Trachealkanüle

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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wolf.susanne
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Trachealkanüle

Beitrag von wolf.susanne » 27.01.2004, 17:22

Guten Tag, Werner Schell Team!

Ich bin Erzieherin in einer Einrichtung der Behindertenhilfe, und leite dort eine Wohngruppe für Schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche.
Seit etwa 10 Monaten sind wir bei einem Bewohner mit der Pflege und dem Wechsel einer Trachealkanüle konfrontiert. Unser Team setzt sich ausschließlich aus pädagogischem Personal zusammen. Eine Kurzeinweisung in oben genannte Tätigkeiten erfolgte durch das Krankenhaus kurz vor erstmaliger Entlassung des Bewohners.
Inzwischen waren mehrfach Krankenhausaufenthalte notwendig. (Wiederholung des Schnittes, weil nicht korrekt, 2 mal Reanimation weil Atmung versagt, mehrmals Kanülenwechsel- kürzer, länger, geblockt dann wieder ungeblockt und schließlich Tracheoflex ohne Seele)
Bei letztmaliger Entlassung aus dem Krankenhaus wurde durch den behandelnden Arzt darauf hingewiesen, dass bei unserem Bewohner besondere Schwierigkeiten in Form einer nicht zu entfernenden Wucherung innerhalb der Luftröhre, sowie eine anatomische Veränderung des Zugangs zu den Bronchien ( an anderer Stelle als gemeinhin üblich) vorliegen, was ein sehr präzises Einsetzen der Kanüle erforderlich mache.
Aktuell wird der Kanülenwechsel 3 mal wöchentlich durch einen ambulanten Pflegedienst durchgeführt.
Dies sei aber keine Leistung der Krankenkasse und würde folglich auch bald nicht mehr übernommen, so der Pflegedienst, unsere Heimärztin und die Heimleitung.
Die Kollegen des Teams fühlen sich nach Anleitung technisch in der Lage diesen Wechsel vorzunehmen, haben jedoch auf Grund der Vorgeschichte berechtigte Sorge dass beim Wechsel der Kanüle, oder durch einen Fehler beim Einsetzten der Bewohner versterben könnte oder schwerwiegende andere Folgen eintreten könnten .
Unsere Fragen:
1. Ist der Kanülenwechsel eine ärztliche Tätigkeit?
2. Ist der Kanülenwechsel eine Pflegemaßnahme?
3. Sind wir in einer Einrichtung der Behindertenhilfe vergleichbar mit der Situation in häuslicher Pflege?
4. Sind wir verpflichtet diese Tätigkeit durchzuführen?
5. Wer muss diese Tätigkeit an das Team delegieren bzw. anweisen, damit eine rechtliche Absicherung besteht?
6. Kann der Einzelne Ausführende im Falle eines Zwischenfalls haftbar gemacht werden, wenn ja in welchem Ausmaß?


Für Ihre Beratung und Auskunft bin ich Ihnen dankbar!

Mit freundlichen Grüßen –Susanne W. 27.01.04

Marlis_Jansen
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Trachealkanüle - ärztliche Tätigkeit

Beitrag von Marlis_Jansen » 27.01.2004, 19:48

Guten Tag Susanne,

ich halte Erzieherinnen grundsätzlich nicht für qualifiziert, die von Dir angesprochenen Aufgaben mit der in der Pflege erforderlichen Sorgfalt auszuführen. Es gehören zu den Tätigkeiten ja nicht nur technische Fähigkeiten, sondern auch darüber hinaus gehende theoretische Fachkenntnisse. Der Wechsel der Trachealkanüle ist daher nicht zu unrecht der Behandlungspflege zuzuordnen und damit Teil der Häuslichen Krankenpflege (soweit angeordnet). Näheres hierzu in dem Buch von Dörbrand "Häusliche Krankenpflege als Leistung der gesetzlichen Krankenpflege", Asgard Verlag.
Dem Grundsatz nach ist die Anlegung einer Trachealkanüle als ärztliche Tätigkeit einzuordnen mit der Folge, dass Personal damit - und zur Pflege - nur befasst werden darf bei entsprechender ärztlicher Anordnung, Kenntnisse und Fähigkeiten vorausgesetzt.
Ich sehe in den angesprochenen Verrichtungen eine Leistung, die der häuslichen Krankenpflege zuzuordnen ist und dann folgerichtig von einem Pflegedienst erledigt werden kann / muss. Nicht ausreichend qualifiziertes Personal muss immer dann seine Tätigkeit verweigern, wenn sich die Übernahme der Aufgabe als Pfichtwidrigkeit darstellten würde. Pflichtwidrig ist immer dann eine Tätigkeit, wenn sie nicht ausreichend gekonnt ist und damit eine Patientengefährdung nahe liegt (= strafrechtlich Körperverletzung).
Siehe in diesem Forum auch unter "Sorgfaltspflicht" und "Tätigkeitsschutz".

