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Aufgabenzuschnitt Krankenhaus: Ärzte > Pflege > ...

Verfasst: 04.11.2008, 14:08
von TomGaribaldi
Aufgabenzuschnitt Krankenhaus: Ärzte > Pflege > Hilfskräfte


** achtung... leider ausführlich :-( **

Hallo -

nach meinen guten Erfahrungen mit der Expertise in diesem Forum möchte ich Sie gerne mit einer "härteren Nuss" konfrontieren.

Kurz zur Erklärung:
Im Rahmen meines Pflegemanagement-Studiums bin ich berufsbegleitend in einem Krankenhaus der Grundversorgung. Eine meiner Aufgaben ist es, mich mit der (sehr weit gefassten) Frage nach der Verteilung der Aufgaben im Krankenhaus auseinanderzusetzen.

Ich habe das Gefühl, dass ich bei meiner Betrachtungsweise die Grenzen der meisten Veröffentlichungen, Rechtsgutachten usw. sprenge, denn ich betrachte gleichberechtigt sowohl die Delegation "ärztlicher Tätigkeiten" an die Pflege, als auch die Delegation "pflegerischer Tätigkeiten" an Hilfskräfte.

In meine Betrachtung fließen u.a. die Arbeiten von Prof. Böhme, von Robert Rossbruch oder von Prof. Gerhard Igl ein. Die neueste Publikation, die ich mir vollständig erarbeitet habe, ist das nagelneue Rechtsgutachten von Prof. Igl: "Weitere öffentlich-rechtliche Regulierung der Pflegeberufe und ihrer Tätigkeit"

Jetzt aber endlich zum Thema:

Aus all diesen Quellen und meinen eigenen kombinierenden Überlegungen habe ich mir einige Thesen aufgestellt, die ich so gern den Verantwortlichen meiner Einrichtung präsentieren würde. Ich habe aber auf gut Deutsch Angst, dass ich hier und da falsch liege bzw. zu weit gehe. Hier meine 'Thesen':

- Berufsrecht in Medizin UND Pflege ist Berufsbezeichnungsrecht und nicht Berufsausübungsrecht
- Ärzte haben nur wenige gesetzlich garantierte Vorbehaltsaufgaben, die Pflege gar keine
- Vorbehaltsaufgaben sind (lt. Prof. Igl) ein unterschiedlich starker Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) - und zwar für alle anderen, die aufgrund des gesetzlichen Vorbehalts diese Aufgaben dann nicht mehr ausüben dürften
- obwohl Ärzten und Pflege formal keine bestimmten Aufgaben zustehen, spricht man im Allgemeinen (z.B. im Krankenhaus-Alltag) von "ärztlichen Tätigkeiten", "pflegerischen Tätigkeiten" und "pflegefremden Tätigkeiten"
- eine klare (gesetzliche) Definition, was ärztliche, was pflegerische, was pflegefremde Tätigkeit ist gibt es nicht
- deshalb habe ich es mir (für unser Haus) so zurechtgelegt:
a) "pflegerische Tätigkeiten" sind wesentlich deckungsgleich mit dem Ausbildungsziel von §3 Krankenpflegegesetz (KrPflG)
b) "ärztliche Tätigkeiten" sind darüber hinaus gehende Tätigkeiten, die nicht Teil der pflegerischen Ausbildung sind und an die Pflege nur delegiert werden können
c) "pflegefremde Tätigkeiten" sind Tätigkeiten z.B. in Organisation und Service (z.B. Materialbestellung, Reinigungsarbeiten, Transportdienste), die die Pflege oft auch übernimmt
d) wenn die Pflege Tätigkeiten, die Teil ihrer Ausbildung (§3 KrPflG) sind, an andere überträgt (z.B. an KPHs) - dann ist das auch Delegation und es gelten ähnliche oder gleiche Maßstäbe wie bei der Delegation von Ärzten an die Pflege
e) wenn "pflegefremde Tätigkeiten" von anderen Berufsgruppen übernommen werden (z.B. Hauswirtschaft, Hol- und Bringedienst...) dann ist das originäre Aufgabenerledigung durch diese Berufsgruppen und es handelt sich um keine Delegation von der Pflege an diese.

So. Das waren meine "Thesen". Kern des Ganzen ist: Wenn die Ärzte an die Pflege delegieren, dann sind die gleichen Maßstäbe anzusetzen, wie wenn die Pflege z.B. an die KPHs delegiert:
- die delegierende Gruppe (egal ob Ärzte oder Pflege) haben die Verantwortung für die Auswahl der Person, für die Überprüfung der (formalen und materiellen) Qualifikation und für stichprobenartige Überprüfungen.

