Behandlungsfehler & hilflose Patienten ?
Verfasst: 10.04.2007, 17:41
Behandlungsfehler & hilflose Patienten -- TV-Tipp 10.04.2007
Frontal21 am 10. April 2007, 21.00 Uhr
Patienten werden im Kampf um ihr Recht oft allein gelassen
Hilflose Patienten
Gefälligkeitsgutachten bei Kunstfehlern
von Delf Gravert und Astrid Randerath
Wenn Ärzten Behandlungsfehler unterlaufen, müssen Patienten oft vor Gericht für eine Entschädigung kämpfen - jahrelang und meistens vergebens. Entscheidend dafür können willkürlich ausgewählte und voreingenommene Gutachter sein.
Als Irene Zobel das Krankenhaus betrat, wollte sie sich einem Routine-Eingriff an der Bandscheibe unterziehen. Wenig später war sie Patientin auf Lebenszeit. Seit zehn Jahren ist sie ständig auf fremde Hilfe und Schmerzmittel angewiesen. Schon als sie aus der Narkose erwachte, ahnte sie, dass etwas nicht stimmte: "Ich konnte nicht mehr sprechen, beziehungsweise der Versuch zu sprechen, das war so schlimm. Ich hatte solche Schmerzen und das hat keiner verstanden."
Als "schicksalhafter" Fehler abgetan
Die Operation an der Lendenwirbelsäule ging gründlich schief. Ein Narkosearzt, der den Beatmungsschlauch einführen wollte, verwechselte die Luftröhre mit der Speiseröhre. Dabei schlitzte er die Speiseröhre auf. Die Folge: eine so genannte Mediastinitis, eine lebensgefährliche Entzündung des Zwischenbrustraums mit Vereiterungen, Fieber, Bakterienabsiedelungen und schweren Atemstörungen. Irene Zobel überlebte nur knapp.
Sie verklagte den Narkosearzt - in erster Instanz erfolglos. Denn der Gerichtsgutachter tat den Fehler als "schicksalhaft" ab. Frau Zobel ging in Berufung und kann kaum fassen, was ihr da widerfuhr: Der vermeintlich unabhängige Gutachter aus dem ersten Verfahren saß im zweiten Prozess neben dem beklagten Arzt und unterstützte dessen Verteidigung - "was uns total schockiert hat, weil ich immer der Meinung war, dass ein vom Gericht bestellter Gutachter eben auch neutral sein sollte", so Zobel. Ein Interview mit Frontal21 lehnt der Mediziner ab.
Gutachter nehmen Mediziner in Schutz
Die Aussagen der medizinischen Gutachter sind entscheidend dafür, ob Patienten nach Behandlungsfehlern Schadensersatz zusteht und ob Versicherungen oder Sozialversicherungsträger zahlen müssen. Für die Betroffenen geht es dabei häufig um viel Geld und darum, ob sie trotz zum Teil erheblicher medizinischer Beeinträchtigungen ein Leben mit Anstand und guter Versorgung führen können. Doch in gerade mal vier Prozent der Fälle - so Versicherungen - werden Kunstfehler gerichtlich bestätigt.
Die als Gutachter fungierenden Mediziner würden häufig ihren beklagten Kollegen in Schutz nehmen, bemängeln Kritiker des Gutachterwesens. Die Folge seien Gefälligkeitsgutachten, gegen die die Patienten kaum eine Chance hätten. "Wie man landläufig sagt, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Der begutachtende Arzt tut sich sehr schwer, seinem Berufskollegen einen Behandlungsfehler vorzuwerfen", meint die Patientenanwältin Maja Steinert.
Gutachterbranche in der Kritik
Formal entscheiden zwar die Richter über die Anliegen der Patienten. Doch die, in der Regel ohne medizinische Vorkenntnisse, folgen oftmals kritiklos den ärztlichen Gutachten, so Experten. Loyalität unter Kollegen statt unvoreingenommener Analyse: Schon seit Jahren steht die Gutachter-Branche deshalb in der Kritik.
Zudem gibt es keine einheitliche Regelung, welcher Gutachter bestellt wird. Die Gerichte würden sich oft an die Ärztekammer wenden, und die empfehle halt irgendeinen Arzt von der Liste, so Maja Steinert - Zufall an Stelle von sorgfältiger Prüfung. Anderswo, beispielsweise in Großbritannien, müssen die Ärzte bei jedem Gutachten zunächst ihre eigene Kompetenz beweisen. Hierzulande wählten die Gerichte die Gutachter zum Teil sogar nach Gutdünken aus, vermutet Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg: "Wir haben manchmal den Verdacht, dass die Gutachter, die gegen Patienten sprechen, gerne wieder genommen werden."
Schlampige Gutachten
Ein weiterer Kritikpunkt: Gutachter werden unverhältnismäßig honoriert, verdienen pro Stunde weniger als sie in ihrer Funktion als Facharzt verdienen können. Sind in Folge dessen die Gutachten schnell und schlampig ausgeführt, müssen weitere Expertisen eingeholt werden - eine langwierige Angelegenheit zu Lasten der Patienten, die auf ihr Geld warten.
Auch Irene Zobel hat die Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen - zehn Jahre nach ihrer Operation. Zwar gab ihr der Richter Recht - einem Gutachter, der die Seiten wechselt, mochte er keinen Glauben schenken. Doch damit ist ihr juristischer Leidensweg noch lange nicht abgeschlossen. Denn nun geht es um die Höhe der Entschädigung. Und wieder hängt alles vom Gutachten ab.
