Vatikan: Aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid ethisch verboten

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Vatikan: Aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid ethisch verboten

Beitrag von WernerSchell » 10.10.2020, 06:28

Pressemitteilung mit Anmerkungen!

katholisch.de

Glaubenskongregation veröffentlicht Dokument "Samaritanus bonus"
Vatikan: Aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid ethisch verboten


Lebensverkürzende Maßnahmen seien Zeichen einer "Wegwerfkultur" und keine Lösungen für die Probleme todkranker Patienten: Die Glaubenskongregation bekräftigt in einem neuen Papier die katholische Lehre zu aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid.


Aus Sicht des Vatikan bleiben aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid weiter ethisch verboten. In einem am Dienstag veröffentlichten Papier bekräftigt die Glaubenskongregation die katholische Lehre, nach der solche Schritte die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung überschreiten. Zugleich wendet sich die Vatikanbehörde gegen einen "unverhältnismäßigen und entmenschlichenden Einsatz von Technologien", vor allem in den kritischen Phasen des Lebens. Das 23 Seiten umfassende Schreiben auf Italienisch trägt den Titel "Samaritanus bonus" ("Der barmherzige Samariter").

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Kardinalpräfekt Luis Ladaria Ferrer (Foto) unterstrich bei der Vorstellung im Vatikan, Seelsorgern sei jede Geste verboten, die als Billigung einer freien Todeswahl verstanden werden könne. Patienten, die aktive Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid verlangten, könnten ohne Zeichen eines Widerrufs auch in der Sterbestunde keine Sakramente empfangen.

Lebensverkürzende Maßnahmen seien Zeichen einer "Wegwerfkultur" und keine Lösungen für die Probleme todkranker Patienten, heißt es in dem als "Brief" bezeichneten Dokument, das die Unterschriften von Ladaria und dem Kongregationssekretär Erzbischof Giacomo Morandi trägt. Das Schreiben betont die unaufgebbare Würde des Menschenlebens "auch in seinen extremen Phasen des Leidens und Todes". Schmerz und Tod könnten nicht die letzten Kriterien sein, nach denen sich die Menschenwürde bemesse, so die Glaubensbehörde. In komplexen Gesundheitssystemen drohe das Verhältnis zwischen Arzt und Patient auf technische und vertragliche Aspekte reduziert zu werden. Dieses Risiko bestehe vor allem in Ländern, in denen man Beihilfe oder gar gewerbsmäßige Hilfe zum Suizid sowie Tötung auf Verlangen legalisiere.

Todeswunsch fast immer der Ruf nach Hilfe und Liebe

Hinter dem Verlangen von Schwerkranken nach einer Beendigung ihres Lebens stehe fast immer der Ruf nach Hilfe und Liebe, heißt es in dem Schreiben. Die Antwort darauf müsse in Beistand und Zuneigung liegen. Faktoren bei einem Todeswunsch seien auch nicht behandelte Schmerzen, Mangel an "menschlicher und christlicher Hoffnung" und unzureichende psychologische und spirituelle Betreuung. Legitim ist es aus Sicht der katholischen Kirche hingegen, solche Maßnahmen abzulehnen, die nur eine geringfügige und schmerzhafte Lebensverlängerung bewirken. Ein Verzicht auf unverhältnismäßige Therapien könne in Achtung vor dem Willen der sterbenden Person erfolgen. Das Dokument verweist dabei auf Patientenverfügungen. Am aktuellen gesellschaftlichen Umgang mit Leid kritisiert der Vatikan eine verengte Auffassung von Lebensqualität und ein falsches Verständnis von Mitgefühl, ferner einen Individualismus, der andere als Last betrachtet, und einen heimlichen Wunsch nach Befreiung von den Grenzen der Körperlichkeit. Angst vor Leiden und Tod seien Hauptursachen für den Versuch, die "Ankunft des Todes zu kontrollieren" und zu managen.