Im Endeffekt müssen die Ärzte dafür sorgen, dass die Pflegekräfte dazu in der Lage sind, die ärztlich delegierten Tätigkeiten auf ärztlichem Niveau auszuüben und die Pflege muss dafür sorgen, dass die Hilfskräfte in der Lage sind, die pflegerisch delegierten Tätigkeiten auf Niveau der Pflegeausbildung zu erledigen.

Ausgeklammert ist das Haftungsrecht. Der Durchführende haftet.

Puh... ich weiß, das war extrem viel. Aber ich würde mich freuen, wenn die/der ein oder andere trotzdem Stellung beziehen würde ;-)

Viele Grüße!

[ Anmerkung: habe gerade gesehen, dass das Thema als "Wichtig" gesetzt ist. Das war nicht meine Absicht. Da ich nicht weiß, ob das überhaupt von mir ausging, belasse ich es aber mal so. ]

Direktions- und Weisungsrecht - Delegationsrecht

Verfasst: 04.11.2008, 14:40
von Herbert Kunst
Direktions- und Weisungsrecht - Delegationsrecht

Hallo TG,

da sind zahlreiche Themen angesprochen, die möglicherweise hier nicht umfassend diskutiert werden könnten. In Kürze ein Rückmeldung:

- Berufsrecht in Medizin UND Pflege ist Berufsbezeichnungsrecht und nicht Berufsausübungsrecht
Ärztliche Tätigkeiten sind dieser Berufsgruppe vorbehalten. Siehe Bundesärzteordnung und ergänzende VO. Siehe aber auch Heilpraktikergesetz!
In der Pflege geht es tatsächlich nur um den Schutz bestimmter Berufsbezeichnungen.


- Ärzte haben nur wenige gesetzlich garantierte Vorbehaltsaufgaben, die Pflege gar keine
Ärzte sind allein für die Heilkunde zuständig. Das ist ein klarer Vorbehalt!
Der Pflege sind keine bestimmten Aufgaben übertragen. Allerdings können die Aufgaben, die erlernt werden und damit auch ausführbar sind, aus den Berufsgesetzen entnommen werden.
Es gibt klare Grenzen zwischen Ärzten und Nichtärzten. Was Ärzte nicht selbst erledigen müssen bzw. ggf. delegieren können, kann anderen Personen nur im Rahmen von Wissen und Können obliegen (Sorgfaltspflicht, siehe auch Tatbestand Körperverletzung).
Es gibt schon Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Tätigkeitsbereichen, nur mangelt es an der exakten gesetzlichen Festlegung. In der ambulanten Pflege sind aber vielfältige Verrichtungen beschrieben, die nur bestimmten Pflegekräften zugeordnet sind.


- deshalb habe ich es mir (für unser Haus) so zurechtgelegt:
a) "pflegerische Tätigkeiten" sind wesentlich deckungsgleich mit dem Ausbildungsziel von § 3 Krankenpflegegesetz (KrPflG)

Kann man so sagen.

b) "ärztliche Tätigkeiten" sind darüber hinaus gehende Tätigkeiten, die nicht Teil der pflegerischen Ausbildung sind und an die Pflege nur delegiert werden können
Nein so nicht. Ärztliche Tätigkeit ist Heilkunde. Was nicht Heilkunde ieS ist, obliegt anderen Personen, Nichtärzten.

c) "pflegefremde Tätigkeiten" sind Tätigkeiten z.B. in Organisation und Service (z.B. Materialbestellung, Reinigungsarbeiten, Transportdienste), die die Pflege oft auch übernimmt
Kann man so sagen.

d) wenn die Pflege Tätigkeiten, die Teil ihrer Ausbildung (§ 3 KrPflG) sind, an andere überträgt (z.B. an KPHs) - dann ist das auch Delegation und es gelten ähnliche oder gleiche Maßstäbe wie bei der Delegation von Ärzten an die Pflege
In solchen Fällen spricht man nicht von Delegation. Es gelten hier die allgemeinen Regeln des Direktions- und Weisungsrechtes.

e) wenn "pflegefremde Tätigkeiten" von anderen Berufsgruppen übernommen werden (z.B. Hauswirtschaft, Hol- und Bringedienst...) dann ist das originäre Aufgabenerledigung durch diese Berufsgruppen und es handelt sich um keine Delegation von der Pflege an diese.
Siehe Direktions- und Weisungsrecht. Aufgabenzuschnitte ergeben sich aus den Arbeitsverträgen.

So. Das waren meine "Thesen". Kern des Ganzen ist: Wenn die Ärzte an die Pflege delegieren, dann sind die gleichen Maßstäbe anzusetzen, wie wenn die Pflege z.B. an die KPHs delegiert:
- die delegierende Gruppe (egal ob Ärzte oder Pflege) haben die Verantwortung für die Auswahl der Person, für die Überprüfung der (formalen und materiellen) Qualifikation und für stichprobenartige Überprüfungen.

