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Versorgung für ältere Menschen in Hamburg verbessern

Verfasst: 09.07.2009, 14:22
von Presse
Diskussion zur nachfolgenden Pressemitteilung in diesem Forum unter
Studie: Pflegezustand vieler alter Menschen alarmierend
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Hamburgs Partner im Gesundheitswesen wollen Versorgung für ältere Menschen in Hamburg verbessern

Hamburgs Partner im Gesundheitswesen wollen die Versorgung älterer Menschen in Hamburg gemeinsam weiter verbessern. Aufgrund der Ergebnisse einer neuen Studie, die vor kurzem am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durchgeführt wurde, haben sie die Einrichtung des bundesweit ersten sektorübergreifenden Maßnahmenpools zur Erfassung, Verhinderung und Behandlung von Dekubitalgeschwüren beschlossen.

Das Auftreten von Dekubitalgeschwüren soll künftig sektorübergreifend dokumentiert und ausgewertet werden. Vor allem bei Häufungen von Entstehungsorten für Dekubitalgeschwüre wird durch die datengestützte Qualitätssicherung ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess in Gang gesetzt. Die Fachexpertise von Wundmanagern soll strukturiert allen Patienten zugänglich gemacht werden.

Für die Studie waren im Jahr 2008 bei der Krematoriumsleichenschau 8518 Verstorbene ab dem 60. Lebensjahr auf die Merkmale Dekubitus, Unterernährung, Zahnstatus, Endoprothesen und Herzschrittmacher hin untersucht worden. Die Ergebnisse zeigen, dass es in vielen Bereichen deutlichen Handlungsbedarf gibt.

"Für uns kommt es darauf an, einen erneuten Anstoß zu geben. Es gibt viele gute Möglichkeiten und bereits praktizierte Ansätze, die Probleme anzugehen. Aber es gibt sicher keinerlei Veranlassung, sich derzeit zufrieden zurückzulehnen. Viele alte Menschen sind sehr zufrieden, aber die nichteigenständigen, von der Öffentlichkeit nicht bewusst wahrgenommenen älteren Menschen stehen zum Teil im tiefen Schatten", sagt Prof. Dr. Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am UKE.

"Wir sind sehr stolz darauf, dass das UKE einer der wenige Standorte in Deutschland mit einer starken Rechtsmedizin ist. Die Ergebnisse der Studie zeigen den engen klinischen Bezug unserer Rechtsmedizin zu wichtigen gesellschaftlichen Themen wie Vernachlässigung und Gewalt, denen sich gerade eine Metropole wie Hamburg unbedingt stellen sollte", sagt Prof. Dr. Jörg F. Debatin, Ärztlicher Direktor des UKE.

"Die von der Rechtsmedizin ermittelten Daten haben gezeigt, dass Handlungsbedarf im Pflegebereich besteht. Da an der ambulanten und stationären Altenpflege viele Partner im Gesundheitswesen beteiligt sind, freue ich mich außerordentlich, dass es gelungen ist, einen bundesweit einmaligen Maßnahmenpool zum Umgang mit Dekubitalgeschwüren ins Leben zu rufen. Er wird direkte Hilfsangebote unterbreiten, damit die richtigen Behandlungsmethoden eingeleitet werden können. Ich bin sicher, dass wir das Problem damit in den Griff bekommen und die Lebensqualität alter Menschen nachhaltig verbessern", sagt Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Hamburgischen Pflegegesellschaft.

"Als Ärzteschaft begrüßen wir alles, was zu einer besseren Versorgung der Patienten führt", sagt Dr. Carsten Leffmann, Geschäftsführer der Fortbildungsakademie der Ärztekammer Hamburg und zuständig für Qualitätsmanagement bei der Ärztekammer. "Wir danken dem Kollegen Püschel insbesondere dafür, dass er sich so ausführlich mit der Situation der älteren Menschen beschäftigt hat. Er rückt diese Patientengruppe damit einmal mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Wir wollen nun sehen, wie diese Daten zu bewerten sind und inwiefern sie Ausgangspunkt für weitere Verbesserungen sein können. Den Hamburger Ärztinnen und Ärzten ist sehr daran gelegen, dass sich die Pflegesituation älterer Menschen verbessert, und wir bieten dabei selbstverständlich unsere Hilfe an."

