Sterbebegleitung schon heute uU straffrei
Sterbebegleitung ist schon heute straffrei unter den Voraussetzungen, dass es sicher dem Willen des Suiziden entspricht und ein Mittel genommen wird, dass eine Rettung nach Eintritt der Bewusstlosigkeit ausschließt. Allerdings dürfen keine Mittel verabreicht werden, aufgrund derer der Sterbegleiter gegen das Betäubungsmittelgesetzt verstößt (BGH, Urteil vom 7. 2. 2001 - 5 StR 474/ 00)[1] Sowohl das Anliegen von Dignitate als auch die Empörung darüber ist daher etwas unverständlich. Dignitate wird auch mit einem Musterprozess wohl keine Ausnahmen vom Betäubungsmittelgesetz erreichen.
Die Frage, ob auch im Notfall nach dem mutmaßliche Willen zu verfahren ist, ist dennoch nicht unerheblich, da bei strafloser Beihilfe zum Suizid dann im jeden Fall kein Vorwurf gegen Sterbebegleiter erhoben werden kann, wenn der Suizid sicher gewollt war, was aber, wenn alle Suizide betrachtet werden, meistens nicht der Fall ist. Laut einem Artikel von Spiegel Online hat der Psychologe Richard Seiden von der Berkeley-Universität 515 Fälle von Menschen untersucht, die gehindert wurden, in suizidaler Absicht von Brücken zu springen. Dabei stellte sich heraus, dass nur sechs Prozent sich später auf andere Weise das Leben nahmen. Wer sich aber daran hindern lässt von einer Brücke zu springen, wird auch keinen begleiteten Suizid begehen, wenn der oder die Sterbebegleiter verantwortlich handeln. Dominiert der Sterbebegleiter den Handlungsablauf, so ist er strafbar wegen Tötung auf Verlangen, unterstützt er jedoch allein die Handlungen des Suizidenten, so bleibt es bei der Straflosigkeit der Beihilfe zur Selbsttötung. Erkennt der Sterbebegleiter, dass der Suizid nicht dem mutmaßlichen Willen des Suizidenten entspricht, also der Suizid eigentlich nicht gewollt war, oder hätte der Sterbebegleiter es erkennen können, macht sich der Sterbebegleiter der unterlassenen Hilfeleitung schuldig.
Wenn Bosbach argumentiert, die organisierte Sterbehilfe sei zu verbieten, da bislang die Abgrenzung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Teilnahme an einer Selbsttötung zwar nicht immer einfach, im Ergebnis jedoch nur immer möglich gewesen wäre, da Unterstützungen von Suizidvorhaben in Deutschland bisher nicht im Rahmen einer organisierten Dienstleistung erfolgten, so ist das also nicht nachzuvollziehen, da Sterbebegleiter ein hohes persönliches Risiko eingehen. Das Suiziden, die Angebote in der Schweiz wahrnehmen unter dem Druck stehen, nun den Selbstmord auch zu vollziehen, spricht auch eher dafür, Sterbebegleitung in Deutschland zuzulassen. Verständlich ist hingegen das Anliegen, das Selbsttötung nicht zum Geschäft werden darf und die Überlegung, die diesbezügliche Tätigkeit von Organisationen zu unterbinden, da verzweifelte Menschen im Selbstmord zu leicht einen Ausweg sehen können.
[1] BGH, Urteil vom 7. 2. 2001 - 5 StR 474/ 00
- Pressemitteilung des BGH zu 5 StR 474/ 00
Auszug aus der BGH Entscheidung 5 StR 474/ 00:
„Zudem ist in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion des Problemkreises "Sterbehilfe und Sterbebegleitung" in jüngster Zeit eine Entwicklung in zweierlei Richtungen zu verzeichnen. Zum einen wird dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie ständig zunehmende Bedeutung beigemessen (vgl. Taupitz, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000; Otto, Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; jeweils m. N., und die Sitzungsberichte der jeweiligen Tagungen des Deutschen Juristentages). Zum anderen ist die sog. "indirekte Sterbehilfe" nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 301, 305; vgl. auch BGHSt 37, 376; 40, 257) und einem nahezu einhelligen Grundkonsens im Schrifttum zulässig (Kutzer NStZ 1994, 110, 114 f. m. N.). Dabei wird unter indirekter Sterbehilfe verstanden, daß die ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation beim tödlich Kranken nicht dadurch unzulässig wird, daß sie als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. Soweit eine solche Medikation den Tatbestand eines Tötungsdeliktes durch bedingt vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes verwirklicht, ist das Handeln des Arztes nach § 34 StGB gerechtfertigt, sofern es nicht - ausnahmsweise - dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht (Kutzer aaO; vgl. auch die demnächst veröffentlichte Podiumsdiskussion "Sterbehilfe - Sterbebegleitung" anläßlich der 50. Wiederkehr der Errichtung des Bundesgerichtshofs am 4. Mai 2000).“ - Quelle
Sterbebegleitung schon heute uU straffrei
Moderator: WernerSchell