Antworten siehe oben. Es gilt das allgemeine Direktions- und Weisungsrecht. Einzelheiten, die nicht im Vertrag stehen, können konkret durch Vorgesetztenentscheidung bestimmt werden. Hier wird arbeitsrechtlich nicht von Delegation gesprochen (nur Arzt-Pflegekraft). Aufgabenübertragung ist immer nur bei Können und Wissen möglich, Sorgfaltsgebot!

Im Endeffekt müssen die Ärzte dafür sorgen, dass die Pflegekräfte dazu in der Lage sind, die ärztlich delegierten Tätigkeiten auf ärztlichem Niveau auszuüben und die Pflege muss dafür sorgen, dass die Hilfskräfte in der Lage sind, die pflegerisch delegierten Tätigkeiten auf Niveau der Pflegeausbildung zu erledigen.
Die Verantwortung für Ärzte ist zweifelsfrei so anzunehmen. Ansonsten bestimmt der Arbeitgeber die näheren Weisungsregeln.

Ausgeklammert ist das Haftungsrecht. Der Durchführende haftet.
Wer handelt, der haftet!

Gruß
Herbert Kunst

Verfasst: 04.11.2008, 14:54
von TomGaribaldi
Vielen Dank für die Rückmeldung!

Ich habe es zur Kenntnis genommen und verstanden. Trotzdem werde ich es mir jetzt ausdrucken und erst morgen in meine weiteren Überlegungen einbeziehen - fürs Erste raucht mir der Kopf ;-)

Für weitere, ähnlich konstruktive Rückmeldungen wäre ich natürlich dankbar.

Viele Grüße

Verfasst: 04.11.2008, 15:01
von Cicero
Ich habe die Texte - zugegeben - schnell überflogen und kann Herbert gut zustimmen. Das Delegationsrecht hat sich zwischen den Ärzten und Nichtärzten herausgebildet. Ansonsten spricht man in der Tat von Weisungs- und Direktionsrecht. Darin sind dann alle Überlegungen einzubinden.
Ich denke, dass die vorgestellten "Konstruktionen" neu bedacht werden müssen. Was Igl geschrieben hat, kenne ich im Einzelnen nicht. Es wäre aber auch noch zu prüfen, was andere Pflegerechtler sagen.

MfG Cicero

Verfasst: 04.11.2008, 15:13
von TomGaribaldi
Ich gebe zu, die Betrachtungsweise, zwischen ärztlicher Delegation und Weisungs-/Direktionsrecht nicht weiter zu unterscheiden und hier einheitliche Maßstäbe anzusezten, war wohl ein Schnellschuss.

Geboren war dies aus folgender Überlegung heraus:
Ich mache mir Gedanken, wie man die Aufgabenverteilung im Krankenhaus "neu zeichnen" könnte - im Sinne eines "Whiteboard". Die Frage nach Delegation, Weisungsrecht usw. würde dann zunächst zurücktreten.

Der Prozess wird aus Sicht des Patienten beleuchtet - im Sinne von interdisziplinären Behandlungspfaden/Pathways. In dieser Betrachtungsweise macht dann jede Berufsgruppe in jeder Situation das, was sie in gegebener Situation am Effizientesten erbringen kann.

Erst im zweiten Schritt erfolgt dann die Frage, wie die Aufgabenzuteilung formal geregelt werden kann. Und hier muss dann eben leider wieder mit vielerlei Maß gemessen werden :-(

Ohne Prof. Igl falsche Worte in den Mund legen zu wollen: Nach seinem Gutachten übt die Pflege eindeutig Heilkunde aus - auch wenn das nicht durch das Heilpraktikergesetz legitimiert wird. Im neuen Gutachten schlägt er gar eine Ergänzung des Heilpraktikergesetzes um den Passus vor, dass Pflege zur Ausübung von Heilkunde nicht der (im Heilpraktikergesetz) erforderlichen Erlaubnis bedürfe. Also eine gesetzliche Legitimation für das, was die Pflege nach seiner Rechtsauffassung ohnehin de facto ausübe: Heilkunde. Er deutet in dem Zusammenhang auch verschiedene Punkte nach §3 KrPflG als Heilkunde im eigentlichen Sinne.

Da bröckelt dann erheblich der ärztliche Vorbehalt für die Heilkunde. In sofern ist dann der Unterschied zwischen ärztlichem und pflegerischem Vorbehalt nur noch schwer bis gar nicht zu ziehen.

Daher wohl meine Verwirrung im Bereich der Delegation...

Verfasst: 04.11.2008, 16:44
von Lutz Barth
Hallo.