Auch Klaus Schäfer, Vorsitzender des Hausärzteverbands Hamburg, begrüßt die Pläne. "Der Hausärzteverband ist nicht nur bereit, sondern hochgradig daran interessiert, an diesem Projekt mitzuwirken. Wir wollen alles tun, dass die Situation sich bessert. Die Geschwüre sind für Patienten mit großem Leid und vielen Schmerzen verbunden. Wir erwarten, dass der Maßnahmenpool dazu beiträgt, bestehende Mängel zu erkennen und dann auch zu beseitigen. Es ist notwendig, dass alle Gesundheitsberufe sich gemeinsam für eine Verbesserung der Behandlung von alten Menschen einsetzen."

"In der Versorgung Dekubituskranker in Hamburger Krankenhäusern zeigt sich, dass durch speziell ausgebildete Fachkräfte, optimierte Behandlungs- und Pflegeabläufe sowie fortlaufende Dokumentation und Qualitätssicherung Druckgeschwüre seltener werden ", so Dr. Claudia Spenk, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG).
"Seit 2001 führen die Hamburger Krankenhäuser eine externe Qualitätssicherung zur Dekubitus-behandlung durch. Seitdem nimmt die Anzahl von Dekubiti von Jahr zu Jahr ab. Dies ist ein Erfolg der Qualitätssicherung, der zeigt, dass sowohl die kritische Reflektion des eigenen Handelns, als auch der freiwillige Vergleich mit anderen, einen Prozess in Gang setzt, der die Qualität nachhaltig verbessert. Um gemeinsam mit den Partnern des Gesundheitswesens die Situation älterer Menschen noch weiter zu verbessern, setzen wir uns für eine sektorübergreifende Qualitätssicherung ein."

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Maren Puttfarcken und Kathrin Herbst, Pressestelle des UKE, Tel.: 040/ 74105-4747
mail: pressestelle@uke.de

Jens Stappenbeck, Geschäftsführer Hamburgische Pflegegesellschaft, Tel.: 040/ 2380 87 88
mail: hpg@hpg-ev.de

Dorthe Kieckbusch und Sandra Wilsdorf, Pressestelle der Ärztekammer, Tel.: 040/ 20 22 99 - 200
mail: presse@aekhh.de

Klaus Schäfer, Vorsitzender des Hausärzteverbands Hamburg, Tel.: 040/ 69 70 24 77

Ulrike Jaenicke, Pressestelle der HKG, Tel.: 040/ 25 17 36 29; mail: presse@hkgev.de

Zusammenfassung der Studie der Hamburger Rechtsmedizin zur Situation älterer Menschen in Hamburg und Umgebung (2008)(Prof. Dr. Klaus Püschel, Leiter der Rechtsmedizin am UKE)

Überprüft wurden die Sterbefälle, die im Rahmen der 2. Leichenschau vor der Einäscherung im Krematorium untersucht werden. Die hier mitgeteilten Ergebnisse beziehen sich also ausdrücklich (nur) auf die letzte Phase des Lebens, die dem Sterben unmittelbar vorausgeht. Im Rahmen der jetzigen Altersstudie wurden mehrere Aspekte zur medizinischen Versorgung älterer Menschen gleichzeitig parallel analysiert.
Untersucht wurden insgesamt 8518 Verstorbene ab dem 60 Lebensjahr. Darunter waren 57% Frauen und 43% Männer. Der Altersdurchschnitt lag bei 81 Jahren (Frauen 84 Jahre, Männer 78 Jahre). Der letzte Wohnsitz befand sich bei 65% in Hamburg, bei 31% in Schleswig Holstein und bei 4% in Niedersachsen. Der Sterbeort war in 22,7% privat, bei 42,3% im Krankenhaus, bei 30,7% in einem Pflegeheim und bei 4,3% im Hospiz.

Einige der Ergebnisse im Einzelnen:

Dekubitus: 3,3% aller Verstorbenen hatten einen Dekubitus 3. oder 4. Grades aufzuweisen. Davon sind 38,3% im Krankenhaus verstorben, 35,2% in Pflegeheimen und 22,5% im privaten Bereich, schließlich 4% im Hospiz. Die Mehrzahl der Durchliegestellen war unter dem Aspekt der Versorgung chronischer Wunden gut verbunden und befand sich in einem gut heilenden Wundstatus.

