Kommt nun die „Abwrackprämie“ für Scheinbushaltestellen?

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Lutz Barth
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Kommt nun die „Abwrackprämie“ für Scheinbushaltestellen?

Beitrag von Lutz Barth » 18.02.2010, 10:25

Kommt nun die „Abwrackprämie“ für Scheinbushaltestellen?

Meinungen / Kommentare gefragt!

Seit ein Seniorenpflegeheim im Jahr 2006 seine Idee von der Pseudo-Bushaltestelle umgesetzt hat, folgten nicht wenige Einrichtungen diesem Beispiel einer (scheinbar) innovativen Idee, die im Begriff war, zum Qualitätsstandard erhoben zu werden.

Nun – wenige Jahre später (November 2009), wartet der MDS mit einer Grundsatzstellungnahme auf, die von einem Projektteam der Sozialmedizinischen Expertengruppe „Pflege“ (SEG 2) der MDK-Gemeinschaft im Auftrag und unter Beteiligung des MDS sowie unter Beteiligung des Kompetenz-Centrums Geriatrie erarbeitet worden ist (Grundsatzstellungnahme – Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen, online unter Quelle: MDS >>> http://infomed.mds-ev.de/sindbad.nsf/64 ... enDocument <<<)

Auf Seite 88 ff. findet sich hierzu ein Kommentar zum Thema Bushaltestellen für Demenzkranke und der ist nicht ohne:

Bei den auf den Bus wartenden Demenzkranken wird deren krankheitsveränderte Wirklichkeitswahrnehmung für andere Zwecke funktionalisiert: wäre es nicht wahrhaftiger zu sagen: gut, in der Zeit, in der unser Demenzkranker an der Bushaltestelle sitzt und wartet, hat er für uns Profis keinen Betreuungsbedarf; er ist aufgeräumt und wir können uns anderen Personen und Dingen zuwenden. Nur das hört man nicht.“ (S. 82 aaO.)

Nun – wir lassen das einfach mal so stehen und wir hätten hierzu gerne Ihre Meinung gehört:

Was meinen Sie,
halten Sie die Errichtung von Pseudo-Bushaltestellen für Demenzkranke für therapeutisch sinnvoll?

>>> Zum Online Voting >>> http://iqb-info.de/tinc?key=lFfQNN07

Sofern Sie beabsichtigen, hierzu einen Kommentar abzugeben, können Sie das gerne tun. Wir haben das Thema im >>> BLOG „Brennpunkt Pflegerecht“ zur Diskussion >>> http://blog-brennpunkt-pflegerecht-lutz ... testellen/ <<< gestellt.

Wir freuen uns auf eine rege Beteiligung!
Lutz Barth, 18.02.10
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KPHNeuss
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"Krücke" statt Personal ?

Beitrag von KPHNeuss » 18.02.2010, 18:05

Hi,
ich finde die Texteinstellung höchst interessant. Von solchen "Bushaltestellen" hatte ich noch nichts gehört. Kann sie also letztlich nicht beurteilen.
Sind solche Einrichtungen aber auch nicht ein Ausdruck der Verzweiflung, weil es hinten und vorne an Personal fehlt? Statt sich mit den betroffenen Menschen zu beschäftigen, werden sie irgendwo "abgestellt" und die personelle Not ist zumindest vorübergehend gelindert.
Das kann so wohl doch nicht ernstlich eine Lösung sein, allenfalls eine "Krücke".
MfG KPH Neuss
Für eine uneingeschränkt gute Pflege müssen wir alle eintreten - die Verfassung enthält die entscheidenden Wertegrundsätze: Die Menschenwürde ist unantastbar!

Anja Jansen
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Statten Pillen und Fixierung - Scheinbushaltestellen ?

Beitrag von Anja Jansen » 20.02.2010, 08:19

Guten Morgen,

nachdem man die dementiell erkrankten Menschen bei der letzten kleinen Pflegereform nur scheinbar besser gestellt hat (es gab kleine Geldgeschenke, der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff unter Einbezug der Demenzkranken blieb aus), muss man diesen Personenkreis mit allerlei Tricks betreuen, ruhig stellen. In diesem Zusammenhang eine Scheinbushaltestelle zu erfinden, wo sich die Demenzkranken für eine gewisse Zeit "parken" können, und dies wahrscheinlich ohne jegliche sonstige Zuwendung, halte ich für problematisch. Ich kann solche Aktionen nicht endgültig beurteilen, aber zunächst habe ich allergrößte Bedenken, ob man damit auf dem richtigen Weg ist.
Zumindest wäre es ehrlicher zu sagen: Wer haben nicht genügend Personal, es fehlt hinten und vorne, und daher müssen wir die pflegebedürftigen Menschen ruhig stellen - statt mit Pillen jetzt einmal mit einer Bushaltestelle. Immerhin ist dieses Verfahren weniger eingreifend.