Für die Diskussion ist es unabdingbar, den Versorgungssektor „Krankenhaus“ im Blick zu behalten. Dies ist deshalb notwendig, weil die Rechtsfragen sowohl der Delegation als auch des „Direktions- resp. Weisungsrechts“ mit Blick auf den jeweiligen Versorgungssektor differenziert zu beurteilen sind.

Sofern es also einer Ihrer Aufgaben ist, sich mit der Aufgabenverteilung im Krankenhaus auseinanderzusetzen, könnte hier die Studie des DKI so wie das GA des Sachverständigenrats zur Neuordnung der Gesundheitsfachberufe Impulse geben.

Anzumerken ist aber, dass die Debatte keineswegs abgeschlossen ist; dies gilt insbesondere auch mit Blick auf das aktuelle Gutachten von Igl.

Die BÄK und KBV vertreten hierzu eine gänzlich andere Auffassung und eigentlich geht es im Kern der Diskussion weniger um die Frage der Delegation von Aufgaben, sondern vielmehr um die Substitution.

Sofern im Übrigen in den vorherigen Forumsbeiträgen darauf hingewiesen wurde, dass bei der Frage der Übertragung von Aufgaben (KP an KPH) nicht von einer Delegation gesprochen werden kann, ist dies kritisch zu hinterfragen. Der Begriff der „Delegation“ ist für sich genommen nicht zielführend, sondern die damit verbundenen rechtlichen Implikationen, mit anderen Worten: eine „Delegation“ ist bis dato nur deshalb möglich, weil neben formellen und materiellen Qualifikationserfordernissen zugleich auch Organisationspflichten des Trägers/Arztes (alternativ dazu Träger/PdL resp. KP) einzulösen sind und im Übrigen im Pflegerecht wohl die Rechtsauffassung vorherrschend ist, dass dem angestellten Arzt im Krankenhaus kein Weisungsrecht gegenüber der Pflege zukommt, so dass zunächst die Organisationspflichten beim Träger verbleiben. Dieser Umstand ist allerdings durchaus diskussionswürdig, da die Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Arztes im Verhältnis zu seinem Krankenhausträger nicht automatisch eine Erfüllungs-/bzw. Verrichtungsgehilfenschaft des Krankenpflegepersonals im Verhältnis zum anordnenden Arzt ausschließen muss (vgl. zu diesem Aspekt meine Argumentationsführung in einem Dreiteiler in der Zeitschrift PflegeRecht 2007). Das Belegarztsystem könnte hier ein Schritt in die richtige Richtung weisen.

Die Neuordnung gerade der einzelnen Berufe im Krankenhauswesen ist und bleibt also eine spannende Debatte und sofern es Ihre Aufgabe auch gestattet, sozusagen rechtspolitisch Konzepte zu diskutieren, kommen Sie m.E. nach um den ganz entscheidenden Punkt einer zivilrechtlichen Haftungsbeurteilung nicht umhin. Hierzu leistet das Igl – Gutachten ausdrücklich keinen Beitrag und in diesem Zusammenhang stehend ist die derzeit auch unter Juristen heftig umstrittene Frage entscheidend, ob aus sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben (Stichwort Modellklausel im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) zugleich auch Maßgaben für die zivilrechtliche Beurteilung folgen. Ich habe hier meine Skepsis.

Überdies darf ich noch einen Literaturhinweis geben:

Im nächsten Heft der Zeitschrift PflegeRecht (11/2008) wird der Kollege Sträßner einen Beitrag zur Delegationsproblematik veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen
Lutz Barth

Nur Ärzte "delegieren"

Verfasst: 05.11.2008, 08:11
von Dieter Radke
Hallo,

es geht hier wohl ganz einfach um das Direktions- und Weisungsrecht. Dies ist im Arbeitsrecht beachtlich, weil damit die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ihre Ergänzung erfahren. Der Arbeitnehmer muss grundsätzlich den Weisungen folgen. Allerdings erfährt die Beachtungspflicht Grenzen u.a. durch Sorgfaltsgebot und Zumutbarkeit!
Den Ärzten obliegt die Heilkunde allein (Heilpraktiker lassen wir mit ihrem Sonderstatus einmal außen vor). Wenn sie aber diese ihnen obliegenden Aufgaben teilweise verlagern auf andere Arbeitnehmer (Nichtärzte), nennt man das Delegation. Nur insoweit ist diese Bezeichnung gut eingeführt. Wenn eine PDL eine Krankenpflegehelferin mit einer Aufgabe betraut, wird niemand im Krankenhaus ernstlich auf die Idee kommenn, dies als "Delegation" zu bezeichnen. Es geht dann einfach um eine Weisung oder Aufgabenzuweisung / Aufgabenübertragung. Der Ausdruck "Delegation" wäre hier völlig fehl am Platze.
Stimme also Herbert zu!

