Anregung einer Betreuung - Schweigepflichtsverletzung?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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WernerSchell
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Anregung einer Betreuung - Schweigepflichtsverletzung?

Beitrag von WernerSchell » 06.02.2008, 08:52

Anregung einer Betreuung - Schweigepflichtsverletzung?

Schriftwechsel innerhalb einer Mailingliste (anonymisiert):

Frage:
.... ich würde gerne ein Problem am Rande des Betreuungsrechts ansprechen und hoffe auf fachkundige Meinungen.
Meine Frau ist in einer kleinen Beratungsstelle eines Wohlfahrtverbands tätig. Im Rahmen der Lebensberatung kam eine Frau zu ihr, die keinerlei Geld hatte und in einer Obdachlosenunterkunft wohnte. Es stellt sich schnell raus, dass die Frau wohl psychisch krank ist und nicht zur Arge oder dem Sozialamt gehen wollte. Sie hatte aber auch kein Geld, um sich Essen zu kaufen und sprach deswegen bei den sozialen Organisationen vor, um Geld zu bekommen.
Mein Frau regte dann über das Vormundschaftsgericht und die Betreuungsbehörde eine Betreuung an, weil sie befürchtete, dass die Frau verhungert. Die Betreuung wurde dann auch eingerichtet (bei einem Kollegen). Da die Frau alle Termine zur Anhörung nicht wahrnahm bzw. nie anzutreffen war, wurde sie beim Vormundschaftsgericht zur Anhörung und zur Begutachtung zwangsvorgeführt. Ich weiß nicht, ob ein Verfahrenspfleger eingeschaltet wurde. Übrigens hat meine Frau bis zur Klärung der Sache der Betreffenden immer Lebensmittel aus Spendenmitteln besorgt, damit sie was zu essen hat.
Nun ging beim Dienstherrn meiner Frau eine Dienstaufsichtsbeschwerde durch die Betreffende ein, weil meine Frau ihre Schweigepflicht verletzt hätte, da sie die vermutliche psychische Erkrankung den Behörden im Rahmen der Betreuungsanregung mitgeteilt hat.
Ich bin zwar sicher, dass meine Frau richtig gehandelt hat und sie hat das auch auf meinen Rat hin getan, es stellt sich aber die Frage, ob es irgendwo eine rechtliche Verpflichtung gibt, eine Betreuung anzuregen, wenn man von einer Gefährdung erfährt. Wäre es nicht unterlassene Hilfeleistung, wenn man in dem geschilderten Fall keine Betreuung anregt?
Der Arbeitgeber hat sich noch nicht klar geäußert, wie er das sieht. ...

Antwort:
.... es kann sich im vorliegenden Falle nur um die arbeitsrechtliche Schweigepflicht handeln, so dass einmal strafrechtliche Überlegungen nach § 203 StGB ausscheiden dürften. Ich denke aber, dass eine Gefahrenlage unterstellt werden kann, so dass auch arbeitsrechtlich keine Vorwürfe gerechtfertigt erscheinen. Der vermutete medizinische Befund hat ja auch durch Betreuereinsetzung eine Bestätigung gefunden!. Die Anregung beim Gericht war daher wohl nicht unbefugt, sondern sogar geboten (= Hilfeverpflichtung). Ich hätte allerdings im Vorfeld angeraten, die Angelegenheit mit dem Arbeitgeber (den Vorgesetzten) zu besprechen = eine Mitteilungsgenehmigung einzuholen. Jetzt hängt es davon ab, wie die Angelegenheit "oben" beurteilt wird. Ich denke aber, dass man den kleinen Verfahrensfehler, wenn überhaupt, nicht überbewerten darf. - Vielleicht informieren Sie weiter, so dass ggf. Argumentationshilfen nachgeliefert werden können.
Wir leben übrigens vielfach in einem Dilemma: Wir rufen alle nach (mehr) Zivilcourage und fordern Hinsehen. Kommt aber jemand seinen diesbezüglichen Pflichten nach, werden gleich Datenschutz, vermeintliche Gesetzesverstöße usw. bemüht. Wir in der Pflegekritik auch das Problem, dass wir mit vielfältigen mutmaßlichen Rechtsverletzungen befasst werden, aber bei Einschaltung der zuständigen Behörden schon wiederholt wegen angeblicher Rufschädigung etc. (sogar Abmahnung) bedroht werden sind. ...
Zuletzt geändert von WernerSchell am 19.10.2008, 10:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Gerhard Schenker
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Nachteilsfreie Mitteilungen an zuständige Stellen

Beitrag von Gerhard Schenker » 26.02.2008, 18:36

Nachteilsfreie Mitteilungen an zuständige Stellen

M.E. brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die bestimmt, dass in näher zu bezeichnenden Situationen, z.B. vermuteter Kindesmissbrauch, Pflegemängel, Abzocke zu Lasten öffentlicher Kassen, Meldungen an zuständige Stellen gewünscht sind und nachteilsfrei erfolgen können. Die jetzige Situation, die zulässt, dass möglicherweise wegen Rufschädigung usw. geklagt werden kann, ist nicht vertretbar. Dies animiert förmlich dazu, eher den Mund zu halten, wegzuschauen! Genau das können wir aber nicht brauchen.

In einer freiheitlichen auf die Menschenwürdegarantie festgelegten Gesellschaft müssen wir offen Missstände und Fehlentwicklungen aufzeigen dürfen, ohne gleich von den hierdurch möglicherweise "Betroffenen" mit rechtlichen und sonstigen Nachteilen überzogen zu werden.

Gerhard Schenker

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Re: Anregung einer Betreuung - Schweigepflichtsverletzung?

Beitrag von BtRecht » 28.02.2008, 11:10

WernerSchell hat geschrieben: .... ich würde gerne ein Problem am Rande des Betreuungsrechts ansprechen und hoffe auf fachkundige Meinungen.
Meine Frau ist in einer kleinen Beratungsstelle eines Wohlfahrtverbands tätig. Im Rahmen der Lebensberatung kam eine Frau zu ihr, die keinerlei Geld hatte und in einer Obdachlosenunterkunft wohnte. (...) Mein Frau regte dann über das Vormundschaftsgericht und die Betreuungsbehörde eine Betreuung an, weil sie befürchtete, dass die Frau verhungert.
Hier liegt meines Erachtens ein klarer Fall einer Schweigepflichtverletzung vor. Die Annahme, dass die Ratsuchende zu verhungern drohe scheint völlig aus der Luft gegriffen, denn sie befand sich ja schließlich in einer Obdachlosenunterkunft. Wenn wirklich eine akute Gefährdungssituation eingetreten wäre, hätte also immer noch jemand anders z.B. eine Betreuung anregen können. Die Betraterin hat mit ihrem Verhalten die Würde der Ratsuchenden mißachtet und meines Erachtens Beratungsstellen im allgemeinen geschadet, da ja gerade auch niederschwelliege Angebote den Vertrauensschutz wahren müssen um erfolgreich arbeiten zu können. Ferner wird hier das Instrument der Betreuung als reines Hilfsangebot verklärt. Jede Betreuerbestellung stellt immer auch einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar (BVerfG 1 BvR 618/ 93).

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