MfG Anja
Es ist mehr Aufmerksamkeit für dementiell erkrankte Menschen nötig. Unser Pflegesystem braucht deshalb eine grundlegende Reform!

thorstein
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Beitrag von thorstein » 20.02.2010, 12:12

Die hier diskutierte Texteinstellung beginnt beginnt mit der Feststellung:

Der praktische Umgang mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen im Pflegealltag bei Menschen mit Demenz ist immer wieder Gegenstand von kontrovers geführten Diskussionen. In der psychiatrischen Pflege gilt die Grundregel, nicht auf den Inhalt des Wahnerlebens einzugehen (Sauter et al 2004).

Weiter unten heißt es dann:

Der Mensch mit Demenz wird in seiner Krankheit nicht ernst genommen. Der Pflegende steigt ein, in das psychotische Erleben seines Patienten, nimmt teil an seinem Wahnerleben, festigt ihn darin. Ein derartiges Vorgehen entspricht nicht dem in Pflege und Therapie üblichen Echtheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch von Carl Rogers.


Demenzkranke sind also psychotisch und leiden unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Als Patienten haben sie daher Anspruch auf eine Therapie mit einem üblichen Echtheits- und Wahrheitsanspruch.

Bei Demenz handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des Gehirns. Im Verlauf dieser Erkrankung „fliehen“ die Betroffenen häufig in die Vergangenheit. Dies als psychotisches Wahnerleben zu deklarieren fällt mir als Pflegekraft tatsächlich schwer. Beispielsweise betreue ich einen Mann, der mich für einen Arbeitskollegen hält. Wir unterhalten uns also immer sofort über die Arbeit und gelegentlich erteilt er mir auch Aufträge. Dieses Gespräch findet statt, während er von mir grundpflegerisch versorgt wird. Was also passiert, ist, dass wir uns in seiner Realität über seine frühere Arbeit unterhalten und ich in meiner Realität gleichzeitig meine Arbeit erledige. Ich verzichte darauf, den Mann aus seiner Realität zu reissen, indem ich zum Beispiel darauf hinweise, dass ich hier Pflegekraft bin und wir uns nicht von früher kennen.

Vielleicht könnte die grundsätzliche Frage ja lauten, welchen Wahrheitsanspruch man hier folgt. Offensichtlich hat der Demenzkranke als halluzinierender Psychotiker keinen eigenen Wahrheitsanspruch und wir Pflegekräfte sind eben chronische Lügner, solange es nur die Pflege erleichtert.

Brigitte Bührlen
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Ein Herz für Demenzerkrankte

Beitrag von Brigitte Bührlen » 21.02.2010, 17:44

Als Tochter, die 20 Jahre lang ihre demenzerkrankte Mutter über Stock und Stein begleitet hat hier mein Kommentar den ich auf die Frage von Herrn RA Barth verfasst habe:

Demenzerkrankte Angehörige, Freunde und Mitmenschen unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen und Empfindungen in nichts von uns vermeintlich so “Normalen”
Die Wahrnehmung der Umwelt, die logische Verknüpfung von Eindrücken, die Assoziationsfähigkeit, sowie Teile des Gedächtnisses verändern sich.
Wie kommen wir aber darauf, dass ein an der Haltestelle wartender demenzerkrankter Mensch nicht wartet (wie wir), dass er nicht enttäuscht ist wenn kein Bus kommt (wie wir), dass diese Enttäuschung Eindrücke in der Seele hinterlassen(wie bei uns)?
Wie kommen wir darauf, dass unsere (für uns) so plausibel erscheinenden und klug erdachten Betreuungskonzepte Demenzerkrankten auch gefallen und ihnen gut tun?
Warum begegnen wir unseren dementen Mitmenschen nicht so normal wie möglich? Trösten sie, wenn sie traurig sind (auch wenn wir nicht wissen warum) lachen mit ihnen wenn sie lachen (auch wenn wir nicht wissen warum), suchen mit ihnen verloren geglaubtes (auch wenn wir wissen, dass es unauffindbar sein wird) usw……
Wir stecken viel Geld in immer aufwändigere Betreuungskonzepte, die dann auf den sich jagenden Fachtagungen und Kongressen präsentiert werden.
Vielleicht wäre ein Demenzerkrankter manchmal froh, wenn er ein wenig unprofessioneller, aber dafür unmittelbarer, mitmenschlicher und fröhlicher betreut und begleitet würde.

