbar unter
viewtopic.php?f=3&t=21228
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Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
führt regelmäßig Pflegetreffs mit bundesweiter Ausrichtung durch.
ist Initiator bzw. Mitbegründer des Quartierkonzeptes Neuss-Erfttal.
ist Unterstützer von "Bündnis für GUTE PFLEGE".
ist Unterstützer der "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen".
tritt für wirksame Patientenrechte und deren Durchsetzung ein.
unterstützt im Rahmen der Selbsthilfe auch Patienten mit Schlaganfall einschließlich deren Angehörige.
ist Mitgründer und Mitglied bei "Runder Tisch Demenz" (Neuss).
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Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen – PSG II
(Gesetzentwurf: Stand 12.08.2015)
§ 113c SGB XI - Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen
(1) Die Vertragsparteien nach § 113 stellen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben sicher. Sie beauftragen zur Sicherstellung der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen oder Sachverständige.
(2) Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Verband der privaten Krankenversicherung e. V. und die Verbände der Pflegeberufe auf Bundesebene sind zu beteiligen.
(3) Die Vertragsparteien nach § 113 haben die Umsetzung der Aufgabe nach Absatz 1 bis zum 30. Juni 2020 sicherzustellen. Sollten sie sich bis zum 31. Dezember 2016 nicht über die Beauftragung gemäß Absatz 1 Satz 2 geeinigt haben, bestimmen das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend innerhalb von vier Monaten das Verfahren und die Inhalte der Beauftragung.