Aufsichtspflichten - eine "unendliche Geschichte"?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

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Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 23.05.2009, 15:31

Guten Tag, Thorstein.

Nun - hierbei handelt es sich eigentlich nicht um einen Zirkelschluss im klassischen Sinne, wenngleich doch Ihre Hinweise insofern beachtlich sind, als dass in der Tat zwei zentrale Probleme angesprochen werden: Zum einen die ordentliche Prozessführung schlechthin; wir dürfen nicht vergessen, dass gerade mit Blick auf die Sturzproblematik die Gerichte leider oftmals haben feststellen müssen, dass es an einem sog. substantiierten Vortrag ermangelt. Dies bedeutet im Kern, dass im Rahmen der sog. Dispositionsmaxime, die den Zivilprozess beherrscht, nicht sachgerecht vorgetragen wurde (ggf. auch durch Untermauerung eines Sachverständigenbeweises). Zum anderen darf darauf hingewiesen werden, dass gerade die unsäglliche Diskussion um die Fachkraftquote gezeigt hat, dass offensichtlich die Frage nach qualifiziertem und ausreichenden Personal eher eine stiefmütterliche Behandlung erfahren hat. Gerade in dieser Debatte hätte ganz offensiv die Diskussion um einen auskömmlichen Personalschlüssel geführt werden müssen, zumal ich mich dabei von der Vorstellung leiten lasse, dass gerade die Betreuung gerontopsychiatrisch erkrankter Bewohner ein Höchstmaß an Fachkompetenz erfordert.

Spitzbübisch könnte denn hier auch die These geäußert werden, dass die Verneinung von besonderen Aufsichts- resp. Fürsorgepflichten geradezu dazu führt, dass sich dauerhaft an der personellen Situation tatsächlich nichts ändern wird. Sofern wir also die Zumutbarkeitskritierien an den wirtschaftlichen und personellen Ressourcen ausrichten, wird die Frage in der Tat ausgeblendet, ob mit den derzeitigen Personalschlüsseln überhaupt eine Pflege lege artis zu leisten ist. Ich vermeide hier ausdrücklich den Begriff der "menschenwürdigen Pflege", weil ich meine, dass es hier keines Rückgriffs auf Art. 1 GG oder etwa der Charta bedarf.

Insofern wird jedenfalls vereinzelt der Personalschlüssel kritisch hinterfragt, der auch zu entsprechenden Konsequenzen führen könnte. Maßgeblich ist, dass wir keiner "weichgespülten Dogmatik" das Wort reden, sondern schlicht etwaige Standards bei der Betreuung hochaltriger und ggf. dementer Bewohner in ihrer Rolle als Patienten generieren und diese als Sorgfaltsmaßstäbe ausweisen. In diese Richtung geht meine vielfach missverstandene Argumentation, wenn ich die These vertrete, dass das Haftungsrecht nicht ohne weiteres den Maßgaben des Sozialrechts folgt. Vielmehr sollte umgekehrt gelten: Das Sozialrecht darf nicht die finanziellen Rahmenbedingungen gewähren, die nicht geeignet sind, den Sorgfaltspflichtenmaßstab zu erfüllen. Im Übrigen eine Diskussion, die sich auch hinter der "Priorisierungsdebatte" verbirgt und gerade ganz aktuell vom Medizinrechtler Katzenmeier auf dem 112. Deutschen Ärztetag aufgenommen wurde. Zwar hat auch er keine Patentlösung "parat", wenngleich er doch im Kern der These neue Nahrung zu geben scheint, dass im Zweifel der zivilrechtliche Haftungsmaßstab zu korrigieren sei. Dem vermag ich nicht ohne Weiteres aus prinzpiellen Erwägungen heraus zu folgen. Es mündet letztlich in die nachhaltig zu diskutierende These, ob das Haftungsrecht das sanktionieren darf, was vom Leistungsrecht nicht finanziert wird.

Aber wie bereits geschrieben: hierzu muss weiter solide argumentiert werden, denn ansonsten brauchen wir uns um eine angemessene Behandlung und Betreuung auch der hochaltrigen Patienten in Zeiten einer allgemeinen Priorisierung keine Gedanken mehr machen. Der Bewohner wird ein "Opfer" ökonomischer Betrachtungsweisen und da könnte dann ein Hinweis auf das Verfassungsrecht wiederum zielführend werden.

Mfg. Lutz Barth
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 24.05.2009, 15:30

Seher geehrter Herr Barth,

ich plädiere ausdrücklich dafür, dass Pflegekräfte nicht haftungsrechtlich verfolgt werden wegen Schäden, die auf einen unangemessenen Personalschlüssel zurückzuführen sind. Damit will ich gerade nicht sagen, dass Demenzkranke in einem haftungsrechtlichem Vakuum leben sollen, sondern diejenigen haftungsrechtlich herangezogen werden müssen, die für den Schaden tatsächlich verantwortlich sind. Falls ihre Argumentation Haftungsrecht vs. Sozialrecht also darauf hinausläuft, dass zunächst Pflegekräfte haftungsrechtlich verfolgt werden müssen, um dann festzustellen, dass sozialrechtliche Mängel vorhanden sind, bzw. um Druck auf das Sozialecht auszuüben, wäre das für mich genau der falsche Weg. Aber vielleicht habe ich sie da auch falsch verstanden.

Als Durchschnittsbürger ohne juristische Ausbildung geht es mir aber nach wie vor nicht in den Kopf, dass ein Staat für Personalschlüssel verantwortlich zeichnen darf, ohne den Nachweis auch nur eines Sachverständigen, dass damit eine ausreichende Pflege darstellbar ist, dass daraus sich ein Pflegenotstand zum Schaden Tausender Pflegebedürftiger entwickelt hat, und es dagegen offensichtlich keine juristischen Mittel gibt. Irgendetwas läuft hier gewaltig schief.
Im Grundgesetz ist auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit verankert. Wenn diese körperliche Unversehrtheit durch staatlich ausgehandelte strukturelle Mängel gefährdet ist, scheint mir das –wiederum als juristischer Laie- schon einen Gang nach Karlsruhe wert.

Insgesamt gehe ich derzeit davon aus, dass unsere Justiz in Bezug auf den Pflegenotstand und die daraus resultierenden Opfer kläglich versagt.

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