MfG
Dieter

Verfasst: 05.11.2008, 09:02
von TomGaribaldi
Vielen Dank für die bisher aufgelaufenen Beiträge!

Sie haben mir bei meiner Betrachtungsweise bereits beträchtlich weitergeholfen. Meine derzeitige Position als Student im Studiengang Pflegemanagement einerseits und als Assistent einer Pflegedirektion eines Krankenhausträgers andererseits erlaubt mir, dass ich die Thematik in all ihren Facetten betrachte.

Die diversen Gutachten und Stellungnahmen (auch z.B. BÄK/KBV) habe ich umfassend gesichtet und ausgewertet. Eine Ausarbeitung zum Berufspolitischen Aspekt der Auseinandersetzung (z.B. Delegation vs. Substitution) habe ich bereits im September erarbeitet.

Aktuell geht es mir darum, dem eine berufsPRAKTISCHE Betrachtungsweise folgen zu lassen. Zweifelsohne bringt mich hier das aktuelle Igl-Gutachten nicht weiter, gerade da es zu diversen Punkten gegensätzliche Ansätze gibt und da der berufspraktisch besonders relevante Punkt "Haftungsrecht" dort explizit ausgeklammert wurde.

Gerade was das Haftungsrecht angeht, so neigt mein Träger dazu, der Rechtsauffassung von Prof. Böhme zu folgen („Haftungsrecht ist Reaktionsrecht, nicht Aktionsrecht“ - es bestimmt nicht die berufliche Wirklichkeit - es folgt ihr. Und: : „Es ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.“). Das Ganze verknüpft mit der Feststellung, dass nur wenige gesetzliche Vorgaben einen Arztvorbehalt vorschreiben (z.B. IfSG). Zwar äußert sich Igl (2008) nicht zum Haftungsrecht, doch verknüpft man seine Feststellung, dass Pflege de facto ein Heilkunde ausübender Beruf sei, was sich durch §3 KrPflG auch legitimiere, dann müsste man ja meinen, dass das Thema Haftungsrecht in der Debatte tatsächlich überbewertet (?) sei...

Delegationsrecht ist Praxisrecht

Verfasst: 05.11.2008, 10:00
von Herbert Kunst
Hallo TG,

die Sichtweise von Böhme wird überwiegend von der Rechtsprechung getragen. Andere Einschätzungen sind eher theoretischer Natur; nicht überflüssig, aber werden der realen Lage nur unvollkommen gerecht. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor Jahrzehnten die arbeitsteilige Medizin als nicht mehr aufhebbar, als notwendig, bezeichnet.
Die Rechtsprechung hat die Wahrnehmung bestimmter ärztlichen Aufgaben - Injetionen, Infusionen und Blutentnahmen - durch Nichtärzte bei entsprechender Qualifizierung in zahlreichen Haftungsprozessen bestätigt. Solche Urteile finden sich im Onlinebuch http://www.pflegerechtportal.de und im Buch "Injektionsproblematik aus rechtlicher Sicht":
http://www.wernerschell.de/html/page11.htm
Kürzer (aber nachvollziehbar deutlich) behandelt wird das Thema in der "Staatsbürgerkunde" von Schell:
http://www.wernerschell.de/html/page5.htm
Grundsätzlich wäre es zu begrüßen, wenn die Befugnisse der Nichtärzte konkret festgelegt würden; dann wäre der endlose Disput zum Thema beendet.
Ich fürchte aber, dass es zu einer solchen grundlegenden Festlegung nicht kommen wird, da sich der Gesetzgeber an dieses Thema nicht heranmachen wird. Er wird sagen, die jetzige Rechtslage hat sich in der Praxis bewährt.

Gruß
Herbert Kunst

Verfasst: 05.11.2008, 14:15
von Lutz Barth
Der Hinweis darauf, dass "alles erlaubt sei, was nicht gesetzlich resp. ausdrücklich verboten ist", ist schlicht dogmatischer Unsinn, auch wenn dieses Motto seit Jahren von Böhme propagiert wird.

Die Einordnung des zivilen Haftungsrechts lediglich als "Reaktionsrecht" greift m.E. nach wesentlich zu kurz, da dass Haftungsrecht unabhängig von dem state of the art gleichwohl Pflichten statuiert, die nicht durch die Profession selbst generiert werden (z.B. Organisationspflichten). Insofern erweist sich gerade auch das Haftungsrecht als ein wesentlicher Bezugspunkt für ein modernes risk-management, ohne dass der intraprofessionellen Standardsetzung noch eine solche des Rechts von vorn herein eine dominierende Rolle beizumessen wäre.