Nachdrücklich spricht sich der Vatikan für eine Förderung der Palliativmedizin aus, besteht jedoch auf einer klaren Abgrenzung zur Suizidbeihilfe; diese sei in einigen Ländern nicht gegeben. Auch eine "Herbeiführung des Todes" durch die Einstellung künstlicher Ernährung wird als unzulässig abgelehnt. Eine Palliativversorgung verlangt die Kirche auch im Fall von lebensverkürzenden Erkrankungen von Embryonen und Neugeborenen. In dem Zusammenhang spricht das Dokument von einer "manchmal obsessiven Anwendung der Pränataldiagnostik". Eine Abtreibung sei unter keinen Umständen erlaubt. Die "Verwendung der Pränataldiagnostik für selektive Zwecke" sei Ausdruck einer "eugenischen Mentalität" und in schwerwiegender Weise unzulässig.

In seiner Argumentation fußt das Papier im Wesentlichen auf einer früheren Erklärung der Glaubenskongregation von 1980 und auf Lehrschreiben wie der Enzyklika "Evangelium vitae" (1995) von Papst Johannes Paul II. (1978-2005), aber auch auf Äußerungen des amtierenden Papstes Franziskus. Dieser beklagte wiederholt eine "Wegwerfkultur" gegenüber Kranken und Schwachen, mangelnde Zuwendung zu Leidenden und neue Vorstellungen einer individualistischen Selbsterlösung. (KNA)

Quelle: Pressemitteilung vom 22.09.2020 und weitere Informationen -> https://www.katholisch.de/artikel/26962 ... h-verboten


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Weitere Informationen:
Klare Abgrenzung zur Palliativmedizin gefordert - Vatikan bekräftigt Nein zu Sterbehilfe > https://www.kirche-und-leben.de/artikel ... tivmedizin
Vatikan: Bei Sterbehilfe keine Sakramente > https://rp-online.de/kultur/vatikan-kei ... d-53504131
Vatikan will bei Sterbehilfe Sakramente verweigern > https://www.spiegel.de/panorama/gesells ... 6b2a0e7f65


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Anmerkung der Moderation:

Vgl. zum Thema das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16 >>> https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 34715.html

>>> Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat mit Urteil vom heutigen Tage entschieden, dass das in § 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert. Hieraus folgt nicht, dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen untersagt ist, die Suizidhilfe zu regulieren. Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt. ...
Quelle: viewtopic.php?f=2&t=23485&p=112486#p112486

Angesichts dieser Rechtslage ist die neuerliche Entscheidung des Vatikans völlig unverständlich: Die Katholische Kirche argumentiert rückschrittlich und verweigert einem Menschen am Lebensende und in höchster Not Beistand mittels Sakramente … Kein Wunder, dass der Kirche die Mitglieder davon laufen!

Es ist im Übrigen selbstverständlich, dass jedem Menschen am Lebensende alle palliativen und hospizlichen Dienstleistungen zur Verfügung stehen müssen. Dort, wo es noch systemische Lücken gibt, müssen sie schnellstens geschlossen werden! Diesbezüglich wurden von mir bereits in den 1990er Jahren entsprechende Veröffentlichungen vorgestellt, u.a. in Buchform "Sterbebegleitung und Sterbehilfe" (siehe den angefügten Hinweis).

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat sich in vielfältiger Weise bei Pflegetreffs mit der Patientenautonomie am Lebensende (im weitesten Sinne) befasst und damit verdeutlicht, dass insoweit vielfältige Fragestellungen gegeben sind, die diskutiert und beantwortet gehören. Zu den Pflegetreffs können u.a. wie folgt Informationen abgerufen werden:

Pflegetreff am 22.10.2008 - Thema: "Patientenautonomie am Lebensende und die Palliativpflege":
> https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... eilung.php

Pflegetreff am 28.10.2009 - Thema: "Palliativversorgung und Hospizarbeit":
> viewtopic.php?t=11532