Im Rechtsalmanach, Nr. 20, dieser Internetseite gibt es einige Artikel, die sich damit befassen, wer ggf. wann in Behinderteneinrichtungen Medikamente abgeben darf. Ein anderes Thema, aber vielleicht in diesem Zusammenhang auch von Interesse!
Siehe u.a. die Beiträge:
Verabreichung von Medikamenten in Werkstätten für Behinderte (WfB) und ähnliche Einrichtungen PDF
Medikamentenabgabe durch das nichtärztliche Personal PDF

MfG
Marlies

Gast

Trachealkanüle & Rechtsfragen

Beitrag von Gast » 27.01.2004, 20:06

Zum Thema fand ich im archivierten Forum einige Texte, die vielleicht von Interesse sind. Siehe nachfolgende Beiträge:
MfG
Dirk

---> Trachealkanüle - Pflege der Kanüle im Behindertenheim auch durch Nicht - Fachkräfte?
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine geistig behinderte Frau, die schon einige Zeit in einem Behindertenheim wohnt, hat nun eine Trachealkanüle bekommen. Die Einrichtung möchte diese Frau nun nicht mehr betreuen, da in dieser Einrichtung keine Pflegefachkräfte sind. Die Betreuerin ist aber nicht einsichtig und meint, die Pflege der Trachealkanüle könne von den Mitarbeitern, Erziehern und Pädagogen durchgeführt werden. M.E ist dies Behandlungspflege und muss von Pflegefachkräften durchgeführt werden.
Bitte um Stellungnahme. Danke im Vorraus
Mit freundlichen Grüßen
Sophie H. (6.9.2001

Antwort von Berti am 7.Sept.2001 09:48:
Hallo Sophie, wenn die Einrichtung dem Heimgesetz unterliegt, müssen ausreichend Fachkräfte vorhanden sein (siehe hierzu Heimpersonalverordnung). Texte zu Fachkräften, Pflegefachkräften sind im Forum auffindbar (mit Suchen aufrufbar). Auf keinen Fall kann eine Betreuerin entscheiden, welche Personen tätig werden können / sollen. Der Einsatz des Personals obliegt arbeitsrechtlich dem Arbeitgeber (Heimträger). Wenn gewichtige Gründe dafür bestehen, bestimmte Dienstkräfte als nicht ausreichend qualifiziert anzusehen, muss dies Berücksichtigung finden. Außenstehende können wohl ernstlich an diesem Prinzip nicht rütteln. Wie ich schon an anderer Stelle sagte, die Patientensicherheit muss oberste Priorität haben. Personal muss für die jeweiligen Verrichtungen immer die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten haben.
Gruß Berti

von Winfried Mönig am 7.Sept.2001 11:02:
Hallo Sophie,
so ganz verstehe ich das Problem ja nicht. Bezüglich der Pflege der Trachealkanüle muss ich Berti voll zustimmen, aber warum möchte die Einrichtung die Frau denn nicht mehr betreuen? Wenn sie selbst die notwendigen Fachkräfte zur Pflege der Trachealkanüle nicht haben, sehe ich keinen Grund, warum die Einrichtung sich hierfür nicht die Dienste eines ambulanten Anbieters einkauft. Es kann doch wohl nicht um die Entscheidung gehen, nach der die Einrichtung entweder alles oder gar nichts macht. Die Alternative dürfte ansonsten ja wohl ein Altenheim sein und ich bezweifle sehr, dass eine behinderte Frau dort besser aufgehoben ist als in einer speziellen Einrichtung für Behinderte. Sollte ich mich irren, frage ich mich, wofür es diese Einrichtungen dann gibt, wenn sie nicht besser sind als andere Heime.
Ich kann verstehen, wenn eine Einrichtung sagt, für EINE zu versorgende Trachealkanüle stelle ich keine Pflegefachkraft ein. Das würde jeder betriebswirtschaftlichen Denkweise widersprechen. Andererseits hoffe ich, dass die Haltung der Einrichtung, die Frau nicht weiter betreuen zu wollen, nicht pekuniäre Gründe in der Hinsicht hat, dass man beim Einkauf ambulanter Dienstleistungen etwas Geld abgeben müsste. Zu böse gedacht? Ich denke, solche Denkweisen gibt es noch allzu oft.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Mönig - Bundesvorsitzender Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen

----> Dürfen Pflegedienst - und Heimschwestern Trachealkanülen wechseln?

von Angela am 17.May.2001 23:01:
In unserem Heim werden verschiedene Tracheostoma- Patienten betreut. Der Wechsel der Trachealkanüle ist eindeutig eine ärztliche Tätigkeit. Da es sich bei den Tracheostomen auch um meist infizierte, ziemlich instabile (perkutan angelegte) Stomen handelt haben wir Schwestern aus dem Pflegeheim es immer abgelehnt, die Trachealkanülen zu wechseln.
Dadurch kam es oft zu Streit mit den Ärzten. Ein Arzt schickt seit kurzem eine Schwester von einem Ambulanten Pflegedienst (!!!) ins Heim die für seinen Patient die Trachealkanüle wechselt. Dabei kam es schon zu einem Zwischenfall und die Schwester stand ziemlich geschockt da und wir mussten den Notarzt rufen.
Trotzdem kam sie wieder.
Seit allerneuesten kommt eine Schwester von der Firma, die die Trachealkanülen herstellt ins Heim, verlangt diesen und jenes, will noch assistiert bekommen und wechselt, nach Anweisung des Arztes die Kanülen bei seinen Patienten.
Mit gemischten Gefühlen warten wir auf den nächsten Zwischenfall... und sind ziemlich sauer über diese Situation.
Durch einen Zufall wissen wir, dass sich die Ärzte diese "Leistungen" der Schwestern der Herstellerfirma als ihre Leistungen abrechnen und bei der Krankenkasse geltend machen!
Ist das alles rechtens?
Angela (17.5.2001)

Antwort von Berti am 18.May.2001 21:17:
Hallo Angela, gibt es für das Heim eine Kooperationsvereinbarung (oder so ähnlich)? Sind Heimleiter bzw. Pflegedienstleiter informiert? Was sagen sie zu den Vorgängen? Gruß Berti

Rückmeldung von Angelag am 18.May.2001 23:07:
Hallo Berti, danke für die Antwort. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was eine Kooperationsvereinbarung ist. Wir haben leider eine PDL, die sich gern aus allen raus hält und es am liebsten allen Ärzten recht machen will.
Wir haben in dem Sinne keinen Heimarzt, es kommen viele verschiedene Hausärzte die hier ihre Patienten haben.
Mit der PDL haben wir uns vor kurzem auseinander gesetzt, als es darum ging, bei einen Pat. mit einem Dilatations- Tracheostoma die Trachealkanüle zu wechseln.
Wir haben gesagt, sie soll es selbst machen, da war Ruhe von ihrer Seite aus. Leider muß sie sich natürlich auch mit den Ärzten auseinander setzten was völlig unzureichend ist.
Wir wären serh froh, wenn der "Stunk" endlich aufhören würde und die Ärzte einfach nur ihre Arbeit machen würden und dazu gehört nun mal das Trachealkanülen wechseln, Stattdessen kommen Schwestern von Firmen hier an....
Wir sind im ganzen nur noch 4 Schwester hier im Heim. Teilweise sind hier aber 12 Schwerstpflegbedürftige und wir haben es auch schon geschafft, dabei 5 Wachkoma- Pat. zu haben. Und das alles mit einer Schwester und Hilfskräften. Die PDL mimt die 2. Schwester auf der Pflegestation nur leider kommt sie den ganzen Tag net aus ihrem Kabuff.....
So, genug gejammert.
Angela