Klar sollte aber sein, dass im Falle eines rechtsförmigen Verfahrens selbstverständlich die Rechtsregeln ihre Beachtung finden, die im Zweifel die intraprofessionellen Standards tranformieren.

Dies gilt im Übrigen auch für "Delegationsregeln".

Im Übrigen ist es zweifelhaft, ob die Sichtweise von Böhme überwiegend von der Rechtsprechung getragen wird. Vielmehr deutet die Schelte von Böhme an den von ihm bezeichneten "Richter-Ayatollahs" eher das Gegenteil an.

Mfg.
Lutz Barth

Delegationsrecht ist Praxisrecht

Verfasst: 05.11.2008, 14:33
von Dieter Radke
Hallo,

unbefriedigend ist, dass die hier diskutierten Fragestellungen nicht gesetzlich klar geregelt sind. Gleichwohl haben die Gerichte "Recht" geschaffen (sog. Richterrecht), das im praktischen "Pflege-Leben" Bedeutung hat. Danach werden die realen Vorgänge in Krankenhäusern und Heimen, Delegation bestimmter Verrichtungen auf Nichtärzte, klar toleriert. Die berufspolitischen Fragen und fehlenden Personalausstattungen lasse ich einmal außen vor.
Es geht mir nicht um Böhme oder Roßbruch, oder wen sonst. Für mich zählt, was vielfältig anerkennt Rechtpraxis geworden ist.

MfG
Dieter

Verfasst: 06.11.2008, 08:18
von Lutz Barth
Guten Morgen, sehr geehrter Herr Radke.

Ich habe Verständnis für Ihre Sichtweise, wenngleich ich doch darauf hinweisen möchte, dass gerade in Ermangelung einer konkreten Gesetzgebung zu den hier aufgeworfenen Rechtsfragen sich das „Recht“ etwas komplexer gestaltet, zumal wenn es darum geht, die Gesundheitsfachberufe in bewusster Abgrenzung zu der Ärzteschaft neu zu ordnen. Hier ist eine Neuordnung ohne eine fundierte theoretische Grundsteinlegung – insbesondere auch vor dem Hintergrund der Rechtslage de lege lata – nicht möglich und die Diskussion wird insbesondere dadurch erschwert, als dass die bisherige Sichtweisen mancher Autoren zum Pflegerecht eben nicht (!) die herrschende Meinung widerspiegeln. Die alte Debatte um die „Delegation“ ist denn auch halbherzig geführt worden und ich mache kein Hehl daraus, dass in den letzten Jahren eine gewisse Neigung zur Trivialisierung bedeutsamer Rechtsfragen festgestellt werden muss. Sofern sich Rechtswissenschaftler sich der Problematik des Pflegerechts annehmen, ist ein Maß an wissenschaftlicher Solidität einzufordern, so dass hiermit verbunden freilich auch die „Rechtsprechung“ – die im Übrigen nicht mit dem sog. „gesetzesvertretenden Richterrecht“ gleichzusetzen ist – einer kritischen Reflektion bedarf. So manches Statement rechtskundiger Pflegedirektoren resp. Pflegewissenschafter im Bereich des Pflegerechts offenbart m.E. nicht selten eine laienhafte Vorstellung von „Recht“, so dass die mit der Pflege zusammenhängenden Rechtsprobleme eher laienhaft angegangen und demzufolge auch vielfach einer laienhaften Lösung zugeführt werden. Insbesondere die Neuordnung der Aufgaben im Gesundheitsbereich eröffnet uns Juristen auch die Möglichkeit, u.a. auf die Defizite der „alten Debatte“ aufmerksam machen zu können, um so ggf. ein stückweit zur Rechtssicherheit beitragen zu können. Dies gilt m.E. insbesondere für den Aufgabenzuschnitt in stationären Pflegeeinrichtungen, wo in aller Regel kein (!) Arzt vor Ort tätig ist.
Insofern wäre die Pflege – und hier speziell die Pflegewissenschaft – gut beraten, sich ein wenig mehr auf die „Rechtsdogmatik“ einzulassen, so dass hiermit verbunden der in der Rechtswissenschaft stattfindende Diskussionsprozess um die Neuordnung der Gesundheitsfachberufe auch nachvollzogen werden kann. Und in diesem Sinne erscheint es denn auch legitim, darauf hinzuweisen, dass manche Pflegerechtler durchaus „unhaltbare Rechtsauffassungen“ vertreten und es an der Fachdiskussion innerhalb der Rechtswissenschaft liegt, solche Fehlentwicklungen aufzudecken und zu korrigieren. Es darf nicht der Eindruck entstehen, das dass „Pflegerecht“ ein Rechtsgebiet von minderer „Bedeutung bzw. Qualität“ ist, zumal nicht selten gerade die rechtskundige Pflegedirektoren Rechtspositionen von Juristen vertreten, die allerdings innerhalb der Rechtswissenschaft durchaus umstritten sind. In diesem Zusammenhang stehend geht es auch nicht um eine „Verrechtlichung der Pflege“, sondern vielmehr darum, dass eine vielleicht von den Pflegenden gewünschte intraprofessionelle (Norm)Setzung von Standards (auch solche der Delegation) sich an dem Recht messen lassen muss.

