Studie: Pflegezustand vieler alter Menschen alarmierend

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

Presse
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Tausendfache Körperverletzung an alten Menschen

Beitrag von Presse » 09.07.2009, 11:21

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung:
Tausendfache Körperverletzung an alten Menschen darf nicht länger ignoriert werden - Schwerpunktstaatsanwaltschaften müssen für Ermittlungsdruck sorgen

Berlin/ Hamburg. "Was mit pflegebedürftigen, alten Menschen in Deutschland geschieht, ist tausendfache Körperverletzung. Und das täglich", sagt der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, zu der gestern von der Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vorgestellten Studie. Die Forscher hatten 8.500 tote Senioren untersucht und alarmierende Beweise für Pflegemängel wie schwere Druckgeschwüre, desolate Gebisse und Unterernährung festgestellt. "Erschreckend an dieser Studie ist vor allem, dass die Ergebnisse nicht neu sind", kommentiert Brysch. "Die Katastrophe in der Pflege ist bekannt. Was folgt, wenn wieder einmal ein Pflegeskandal an die Oberfläche kommt, ist immer das Gleiche: Zunächst gibt es einen kollektiven Aufschrei des Entsetzens, und dann gehen alle wieder zur Tagesordnung über."

"Falschparken wird in Deutschland konsequenter bestraft als Körperverletzung"

Jetzt müssten endlich Lehren gezogen werden, fordert Brysch. "Falschparken wird in Deutschland konsequenter bestraft als Körperverletzung gegenüber pflegebedürftigen Menschen. Es gibt keinen Ermittlungsdruck. Damit sich das ändert, müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet werden. Zuständig hierfür sind die Bundesländer. Die Justizminister müssen ihre Generalstaatsanwaltschaften dazu anweisen. Nur wenn kompromisslos gegen die andauernde Körperverletzung an alten Menschen vorgegangen wird, kann sich die momentane Situation ändern."

Hintergrund
Die gemeinnützige und unabhängige Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ist die Sprecherin der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55.000 Mitgliedern und Förderern.

Quelle: Pressemitteilung vom 9.7.2009
Bei Rückfragen und Interview-Wünschen:
Matthias Hartmann: Tel.: 030/ 2 84 44 84 2 hartmann@hospize.de
http://www.die-schiedsstelle.de http://www.hospize.de

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 09.07.2009, 11:28

Schön zu lesende Worte...

Nun kommt es also auf die Staatsanwaltschaften an...

Wovon träumen wir eigentlich?
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Rob Hüser
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Probleme benennen und sachlich Korrekturen einfordern

Beitrag von Rob Hüser » 09.07.2009, 12:04

Hallo Forum,

die Hamburger Studie ist gut platziert worden: Sommerloch - voll getroffen!

Dass die Pflege-Rahmenbedingungen nicht stimmen, wissen wir seit Jahren. Der "Spielball" liegt im politischen Bereich. Dort hat man es aber 2008 nicht zustande gebracht, eine vernünftige Reform zu formulieren. Nun stehen wir weiter vor dem Dilemma!

Mit welchen Recht verlangen wir eigentlich von Pflegekräften sorgfaltsmäßiges / lehrbuchmäßiges Handeln, wenn eine Kraft im Frühdienst bis zu 15 schwerstpflegebedürftige Menschen versorgen muss? Im Nachtdienst sind u.U. Pflegekräfte für mehrere Etagen und gleich für über 40 Personen zuständig. - Sind unter solchen Umständen nicht andere Leute / Institutionen in die Verantwortung zu nehmen? - Wenn eine Pflegekraft Mängel zu laut anspricht, ist sie schnell Kunde der Agentur für Arbeit und muss ihr Leben nach Hartz-IV-Beträgen neu ordnen. Das sind die Fakten.

Ich trete mit dafür ein, dass die Probleme weiterhin deutlich formuliert werden, aber es müssen einschneidende strukturelle Korrekturen her und insoweit muss Druck gemacht werden, mit konstruktiven Argumenten. Jammern allein hilft nicht!

Wahrscheinlich kommen gleich wieder die Bemerkungen, dass unsere Tiere im Tierheim besser aufgehoben sind, als alte Menschen im Pflegeheim. Der nächste Vergleich führt zu den Häftlingen von Guatanamo (Fussek & Co.). Ich kann solche Diskussionen auch nicht mehr hören.

Daher: sachlich bleiben. Wer hat denn die Studie, aus der heraus jetzt wieder allerlei gefolgert wird, in Händen und gelesen?

Frdl. Grüße
Rob
Das Pflegesystem muss dringend zukunftsfest reformiert werden!

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Tausendfache Körperverletzung an alten Menschen

Beitrag von ThomasH » 09.07.2009, 12:37

Sehen Sie mir bitte meine Hartnäckigkeit und Unwissenheit (und Rechtschreibfehler, aber die hatte A. Einstein auch, ohne überheblich sein zu wollen) nach,
aber wie steht es mit dem Recht und der Aussicht auf Erfolg einer Klage der alten Menschen, bei Mißachtung ihrer Würde und der Sorgfaltspflicht?

