Begleitung von Heimbewohnern zu notwendigen Arztbesuchen

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Moderator: WernerSchell

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Begleitung von Heimbewohnern zu notwendigen Arztbesuchen

Beitrag von Presse » 16.02.2011, 18:30

Begleitung von Heimbewohnern zu notwendigen Arztbesuchen, für die eine Begleitung durch Dritte nicht sichergestellt ist, ist als Regelleistung von den Pflegeheimen zu leisten

PRESSEMITTEILUNG des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15.02.2011

Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit nun bekannt gegebenem Urteil vom 13.01.2011 entschieden und die Klage einer Pflegeeinrichtung gegen eine im Wege der Heimaufsicht ergangenen gleichlautenden Anordnung des vom Landratsamt Ostalbkreis vertretenen Landes Baden-Württemberg abgewiesen (Az.: 4 K 3702/10). Damit steht fest, dass die Heimbetreiber für ihre Bewohner bei notwendigen Arztbesuchen außerhalb der Einrichtung auch die Begleitung als Regelleistung sicher zu stellen haben, und die finanziellen Aufwendungen hierfür nicht als Zusatzleistung oder sonstige Leistung abgerechnet werden dürfen. Vielmehr sind solche Leistungen Teil der allgemeinen Pflegeleistungen, die durch den entsprechenden Pflegesatz abgegolten werden.
Die Klägerin ist Trägerin einer Pflegeeinrichtung mit 101 Pflegeplätzen. Das Landratsamt Ostalbkreis gab der Klägerin im Januar 2010 auf, für ihre Bewohner im Bedarfsfall im Rahmen der Organisation des Arztbesuches außerhalb der Einrichtung auch die Begleitung als Regelleistung sicher zu stellen, sofern der Zustand der Bewohner eine Begleitung erforderlich macht, für die Begleitung Dritte nicht in Anspruch genommen werden können und die medizinisch notwendige Behandlung in der Einrichtung selbst nicht durchgeführt werden kann. In Betracht komme die Begleitung vor allem zu Fachärzten, da deren Leistungen auf Grund der erforderlichen personellen und technischen Ausstattungen der Praxen regelmäßig nicht in der Einrichtung erbracht werden könnten. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin im September 2010 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart.
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts führte im Wesentlichen aus:
Die Kontrolle auf die Angemessenheit des von den Heimbewohnern zu zahlenden Entgelts gehöre zu den Aufgaben der Heimaufsicht.
Grundsätzlich dürften keine zusätzlichen Entgelte für solche Leistungen von den Heimbewohnern verlangt werden, die die Einrichtung als Regelleistung zu erbringen habe und die Teil der allgemeinen Pflegeleistungen seien, die durch den von den Pflegekassen hierfür geleisteten entsprechenden Pflegesatz abgegolten würden. Zu den allgemeinen Pflegeleistungen gehörten nach dem zwischen den überörtlichen Trägern der Pflegeeinrichtungen und den Pflegekassen geschlossenen Rahmenvertrag u.a. Hilfen bei der Mobilität. Die Mobilität umfasse u.a. auch das Verlassen und Wiederaufsuchen der Pflegeeinrichtung. Nach dem Rahmenvertrag seien dabei solche Verrichtungen außerhalb des Pflegeheims zu unterstützen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendig seien und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erforderten. Zu den Hilfen bei Mobilität sei jedenfalls für den Fall, dass ein Arztbesuch zwingend außerhalb der Einrichtung der Klägerin notwendig und eine notwendige Begleitung durch Dritte nicht möglich sei, auch die Begleitung durch den Heimbetreiber für die Bewohner sicherzustellen, indem dieser Beschäftigte des Heims einsetze oder sonstige Personen damit beauftrage. Die sicherzustellende Begleitung als Teil der Regelleistung sei daher weder eine Zusatzleistung noch eine sonstige Leistung, für die ein gesonderter Zuschlag von den Heimbewohnern zu entrichten sei.
Das Gericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegt werden.

VG Stuttgart Urteil vom 13.1.2011 - 4 K 3702/10 -
Leitsätze


1. Die Heimaufsicht ist (auch) dazu berufen, auf die Einhaltung der nach dem Rahmenvertrag als Regelleistung zu erbringenden Leistungen zu achten und hierbei den Rahmenvertrag auszulegen.
2. Ist ein Arztbesuch zwingend außerhalb der Einrichtung notwendig und eine notwendige Begleitung durch Dritte nicht möglich, hat der Heimbetreiber die Begleitung für den Bewohner sicherzustellen. Dies gehört als Hilfe bei der Mobilität zu den allgemeinen Pflegeleistungen.
3. Für eine Zusatzleistung ist die individuelle Wählbarkeit kennzeichnend; dies ist bei der Begleitung zum Arzt nicht der Fall.


