Ende nach jahrelangen Debatten: Deutscher Bundestag verabschiedet Gendiagnostik-Gesetz
Berlin (ALfA). Nach jahrelangen vorangegangen Debatten hat am 24. April der Deutsche Bundestag das Gendiagnostikgesetz verabschiedet. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Buendnis 90/Die Gruenen und bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Ein Gesetzentwurf von Buendnis 90/Die Gruenen, der u. a. ein allgemeines Diskriminierungsverbot und die Festschreibung des "Rechts auf Nichtwissen" gefordert hatte, sowie diverse Entschliessungsantraege von FDP, Linken und Gruenen wurden abgelehnt. Hauptkritik der Opposition war vor allem, dass das Gesetz zu viele Ausnahmeregelungen vorsehe. Mit dem Gendiagnostikgesetz werden erstmals verbindliche Regeln fuer die Bereiche der medizinischen Versorgung, der Abstammung, des Arbeitslebens und der Versicherungen sowie die Anforderungen an eine gute genetische Untersuchungspraxis festgelegt. Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.
Inhalte des Gendiagnostik-Gesetzes
Kuenftig duerfen genetische Untersuchungen grundsaetzlich nur durchgefuehrt werden, wenn die betroffene Person in die Untersuchung rechtswirksam eingewilligt hat. Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfaehigen Personen muessen einen gesundheitlichen Nutzen fuer die untersuchte Person haben und koennen ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen auch unter dem Gesichtspunkt des Nutzens fuer einen Familienangehoerigen zugelassen werden. Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken duerfen nur von einer Aerztin oder einem Arzt durchgefuehrt werden. Die genetische Beratung gehoert dabei zu den zentralen Elementen des Gesetzes. Bei einer genetischen Untersuchung, die der Abklaerung bereits bestehender Erkrankungen dient, soll der untersuchten Person eine Beratung angeboten werden. Einen besonderen Stellenwert hat die Beratung bei denjenigen Untersuchungen, die eine Vorhersage erlauben, entweder fuer die Gesundheit der betroffenen Person selber oder in Bezug auf die Gesundheit eines ungeborenen Kindes. Deswegen ist hier in beiden Faellen die genetische Beratung vor und nach der Untersuchung verpflichtend.
Die vorgeburtliche genetische Untersuchung wird auf medizinische Zwecke beschraenkt, also auf die Feststellung genetischer Eigenschaften, die die Gesundheit des Foetus oder Embryos vor oder nach der Geburt beeintraechtigen koennen. Verboten werden allerdings solche vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen auf Krankheiten, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen koennen, sog. spaetmanifestierende Krankheiten. Ebenso sind Untersuchungen etwa zu Geschlecht oder Haarfarbe untersagt. Genetische Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung sind nur dann zulaessig, wenn die Personen, von denen eine genetische Probe untersucht werden soll, in die Untersuchung eingewilligt haben. Eine "heimliche" Abstammungsuntersuchung wird als Ordnungswidrigkeit geahndet und kann mit einem Bussgeld von bis zu 5.000 Euro bestraft werden.
Im Arbeitsrecht sind genetische Untersuchungen auf Verlangen des Arbeitgebers grundsaetzlich verboten. Auch darf der Arbeitgeber die Ergebnisse einer im anderen Zusammenhang vorgenommenen genetischen Untersuchung nicht erfragen, entgegennehmen oder verwenden. Beim Arbeitsschutz sollen genetische Untersuchungen im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen nicht bzw. nur unter eng gefassten Voraussetzungen zugelassen werden. Versicherungsunternehmen duerfen beim Abschluss eines Versicherungsvertrages grundsaetzlich weder die Durchfuehrung einer genetischen Untersuchung noch Auskuenfte ueber bereits durchgefuehrte Untersuchungen verlangen. Zur Vermeidung von Missbrauch muessen die Ergebnisse bereits vorgenommener genetischer Untersuchungen vorgelegt werden, wenn eine Versicherung mit einer sehr hohen Versicherungssumme, ab 300.000 Euro, abgeschlossen werden soll.
Eine interdisziplinaer zusammengesetzte, unabhaengige Gendiagnostik-Kommission soll Richtlinien zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik, insbesondere zur Beurteilung genetischer Eigenschaften, zur Qualifikation von Personen zur genetischen Beratung, zu den Inhalten der Aufklaerung und der genetischen Beratung, zur Durchfuehrung von genetischen Analysen sowie an genetische Reihenuntersuchungen erstellen. Der Kommission werden neben fachlichen Sachverstaendigen auch Vertreter von Patienten-, Verbraucher- und Behindertenverbaenden angehoeren.