Fast täglich passieren Unfälle in der Art, dass der pflegebedürftige Mensch zur Toilette muss, nach dem 1. Klingeln nach Pflegeperson den Hinweis erhält "ich komme gleich", nach dem 2. Klingeln wird von dem Pflegebedürftigen ein Maß an Geduld abverlangt, nach dem 3. Klingeln Renitenz bescheinigt - und jezt kann er mal warten. Was macht der Pflegebedürftige, er versucht es alleine - er muss halt auf Toilette.
Er leidet er an einer Mobilitätseinschränkung bei den Transfers, dem Stehen und Gehen, nach Apoplex und erhält Diurektika wg. seiner Herzschwäche, zu dem hat er das Glück, wg. seiner Harnblasenschließmuskelschwäche noch keinen Harnkatheter erhalten zu haben. Ok, er hat eine Windel oder Vorlage an. Seine leichte Demenz erlaubt ihm aber noch seinen Harndrang zu verspüren und die angemessene Reaktion einzuleiten, den Toilettengang. Selbstverständlich weißt der geführte Trinkplan eine Einfuhrmenge von 2 Litern aus, bis zu diesem Zeitpunkt. So weit ok, es wird ja schließlich der imaginären und allgemeingültig empfohlenen Trinkmenge von 2 - 3 Litern / Tag gefolgt (ob richtig oder falsch; deshalb z. B. ist Pflegewissenschaft wichtig und solche ungültigen Pauschalaussagen ab zu schaffen).
Der alte, pflegebedürftige Mensch, mit staatlich anerkanntem Hilfebedarf und dem Merkzeichen der Einschränkung seiner Altagskompetenzen, versucht also selbständig zur Toilette zu gelangen.
Pech gehabt und selbst Schuld, wenn der Humeruskopf nach dem Sturz, in Folge von scheinbar unabänderlichen Personalnöten und vom Pflegepersonal selbst bestimmten Hilfsabfolgen, jetzt unters Messer der Chirugen muss. Und selbst Schuld, wenn die vorbestandene Demenzerkrankung, von bisher leichter Ausprägung, jetzt durch die notwendige Intubationsnarkose zur OP eine rechtlich wesentliche und irreversiebele Verschlimmerung (kein Durchgangssyndrom) erfährt.
Gut, zur Unfallvermeidung hätte man, nach zuvor erfolgtem Sturzassessment den pflegebedürftigen Menschen auch fixieren können (mit Gurten, Säften, Tabletten, oder im Fernsehruhesessel), zu seinem Selbstschutz. Aber ist dieses die Wahrheit?

Nein, die Qualen müssen benannt werden und mit dem Finger auf jede Einzelne gezeigt werden.
Da frage ich dann schon nach der Staatsanwaltschaft und der Justiz, im Interesse des einzelnen Schutzbefohlenen und suche nach einer Antwort auf meine Frage.
Ich stelle mir vor, es wäre einer meiner Eltern oder meiner Kinder, dem dieser Unfall, in der vermeindlich geglaubten Obhut wiederfahren wäre.
Oder Ihr Elternteil oder Ihr Kind.

Es kann natürlich aus sein, dass mein Bild von der Würde des Menschen überzogen oder von gestern ist und dass es als üblich anzusehen ist, dass Menschen mit einer wie auch immer gearteten Art einer Harnblasenschwäche in die Hose machen (haben ja eine Windel an).
Doch daran will ich nicht glauben, so lange die Richter noch eine Robe tragen.

Es fühle sich bitte niemand persönlich angegriffen, das ist nie meine Absicht.
Der Grüße nur der Besten
Th. Hahn

Cicero
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Belange der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen

Beitrag von Cicero » 09.07.2009, 13:10

Hallo Diskutanten!

Ich begrüße es eigentlich sehr, dass hier wohl alle Schreiber - mit unterschiedlicher Wortwahl - für die Belange der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen eintreten. Das Ziel scheint klar, nur der Weg dorthin wird unterschiedlich beschrieben.

Ich mahne aber, was die Hamburger Studie angeht, zunächst noch Zurückhaltung an. Ich würde gerne konkret wissen, was in diesem Papier wirklich drin steht. Wer hat es eigentlich aus welchen Gründen in Auftrag gegeben?

Der Schwerpunkt der bisherigen Aussagen zur Studie lag bei den Durchliegegeschwüren. Das Entstehen solcher Durchliegegeschwüre kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt solche Geschwüre, die im Krankenhaus entstehen und dann landet der Patient mit diesem Problem im Heim. Wo liegt dann wohl die Verantwortung? Andererseits gibt es auch Durchliegeschwüre, die im Heim entstehen und dann erst im Krankenhaus versorgt werden müssen. Manche Durchliegegeschwüre können, und das wird wohl auch in der Studie ausgeführt, überhaupt nicht verhindert werden, sie sind schicksalshaft begründet. Die Medizin / Pflege kann nicht jedes Durchliegegeschwür verhindern!

Werden solche und ähnliche Erwägungen berücksichtigt, kann sich so mancher Vorwurf wegen möglicher schlechter Pflege in den Heimen auflösen. Bedacht werden muss wohl auch, dass in der Vergangenheit oft ein Hilfsmittelstreit geführt wurde und damit die Kranken- bzw. Pflegekassen mit ins Spiel kommen. Auch diesen Streit darf man der Pflege nicht anlasten.

Nun kann man sagen, dass dies alles mit Rücksicht auf die alten Menschen, die eine gute Pflege haben sollen, nicht wichtig sei. Aber, wir müssen die Verhältnisse nun mal so nehmen, wie sie sind. Das Leben, die Lebensumstände, sind in einer großen Gemeinschaft gelegentlich schwierig, und da können wohl die Versorgungsstrukturen der alten Menschen nicht ausgenommen bleiben.

