Behandlungsverweigerung Altenheimbewohner

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

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Nicky2002
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Behandlungsverweigerung Altenheimbewohner

Beitrag von Nicky2002 » 14.07.2006, 08:04

Hallo!
Ich arbeite in einem Altenheim und wir bekommen oft neue Bewohner, die weiter weg gewohnt haben und nun einen neuen Hausarzt benötigen. Wir haben im Ort 3 niedergelassene Allgemeinmediziner und es ist jedes mal eine Qual, den Bewohner bei einem der Ärzte unterzubringen. Wir müssen immer ganz freundlich bitten und dann "überlegt" sich der Arzt, nachdem er die Diagnosen und Medikamentenverordnung angesehen hat, ob er den neuen Patienten aufnimmt. Ist dieses Verhalten nicht eigentlich unzulässig und als Behandlungsverweigerung zu werten. Es besteht doch eigentlich eine Verpflichtung zur Aufnahme eines neuen Patienten. Schließlich besteht doch auch für alte Menschen freie Arztwahl oder nicht?? Wie weit entfernt darf denn ein Patienten höchstens wohnen, dass ein Arzt ihn aufnehmen kann oder muss?
Ich ärgere mich seit langer Zeit über das Verhalten dieser Ärzte und hoffe auf eine Antwort :evil:

Herbert Kunst
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Ärztliche Versorgung in Heimen oft mangelhaft!!

Beitrag von Herbert Kunst » 14.07.2006, 09:52

Hallo Wicky,
die ärztliche Versorgung in den Heimen wird nach einer seriösen Studie als mangelhaft bezeichnet.
Zu diesem Thema gibt es in diesem Forum bereits umfangreiche Texte; siehe unter
Ärztliche Versorgung in Heimen oft mangelhaft!!
viewtopic.php?t=3387
Natürlich sind die Ärzte aus vielerlei Gründen verpflichtet, eine ärztliche Versorgung im Heim sicherzustellen. Aber - die Praxis sieht dann anders aus.
Man muss wohl in jedem Einzelfall Druck machen. Nach meiner Kenntnis hat sich der Pflege-Selbsthilfeverband e.V. bereits mit diesem Thema intensiv befasst. Ich würde ihn einmal konkret informieren.
Gruß
Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

WernerSchell
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Wo bleiben die Ärzte in Altenheimen?

Beitrag von WernerSchell » 18.07.2006, 06:28

Wo bleiben die Ärzte in Altenheimen?
Eine Studie entdeckt kaum bewusste Defizite im Pflegesystem


Ein Beitrag von Eckart Klaus Roloff

Die „Studie zur ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen" erforscht, wie die ärztliche Versorgung von HeimbewohnerInnen geregelt ist. Die Ergebnisse sind erschreckend: Es gibt kaum HeimärztInnen, die meisten BewohnerInnen haben keine Möglichkeit, in eine Arztpraxis zu gelangen, und die fachärztliche Versorgung ist fast nicht vorhanden.

Es gibt sie selbstverständlich dort, wo viele Patienten sind: in Krankenhäusern und Reha-Kliniken. Es gibt sie auch da, wo weniger zu behandeln ist: in großen Betrieben und Haftanstalten. Und sogar auf Kreuzfahrtschiffen. In Alten- und Pflegeheimen aber mit sehr vielen Schwerstkranken gibt es sie extrem selten: ÄrztInnen.

Auf dieses öffentlich kaum bewusste, dennoch schwere Defizit macht die „Studie zur ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen" aufmerksam. An ihr haben für die Stiftung „Daheim im Heim" mitgewirkt: die Gerontologin und frühere Bundesgesundheitsministerin Ursula Lehr, die frühere Bundesseniorenministerin Hannelore Rönsch, die Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein und der Epidemiologe Johannes Hallauer.

Diese Studie, erschienen im Verlag Vincentz Network Hannover, ist einmalig, auch wenn sie nur eine scheinbar alltägliche Frage aufwirft: Welche Rolle spielen ÄrztInnen in Alten- und Pflegeheimen, ob als niedergelassene Mediziner von außerhalb oder als Ärzte in Heimen? Diese Frage wurde schriftlich und bundesweit an 8.775 Heime gestellt, von denen 782 (gleich 8,9 Prozent) antworteten. Das ist unbefriedigend, erlaubt aber Auskunft über knapp 65.000 Pflegeplätze in allen 16 Bundesländern. Möglich ist, „dass die antwortenden Heime besonders gut organisiert sind", heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Die Realität ist noch schlimmer.