Stimmen zum Gendiagnostik-Gesetz
Mit Verabschiedung des Gendiagnostikgesetzes geht nun eine langjaehrige biopolitische Debatte zu Ende, die immer wieder zu heftigen kontroversen Auseinandersetzungen gefuehrt hatte (siehe ALfA-Newsletter 40/08 vom 18.10.2008). Unionsvertreter wie Hubert Hueppe, Bioethik-Experte der CDU/CSU-Fraktion, mahnten beim vorangegangen Gesetzentwurf eine genaue Unterscheidung von diagnostischen und vorausschauenden genetischen Untersuchungen an. Dabei warnte er vor Abtreibungen nach vorgeburtlichen Gentests. Diese Unterscheidung floss nun in den verabschiedeten Entwurf ein. Bei Buendnis 90 / Die Gruenen sorgte das Regelwerk der Regierung als Ganzes fuer scharfe Kritik. Die Gruenen-Abgeordnete Priska Hinz beklagte in der abschliessenden dritten Lesung, das Gesetz der Koalition sei nur "Stueckwerk" und bleibe hinter dem vor zwei Jahren von ihrer Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf zurueck. Als Nachteil hob sie insbesondere hervor, dass der Bereich der Forschung voellig ungeregelt bleibe. Der FDP-Abgeordnete Heinz Lanfermann kritisierte hingegen, dass das Gesetz in manchen Bereichen zu restriktiv sei, da es die Gentests in fast allen Faellen gleich behandele, wodurch etwa zielgenaue medizinische Behandlungen durch bestimmte Untersuchungen erschwert wuerden. Auch sei in einigen Faellen wie etwa beim Neugeborenen-Screening die Beratung zu aufwendig.
Die Unionsabgeordnete Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) verteidigte dagegen den Gesetzentwurf der Koalition. Er sorge dafuer, dass der Mensch weiterhin in seiner "Einzigartigkeit" gewahrt bleibe. Dazu gehoerten auch seine "Unzulaenglichkeiten". Sie mahnte, die wachsenden gendiagnostischen Moeglichkeiten duerften nicht dazu fuehren, den Menschen nur noch auf seine "Risikofaktoren zu degradieren". Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erklaerte, das Gesetz sei "ein dringend notweniger Schritt zu mehr Schutz des Einzelnen" und trage dem Gedanken des Schutzbeduerfnisses in hohem Masse Rechnung. Gleichzeitig wuerden die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen fuer den Einzelnen gewahrt.
Auch von Seiten der Bundesaerztekammer wurde das neue Gesetz begruesst, insbesondere der verankerte Arztvorbehalt. Kritik gab es allerdings an Regelungen zur Qualitaetssicherung. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe zeigte sich erleichtert darueber, dass nun das Verbot vorgeburtlicher Untersuchungen auf spaetmanifestierende Krankheiten festgeschrieben wurde. Die Lebenshilfe hatte im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder gefordert, Praenataldiagnostik auf spaetmanifestierende Krankheiten grundsaetzlich auszuschliessen. Solche Krankheiten gefaehrdeten nicht die Gesundheit der schwangeren Frau, sehr wohl aber koennte ein entsprechender Befund zur Abtreibung von lebensfaehigen Kindern fuehren.
Weitere Informationen:
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes ueber genetische Untersuchungen bei Menschen
(Gendiagnostikgesetz - GenDG)
Drucksache 16/10532 vom 13.10.2008
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/105/1610532.pdf
Gendiagnostikgesetz: Ein Anfang, mehr nicht!
Kommentar von Peter Muecke, NDR, ARD-Hauptstadtstudio Berlin
TAGESSCHAU.DE 24.04.09
http://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar278.html
Erste Lesung im Bundestag: Anhaltende Kritik am Gendiagnostik-Gesetzentwurf
ALfA-Newsletter 40/08 vom 18.10.2008
http://www.alfa-ev.de/aktuelles/archiv- ... 03e281d745
Quelle: Aktion Lebensrecht fuer Alle (ALfA) e.V. - ALfA-Newsletter 16/09 vom 25.04.2009