Wenn es aber strukturelle Probleme gibt, dürfen sie nicht bleiben. Es müssen Korrekturen eingefordert werden. Und das geschieht ja auch hier, das ergibt sich aus zahlreichen Beiträgen.

Soweit einige Gedanken.

Es grüßt
Cicero
Politisch interessierter Pflegefan!
Im Gleichklang: Frieden - Ausgleich - Demokratie - und: "Die Menschenwürde ist unantastbar"!

Lutz Barth
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Zur Studie

Beitrag von Lutz Barth » 09.07.2009, 14:02

Für alle Interessierten:

Die Studie ist von dem Leiter Prof. Dr. Klaus Püschel, Rechtsmediziner am UKE auf der Homepage des UKE zusammengefasst worden.

>>> http://www.uke.de/medien/index_57969.ph ... _57969.php <<<

Die Kurzfassung ist instruktiv und dürfte insoweit auch ausreichend sein, um über die Zustände diskutieren zu können. Vornehme Zurückhaltung ist m.E. nicht anzumahnen, da dieses Thema seit Jahrzehnten immer mal wieder auf der Agenda steht.

Mit Blick auf ThomasH möchte ich nur anmerken: Wo kein Kläger, dort auch kein Richter!

Mfg. Lutz Barth

Anmerkung der Moderation:
Die Studie wird auch im Forum gesondert vorgestellt unter
viewtopic.php?t=12337
Die Diskussion soll aber hier fortgeführt werden.
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Re: Zur Studie

Beitrag von Heim-Mitwirkung » 09.07.2009, 23:35

Lutz Barth hat geschrieben:Wo kein Kläger, dort auch kein Richter!
Ergänzung:
Was nützen die besten Gesetze, die tollsten Studien, die menschlichsten Chartas, die professionellsten Konzepte ... wenn das Wissen dieser Errungenschaften nicht berücksichtigt und von den für die Pflege verantwortlichen Menschen nicht tagtäglich angewendet werden!
Reinhard Leopold c/o SHG Angehörige u.
Ehrenamtliche in der Heimmitwirkung
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Mundgesundheit größtes Problem !

Beitrag von Sabrina Merck » 10.07.2009, 06:54

Guten Morgen!

Ich finde es zunächst einmal gut, dass hier - auch kontrovers - diskutiert wird. Zweifelsfrei gibt es anhand der Hamburger Studie - siehe Zusammenfassung:
viewtopic.php?t=12337 -
Handlungsbedarf.
Allerdings kann ich aus den Studienergebnissen nicht erkennen, wo konkret die Verantwortlichkeiten für die aufgedeckten Mängel liegen. Pauschale Vorwürfe scheinen nicht angebracht.
Erfreulich finde ich, dass das Pflegepersonal weitgehend nicht verantwortlich zu sein scheint. Denn in der Zusammenfassung wird ausdrücklich das engagierte Personal hervorgehoben, dessen Leistungen stetig verbessert worden seien. Auch bezüglich der Durchliegegeschwür wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Wunden gut versorgt gewesen sei.
Was m.E. besondere Beachtung verdient, ist die Tatsache, dass die Mundgesundheit stark in Mitleidenschaft gezogen ist. Insoweit sind aber die Zahnärzte in der Hauptverantwortung.
Ich mahne nach diesen kurzen Hinweisen zu den Einzelheiten der Studie mehr Kritik mit Augenmaß an.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich will nichts beschönigen. Natürlich müssen wir den hilfe- und pflegebedürftigen Menschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Darüber muss es aber gesamtgesellschaft Einvernehmen geben. Die Debatte darüber muss noch geführt werden.

MfG
Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Gaby Modig
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Pflege: Der verschwiegene Notstand

Beitrag von Gaby Modig » 10.07.2009, 07:46

Presseberichte noch und noch - die Studie ist offensichtlich mitten im Sommerloch gelandet:

Pflege: Der verschwiegene Notstand

Dass es um die Pflege älterer und kranker Menschen in Deutschland – vorsichtig ausgedrückt - schlecht steht, ist längst kein Geheimnis mehr. Doch Politiker wie Mediziner schweigen lieber darüber. Eine Studie Hamburger Rechtsmediziner belegt erneut, dass sich viele Menschen vor ihrem Tod in einem teils alarmierenden Pflege- und Gesundheitszustand befinden.
.... weiter lesen
http://www.medizinauskunft.de/artikel/a ... pflege.php

Pflege-Studie
Jeder Achte über 60 liegt wund

zuletzt aktualisiert: 10.07.2009 - Düsseldorf (RPO). An dem Leichnam eines Verstorbenen können Ärzte sehen, in welchem gesundheitlichen Zustand er sich in den letzten Monaten seines Lebens befunden hat. Eine Studie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) offenbart Bedenkliches. Jeder Achte leidet an einem Druckliegegeschwür (Dekubitus). .... (mehr)
http://www.rp-online.de/public/article/ ... -wund.html

.....------.....
Es ist klar, dass die Pflegesysteme strukturell reformiert werden müssen. Ulla Schmidt hat das ja versäumt oder gar absichtlich verhindert? Das Thema muss oben auf die Tagesordnung. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist zu lösen. Unsere Werteordnung steht zur Debatte!