1,02 Prozent der Heime haben eigene ÄrztInnen

Das zentrale Ergebnis der Arbeit: Nur acht der 782 Heime, also 1,02 Prozent, werden ausschließlich durch angestellte HeimärztInnen versorgt, weitere zwölf zum Teil durch solche. Für 93 Prozent der Bewohner gilt die Pflegestufe 1 bis 3; sie sind also deutlich eingeschränkt. Sie haben Probleme mit dem Hören und Sehen, mit Herz, Kreislauf und Atmung, mit den Zähnen, der Verdauung, der Mobilität. Viele sind inkontinent, depressiv und dement. Nichts müsste näher liegen, als für sie Ärzte unter demselben Dach zu haben, so wie in Kliniken. Doch die sind weit weg.

Für 81 Prozent der BewohnerInnen ist ein Praxisbesuch unmöglich

Nun sind Heimärzte, so viel sie auch zu tun hätten, nicht unbedingt das beste Rezept. Es käme sehr auf deren Kompetenz, Erfahrung und Mitmenschlichkeit an. Auch dürfte es keinen Zwang geben, zu ihnen zu gehen. Wir haben schließlich freie Arztwahl – obwohl diese in Krankenhäusern, vielen kaum bewusst, durchaus eingeschränkt ist. Ein Ausweg wäre die Einbeziehung der Ärzte aus nahen Praxen. Doch viele von ihnen, so die Studie, gehen nicht in Heime; die Bewohner müssen zu ihnen kommen. Das aber schafften (bezogen auf den Monat vor der Befragung) selbstständig nur 3,3 Prozent, weitere 15,8 Prozent in Begleitung. Für knapp 81 Prozent war ein Praxisbesuch unmöglich. Das ist ein ebenso alarmierender Befund wie der folgende: Allgemeinmediziner treten zwar relativ häufig auf, aber die ebenso wichtigen Internisten, Neurologen, Augenärzte, Urologen, Zahnärzte, HNO-Ärzte, Pneumologen und Orthopäden spielen eine völlig nachrangige Rolle. Die Gründe dafür sind vielfältig: Oft glauben Angehörige und Betreuer, das Heim allein sei für Arztvisiten verantwortlich, doch das ist umstritten. Viele Bewohner können ihre Bedürfnisse nicht mehr klar artikulieren. Hausbesuche durch Kassenärzte sind ohnehin seltener als früher. Und die Regelung ihrer Vergütung (EBM 2000plus) ist unbefriedigend.

Die Studie belegt eine Zwei-Alters-Klassen-Medizin. Je älter und kränker Menschen werden, desto geringer ist ihre Chance, medizinisch individuell versorgt zu werden. Doch Heime mit ihren oft hohen Kostensätzen müssten speziell ausgebildete Ärzte haben. Kinder- und Jugendärzte gibt es viele. Gut so! Wo aber sind die Mediziner für die andere Seite des Lebens? Ursula Lehr ist sich sicher: „Wie oft könnte eine Facharztbehandlung nicht nur der Lebensqualität und größeren Selbstständigkeit der Bewohner helfen, sondern auch den Pflegeaufwand reduzieren!" Und: „Die Mängel bei den medizinischen Standards in Heimen müssen uns wachrütteln." Wird das geschehen?

Der Autor:
Eckart Klaus Roloff, geb. 1944, ist Medizinjournalist. Er leitet das Ressort Wissenschaft und Praxis der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur".

Quelle: Zeitschrift „Dr. med. Mabuse – Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe" Nr. 162 - Juli / August 2006, Seite 8
http://www.mabuse-verlag.de

Diesen Beitrag finden Sie in dieser Homepage auch unter
http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... ikel06.htm

Die Vorstellung des Beitrages erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor – Danke!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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Rob Hüser
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Ärztlicher Sicherstellungsauftrag für Altenheimbewohner