Ernährung: Etwa die Hälfte der Verstorbenen hatte im Hinblick auf den Body-Mass-Index der Weltgesundheitsorganisation Normalgewicht; etwa 15% waren untergewichtig (nach dem sogenannten geriatrischen BMI immerhin 22,1%!), 35% waren eher übergewichtig, davon 11,2% deutlich übergewichtig. Bei den Hochaltrigen lag häufiger Untergewicht vor. Als häufigster Sterbeort von untergewichtigen Hochaltrigen wurde das Heim ermittelt, am seltensten das Krankenhaus. - Die Verstorbenen, die mit einer Magensonde durch die Bauchdecke versorgt waren (6,6%), fanden sich in höherem Lebensalter immer seltener. Meist lebten und starben diese Personen in Pflegeheimen und waren eher nicht untergewichtig. Der Pflegezustand dieser Sonden an den Eintrittsstellen in den Körper war zu 2/3 reizlos, bei immerhin 1/3 der Fälle zeigten sich regionale Wundinfektionen.

Zahnstatus/Gebissbefund: Dieser wurde bei 1224 Verstorbenen erhoben. Nur 1,3% waren mit Implantaten versorgt. Nur 2,7% hatten ein vollständiges Gebiss ohne Zahnersatz. 56,2% der Verstorbenen hatten keine Prothese im Mund, dürften diese aber zumeist besessen haben (es fanden sich entsprechende Tragemerkmale). Festzustellen ist, dass die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität im Alter besonders stark leidet.

Endoprothesen/künstliche Hüft- und Kniegelenke/Sturzgefahr: 16,3% der Verstorbenen hatten eine Operationsnarbe im Hüftbereich. Von diesen waren 72,1% weiblich und häufig besonders halt (90-99 Jahre). 4,9% der Verstorbenen wiesen eine typische Narbenführung über dem Kniegelenk auf, die auf einen Kniegelenksersatz schließen lässt. Davon waren 69,3% weiblich, mit 80-89 Jahren war der größere Anteil etwas jünger als bei den Hüftprothesen. Es zeigt sich folgende Tendenz: Verstorbene mit künstlichen Hüftgelenken leben und sterben eher in Pflegeheimen, Verstorbene mit künstlichen Kniegelenken leben hingegen eher im privaten Umfeld.

Herzschrittmacher: 6,4% der Verstorbenen hatten einen Herzschrittmacher (N= 477) oder implantierbaren Defibrillator (N=62). Vergleichsweise mehr Männer als Frauen hatten ein derartiges Aggregat implantiert bekommen. Die Mehrheit der Verstorbenen wohnte im privaten Umfeld und starb im Krankenhaus. Es ließ sich feststellen, dass die Personen mit Herzschrittmacher bzw. Defibrillator vor Todeseintritt mobiler waren und sich keine Differenzen zwischen Heimbewohnern und im privaten Bereich lebenden Menschen finden lassen.

Weitere Ergebnisse: Suizidfälle nehmen im Alter relativ gesehen erheblich zu. Menschen mit höherem Lebensalter haben ein gesteigertes Risiko, einsam zu sterben. Etwa 1/3 der Wohnungen dieser längere Zeit vor ihrem Tode vermissten Menschen waren in einem verwahrlosten Zustand.
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Das 10-Punkte-Programm der Hamburger Rechtsmedizin zur besseren Versorgung für ältere Menschen

1. Deutschland gehört zu den Ländern mit dem weltweit höchsten Anteil älterer Menschen. Im Jahr 2000 war ein Viertel der Gesamtbevölkerung mindestens 60 Jahre alt; im Jahr 2030 wird dies bereits jeder dritte Mensch sein (34,4%). Man spricht von der (Über-)Alterung unserer Gesellschaft.

Festzustellen ist einerseits eine zunehmende Anzahl gesunder, aktiver, selbstbestimmt lebender Senioren - dank der großen Fortschritte der Medizin und einer gesünderen Lebensweise.

Andererseits wird mit der steigenden Lebenserwartung auch die Zahl in der letzten Lebensphase gesundheitlich beeinträchtigter hilfs- und pflegebedürftiger Menschen ansteigen. - Insoweit ein Fluch bzw. ein Danaer-Geschenk der Medizin!

Heute stellen wir (noch) fest: Lebensqualität ist trotz chronischer Krankheiten und/oder Behinderungen für die Mehrheit der Menschen im Alter immer weiter angestiegen. Insgesamt hat das Risiko, pflegebedürftig zu werden, in Deutschland in den letzten Jahren eher abgenommen. - Aber hier dürfen wir nicht nachlassen, sondern müssen uns im Gegenteil weiter verbessern.