Gruß
Gaby
Pflegesystem verbessern - weg von der Minutenpflege. Mehr Pflegepersonal ist vonnöten!

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Studie: Pflegezustand vieler alter Menschen alarmierend

Beitrag von WernerSchell » 10.07.2009, 08:40

WernerSchell hat geschrieben: .... Studie: Pflegezustand vieler alter Menschen alarmierend ....
Sehr geehrte Damen und Herren im Forum,
ich hatte gestern das UKE gebeten, Pro Pflege Selbsthilfenetzwerk ein kompettes Exemplar der Hamburger Studie zur Versorgung älterer Menschen zur Verfügung zu stellen. Daraufhin ging heute die nachfolgende Mitteilung ein.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell

Mitteilung vom 10.7.2009:

Sehr geehrter Herr Schell,
in schriftlicher Form gibt es nur die offizielle Pressemitteilung.
Mit freundlichen Grüßen
i.V. N. Fahrenkrug
Prof. Dr. med. Klaus Püschel - abwesend bis Ende Juli -
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf
Direktor des Institut für Rechtsmedizin
Butenfeld 34
D-22529 Hamburg
Fon.+4940-7410-5 2130/-56095
Fax. +4940-7410-5 9383
Sekr./Ass. Susanne Richert
richert@uke.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Lutz Barth
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Nochmals: Kein Anlass zur Zurückhaltung!

Beitrag von Lutz Barth » 10.07.2009, 09:00

Mit Verlaub - die Zeit der Appelle, Charten und einiges mehr dürfte sich angesicht der erneuten Studie - und derer gibt es mehrere, auch und gerade aktuelleren Datums - sich insoweit überholt haben, als dass nunmehr ganz konkret zur Tat geschritten werden muss.

Es kommt nicht (mehr) darauf an, wo die konkreten Verantwortlichkeiten liegen; das multiprofessionelle Team ist gefordert und bei der Gelegenheit sollte zugleich überlegt werden, ob nicht ganz allgemein über eine gesetzliche Fortbildungsverpflichtung nachgedacht werden sollte, da eben nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei allen Akteuren in Teilen ein Kenntnisdefizit zu beklagen ist.

Als erste sinnvolle Maßnahme hielte ich ein "Patenschaft" für angebracht, die ggf. von engagierten und nachweislich hinreichend qualifizierten Haus- und Fachärzten übernommen wird, die in der Folge einstweilen die Funktion von "Heimärzten" wahrnehmen könnten. Um hier Anreize zu bieten, könnte im ersten Zugriff über ein Steuerfreibetrag für diejenigen Ärztinnen und Ärzte nachgedacht werden, die sich in besonderer Weise mit Blick auf den physischen und psychischen Integritätsschutz verpflichtet fühlen. Zugleich ist in der Folge ein auskömmliches Honorar vorzusehen.

Organisationsrechtlich ist dafür Sorge zu tragen (ggf. in den Heimgesetzen der Ländern), dass der Ärztin oder einem Arzt ein Weisungsrecht zukommt, wobei nach diesseitiger Rechtsauffassung dies sich bereits aus der Rechtslage de lege lata ergibt.

Die Neuordnungsprozesse der Gesundheitsberufe haben zugleich zu berücksichtigen, dass nicht eine Deprofessionalisierung (!) pflegerischer Tätigkeiten stattfindet. Mit Blick auf die einzelnen Versorgungssektoren mögen zwar Differenzierungen geboten sein, aber es ist ein Schritt in die falsche Richtung, mit Macht ärztliche Tätigkeiten übernehmen (wobei die Qualifikation noch in den "Sternen" steht) und die pflegerische Tätigkeiten im Wege einer Delegation (im Zweifel auch Substitution) auf nachgeordnetes Pflegeassistenzpersonal übertragen zu wollen.

"Pflege" ist mehr, als "nur" die Wahrnehmung genuin ärztlicher Tätigkeiten.

Die seit Jahrzehnten beklagenswerten Defizite werden im Zuge eines Pseudoprofessionalisierung nur auf eine andere Ebene verlagert, ohne einen Beitrag zum Wohl der geriatrischen Patienten geleistet zu haben.

Zugleich steht zu befürchten an, dass in Zukunft neben den bisherigen Defiziten zugleich auch "pseudoärztliche" Behandlungsfehler vermehrt in den Blickpunkt der Offentlichkeit geraten werden, weil es nach wie vor an einer ausreichenden formellen und materiellen Qualifikation ermangelt.

Angesichts der immer wieder vorgelegten Studien erscheint es wenig glaubwürdig, dass derzeit die Pflege aber auch ein Großteil der Ärzte in der Lage ist, eine lege artis Behandlung mit Blick auf den geraitrischen Patienten zu erbringen. Die Zahlen sind mal wieder erschreckend und da es sich grundsätzlich um "vermeidbare" (!) Risiken und Gefährdungssituationen handelt, ist jeder der Fälle mehr als bedauerlich!

Nicht nur "Systemfehler" sind zu beklagen, sondern auch rein praktische Behandlungsfehler, ob nun durch pflegetherapeutische oder arztspezifische Therapien und Maßnahmen verursacht. Hier muss Abhilfe geschaffen werden und zwar schnellstens. Das multiprofessionelle Team ist gefordert und von daher brauchen wir keinen "Schuldigen" zu suchen oder uns hierüber in Spekulationen vertiefen.

