Ärzte sind nur selten unter den Schuldigen
Abrechnungsbetrug: Schwarze Schafe verzweifelt gesucht
„Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen“: Mit solchen Schlagzeilen ist die Publikums-Presse gerne und schnell bei der Hand. In Wirklichkeit ist die Zahl der Ärzte, die wegen Abrechnungsbetrug belangt werden, jedoch verschwindend gering. Das zeigt die Nachfrage bei verschiedenen KVen und Krankenkassen.
21.05.07 - Eine Pressemitteilung der Ersatzkassen im Rheinland über Abrechnungsmanipulationen im Gesundheitswesen wurde von den Medien wie üblich aufgebauscht: "Ersatzkassen fordern Geld von Ärzten zurück", wurde unter anderem getitelt.
Tatsächlich waren unter den 42 Fällen von Rückforderungen in den Jahren 2005 und 2006 aber nur zwei Ärzte betroffen. Bei den anderen handelte es sich um 35 Heil- und Hilfsmittelerbringer, vier Zahnärzte und ein Krankentransportunternehmen, bestätigten die Ersatzkassenverbände auf Nachfrage. Schwarze Schafe in weißen Kitteln fallen offenbar eher auf als die anderen "grauen" Berufe im Gesundheitswesen.
KV Nordrhein kommentiert Anschuldigung als "Unding des Monats"
"Unding des Monats", kommentiert die KV Nordrhein und stellt den Zusammenhang klar: Die rund 17.500 Mitglieder der KV Nordrhein rechnen im Jahr rund 25 Millionen Behandlungsfälle mit den Ersatzkassen ab und erhalten dafür rund 1,4 Milliarden Euro Honorar. Das entspricht 50 Millionen Behandlungsfällen in zwei Jahren und entsprechend 2,8 Milliarden Euro. Der behauptete Schaden beträgt eine Million Euro.
Rechnet man diesen auf die beiden betroffenen Ärzte herunter, macht das rechnerisch 48.000 Euro oder gerade mal 0,0017 Prozent des vom VdAK an die KVNo gezahlten Gesamthonorars aus - in den Augen der KV "ein Witz". Dabei handelt es sich bei den 42 nur um konkrete Verdachtsfälle, also Beschuldigungen. Die Rechtmäßigkeit der Rückforderungen muss erst noch geprüft werden.
Ein Blick durch die 17 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland ergibt ein ähnliches Bild wie in Nordrhein. In der KV Bayerns, die eine sehr aktive "81a-Stelle" hat, an die sich Ärzte, Kassen und Patienten bei Verdacht auf Abrechnungsbetrug wenden können, sind in den Jahren 2003 bis 2005 nur 19 Strafanzeigen gegen Kollegen ergangen, bei knapp 11.000 Prüfverfahren unter 22.000 Mitgliedern. Der Paragraf 81 a im SGB V verlangt von den KVen, eine Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten.
IKK-Vorstand Gernot Kiefer bescheinigt Ärzten Korrektheit
Berühmt-berüchtigt sind seit Jahren die Verdächtigungen durch den Leiter der Arbeitsgruppe Abrechnungsmanipulationen der Spitzenverbände der Krankenkassen, Gernot Kiefer. Der IKK-Vorstand füllt Jahr für Jahr das Sommerloch mit plakativen Beschuldigungen der Ärzte. Im letzten Jahr jedoch zeigte er sich unerwartet von einer ganz anderen Seite. Auf einer Tagung in Frankfurt bescheinigte er den allermeisten Ärzten, korrekt abzurechnen, und warnte davor, mit angeblich gigantischen Schadenssummen und unbedachten Äußerungen in der Öffentlichkeit viel Porzellan zu zerschlagen.
Korrektes Abrechnungsverhalten bescheinigte den Ärzten unter anderem auch die AOK Brandenburg in ihrem Prüfbericht für 2004 und 2005. Dabei waren nur fünf Ärzte auffällig geworden.
Schleswig-Holstein: 76 Prüfungen, eine einzige Anklage
In der KV Schleswig-Holstein gibt es ebenfalls wenig am Abrechnungsverhalten der Kollegen auszusetzen: Anlass zu einer Plausibilitätsprüfung sah die KV im gesamten Zeitraum 2001 bis 2005 nur in 76 Fällen, etwa wegen des Verdachts auf nicht persönlich erbrachte Leistungen oder der Beschäftigung von Assistenten ohne Genehmigung. Zu Disziplinarverfahren kam es in diesen vier Jahren nur in sieben Fällen, von denen sechs an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Nur in einem Fall kam es zur Anklage und auch zur gerichtlichen Verurteilung.
Auch in Thüringen ist die Zahl der Kassenärzte, die wegen Abrechnungsbetrugs belangt wurden, verschwindend gering. Nach dem ersten Bericht der Thüringer AOK zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen ergaben sich bei jährlich Hunderttausenden Leistungsabrechnungen zwischen Januar 2004 bis Oktober 2005 insgesamt nur 121 Verdachtsfälle für ein Fehlverhalten. Ganze 14 Ärzte waren von Überprüfungen betroffen. Zu den Sanktionierten gehören drei Ärzte, die Gelder zurückzahlen müssen. Gegen einen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die Strafanzeigen betrafen in Thüringen überwiegend Optiker.
Eifrige hessische Staatsanwälte ermitteln gegen mehr als 1.000 Ärzte
Eine Spezialität eigener Art gibt es jedoch in Hessen: Hier ist eine besonders eifrige Staatsanwaltschaft voll damit beschäftigt, möglichst vielen Ärzten - schon weit über 1000 - ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug anzuhängen. Es betrifft fast ausschließlich die Abrechnung von Speziallabor-Leistungen (GOÄ-Kapitel M III/M IV) bei Privat- und IGeL-Leistungen.
Diese Leistungen darf nur der abrechnen, der sie persönlich erbracht hat, in der Regel also der Laborarzt. Wird die Leistung jedoch vom veranlassenden Hausarzt in Rechnung gestellt, hält das der hessische Staatsanwalt für Betrug. Fast immer wird den betroffenen Ärzten dann angeboten, gegen Zahlung einer mehr oder minder hohen Summe das Verfahren einzustellen. Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die Ärzte auf den Handel ein, um Schaden für ihr Ansehen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Das Geld der Ärzte bleibt nur zu einem kleinen Teil in der Justizkasse; den Großteil erhalten soziale Einrichtungen und Sozialverbände, die daraus ihre Arbeit finanzieren.
Klaus Schmidt
Fundstelle:
http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_ ... 19.htm?n=1