Beitrag von Rob Hüser » 21.07.2006, 20:16

Nicky2002 hat geschrieben: ....dann "überlegt" sich der Arzt, nachdem er die Diagnosen und Medikamentenverordnung angesehen hat, ob er den neuen Patienten aufnimmt. Ist dieses Verhalten nicht eigentlich unzulässig und als Behandlungsverweigerung zu werten. Es besteht doch eigentlich eine Verpflichtung zur Aufnahme eines neuen Patienten. Schließlich besteht doch auch für alte Menschen freie Arztwahl oder nicht?? Wie weit entfernt darf denn ein Patienten höchstens wohnen, dass ein Arzt ihn aufnehmen kann oder muss? ....
Die ärztliche Versorgung von Heimbewohnern ist in der Tat ein Problem, das gelöst gehört. Auch ich kenne Situationen, bei denen vieles schief lag, die Ärzte wollten nicht, es gab zahlreiche Diskussionen - Bewohner waren die Leidtragenden.
Grundsätzlich haben die Kassenärzte eine vertragsärztliche Versorgung zugesagt (= Sicherstellungsauftrag). Also, die Ärzte müssen insgesamt die Versorgung gewährleisten. Der einzelne Arzt hat aber Entscheidungsfreiheit, z.B. ob die Praxiskapazität noch einen neuen Patienten zulässt. Aus solchen Erwägungen heraus können sich dann leidige Diskussionen und Abwehrhaltungen ergeben. Letztlich muss aber die Versorgung gewährleistet werden. Zur Not muss die Kassenärztliche Vereinigung eingeschaltet werden.
Die freie Arztwahl und der Versorgungsanspruch scheitern also quasi an den praktischen Gegebenenheiten. Klar, auch das Geld spielt eine Rolle. Wenn die Budgetierung keine lohnende Honorierung erwarten lässt, wird kaum ein Arzt zur Übernahme eines neuen Patienten bereit sein. So ist das.

Rob

Anja Jansen
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Ärztliche Versorgung in den Heimen

Beitrag von Anja Jansen » 06.08.2006, 09:35

Hallo,
ich bin sehr dankbar für die Texteinstellungen zur mangelhaften ärztlichen Versorgung in den Heimen. Ich kann auch ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, einen Arzt ins Heim zu bringen. Die Ärzte schieben immer wieder allerlei Gründe vor, im Kern geht es wohl nur ums Geld. Der Weg ins Heim und die damit verbundenen Verrichtungen sind den Ärzten eher lästig, so dass sie immer wieder neue Ausflüchte suchen. Ein Skandal!
Der Ärztestreik und die damit verbundenen Forderungen sind bezeichnend:
viewtopic.php?t=4837
Der Ärzteschaft geht es offensichtlich nur ums Geld. Von berufsethischen Erwägungen ist nichts mehr zu entziehen.
MfG Anja

Bonsai

Ärztliche Versorgung der Heimbewohner skandalös schlecht

Beitrag von Bonsai » 17.08.2006, 07:13

Ich hörte jetzt auch von einer Situation, wo mehrere Ärzte die Behandlung einer Heimbewohnerin nicht übernehmen wollten. Der Zustand wurde aber schnell so kritisch, dass dann letztlich doch ein Arzt kam.
M.E. muss diese Thematik an die Kassenärztliche Vereinigung herangetragen werden; sie muss die Behandlung sicherstellen. In geeigneten Fällen sollte auch der Staatsanwalt eingeschaltet werden.

Bonsai

Dirk

Ärztliche Versorgung der Heimbewohner skandalös schlecht

Beitrag von Dirk » 10.09.2006, 07:14

Bonsai hat geschrieben: .... M.E. muss diese Thematik an die Kassenärztliche Vereinigung herangetragen werden; sie muss die Behandlung sicherstellen. In geeigneten Fällen sollte auch der Staatsanwalt eingeschaltet werden. ...
Guten Morgen,

tatsächlich muss der Sicherstellungsauftrag der Ärzte hier ins Spiel gebracht werden. Daher ist es richtig, die zuständige Kassenärztliche Vereinigung einzuschalten. Sie muss die ärztliche Versorgung, auch in den Heimen, sicherstellen.
Die reale Lage ist aber leider sehr unerfreulich. Bitte lesen unter:
Ärztliche Versorgung in Heimen oft mangelhaft!!
viewtopic.php?t=3387
Es kann auch an die Einschaltung der Staatsanwaltschaft gedacht werden. Aber - dabei kommt meistens nichts voran. Die Anforderungen an eine Anklage sind hoch, die Staatsanwälte kennen sich im Medizinrecht oft nicht genügend aus. Daher kann die Strafanzeige kaum eine Lösung bringen.

MfG
Dirk

Rob Hüser
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Rettungsdienst notwendig - immense Kosten!

Beitrag von Rob Hüser » 12.09.2006, 05:31

Ich hörte in den letzten Tagen erneut von einer Pflegesituation, bei der dringend ärztliche Hilfe erforderlich war. Zwei angesprochene Ärzte kamen aber nicht, sie ließen sich entschuldigen. Die Folge: In einem Fall mußte der Rettungsdienst eingeschaltet werden. Es kam zu einer Krankenhausaufnahme. Immense Kosten und - das Schlimme: Trapazen für die Bewohnerin!

Rob

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