2. Vor einem Jahrzehnt haben die Rechtsmediziner hier in Hamburg erstmals auf die kritische Situation älterer kranker und pflegebedürftiger Menschen aufmerksam gemacht. Danach sprach man seinerzeit in Hamburg und auch bundesweit vom sogenannten Pflegeskandal. Übrigens: Damals wie auch heute ist dies keineswegs eine Hamburgensie. Vielmehr waren die Zahlen über Dekubitusprävalenzen in anderen deutschen Großstädten (z.B. Berlin, Hannover) - dargestellt anhand der Situation bei der Krematoriumsleichenschau - eher noch viel bedenklicher!

Unseren früheren Untersuchungsansatz im Rahmen der Krematoriumsleichenschau haben wir auch jetzt wieder praktiziert. Überprüft wurden die Sterbefälle, die im Rahmen der 2. Leichenschau im Krematorium untersucht werden. Die von mir hier heute mitgeteilten Ergebnisse beziehen sich also ausdrücklich auf die letzte Phase des Lebens, die dem Sterben unmittelbar vorausgeht. Dass die Ursachen der festgestellten medizinischen Probleme bei der Endkontrolle zum Teil viele Jahre zuvor gelegt wurden, ist eine eher selbstverständliche Erkenntnis. Insofern ist das von uns erhobene Status-Momentbild bei der Leichenschau das Ergebnis einer Entwicklung, die eventuell nur einige Tage gedauert hat, möglicherweise aber auch das Zeitraffer-Bild einer jahrelangen negativen Entwicklung darstellt.

Im Rahmen der jetzigen Altersstudie wurde der Ansatz umfassender gewählt als vor einem Jahrzehnt. Wir haben mit einer ganzen Reihe von Einzelstudien die nachfolgend dargestellten Aspekte abgebildet.

Untersucht wurden insgesamt 8.518 Verstorbene ab dem 60. Lebensjahr. Darunter waren 57% Frauen und 43% Männer. Der Altersdurchschnitt lag bei 81 Jahren (Frauen 84 Jahre, Männer 78 Jahre). Der letzte Wohnort befand sich bei 65% in Hamburg, bei 31% in Schleswig-Holstein und bei 4% in Niedersachsen. Der Sterbeort war in 22,7% privat, bei 42,3% im Krankenhaus, bei 30,7% in einem Pflegeheim und bei 4,3% im Hospiz.

Die Studie wurde unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung. Sie wurde begleitet von einem wissenschaftlichen Beirat. Durchgeführt wurden die wissenschaftlichen Arbeiten im Krematorium einerseits von ärztlichen Mitarbeitern des Instituts für Rechtsmedizin, andererseits von Doktoranden.

3. Gesundheitszustand bzw. Krankheitsspektrum: Aus den Todesbescheinigungen ergab sich, dass viele alte Menschen multimorbide sind. Bei den Todesursachen dominieren Herz-/Kreislauferkrankungen sowie Tumorerkrankungen. Man findet in den schriftlichen Aufzeichnungen der Todesbescheinigungen nur sehr selten Angaben zu Demenz, Pflegezustand, Ernährung, Mobilität, Sterbeverlauf. Hierzu bedarf es des genauen Hinschauens bei der Krematoriumsleichenschau. 6,4% der Verstorbenen hatten einen Herzschrittmacher (n = 477) oder einen implantierten Defibrillator (n = 62). Unterschiede waren diesbezüglich zwischen Heimbewohnern und dem privaten Bereich nicht festzustellen. Patienten mit Schrittmacher oder Defibrillator waren offensichtlich vor ihrem Todeseintritt mobiler.

4. Pflegezustand, insbesondere Dekubitus:
Bedacht werden muss insbesondere, dass hier Patienten an ihrem Lebensende untersucht wurden. Gerade bei chronischen Erkrankungen im Endstadium ist es verständlich, wenn keine umfangreichen Lagerungsmaßnahmen oder komplizierten Verbände mehr angewendet werden, sondern eher einen Sterbeprozess in Ruhe ablaufen zu lassen.