Bei aller Achtung vor Konzepten, Studien, Pflegetechniken und Professionalität bitte ich doch sehr darum den gerade in diesem Forum erfreulicherweise so oft zitierten Menschen und seine ihm auch bei Krankheit innewohnende Würde nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn auch Demenzkranke sind in erster Linie unsere Mitmenschen, egal aus welcher Position heraus wir ihnen begegnen

Sabrina Merck
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Die Menschen gehören in den Mittelpunkt!

Beitrag von Sabrina Merck » 22.02.2010, 08:04

Hallo Brigitte,

ich danke für die klaren Worte. Wir müssen in der Tat den Menschen immer im Mittelpunkt sehen, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Es hilft den dementiell erkrankten Menschen meist wenig, ständig mit neuen Konzepten, Projekten ... ledig "entsorgt" bzw. ruhig gestellt zu werden, die von eigentlichen Problemen nur ablenken.

Herzliche Grüße
Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

PflegeCologne
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Keine Ruhigstellung - weder mit Pillen noch mit Haltestellen

Beitrag von PflegeCologne » 22.02.2010, 11:38

Guten Morgen Forum!

Der Mensch gehört in den Mittelpunkt - mit entsprechender Zuwendung. Mit Ruhigstellung, ob mit Pillen oder "Bushaltestellen", kann man sich nicht zufrieden geben.
Wir brauchen mehr Personal, denn nur dieses kann die gebotene Zuwendung gewährleisten. Alles andere sind nur "Krücken".

Mit freundlichen Grüßen
Pflege Cologne
Alzheimer - eine Krankheit, die mehr Aufmerksamkeit erfordert! - Pflegesystem muss dem angepasst werden, auch, wenn es teurer wird! - Ich bin dabei:
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Rauel Kombüchen
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Bushaltestellen nein - mehr Personal ja !

Beitrag von Rauel Kombüchen » 28.02.2010, 08:10

Hallo und guten Morgen Forum!

Ich halte eher nichts von "Bushaltestellen" in Pflegeheimen. Sie sind m.E. nur der Versuch, sich vorübergehend hinsichtlich der Aufsicht über Demenzkranke zu entledigen.
Es muss dabei bleiben, dass wir umfassend mehr Personal in die Pflegeeinrichtungen bringen.

In einem anderen Zusammenhang habe ich soeben geschrieben:
> Ich erfuhr erst gestern von einer Betreuungskraft, dass sie mit einigem Erfolg in einem Heim angestellt ist und dort hilfreich für Demenzkranke eingesetzt wird, ohne Pflegeleistungen erbringen zu müssen. Allerdings wurde deutlich, dass der Pflegenotstand durch die Einstellung von Betreuungsassistenten nicht annähernd behoben werden kann. Es ist wie mit dem Tropfen auf dem heißen Stein. Es muss also dabei bleiben, dass wir alle hartnäckig eine Pflegereform mit merkbaren Personalzuwächsen in der Pflege einfordern! <

MfG Rauel
Pflegeversicherung - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung nachhaltig sichern! BürgerInnen müssen mehr Informationen erhalten - z.B. wg. Individualvorsorge!

Karl Büser
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"Bushaltestelle" - Voting war klar: nein!

Beitrag von Karl Büser » 01.03.2010, 16:37

Demenzkranke werden seit Jahren zunehmend "abgestellt". Dies muss beendet werden. Daher kann ich der "Bushaltestelle" auch absolut nichts abgewinnen. Mein Voting war klar: nein!

K.B.
Die Würde des Menschen ist unantastbar - immer und ausnahmslos! Ich unterstütze daher Aktivitäten, die uns diesem Ziel näher bringen! Danke für Infos unter http://www.wernerschell.de

Helga Ophoven
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Scheinbushalten lehne ich rundweg ab

Beitrag von Helga Ophoven » 02.03.2010, 07:56

Hallo,
ich darf mich in den Reigen derjenigen einordnen, die eine "Scheinbushaltestelle" für Demenzkranke rundweg ablehnen. Sowas erscheint mir nicht als Problemlösung geeignet. Vielleicht ist das alles nett gedacht, aber dennoch abzulehnen. Wir müssen die wirklichen Probleme angehen und lösen - und das ist der Personalmangel.
MfG Helga
Pflegesystem verbessern - daher muss mehr Pflegepersonal eingestellt werden. Sonst wird mehr Zuwendung nicht gelingen.

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