Krankenunterlagen - Einsichtsrecht des Patienten
Verfasst: 20.07.2006, 16:54
Pressemitteilung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 12.7.2006:
Recht des Patienten auf Einsicht in seine Krankenunterlagen; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Januar 2006 – 2 BvR 443/02
Das BVerfG hat sich in seinem o.g. Beschluss mit dem Anspruch eines im Maßregelvollzug untergebrachten Patienten auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen auseinandergesetzt. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Einsichtnahme ohne Einschränkungen zu gewähren sei, da ein im Maßregelvollzug untergebrachter Patient ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse an der Information über seine Krankenunterlagen habe. Insbesondere die Rechtsprechung des BGH, wonach der Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme auf sog. objektive Befunde beschränkt sei und ein therapeutischer Vorbehalt der Offenbarung von Krankenunterlagen entgegenstehen könne, sei auf den Maßregelvollzug nicht anwendbar.
Der Verfassungsbeschwerde lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war in einem psychiatrischen Krankenhaus im Maßregelvollzug untergebracht. Im Laufe seiner Unterbringung wurden zuvor genehmigte Vollzugslockerungen widerrufen. Um nachvollziehen zu können, unter welchen Voraussetzungen die Lockerungen gewährt worden waren, bat der Beschwerdeführer um Einsicht in seine vollständigen Krankenunterlagen. Das betroffene Krankenhaus entgegnete, es könne lediglich die objektiven Befunde zur Verfügung stellen. Nachdem die Vorinstanzen eine vollumfängliche Einsichtnahme in die Krankenunterlagen abgelehnt hatten, begründete das BVerfG seine gegenteilige Entscheidung damit, dass das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten beinhalte, jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen zuzugestehen. Der Patient sei von den ärztlichen Unterlagen unmittelbar in seiner Privatsphäre betroffen und habe daher generell ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden sei und die weitere Entwicklung eingeschätzt werde.
Die Vorinstanzen hätten den Antrag unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH, wonach der Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme auf sog. objektive Befunde beschränkt sei und ein therapeutischer Vorbehalt der Offenbarung von Krankenunterlagen entgegenstehen könne, abgelehnt. Ob diese Rechtsprechung angesichts zwischenzeitlich veränderter Anschauungen aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung im Sinne einer höheren Gewichtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten bedürfe, könne zwar offen bleiben. Jedenfalls könne die Rechtsprechung aber nicht auf die Reichweite des Informationsanspruches im Maßregelvollzug angewendet werden, da ein im Maßregelvollzug untergebrachter Patient seinen Arzt anders als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis nicht frei wählen könne. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sei daher durch eine Verweigerung der Einsichtnahme in seine Unterlagen deutlich intensiver berührt. Auch die Interessen der behandelnden Therapeuten seien gegenüber dem Informationsinteresse des Patienten nachrangig. Subjektive Beurteilungen des Krankheitsbildes ermöglichten nicht notwendigerweise auch einen Einblick in die Persönlichkeit des behandelnden Arztes. Im Übrigen zähle eine derartige Dokumentation im psychiatrischen Bereich ohnehin nicht zum absolut geschützten Privatbereich desjenigen, der sie angefertigt habe, sondern richte sich von vornherein auch an Dritte, z.B. an nachbehandelnde Therapeuten oder externe Gutachter.
Anmerkungen:
Die weit zurück liegenden Entscheidungen des BGH zur Beschränkung des Einsichtnahmerechts des Patienten auf sog. objektive Befunde (Urteil vom 23. November 1982; VI ZR 222/79; NJW 1983, S. 328) und zum sog. therapeutischen Vorbehalt (Urteil vom 6. Dezember 1988; VI ZR 76/88; NJW 1989, S. 764) sind in der Literatur zwischenzeitlich äußerst kritisch bewertet worden. So lehnt z.B. Hinne (NJW 2005, S. 2270) den therapeutischen Vorbehalt gegen die Einsichtnahme in Unterlagen psychiatrischer Patienten als ungerechtfertigt ab. Bergmann (dK 2005, S. 1023) geht davon aus, dass das Einsichtsrecht des Patienten grundsätzlich alle Aufzeichnungen und damit auch die persönlichen Anmerkungen des Arztes umfasst und qualifiziert die Rechtsprechung insofern als nicht mehr zeitgemäß.
Das BVerfG hat nunmehr festgestellt, dass die Rechtsprechung des BGH zumindest auf den Bereich des Maßregelvollzugs keine Anwendung finden kann. Inwieweit die Rechtsprechung des BGH auch im Hinblick auf das privatrechtliche Behandlungsverhältnis als verfassungswidrig anzusehen sein könnte, wurde vom BVerfG allerdings ausdrücklich offen gelassen, da es für die Entscheidung über den Maßregelvollzug nicht erheblich war. Dennoch übt das BVerfG deutliche Kritik an der Rechtsprechung des BGH, indem es die Frage aufwirft, ob diese nicht angesichts zwischenzeitlich veränderter Anschauungen der Weiterentwicklung bedürfe und sich indirekt für eine höhere Gewichtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten ausspricht. Die Rechtsprechung des BGH hat im Ergebnis auch nach dem Beschluss des BVerfG weiterhin Bestand. Es bleibt aber abzuwarten, ob und inwieweit bestehende Einschränkungen bei der Einsichtnahme in Krankenunterlagen durch die Entscheidung des BVerfG künftig auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung einer erneuten Überprüfung unterzogen werden.