Immerhin hatten 12,1% der Verstorbenen mindestens eine geringfügige Durchliegestelle aufzuweisen (darunter waren 58% Frauen). 41% der Dekubitalulzera kam im Alter von 80 bis 89 Jahren vor. Etwa ein Viertel der Dekubitalulzera war bei untergewichtigen Personen festzustellen und ca. 50% bei Normalgewichtigen. Immerhin 3,3% aller Verstorbenen wiesen Dekubitalulzera 3. oder 4. Grade (nach Shea) auf. Dies erscheint angesichts der früher eingeleiteten Präventionsmaßnahmen ein nach wie vor immer noch zu hoher Wert zu sein. Von den Todesfällen mit Dekubitus ereigneten sich 38,2% im Krankenhaus, 35,2% im Pflegeheim und 22,5% im privaten Bereich sowie 4% im Hospiz. Die Mehrzahl der Dekubitalulzera war gut/sauber verbunden und befand sich in einem akzeptablen Wundstatus. (Nur) einzelne Dekubitusläsionen wurden offensichtlich schlecht versorgt. - Aus verschiedenen Gründen wurden bisher jegliche fall- oder institutionenbezogenen Auswertungen zurückgestellt.

5. Ernährung, Gewicht, Versorgung mit Magensonden:
Etwa die Hälfte der untersuchten Verstorbenen hatten laut dem Body-Mass-Index der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Normalgewicht, etwa 15% war untergewichtig (nach dem sogenannten geriatrischen Body-Mass-Index sogar 22,1%). 35% waren übergewichtig, davon 11,2% sogar stark.

Bei den Hochaltrigen kam Untergewicht immer häufiger vor. Die untergewichtigen Personen starben am häufigsten im Heim, relativ selten im Krankenhaus.
Verstorbene mit Magensonden durch die Bauchdecke (insgesamt 6,6%) fanden sich im höheren Lebensalter immer seltener. Meist lebten und starben diese Personen in Pflegeheimen und waren eher nicht untergewichtig. Der Pflegezustand der Sonden an der Durchtrittsstelle durch die Bauchwand zeigte sich ein Drittel der Fälle gereizt bzw. entzündet.

6. Zahnmedizinische Befunde:
Der Zahnstatus/Gebissbefund wurde bei 1224 Verstorbenen erhoben. Nur 1,3% waren mit Implantaten versorgt. Nur 2,7% hatten ein vollständiges Gebiss ohne Zahnersatz. 56,2% der Verstorbenen hatten keine Prothese im Mund, wobei überwiegend festzustellen war, dass sie Prothesen besessen haben müssen (entsprechende Tragespuren); möglicherweise ist die Prothese in einigen Fällen erst nach dem Tode entfernt worden.

Festzustellen ist, dass die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität im Alter besonders stark leidet. Bekanntlich sind die (Teil-)Prothesen wichtig sowohl für die Kaufunktion als auch für die Sprechfunktion. Der Tragekomfort, die Kaufunktion und die Stabilität hängen stark von der sorgfältigen Pflege ab. Prothesen auf sogenannten festen Pfeilern schaffen eine besondere Zufriedenheit. Wichtig ist die frühzeitige Realisierung von präventiven Maßnahmen im Leben, um Zahnverluste zu vermeiden. Da dies nicht immer gelingt, sollte zumindest eine regelhafte Versorgung auch schon bei weniger gravierenden Zahnerkrankungen und ein rechtzeitiger Ersatz von verlorenen Zähnen erfolgen, damit auch im hohen Alter noch Zahnersatz auf festen Pfeilern eingegliedert werden kann.

7. Mobilität, Bewegungsmangel, Sturzgefahr, Gelenkprothesen, Osteoporose:
Viele Menschen leiden im Alter unter chronischen Gelenkerkrankungen und Verschleiß. Es besteht auch eine vermehrte Knochenbrüchigkeit (Osteoporose). Infolge von Multimorbidität und Bewegungsmangel resultiert eine verstärkte Sturzgefahr. Diese Stürze wiederum führen zu erheblichen Verletzungen. Genannt sei das Beispiel der Schenkelhalsfraktur. 16,3% der Verstorbenen hatten eine Narbe im Hüftbereich, die auf eine operative Hüftgelenksversorgung schließen ließ. Die Frauen waren hier eindeutig überrepräsentiert, insbesondere im höheren Alter. 4,9% der Verstorbenen hatten eine Kniegelenksoperation, auch hier wiederum deutlich mehr Frauen. Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass Verstorbene mit künstlichen Hüftgelenken eher pflegedürftig in Heimen leben. Verstorbene mit künstlichen Kniegelenken leben hingegen eher im privaten Umfeld und sterben dann im Krankenhaus. - Von entscheidender Bedeutung ist auch hier wiederum der präventive Aspekt: Mobilität muss so lange wie möglich erhalten werden. Stürze sind zu vermeiden. Der Osteoporose ist durch Bewegung und entsprechende Medikamente vorzubeugen.