Und ob nun ein "Sommerloch" sich abzeichnet oder nicht: das Wohl der betreuten Bewohner und Patienten ist in jeder Jahreszeit zu wahren und wenn ansonsten auch immer Schelte an einer populistischen Berichterstattung geübt wurde, muss doch allen klar werden, dass es irgendwann einmal reicht! Darf daran erinnert werden, dass der in Ungnade gefallene Claus Fussek bereits vor Jahren gefordert hat, "Staatsanwälte müssen an den Tisch" von Pflegesatzverhandlungen? Gegenwärtig wird von einer großen und namhaften Organisation Ähnliches gefordert und keiner regt sich auf.

Wir sollten in der jetzigen Debatte aufpassen, dass nicht selbst ein Beitrag dazu geleistet wird, wohlmeinende Appelle an die Verantwortlichen zu richten, um unser "Gewissen" zu erleichtern.

Qualifizierte Arbeit ist erforderlich und bei den wiederholt festgestellten Defiziten erscheint mir denn auch das "Qualitätsmanagement" eher dürfte zu sein, so wie es derzeit wohl nicht erforderlich sein dürfte, akademische Managementkräfte wie am "Fließband" auszubilden, die sich in erster Linie integrierten Managementsystemen widmen, bei denen die Ökonomie die alles bestimmende Zielgröße zu sein scheint. Dem Bewohner und dem Patienten ist wohl eher damit gedient, wenn Fachkräfte ihr "Fach" beherrschen, zumal wenn es darum geht, beherrschbare Risiken zu vermeiden!

Allen Akademisierungstendenzen zum Trotz sind leider nur leichte Verbesserungen auszumachen und da darf denn schon einmal kritisch nachgefragt werden, ob am "Bedarf" vorbei ausgebildet wird?

Wo liegt der entscheidende Beitrag zum Wohl der geriatrischen Patienten?
"Neue Gesundheitsmanager" braucht offensichtlich das Land, während demgegenüber die Pflege klaglos ihr Berufsfeld an die Assistenzen abzugeben bereit ist.
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Anja Jansen
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Nochmals: Kein Anlass zur Zurückhaltung!

Beitrag von Anja Jansen » 10.07.2009, 09:47

Lutz Barth hat geschrieben: (1).... Als erste sinnvolle Maßnahme hielte ich ein "Patenschaft" für angebracht, die ggf. von engagierten und nachweislich hinreichend qualifizierten Haus- und Fachärzten übernommen wird, die in der Folge einstweilen die Funktion von "Heimärzten" wahrnehmen könnten.
(2) .... Darf daran erinnert werden, dass der in Ungnade gefallene Claus Fussek bereits vor Jahren gefordert hat, "Staatsanwälte müssen an den Tisch" von Pflegesatzverhandlungen? Gegenwärtig wird von einer großen und namhaften Organisation Ähnliches gefordert und keiner regt sich auf. ...
Hallo Lutz,

ich finde Deine sehr in die Tiefe gehenden Beiträge immer sehr interessant und anregend. Wir müssen in der Tat, die Probleme zur Kenntnis nehmen und in vielfältiger Weise "zur Tat schreiten". Neben der Reformdebatte, die m.E. oben anstehen muss, gibt es vielfältige Möglichkeiten, uns für die hilfe- und pflegebedürftigen Menschen einzusetzen. Die Gesellschaft, wir alle, sind gefordert!

(1) Bezüglich der Ärzteschaft habe ich doch meine Bedenken. Anhaltend gibt es große Probleme mit der ärztlichen Versorgung in den Heimen. Sie bleiben eher fern, verordnen zuviele Arzneimittel und schauen nicht genügend hin. ... Gerade diese Berufsgruppe für eine Patenschaft in Aussicht zu nehmen, halte ich für sehr problematisch. Da würde ich mir vorstellen, dass eine Seniorengruppe oder gar eine Schule dies eher gewährleisten könnte, natürlich in einer laienhaften Form von Patenschaft. Im Übrigen: Die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Angehörigen müssen gestärkt werden!

(2) Claus Fussek ist nicht nur (bei seiner Münchner Förderergruppe) in Ungnade gefallen, er ist einfach nicht mehr Repräsentant der pflegekritischen Szene. Gleichwohl wird er uns immer wieder von den Medien als "erfahrener Talkshowgast" serviert, leider! Er kritisiert alles und jedes und hat in Wirklichkeit keine brauchbaren Lösungen aufzuzeigen. Seine Behauptung, Heime seien z.B. rechtsfreie Räume und Staatsanwälte müssten her, liegt doch ernstlich völlig daneben. Auch die diesbezüglichen aktuellen Forderungen der Dt. Hospiz Stiftung kann man nicht ernst nehmen. Ich sehe hier eher Marketingaktivitäten, Aufmerksamkeit erwecken, Beratungskunden gewinnen usw. Es gibt also doch die vermisste Aufregung! Mit dem Strafrecht löst man keine Pflegeprobleme.

Menschen werden nur durch Menschen gepflegt. Wenn wir wirklich Verbesserung wollen, müssen wir entscheidend das Personalproblem anpacken - und das kostet. Auch wenn das nicht die einzige Lösung darstellt, das Personalproblem steht im Vordergrund. Dann müssen wir die Angehörigenrechte nachhaltig stärken!