Antwort von Berti am 19.May.2001 20:14:
Hallo Angela, das angesprochene Thema ist vielschichtig und kann hier wohl wegen der komplizierten Gestaltungsmöglichkeiten nicht abschließend erörtert werden. Eine Kooperationsvereinbarung kann z.B. darin bestehen, die unterschiedlichen Aufgaben zwischen Heim und Ärzten zu beschreiben und zu sagen, für welche Verrichtungen die Heimbediensteten den Ärzten für Hilfeleistungen zur Verfügung stehen. Man muß an dieser Stelle bedenken, dass die das Heim aufsuchenden Ärzte weder zum Heim noch zum Personal weisungsberechtigt sind. Die Zusammenarbeit, die sicherlich im Interesse der Patienten liegt, wird dann eben abgesprochen, durch eine Kooperationsvereinbarung. Darum muß sich die PDL kümmern. Gruß Berti

Antwort von Frank am 24.May.2001 12:15
Warum eigentlich nicht, wenn sie es können. Hierzu interessante Ausführungen in "Thiemes Pflege", Stuttgart 2000. Gruß Frank


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Delegation ärztlicher Tätigkeiten

Beitrag von Berti » 28.01.2004, 11:25

Fragen:
1. Ist der Kanülenwechsel eine ärztliche Tätigkeit?
2. Ist der Kanülenwechsel eine Pflegemaßnahme?
3. Sind wir in einer Einrichtung der Behindertenhilfe vergleichbar mit der Situation in häuslicher Pflege?
4. Sind wir verpflichtet diese Tätigkeit durchzuführen?
5. Wer muss diese Tätigkeit an das Team delegieren bzw. anweisen, damit eine rechtliche Absicherung besteht?
6. Kann der Einzelne Ausführende im Falle eines Zwischenfalls haftbar gemacht werden, wenn ja in welchem Ausmaß?
Hallo Susanne,
ich stelle fest, dass bereits umfangreiche Hinweise zu Deinem Fragetext gepostet worden sind. Ich fasse meine Einschätzung daher in Kürze zusammen, ohne damit eine Rechtsberatung abliefern zu wollen (weil nicht zulässig):
1) Alle Grundentscheidungen, die mit der Therapie eines Patienten zusammen hängen, sind ärztliche Aufgaben. Daher gehört das Anlegen und Wechseln einer Kanüle grundsätzlich zum ärztlichen Aufgabenkreis.
2) Der Kanülenwechsel, eine ärztliche Grundentscheidung mit Aufgabendelegation unterstellt, kann von einer qualifizierten Pflegekraft übernommen und durchgeführt werden. Es handelt sich insoweit um eine Maßnahme, die der Behandlungspflege zuzuordnen ist.
3) Bei einer Einrichtung der Behindertenhilfe gehe ich von ähnlichen Voraussetzungen aus, wie sie in der häuslichen Krankenpflege gelten. Eine Einrichtung, die als Heim einzuordnen ist, muss den Anforderungen des Heimgesetzes unterworfen werden.
4) Arbeitnehmer sind dann verpflichtet, Aufgaben zur Erledigung zu übernehmen, wenn sie im weitesten Sinne zu ihrem Berufsbild gehören und die Durchführung – erkennbar – nicht den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde (siehe hierzu z.B. § 8 BAT). Soweit Erzieher nicht über ausreichende pflegerische Qualifikationen verfügen, kann / darf einen Kanülenwechsel weder übernommen noch durchgeführt werden. Es müsste von einer Patientengefährdung (strafrechtliche Körperverletzung) ausgegangen werden.
5) Wenn eine Aufgabenübernahme und –durchführung vertretbar wäre, müsste neben der ärztlichen Verordnung / Anordnung die Leitung der Einrichtung für die notwendigen Weisungen eintreten (Kooperation zwischen Arzt und Einrichtung).
6) Wer anhand der aufgezeigten Kriterien eine Aufgabe übernimmt (weil er sich für zuständig und kompetent hält), muss auch für die Richtigkeit der Durchführung eintreten. Jeder Arbeitnehmer, der Fehler macht, kann dafür verantwortlich gemacht werden. Siehe hierzu die Ausführungen mit rund 280 Gerichtsbeispielen im Onlinebuch „Pflegerecht im Spiegel der Rechtsprechung“ (http://www.pflegerechtportal.de). Darin wird auch auf die Notwendigkeit einer Haftpflichtversicherung hingewiesen!
Gruß Berti

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