8. Lebensweise, einsames Sterben:
In diesem Zusammenhang wurden im Jahr 2008 alle Todesfälle untersucht, bei denen die Liegezeit bis zur Auffindung mindestens 3 Tage betragen hat. Bezogen auf alle Verstorbenen in Hamburg (jährlich etwa 18.000) werden etwa 2% erst nach längerer Leichenliegezeit aufgefunden (hierunter 1/3 Frauen, 2/3 Männer). Menschen mit höherem Lebensalter haben ein gesteigertes Risiko, einsam zu sterben. Bei diesen Verstorbenen bestehen vermehrt Krankheitsdiagnosen wie z.B.: Alkoholabhängigkeit (26%), psychische Erkrankungen (7%), BTM-Abhängigkeit (3%). Etwa ein Drittel der Wohnungen dieser längere Zeit vor ihrem Tode vermissten Menschen war in einem verwahrlosten Zustand. - In diesem Zusammenhang ist nachhaltig darauf hinzuweisen, dass es in Hamburg speziell zu wenig Plätze für palliativmedizinische Maßnahmen (z.B. im Hospiz) gibt.

9. Suizidalität, äußere Gewalt, Tötungsdelikte:
Suizidfälle nehmen im Alter relativ gesehen erheblich zu. Wie in den jüngeren Lebensjahren dominieren im Hinblick auf die Suizidmethode das Erhängen und Tablettenvergiftungen. - Soweit die Motivation aus den Akten der Polizei nachvollziehbar ist, dominieren Vereinsamung sowie als unerträglich empfundene Krankheiten (auch mit Schmerzen).

10. Das Alter ist eine Lebensphase, die alle Menschen erreichen und möglichst lange gesund erleben/genießen möchten. Von daher wäre eigentlich davon auszugehen, dass umfangreiche gesellschaftliche Kräfte freigesetzt werden, um positive Lebensumstände im Alter sicherzustellen.

Sie kennen meinen Ansatz: Von den Toten lernen für das Leben. Die hier präsentierte Basisdokumentation zur Situation älterer Menschen in Hamburg und Umgebung lehrt uns allerdings wenn auch nicht das Fürchten, so doch eine erhebliche Skepsis. Unsere Problembeschreibung und die daraus resultierende Zukunftsangst haben einen realen Kern. Der demographische Wandel droht uns zu überrollen.

Dieser Konflikt muss entschärft werden. Unsere Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, hat in ihren Empfehlungen der Arbeitsgruppe "Altern in Deutschland" folgendermaßen formuliert: "Für die Politik in Deutschland wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten darauf ankommen, dass die Anliegen der Pflegepatienten, der Heimbewohner, der Demenzkranken und anderer in ihrer Autonomie eingeschränkter Personen wirksam und authentisch im politischen Prozess vertreten werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Betroffenen soweit wie möglich für sich selber sprechen können. Die Alterung der Bevölkerung erinnert daran, dass sozialer Zusammenhalt nicht alleine auf Interessen gegründet sein kann, sondern grundsätzlich auch eine Frage von Solidarität und Moral ist.
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Unsere Ergebnisse wurden bereits in einem längeren Prozess mit den Bündnispartnern im Bereich des Gesundheitswesens und der Pflege erörtert: U.a. Behörde für Soziales und Gesundheit, Hamburger Pflegegesellschaft, Krankenhausgesellschaft, Hausärzteverband, Ärztekammer. Deren Stellungnahmen erfolgen anschließend.