Viele Grüße
Anja
Es ist mehr Aufmerksamkeit für dementiell erkrankte Menschen nötig. Unser Pflegesystem braucht deshalb eine grundlegende Reform!

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 10.07.2009, 11:21

Guten Tag, Anja.

Ich sehe das ähnlich, auch wenn ich meine, dass es freilich auch mit Zuschnitt auf die Geriatrie gut ausgebildete Ärzte(innen) und Altenpfleger(innen) gibt und zwar nicht wenige.

Vielleicht hängt die Unstrukturiertheit der Debatte auch damit zusammen, dass namhafte Vertreter aus Forschung und Lehre nicht immer sauber zwischen den einzelnen Versorgungssektoren differenzieren und daher einige Forderung (auch der Berufsverbände) kritischer reflektiert werden müssen. Seit mehr als 28 Jahren widme ich primär den Belangen der Altenpflege und es ist keine Frage: ich habe als Referent in unzähligen Diskussionen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Beruf der Altenpflege ein sehr anspruchsvoller ist und gerade weil die Altenpflege von Anfang multipofessionell ausgerichtet war, hier gewichtige Unterschiede zur traditionellen Krankenpflege auszumachen sind, wobei aber letztere letztlich in der Öffentlichkeit immer ein stückweit als "höherwertig" wahrgnommen wurde. Natürlich ein Unsinn - zumal die Praxis in stationären Alteneinrichtungen eher darauf schließen lässt, dass die Altenpflege als Berufsbild weitaus mehr den Pflegekräften abverlangt, als dies bei der Krankenpflege der Fall ist und im Übrigen schon immer gehalten war, eine "ärztliche Versorgungslücke" zu schließen (ein solches ergibt sich ohne Frage aus dem Urt. d. BVerfG zum Altenpflegegesetz).

Aber Du hast natürlich einen ganz entscheidenden Punkt angesprochen: Menschen pflegen Menschen und ich bin geneigt, anzuführen, dass hier "Manager" und "Entscheider" eine durchaus zweitrangige Rolle spielen.

Das Personalproblem gehört gelöst: ausreichend vorhandenes Personal; akzeptable Arbeitsbedingungen und natürlich auch ein ansprechendes Einkommen, die Möglichkeit zur regelmäßigen Fortbildung uws.

Die Ausbildung könnte dergestalt (auf breiter Basis) "modernisiert" werden, in dem die Altenpflege sich ganz auf sich selber konzentriert: modulare Schwerpunktausbildung - geriatrische, gerontologische, gerontopsychiatrische und sozialtherapeutische Akzente - und nicht zuletzt die Intensivierung des mutliprofessionellen Teamgedankens, in dem dann geriatrisch ausgerichtete Hausärzte mit dem Personal auf gleicher Augenhöhe arbeiten oder sofern gewünscht, mit einem "angestellten" Heimarzt.

Wir haben ein Fundus an gut qualifizierten Mitarbeitern und ich hoffe doch sehr, dass diese mit ihrem Beruf auch ihren Berufswunsch umsetzen konnten.

Und da ich darum weiß, müssen wir nun alle - unabhängig von irgendwelchen Akademisierungsbemühungen - uns entscheiden, wie wir das im Zweifel zugunsten unserer (!) Altersgeneration finanzieren wollen, damit nicht alles nur Makulatur bleibt. Nun - ich bin für eine Sonderabgabe - wenn Du so willst - für einen Solidarzuschlag für unsere Bewohner/innen in einen gesonderten Topf, der keinen Zugriff durch andere Ressorts gestattet!

Mit Besorgnis registriere ich - leider auch bei namhaften Kollegen - dass das Recht zunehmend in ein ethisches Minimum eingekleidet wird und so der hochaltrige Bürger und freilich auch Patient immer mehr seinem Lebensrisiko ausgesetzt wird und zunehmend die Frage gestellt wird, was letztlich personell und wirtschaftlich zumutbar ist.

Mit Verlaub - unsere Eltern haben ein Anspruch darauf, dass nicht nur ein Existenzminimum an phyischer und psychischer Integrität gewährleistet wird, sondern ein vertretbares und zumutbares Maximum! Und da wird es nun wahrlich politisch: macht es Sinn, öffentliche Gelder Jahr ein, Jahr aus zu verschwenden?
Mal ehrlich: ich würde mit einem eisernen Besen kehren und all die Fehlallokationen schonungslos aufdecken, in denen aberwitzige Millionen versenkt werden. Wer glaubt denn wirklich Merkel und Co., dass es keine Steuererhöhungen gibt?

Nun - da diese kommen, würde ich gleich einmal ein Prozent etwa der Mehrwertsteuererhöhung für den neu zu eröffnenden Finanztopf reklamieren wollen und zwar ggf. dann zusätzlich zu einem 3%igen Solidarbeitrag.

Bitte sich nicht an den Zahlen festhalten - diese sind geduldig und jederzeit anpassungsfähig -, aber was uns fehlt, ist die Entschlossenheit zum Handeln! Hierzu gehört ohne Frage auch die schlichte Erkenntnis, dass unserer Wohlfahrtsstaat nicht allzusehr auf den "Pudding" hauen sollte, da wir in erste Linie innerstaatliche Probleme (!) zu lösen haben.