Es muss nachdenklich stimmen, wenn prominente Pflegerechtler der Berufsgruppe der Pflegenden den Hinweis erteilen, sich nicht dem „vorfachlichen Verständnis“ der Juristen zu öffnen, da diese vermeintlich den Diskussionsprozess um die state of the art – Klauseln „belasten“. Ein solcher Hinweis ist nicht nur überflüssig und sachlich falsch, sondern höchst gefährlich.

Insofern werbe ich um mehr „Qualität“ in der pflegerechtswissenschaftlichen Diskussion. Die Pflegenden scheinen daher gut beraten zu sein, über ihre favorisierten „Pflegerechts-Päpste“ hinaus auch ein Blick in die zum Teil abweichenden Literatur und Rechtsprechung zu werfen.

Mit freundlichen Grüßen.
Lutz Barth

gute Diskussion auf hohem Niveau

Verfasst: 06.11.2008, 11:56
von PflegeCologne
Ich finde, dass hier eine ausgesprochen gute Diskussion auf hohem Niveau abläuft. Lese alles mit Interesse. Allerdings ist die Pflegepraxis dann doch oft ein wenig anders. Verschiedene ärztlich übertragene Aufgaben erledigen wir wie selbstverständlich und gut. Da kräht überhaupt kein Hahn danach, ob und inwieweit das zulässig ist. Wir haben nur oft das Problem, dass Ärzte ihre Anordnungen nicht schriftlich hinterlassen (wollen). Und darauf müssen wir aber bestehen.
Gesetzliche Regelungen, die alles exakt beschreiben, wären natürlich hilfreich. Aber ich sehe solche Bemühungen, entsprechende Vorschriften zu schaffen, weit und breit nicht. Ist daher die Diskussion der Pflegerechtler für die Katz?

PflegeCologne

Verfasst: 06.11.2008, 15:55
von Lutz Barth
Hallo, PflegeCologne.

Die Frage der "Schriftlichkeit" der entsprechenden ärztlichen Anordnung ist in der Tat im Pflege- und näher noch speziell im Arztrecht umstritten. Auch hier ist freilich in Kenntnis der einzelnen Versorgungssektoren zu differenzieren und wenn es hilft, die Diskussion insbesondere mit Blick auf die stationären Alteneinrichtungen zu beleben, dann darf ich hier vielleicht auf einen Kurzbeitrag zu den Dokumentationspflichten verweisen, der freundlicherweise vom Verlag Wolters &. Kluwer zur weiteren Veröffentlichung freigeben worden ist:

Pflicht des Arztes zur Dokumentation und Gegenzeichnung in der „fremden“ (Heim)Dokumentation einer stationären Alteneinrichtung?
Von Lutz Barth
(Quelle: PflR 09/2007, S. 413 – 422)


>>> http://www.iqb-info.de/Dokumentationspf ... _Barth.pdf

Und vielleicht stimmen wir auch darin überein, dass nur "weil kein Hahn danach kräht", der jeweilige Zustand nicht unbedingt rechtskonform sein muss. Ohne Frage ist die Delegation zulässig, aber eben nur unter bestimmten Voraussetzungen und genau diese Voraussetzungen sind es, über die wir mehr oder wenig erfolglos in den letzten Jahren debattiert haben.
Mit der Neuordnung der Gesundheitsfachberufe - speziell unter dem Asoekt der Modellklausel in SGB V betrachtet - haben wir nun eine neue Qualität erreicht. Die Bedingungen, unter den dann eine Übertragung genuin ärztlicher Aufgaben auf die Pflege stattfinden kann, sind derzeit noch nicht absehbar, zumal ich in einem weiteren Beitrag versucht habe, darzulegen, dass ggf. die Modellklausel in Leere laufen kann, weil sich keine Partner finden lassen. Sowohl die Pflege als auch die Ärzte scheinen nach wie vor in dieser Frage unversöhnlich gegenüberzustehen, so dass mit Spannung dem weiteren Prozess entgegengesehen werden darf.