Für uns kommt es darauf an, einen erneuten Anstoß zu geben, sozusagen warnend den Finger zu heben bzw. bildlich gesprochen die offenen Wunden darzustellen - beispielhaft beim Dekubitus. Es gibt viele gute Möglichkeiten sowie bereits praktizierte Ansätze, die dargestellten Probleme anzugehen. Bei den Pflegenden ist ein großes Engagement festzustellen; die Leistungen in diesem Bereich wurden stetig verbessert. Aber es gibt sicher keinerlei Veranlassung, sich derzeit etwa zufrieden zurückzulehnen. Sicher: Viele alte Menschen sind sehr zufrieden - aber die nichteigenständigen, von der Öffentlichkeit nicht bewusst wahrgenommenen älteren Menschen stehen zum Teil im tiefen Schatten: Körperlich zu wenig mobil, mit vielen Krankheiten, pflegebedürftig, nicht selten mit Kunstgelenken, mit Magensonde, unterernährt, mit leicht brechenden Knochen, depressiv, einsam, suizidal und ohne Platz für ein sanftes Sterben.

Quelle: Pressemitteilung vom 8.7.2009
http://www.uke.de/medien/index_57969.ph ... _57969.php
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Telefon: +49 (40) 74 10 - 0
info@uke.uni-hamburg.de

Studie liegt nicht in schriftlicher Form vor

Verfasst: 10.07.2009, 08:38
von WernerSchell
Sehr geehrte Damen und Herren im Forum,
ich hatte gestern das UKE gebeten, Pro Pflege Selbsthilfenetzwerk ein kompettes Exemplar der Hamburger Studie zur Versorgung älterer Menschen zur Verfügung zu stellen. Daraufhin ging heute die nachfolgende Mitteilung ein.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell

Mitteilung vom 10.7.2009:

Sehr geehrter Herr Schell,
in schriftlicher Form gibt es nur die offizielle Pressemitteilung.
Mit freundlichen Grüßen
i.V. N. Fahrenkrug
Prof. Dr. med. Klaus Püschel - abwesend bis Ende Juli -
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf
Direktor des Institut für Rechtsmedizin
Butenfeld 34
D-22529 Hamburg
Fon.+4940-7410-5 2130/-56095
Fax. +4940-7410-5 9383
Sekr./Ass. Susanne Richert
richert@uke.de

Die Pflegesysteme sind reformbedürftig

Verfasst: 12.07.2009, 14:28
von WernerSchell
Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss

Pressemitteilung vom 12.07.2009
Text auch unter
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... lungen.php

Die Pflegesysteme sind reformbedürftig:
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff mit leistungsrechtlichen Folgerungen, deutliche Personalausweitungen und eine angemessene Stärkung der Angehörigenrechte sind überfällig!

Das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat am 08.07.2009 in einer umfangreichen Pressemitteilung die Ergebnisse einer neuen Studie zur Versorgung älterer Menschen in Hamburg vorgestellt. Im Rahmen dieser Studie wurden mehrere Aspekte zur medizinischen Versorgung älterer Menschen gleichzeitig parallel analysiert. Es ging dabei u.a. um die bereits seit Jahren aufgrund von MDK-Prüfungen bekannten Mängel in den Bereichen Mobilität, Ernährung und Mundgesundheit.

Prof. Dr. Klaus Püschel, Leiter der Rechtsmedizin am UKE, bemerkte dazu u.a.:

„Die hier präsentierte Basisdokumentation zur Situation älterer Menschen in Hamburg und Umgebung lehrt uns allerdings wenn auch nicht das Fürchten, so doch eine erhebliche Skepsis. Unsere Problembeschreibung und die daraus resultierende Zukunftsangst haben einen realen Kern. Der demographische Wandel droht uns zu überrollen. Dieser Konflikt muss entschärft werden.“

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk nimmt die Hamburger Studie nochmals zum Anlass, bereits früher erhobene Forderungen bezüglich der notwendigen Reformmaßnahmen zu wiederholen:

Das Pflegeversicherungssystem (SGB XI) muss – im Zusammenwirken mit der Betroffe-nenseite (pflegebedürftige Menschen und Angehörige) - grundlegend reformiert werden. Überfällig ist eine Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes (§ 14 SGB XI) mit einer Ausweitung des Leistungsrechts. Dabei muss der Grundsatz „ambulant vor stationär“ eine Stärkung erfahren. Die Rechte der Angehörigen, die die größte Gruppe der Pflegenden stellen, müssen ausgeweitet bzw. gestärkt werden. Dabei sollte der Leitgedanke: „Angehörige und Pflegekräfte gemeinsam zum Wohle der Pflegebedürftigen“ als Orientierung dienen.