Quelle mit vollständiger Urteilsschrift unter
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_re ... os=0&anz=1


thorstein
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Zu kurz gesprungen

Beitrag von thorstein » 19.02.2011, 01:14

Phyrrussieg - denn zu kurz gesprungen

Zunächst einmal würde das bedeuten, dass bei den bestehenden Rahmenbedingungen zusätzliche Leistungen auf die Pflegekräfte zukommen.
Und über die Rahmenbedingungen entscheidet zufällig weder die Heimaufsicht noch dieses Gericht.
Nun wird natürlich jeder sagen: na klar, da müssen wir halt die Rahmenbedingungen anpassen. Leider wird das aber keiner tun, weil es ja Geld kostet. Schon vergessen: das haben wir ja nicht.
Das nennt man dann wohl einen Phyrrussieg, denn mit jedem Arztbesuch wird sich die Versorgung der anderen BewohnerInnen verschlechtern.

Herbert Kunst
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Zu kurz gesprungen

Beitrag von Herbert Kunst » 19.02.2011, 10:47

thorstein hat geschrieben:Phyrrussieg - denn zu kurz gesprungen
Zunächst einmal würde das bedeuten, dass bei den bestehenden Rahmenbedingungen zusätzliche Leistungen auf die Pflegekräfte zukommen.
Und über die Rahmenbedingungen entscheidet zufällig weder die Heimaufsicht noch dieses Gericht.
Nun wird natürlich jeder sagen: na klar, da müssen wir halt die Rahmenbedingungen anpassen. Leider wird das aber keiner tun, weil es ja Geld kostet. Schon vergessen: das haben wir ja nicht.
Das nennt man dann wohl einen Phyrrussieg, denn mit jedem Arztbesuch wird sich die Versorgung der anderen BewohnerInnen verschlechtern.
Hallo thorstein,
die vorgestellte Entscheidung bringt zunächst einmal Klarheit, wer für die Begleitung zum Arzbesuch Verantwortung und Aufwand zu übernehmen hat. Soweit so gut.
Zutreffend ist natürlich, dass damit die personelle Not in den stationären Pflegeeinrichtungen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert wird. Dazu gibt es ja auch im Forum zahlreiche Statements, auch von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk.
Das Hauptanliegen einer Pflegereform muss daher wohl sein, die Personalnot in den Heimen zu beseitigen. D.h., die Stellenschlüssel müssen eine deutliche Verbesserung erfahren. Leider sieht es nicht so aus, als hätten die maßgeblichen Politiker in Berlin, voran Herr Rösler mit seinen zwei Staatssekretären, die wirklich notwendigen Reformschritte auf der Agende.

Gruß
Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

johannes
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Schlaglochrepublik

Beitrag von johannes » 04.03.2011, 16:28

Nun, dieses Urteil schafft keineswegs Klarheit. Im Gegenteil!

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Freiburg ist rechtskräftig, das Urteil des Verwaltungsgerichtes ist noch nicht rechtskräftig.

2. Da beide Urteile völlig gegensätzlich sind, bleibt abzuwarten, was die nächst höhere Instanz zu sagen hat.

3. Wie dumm muß man sein, solchen Unsinn zu rechtfertigen, wenn von zwei Pflegekräften bei rd. 30 Bewohnern eine davon einen einzigen Bewohner zum Arzt begleitet und die Verbleibende sich um die 29 Bewohner kümmern muß? Schließlich haben die Kostenträger (Pflegekassen und Sozialhilfeträger) doch nur die zwei Pflegekräfte genehmigt!

4. Die "ich-will-haben-aber-nichts-dafür-bezahlen-Mentalität" wird sich über kurz oder lang bitter rächen. In unserer Schlaglochrepublik wird bald noch mehr kaputt gehen als unsere Individualität, wenn das so weiter getrieben wird.
Ein Mensch funktioniert nicht - er lebt!