Wichtig erscheint mir aber insbesondere zu sein, dass die professionelle Expertise jedenfalls nicht das Laientum befördern darf, so dass - wie im Übrigen in der Pflege auch praktiziert - den selbsternannten Pflegerechtlern ein wenig mehr Wissenschaftlichkeit und damit Dogmatik zuzumuten ist. Unter uns Rechtswissenschaftlern mutet es ein wenig seltsam an, wenn Kollegen meinen, höchst umstrittene Rechtsfragen für die Praxis lösen zu wollen und hierbei fast ohne einen entsprechenden Literaturhinweis auszukommen scheinen. Dies ist aus meiner Sicht weder akzeptabel noch zielführend, zumal wir nicht unterstellen dürfen, dass der Adressatenkreis unserer Veröffentlichungen über das entsprechende vorfachliche juristische Grundwissen verfügt. Um wie viel mehr müssen wir uns also um eine stringente Argumentation bemühen, wenn wir uns als Juristen an unsere Kollegenschaft wenden oder diese alternativ an uns lösungsbedürftige Fragen formulieren?

Nun - zumindest kommt etwas mehr Bewegung in die Debatte und dies führt dazu, dass jedenfalls die "Pflegerechts-Päpste" ein wenig mehr unter Argumentationsdruck gelangen und dies gilt freilich auch für die durchs Land ziehenden Pflegerechtsdirektoren, die uns an ihrer Sichtweise des Rechts teilhaben lassen wollen und da darf denn auch schon mal spitzbübisch an den Volksmund erinnert werden, der da spricht: Schuster bleib bei Deinen Leisten! Die Editorials etwa von Robert Roßbruch geben ab und an einmal hierzu erfrischende Kommentare ab und ich denke, dass dies auch völlig legitim ist, auch wenn der innere Bewegungsgrund für die durchaus manchmal herbe Kritik in der Theorie zu liegen scheint, die nunmal die konkrete Rechtswirklichkeit in der Praxis mitgestaltet. Ich selbst neige auch eher zu überaus deutlichen Worten in der konkreten Auseinandersetzung, wie eine Vielzahl von meinen Beiträgen belegt und in erster Linie mag bedacht werden, dass neben der Aufbereitung von Themen für die Praxis in einigen Beiträgen insbesondere die Kollegen die Adressaten sind und nicht der rechtskundige Pflegedirektor, von dem ich vielmehr eine lege artis Pflege und eine sachgerechte Organisation des gesamten Pflegeprozesses erwarte als einen bescheidenen Beitrag zum Pflegerecht - denn mehr dürfen wir Juristen wohl nicht erwarten, da jede Profession resp. Wissenschaft etwas mehr als nur "laienhaftes Wissen" voraussetzt und produziert. Dies gilt sowohl für Juristen als auch für die Pflegenden und dass mag man/frau akzeptieren, wenn es in Debatten um das "Eingemachte" geht. Im Übrigen ist von dieser grundsätzlichen Kritik die Ärzteschaft nicht ausgenommen, wie sich unschwer aus der Debatte zur Sinnhaftig- und Notwendigkeit der Patientenverfügung ergibt. Hier glauben auch manche Medizinethiker, Stellung im Diskurs beziehen zu müssen, ohne überhaupt eine Vorstellung darüber zu haben, was eigentlich mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht verbunden ist. Ganz dramatisch wird es dann allerdings, wenn (Alten)Pflegerechtler in ihrer Eigenschaft als Juristen ebenfalls sich nicht mehr der Mühe unterziehen, sich in die scheinbaren "Niederungen des Verfassungsrechts" begeben zu müssen.

Insofern plädiere ich tatsächlich für ein wenig mehr Wissenschaftlichkeit innerhalb der eigenen Profession, denn die zu lösenden Rechtsprobleme - etwa mit Blick auf die Delegationsproblematik, Sterbehilfe etc. - sind zu gewichtig, als dass diese durch ein Blick in die "Glaskugel" gelöst werden können oder sollen. Prominente Pflegerechtler müssen sich daher schon die Frage gefallen lassen, ob ihre Praxishinweise auf einem soliden theoretischen Fundament stehen!


Mfg.
Lutz Barth

Verfasst: 07.11.2008, 09:19
von TomGaribaldi
Hallo -

war gestern auf der Veranstaltung "Alles, was Recht ist ... - Haftungsrecht in der Pflege" mit Herrn Böhme in Limburg/Ahlbach. Das war eine Fortbildungsveranstaltung des Limburger St. Vincenz-Krankenhaus.

Zwischenfragen waren ausdrücklich erlaubt und ich hatte einmal auf diese Weise und einmal in einem kurzen 4-Augen-Gespräch in der Pause Zeit, die Thematik mit Hr. Böhme zumindest anzureißen.

Werde nachher mal meine Unterlagen ausarbeiten und dann später hier eine kurze Zusammenfassung der relevanten Punkte bringen.

Vorab: Es gibt einige Widersprüche zum Standpunkt von Hr. Roßbruch.

Viele Grüße