Wir müssen im Zusammenhang mit einer Neuordnung sämtlicher Pflegesysteme (einschließlich Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen) auch darüber diskutieren und entscheiden, welche Pflege wir (uns leisten) wollen. Bei dieser Diskussion wird das Ausmaß der gebotenen leistungsrechtlichen Ausweitungen festzulegen sein. Die BürgerInnen müssen im Rahmen solcher Erörterungen erfahren, welche Leistungen die Pflegesysteme zukünftig erbringen (können) und inwieweit ggf. Individualvorsorge zu betreiben ist. Der (10.) Neusser Pflegetreff, Anfang 2010, wird genau dieses Thema aufgreifen und mit allem Nachdruck für entsprechende Folgerungen eintreten.

Bei all dem gilt es u.a. zu bedenken: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird in nächster Zeit deutlich zunehmen. Im Jahre 2030 wird es allein rd. 2 Millionen dementiell erkrankte Menschen geben. Die Hamburger Studie macht auf diesen Aspekte ebenfalls aufmerksam und folgert: „Unsere Problembeschreibung und die daraus resultierende Zu-kunftsangst haben einen realen Kern. Der demographische Wandel droht uns zu überrollen.“ Man darf auch von einer möglichen Pflege-Katastrophe sprechen!

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk tritt im Zusammenhang mit den gebotenen Reformanstrengungen auch für eine deutliche Verbesserung der Pflegestellenpläne (in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern) ein, weil nur eine ausreichende Zahl von Pflege(fach)- und sonstigen Betreuungskräften die allseits gewünschte Zuwendung einschließlich Be-gleitung in schwierigen Situationen (z.B. palliativmedizinisch-/ pflegerische Betreuung, Sterbebegleitung) gewährleisten kann. Um solche Verbesserungen alsbald erreichen zu können, ist es u.a. erforderlich, im Pflegeversicherungsrecht einen neuen erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein bundeseinheitliches Personalbemessungssystem (an Stelle von unzulänglichen regional unterschiedlichen Stellenschlüsseln) einzuführen. Auch dieser personalwirtschaftliche Aspekt gehört zwingend zu den notwendigen Reformmaßnahmen. Pflegekräfte verdienen uneingeschränkt unsere Wertschätzung – und dies müssen wir in einer alternden Gesellschaft deutlich herausstellen. Daher wird es auch darum gehen müssen, über eine angemessene Erhöhung der Vergütungen für Pflegekräfte zu befinden.

Solange es eine Reform der Pflegesysteme „an Haupt und Gliedern“ nicht gibt, macht es wenig Sinn, auf die entsprechenden Einrichtungen mit „Schulnoten“ und anderen ähnlichen Druckmitteln eine bessere Pflege erzwingen zu wollen. Dies ist zum Scheitern verurteilt! Im Übrigen sind die entsprechenden Bewertungssysteme auch nicht mit der Betroffenenseite abgestimmt worden. Sie beruhen lediglich auf Abstimmungen, die allein zwischen dem GKV-Spitzenverband Bund und den Verbänden der Pflegeeinrichtungen stattgefunden haben. Durch die vielfältigen Einflussnahmen der Trägerverbände auf die Ausgestaltung der Bewertungssysteme wurde der „Bock zum Gärtner“ gemacht; - so formulierte u.a. ein MDS-Vertreter beim Neusser Pflegetreff am 17.02.2009.

Ohne grundlegende Veränderungen an den Pflege-Rahmenbedingungen wird es keine nachhaltigen Verbesserungen der Pflege geben. Dies auch deshalb, weil sich die pflegerischen Probleme durch den demographischen Wandel gravierend verschärfen werden.

Wir müssen bei allen Erörterungen um eine Verbesserung der Pflege-Rahmenbedingungen darauf achten, dass wir nicht unnötig Ängste bei den hilfe- und pflegebedürftigen Menschen schüren. Überzogene Skandalberichte (im Sommerloch) verzerren das Bild der Pflege.

Werner Schell

Text ist zur Veröffentlichung frei

Pflegereform angemahnt - vielfältige Zustimmung

Verfasst: 14.07.2009, 06:34
von WernerSchell
Die Medien haben mittlerweile die Pressemitteilung von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 12.07.2009 aufgegriffen und berichten:

http://www.openbroadcast.de/artikel/215 ... ftig:.html
http://www.openpr.de/news/323964.html

Darüber hinaus gibt es in vielfältiger Weise - telefonisch und auch per E-Mail-Zuschrift - ausnahmslos Zustimmung. - Danke!

Werner Schell