Quelle: Pressemitteilung ZDF /Frontal21 - 10.4.2007
Frontal21 am 10. April 2007, 21.00 Uhr
Patienten werden im Kampf um ihr Recht oft allein gelassen
Hilflose Patienten
Gefälligkeitsgutachten bei Kunstfehlern
von Delf Gravert und Astrid Randerath
Wenn Ärzten Behandlungsfehler unterlaufen, müssen Patienten oft vor Gericht für eine Entschädigung kämpfen - jahrelang und meistens vergebens. Entscheidend dafür können willkürlich ausgewählte und voreingenommene Gutachter sein.
Als Irene Zobel das Krankenhaus betrat, wollte sie sich einem Routine-Eingriff an der Bandscheibe unterziehen. Wenig später war sie Patientin auf Lebenszeit. Seit zehn Jahren ist sie ständig auf fremde Hilfe und Schmerzmittel angewiesen. Schon als sie aus der Narkose erwachte, ahnte sie, dass etwas nicht stimmte: "Ich konnte nicht mehr sprechen, beziehungsweise der Versuch zu sprechen, das war so schlimm. Ich hatte solche Schmerzen und das hat keiner verstanden."
Als "schicksalhafter" Fehler abgetan
Die Operation an der Lendenwirbelsäule ging gründlich schief. Ein Narkosearzt, der den Beatmungsschlauch einführen wollte, verwechselte die Luftröhre mit der Speiseröhre. Dabei schlitzte er die Speiseröhre auf. Die Folge: eine so genannte Mediastinitis, eine lebensgefährliche Entzündung des Zwischenbrustraums mit Vereiterungen, Fieber, Bakterienabsiedelungen und schweren Atemstörungen. Irene Zobel überlebte nur knapp.
Sie verklagte den Narkosearzt - in erster Instanz erfolglos. Denn der Gerichtsgutachter tat den Fehler als "schicksalhaft" ab. Frau Zobel ging in Berufung und kann kaum fassen, was ihr da widerfuhr: Der vermeintlich unabhängige Gutachter aus dem ersten Verfahren saß im zweiten Prozess neben dem beklagten Arzt und unterstützte dessen Verteidigung - "was uns total schockiert hat, weil ich immer der Meinung war, dass ein vom Gericht bestellter Gutachter eben auch neutral sein sollte", so Zobel. Ein Interview mit Frontal21 lehnt der Mediziner ab.
Gutachter nehmen Mediziner in Schutz
Die Aussagen der medizinischen Gutachter sind entscheidend dafür, ob Patienten nach Behandlungsfehlern Schadensersatz zusteht und ob Versicherungen oder Sozialversicherungsträger zahlen müssen. Für die Betroffenen geht es dabei häufig um viel Geld und darum, ob sie trotz zum Teil erheblicher medizinischer Beeinträchtigungen ein Leben mit Anstand und guter Versorgung führen können. Doch in gerade mal vier Prozent der Fälle - so Versicherungen - werden Kunstfehler gerichtlich bestätigt.
Die als Gutachter fungierenden Mediziner würden häufig ihren beklagten Kollegen in Schutz nehmen, bemängeln Kritiker des Gutachterwesens. Die Folge seien Gefälligkeitsgutachten, gegen die die Patienten kaum eine Chance hätten. "Wie man landläufig sagt, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Der begutachtende Arzt tut sich sehr schwer, seinem Berufskollegen einen Behandlungsfehler vorzuwerfen", meint die Patientenanwältin Maja Steinert.
Gutachterbranche in der Kritik
Formal entscheiden zwar die Richter über die Anliegen der Patienten. Doch die, in der Regel ohne medizinische Vorkenntnisse, folgen oftmals kritiklos den ärztlichen Gutachten, so Experten. Loyalität unter Kollegen statt unvoreingenommener Analyse: Schon seit Jahren steht die Gutachter-Branche deshalb in der Kritik.
Zudem gibt es keine einheitliche Regelung, welcher Gutachter bestellt wird. Die Gerichte würden sich oft an die Ärztekammer wenden, und die empfehle halt irgendeinen Arzt von der Liste, so Maja Steinert - Zufall an Stelle von sorgfältiger Prüfung. Anderswo, beispielsweise in Großbritannien, müssen die Ärzte bei jedem Gutachten zunächst ihre eigene Kompetenz beweisen. Hierzulande wählten die Gerichte die Gutachter zum Teil sogar nach Gutdünken aus, vermutet Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg: "Wir haben manchmal den Verdacht, dass die Gutachter, die gegen Patienten sprechen, gerne wieder genommen werden."
Schlampige Gutachten
Ein weiterer Kritikpunkt: Gutachter werden unverhältnismäßig honoriert, verdienen pro Stunde weniger als sie in ihrer Funktion als Facharzt verdienen können. Sind in Folge dessen die Gutachten schnell und schlampig ausgeführt, müssen weitere Expertisen eingeholt werden - eine langwierige Angelegenheit zu Lasten der Patienten, die auf ihr Geld warten.
Auch Irene Zobel hat die Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen - zehn Jahre nach ihrer Operation. Zwar gab ihr der Richter Recht - einem Gutachter, der die Seiten wechselt, mochte er keinen Glauben schenken. Doch damit ist ihr juristischer Leidensweg noch lange nicht abgeschlossen. Denn nun geht es um die Höhe der Entschädigung. Und wieder hängt alles vom Gutachten ab.
Quelle: Pressemitteilung ZDF /Frontal21 - 10.4.2007