Konfrontieren wir unseren Alterspatienten mit dem Fakt, dass auch seine Freiheit am Hindukusch verteidigt wird und demzufolge Prioriäten zu setzen sind, das Politiker sich gerne die Diäten erhöhen und gelegentlich zum Polarkreis aufbrechen, um auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen und dennoch meinen, mit Edelkarossen durch die "Gegend zu fahren", dass im Zweifel ein "Wildschweinessen" und der G8 - Gipfel in Mecklenburg das Staatssäckel mit mehrern Millionen belastet hat, obgleich es doch eine Alternative wäre, die Insel Helgoland als Tagungsort zu buchen, usw. usw. ..., so wäre ich auf eine Antwort gespannt. Wird er sich dem wohl in Demut beugen?

Wollen wir unserem Alterspatienten nahe legen, auf ein künstliches Gelenk zu verzichten, weil irgendwo auf der Welt mal wieder Krieg geführt wurde und wir Aufbauarbeit zu leisten haben?

Die Zeiten des "Wirtschaftswunders" sind nun wahrlich vorbei und wie mir scheint, trägt auch gerade PISA nicht zur Beruhigung bei. Wir sind ein Land des Mittelmaßes und da finde ich es nur aufrichtig, wenn hieraus auch die richtige Schlüsse gezogen werden: Der Staat muss sich zuvördert um seine Bürgerinnen und Bürger kümmern und zwar ob jung oder alt, bevor wir darüber nachdenken, zerbombte Städte aufzubauen, die demnächst dann wieder zerstört werden.

Ja - auch wenn ich zutiefst meine, Humanist zu sein, so denke ich doch, dass unsere Humantät bei offensichtlicher Begrenzheit der finanziellen Mitteln hierzulande sich zu bewähren hat und sofern es uns ein Anliegen ist, auch den Kindern und Menschen in der Dritten Welt zu helfen, damit ihre Not und Pein gelindert wird, dann müssen wir radikal umdenken! Insofern - anderenorts habe ich das schon betont - sollten wir die neue Sozialenzyklika des Papstes mit Bedacht lesen, auch wenn ich bekanntermaßen eher religionskritisch eingestellt bin.

Namhafte Apologeten einer angeblich schönen neuen Welt (auch der der Demenzerkrankten) verkennen den sozialen Zündstoff, der in einer Verklärung der auf uns zukommenden Verhältnisse allein aufgrund des demografischen Wandels liegt: ein Verteilungskampf, der dort geführt wird, wo kein großer Widerstand zu erwarten ist. Bei den Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft, zu denen auch unsere Bewohner neben den Behinderten etc. zählen! Alle reden von Moral und Ethik, obgleich wir sehenden Auges den Weg einer Eugenik sui generis beschreiten, aus dem es später kein Entrinnen mehr gibt. Die Frage, was personell und wirtschaftlich zumutbar ist, ist eben keine rein fachliche Frage und noch weniger eine solche des unterverfassungsrechtlichen Recht, sondern die Priorisierung vermeintlicher finanzieller Ressourcen zugunsten der Leistungsfähigen in unserer Gesellschaft, da es gilt, die Gattung Mensch zu erhalten.

Insofern halte ich es für konsequent, bereits jetzt für ein ethisches Maximum zu streiten (das ohnehin mit Abstrichen versehen wird) und rede derzeit nicht einer Entwicklung das Wort, in dem z.B. die Integritätsinteressen der hochaltrigen Patienten mit ihren "Freiheitsrechten" ausgekontert werden, zumal auch Bewohner ihre Lebensrisiken zu tragen haben. Mobilität und herausforderndes Verhalten lassen sich dann therapeutisch bewältigen, wenn wir im Zweifel dafür streiten, eben nicht das wirtschaftlich und personell Zumutbare zu akzeptieren, sondern ein überobligatorisches Engagement. Dass es hierzu zufriedener und engagierter, zudem gut qualifizierter Mitarbeiter bedarf, liegt auf der Hand und dafür sollte unsere Gesellschaft bereit sein, auch in den demografischen Wandel zu investitieren, bevor hierzulande ein Verteilungskampf beginnt!

Mfg. Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Brigitte Bührlen
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Es geht um Macht und Geld!

Beitrag von Brigitte Bührlen » 10.07.2009, 16:03

Kann es sein, dass in den meisten Kommentaren davon ausgegangen wird, es ließe sich im System durch Argumentation etwas verändern: Das vermeintlich bessere, am Menschen orientierte Argument werde sich durchsetzen und zur Grundlage von Gesetzen und Handlungsweisen werden?

20 Jahre Pflegebegleitung meiner Mutter, 20 Jahre Beobachtung unseres Pflegesystems,20 Jahre Bemühen an Verbesserungen mitzuwirken haben mich zu der ganz simplen Feststellung gebracht:
es geht nur um Geld und Macht!
Es lohnt für keine politisch oder ökonomisch relevante Struktur in unserem Staat sich für Verbesserungen der m e n s c h l i c h e n Versorgungsqualität einzusetzen!

Wir bezahlen den größten Teil der Pflege aus eigener Tasche, sind der größte Kostenträger (solange wir noch Geld besitzen) und haben kein Mitbestimmungs- und Kontroll r e c h t über die Verwendung unserer Gelder!
Während wir uns über menschlichere Pflege unterhalten und meinen mit unseren guten Argumenten Verbesserungen erreichen zu können werden auf ganz anderer Ebene die Gelder verteilt.