Sabrina Merck
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Pflegepersonal verstärken - immer drängender

Beitrag von Sabrina Merck » 04.03.2011, 18:59

Hallo,
die Entscheidung, dass Heimbewohner zu einem notwendigen Arztbesucht ggf. von Heimpersonal zu begleiten ist, halte ich grundsätzlich für richtig.
Allerdings ist dies unter den gegebenen Pflege-Rahmenbedingungen nicht möglich, ohne dadurch den ohnehin kaum zu bewältigenden anderen Aufgaben noch annähernd gerecht zu werden. Die Begleitungspflicht kann nur zur Folge haben, dass noch mehr Personal benötigt wird. Und das müssen die Vorschriften zulassen und die Kassen genehmigen. In diesem Bereich müssen die andiskutierten Reformen des Herrn Rösler ansetzen. Weniger Sprechblasen und dafür konkrete Hilfen.
MfG Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

WernerSchell
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Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen

Beitrag von WernerSchell » 17.07.2011, 08:48

Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen
Infoblatt der Hessischen Heimaufsicht vom 11.07.2011 hier (PDF)
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... 7_2011.pdf
Siehe dazu auch die Pressemitteilung von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk vom 12.07.2011 mit der Titelung Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen = Regelleistung der Heimträger
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... suchen.php
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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WernerSchell
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Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen = Regelleistung

Beitrag von WernerSchell » 20.07.2011, 17:28

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk führt regelmäßig Pflegetreffs mit bundesweiter Ausrichtung durch.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist Kooperationspartner der „Aktion Saubere Hände“


Pressemitteilung vom 20.07.2011

Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen = Regelleistung der Heimträger

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk konnte in einer Pressemitteilung vom 17.02.2011 darauf aufmerksam machen, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 13.01.2011 - 4 K 3702/10 - in einem Klageverfahren einer Pflegeeinrichtung gegen die Heimaufsicht entschieden hat, dass die Begleitung von Heimbewohnern zu notwendigen Arztbesuchen, für die eine Begleitung durch Dritte nicht sichergestellt ist, eine Regelleistung der Pflegeheime ist.

Damit hat das Verwaltungsgericht Stuttgart eindrucksvoll bestätigt, dass die Heimbetreiber für ihre Bewohner bei notwendigen Arztbesuchen außerhalb der Einrichtung auch die Begleitung als Regelleistung sicher zu stellen haben und die finanziellen Aufwendungen hierfür nicht als Zusatzleistung oder sonstige Leistung abgerechnet werden dürfen. Vielmehr sind solche Leistungen Teil der allgemeinen Pflegeleistungen, die durch den entsprechenden Pflegesatz abgegolten werden.

Mit der seinerzeit bekannt gewordenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wurde eine von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk seit längerer Zeit vertretene Auffassung als zutreffend eingestuft.

Die Rechtsmeinung zur Begleitung von Heimbewohnern zu Arztbesuchen hat die Hessische Heimaufsicht in einem Rundschreiben vom 11.07.2011 – bekräftigt und u.a. ausgeführt:

„Bei der Begleitung zu Arztbesuchen handelt es sich um eine Regelleistung, wenn die betreffenden Bewohner bzw. Bewohnerinnen nicht in der Lage sind, den Arztbesuch selbstständig wahrzunehmen (ggfs. durch Hilfe von Angehörigen) und der Arzt oder die Ärztin nicht verpflichtet ist, den Bewohner/die Bewohnerin im Heim aufzusuchen.

Der Heimträger ist verpflichtet, den Bewohnerinnen und Bewohnern eine nach Art und Umfang ihrer Betreuungsbedürftigkeit angemessene Lebensgestaltung zu ermöglichen und die erforderlichen Hilfen zu gewähren bzw. die ärztliche Betreuung zu sichern. (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 und 5 HeimG). Somit kann es sich bei der (notwendigen) Begleitung zu Arztbesuchen nur um eine Regelleistung handeln.

Diese Ansicht korrespondiert auch mit der aktuellen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 13.01.2011, Az.: 4 K 3702/10).

Ich bitte um Kenntnisnahme und Beachtung.“

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk begrüßt die ergänzende Klarstellung durch die Hessische Heimaufsicht.

Werner Schell
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk

Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei

Die Medien berichten u.a. wie folgt:
http://www.openpr.de/news/556147.html
http://www.openbroadcast.de/article/122 ... aeger.html
http://www.presseanzeiger.de/infothek/g ... 504561.php
http://www.heide-bote.de/index.php?name ... &sid=18978
Die Neuss-Grevenbroicher Zeitung griff die Mitteilung von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk am 23.07.2011 und berichtete.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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