Quelle:
http://www.dkgev.de/dkgev.php/cat/116/a ... +BvR+44302
Recht des Patienten auf Einsicht in seine Krankenunterlagen; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Januar 2006 – 2 BvR 443/02
Das BVerfG hat sich in seinem o.g. Beschluss mit dem Anspruch eines im Maßregelvollzug untergebrachten Patienten auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen auseinandergesetzt. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Einsichtnahme ohne Einschränkungen zu gewähren sei, da ein im Maßregelvollzug untergebrachter Patient ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse an der Information über seine Krankenunterlagen habe. Insbesondere die Rechtsprechung des BGH, wonach der Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme auf sog. objektive Befunde beschränkt sei und ein therapeutischer Vorbehalt der Offenbarung von Krankenunterlagen entgegenstehen könne, sei auf den Maßregelvollzug nicht anwendbar.
Der Verfassungsbeschwerde lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war in einem psychiatrischen Krankenhaus im Maßregelvollzug untergebracht. Im Laufe seiner Unterbringung wurden zuvor genehmigte Vollzugslockerungen widerrufen. Um nachvollziehen zu können, unter welchen Voraussetzungen die Lockerungen gewährt worden waren, bat der Beschwerdeführer um Einsicht in seine vollständigen Krankenunterlagen. Das betroffene Krankenhaus entgegnete, es könne lediglich die objektiven Befunde zur Verfügung stellen. Nachdem die Vorinstanzen eine vollumfängliche Einsichtnahme in die Krankenunterlagen abgelehnt hatten, begründete das BVerfG seine gegenteilige Entscheidung damit, dass das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten beinhalte, jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen zuzugestehen. Der Patient sei von den ärztlichen Unterlagen unmittelbar in seiner Privatsphäre betroffen und habe daher generell ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden sei und die weitere Entwicklung eingeschätzt werde.
Die Vorinstanzen hätten den Antrag unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH, wonach der Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme auf sog. objektive Befunde beschränkt sei und ein therapeutischer Vorbehalt der Offenbarung von Krankenunterlagen entgegenstehen könne, abgelehnt. Ob diese Rechtsprechung angesichts zwischenzeitlich veränderter Anschauungen aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung im Sinne einer höheren Gewichtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten bedürfe, könne zwar offen bleiben. Jedenfalls könne die Rechtsprechung aber nicht auf die Reichweite des Informationsanspruches im Maßregelvollzug angewendet werden, da ein im Maßregelvollzug untergebrachter Patient seinen Arzt anders als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis nicht frei wählen könne. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sei daher durch eine Verweigerung der Einsichtnahme in seine Unterlagen deutlich intensiver berührt. Auch die Interessen der behandelnden Therapeuten seien gegenüber dem Informationsinteresse des Patienten nachrangig. Subjektive Beurteilungen des Krankheitsbildes ermöglichten nicht notwendigerweise auch einen Einblick in die Persönlichkeit des behandelnden Arztes. Im Übrigen zähle eine derartige Dokumentation im psychiatrischen Bereich ohnehin nicht zum absolut geschützten Privatbereich desjenigen, der sie angefertigt habe, sondern richte sich von vornherein auch an Dritte, z.B. an nachbehandelnde Therapeuten oder externe Gutachter.
Anmerkungen:
Die weit zurück liegenden Entscheidungen des BGH zur Beschränkung des Einsichtnahmerechts des Patienten auf sog. objektive Befunde (Urteil vom 23. November 1982; VI ZR 222/79; NJW 1983, S. 328) und zum sog. therapeutischen Vorbehalt (Urteil vom 6. Dezember 1988; VI ZR 76/88; NJW 1989, S. 764) sind in der Literatur zwischenzeitlich äußerst kritisch bewertet worden. So lehnt z.B. Hinne (NJW 2005, S. 2270) den therapeutischen Vorbehalt gegen die Einsichtnahme in Unterlagen psychiatrischer Patienten als ungerechtfertigt ab. Bergmann (dK 2005, S. 1023) geht davon aus, dass das Einsichtsrecht des Patienten grundsätzlich alle Aufzeichnungen und damit auch die persönlichen Anmerkungen des Arztes umfasst und qualifiziert die Rechtsprechung insofern als nicht mehr zeitgemäß.
Das BVerfG hat nunmehr festgestellt, dass die Rechtsprechung des BGH zumindest auf den Bereich des Maßregelvollzugs keine Anwendung finden kann. Inwieweit die Rechtsprechung des BGH auch im Hinblick auf das privatrechtliche Behandlungsverhältnis als verfassungswidrig anzusehen sein könnte, wurde vom BVerfG allerdings ausdrücklich offen gelassen, da es für die Entscheidung über den Maßregelvollzug nicht erheblich war. Dennoch übt das BVerfG deutliche Kritik an der Rechtsprechung des BGH, indem es die Frage aufwirft, ob diese nicht angesichts zwischenzeitlich veränderter Anschauungen der Weiterentwicklung bedürfe und sich indirekt für eine höhere Gewichtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten ausspricht. Die Rechtsprechung des BGH hat im Ergebnis auch nach dem Beschluss des BVerfG weiterhin Bestand. Es bleibt aber abzuwarten, ob und inwieweit bestehende Einschränkungen bei der Einsichtnahme in Krankenunterlagen durch die Entscheidung des BVerfG künftig auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung einer erneuten Überprüfung unterzogen werden.
Quelle:
http://www.dkgev.de/dkgev.php/cat/116/a ... +BvR+44302