Wo gibt es Entscheidungsgremien, in denen auch Vertreter von (tätigen) Pflegekräften und Angehörigen (die selbst pflegen oder gepflegt haben und als Betreuer die Gelder verwalten) sitzen ?
In der Pflege werden Geldmitteln Hilfsbedürftiger zwar abgeschöpft,die erwartete menschliche Fürsorge bekommen sie aber nicht.
Die aufgewendeten Geldmittel müssen auch für menschliche Pflegequalität eingesetzt werden
Die Gelder sind im Wesentlichen für gute Arbeitsbedingungen und angemessene Gehälter von Pflegenden gedacht. Diese sollen die Möglichkeit haben menschlich und fachlich gute Pflege leisten zu können.
Solange keine Bilanzen vorliegen glaube ich nicht, dass zu wenig Geld für diese Zwecke im System ist.

Meine Forderung ist:
1. gesetzlich verankertes Mitbestimmungs-und Kontrollrecht über die Verwendung der aus p r i v a t e n Ersparnissen oder Renten stammenden Geldmittel für die Auftraggeber der Pflege d.h. für Pflegebedürftige oder ihre gesetzlichen Vertreter, oft Angehörige oder Freunde (entsprechend dem MDK als Verwalter der Pflegekassengelder)
Völlige Transparenz über die Verwendung der gezahlten Gelder, Bilanzeinsicht.

2. Gleiche Rechte und Anerkennung ("gleiche Augenhöhe") von
Erfahrungskompetenz (emotional-biografisches Erfahrungswissen, "Mensch zu Mensch" Kompetenz)
und
Fachkompetenz (erlerntes Wissen mit Prüfungsabschluss)
Es kann nicht Ziel sein, dass im Zuge der Pflegeakademisierung die menschliche Zuwendung keinen Stellenwert mehr hat.
Es kann nicht Ziel sein viele Häuptlinge und keine Indianer mehr zu haben.

3.Gesetzlich verankerte Beiräte in allen Pflegeeinrichtungen.
Bei die Pflege betreffenden Entscheidungen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene müssen Angehörigen- Pflege-, Behinderten- und, wenn möglich, Pflegebedürftige mit Stimmrecht beteiligt werden.

4. Alle Leitbilder samt der Pflege Charta müssen rechtsverbindlich werden.
Schöne schwarze Buchstaben auf weißem Papier haben nur graphischen Wert!

Wir sollten uns gemeinsam (Pflegende und Angehörige) auf den Weg machen und ein Gegengewicht bilden!
Wir sollten gemeinsam eintreten für unsere pflegebedürftigen Angehörigen und Mitmenschen jeglichen Alters.
Wir sollten auch konstruktive Auseinandersetzungen nicht scheuen.
Wer sollte sich einsetzen wenn nicht wir?

Brigitte Bührlen
Forum Pflege aktuell
www.forum-pflege-aktuell.de
Ickstattstr. 9
80469 München
Zuletzt geändert von Brigitte Bührlen am 10.07.2009, 18:18, insgesamt 1-mal geändert.

thorstein
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Beitrag von thorstein » 10.07.2009, 18:16

Im Eingangsbeitrag zu dieser Diskussion wird auf einen kurzen Videobeitrag hingewiesen. Darin teilt uns ein seriöser Vertreter der Heimträger mit, dass von einem Pflegenotstand in Hamburg nicht die Rede sein kann.
Leider können Rechtmediziner den eigentlichen Pflegenotstand, nämlich die Vernachlässigung der inzwischen wohl 70% Demenzkranken, nicht ermitteln. Stattdessen bekommen wir wohl wieder eine Diskussion um Dekubiti und Unterernährung, weil man wohl davon ausgeht, das Sterbende bis zum letzten Atemzug ernährt werden müssen. Das Auszehrung tatsächlich ein natürlicher Vorgang im Sterbeprozess sein könnte, ist den Pathologen wohl entgangen. Einerseits die Phobie vor den Qualen von Verhungern und Verdursten, andererseits die Verteufelung von Magensonden. Wir müssen uns in dieser Gesellschaft auch darüber klar werden, wann ein Mensch das Recht hat , nichts mehr zu essen und zu trinken, wann man ihm also zugesteht, sterben zu dürfen. Dieser Prozeß wird dann aber häufig auch mehrere Tage oder Wochen dauern, und es ist davon auszugehen, das der Ernährungszustand nicht mehr den Idealnormen entspricht. Übrigens werden die Zähne auch nicht mehr passen.
90% der Vorschläge, die hier gemacht werden, halte ich schlichtweg für Unfug: sie führen zu weiteren Diskussionen, die wiederum den status quo manifestieren. Wie lange wollen wir immer wieder eine neue Sau durchs Dorf treiben (neuer Pflegebegriff; Noten für Heime und weiterer Schwachsinn), um dann nach mehrjähriger Diskussion - überrascht- festzustellen, dass sich leider doch nichts geändert hat.

Für die stationäre Pflege gibt es eine Forderunge, die das Problem nachhaltig lösen würden:

Eine Personalbemessung -gerne auch wissenschaftlich begleitet - die einen klaren Zusammenhang zwischen den zu erwartenden Leistungen und dem dafür notwendigen Personaleinsatz definiert. Damit wäre sichergestellt, das das Personal die Anforderungen einer angemessenen Pflege überhaupt darstellen kann.

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