Pflegetreff am 23.06.2010 - Thema: "Patientenautonomie am Lebensende ...."
> viewtopic.php?t=14009

Pflegetreff am 19.11.2013 - Thema: "Palliativversorgung (Medizin & Pflege) - Hospizarbeit - Sterbebegleitung ambulant und stationär"
> viewtopic.php?t=18242
> https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... 122013.pdf
> https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... 112013.pdf

Pflegetreff am 22.10.2014 - Thema: "schwere Krankheit, Sterben, Tod ... (Patientenautonomie)"
> viewtopic.php?f=7&t=20451

Pflegetreff am 10.05.2017 - Thema: Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 132g SGB V) …
 Einführendes Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk im Forum hier > viewtopic.php?f=4&t=22110
 Bericht der Neuss-Grevenbroicher Zeitung vom 13.05.2017 hier > https://www.rp-online.de/nrw/staedte/rh ... -1.6816993
 Filmdokumentation Langfassung (rd. 2 Stunden) hier > https://youtu.be/4JyK_cU1Ayo
 Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 18.05.2017 hier (PDF) > https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... 052017.pdf
 Bilderschau (Auswahl) hier (PDF) > https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzw ... 052017.pdf

Unabhängig von den Pflegetreffs wurden mehrfach im Jahr Vortragsveranstaltungen zur Patientenautonomie am Lebensende angeboten (u.a. in der Volkshochschule Neuss und Bürgerhaus Neuss-Erfttal). Es wurde dabei v.a. über die Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung informiert (siehe z.B. unter > viewtopic.php?f=7&t=23103 ).

Werner Schell


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>>> http://www.wernerschell.de/html/sterbebegleitung.php

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Die Rheinische Post berichtete am 22.09.2020 zur Thematik (> https://rp-online.de/kultur/vatikan-kei ... d-53504131 ) und veröffentlichte am 01.10.2020 dazu einige Leserzuschriften. In einer Leserzuschrift heißt es u.a.:

"... Die Entscheidung ... zeigt wieder einmal, wie weit sich die Hirten der katholischen Kirhe von ihren Schafen entfernt haben. Sterbenskranke können ihr Leid manchmal nicht mehr aushalten. Manche Krankheitsverläufe bringen grausame Schmerzen mit sich, die sich nicht immer durch Medikamente vollständig kontrollieren lassen. Und nicht selten erwartet diese Patienten dann ein qualvolles Ende. Gläubige Menschen, die in dieser Situation selbst bestimmen möchten, wann ihr Leid ein Ende findet, diese Menschen lässt die katholische Kirche alleine. Sie verweigert ihnen Trost, Unterstützung und Beistand. Ja, sie straft sie regelrecht durch Entzug der Sakramente ab. Wen wundert angesichts solcher Entscheidungen noch die zunehmende Zahl der Kirchenaustritte? ....

Auch in der Ausgabe der Rheinischen Post vom 09.10.2020 wurde mittels Leserzuschrift kritisch zum Thema ausgeführt:

"... Wenn es meiner Kirche nicht gelingt, Untersützung und Barmherzigkeit zu gewähren, will ich (nach 70 Jahren) nicht mehr Mitglied sein. Von Trauer erfüllt!
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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WernerSchell
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Recht auf Selbsttötung? - Der Deutsche Ethikrat diskutierte am 22.10.2020

Beitrag von WernerSchell » 23.10.2020, 07:06

Aus Forum:
https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 92#p115692

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ÖFFENTLICHER TEIL DER PLENARSITZUNG DES DEUTSCHEN ETHIKRATES AM 22. OKTOBER 2020
Recht auf Selbsttötung?

Re-Live der öffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 2020 - 4,07 Stunden > https://youtu.be/aoKoACAKs5A

Quelle: https://www.ethikrat.org/sitzungen/2020 ... sttoetung/

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Anmerkung:
Zum Thema Sterben, Sterbebegleitung und Assistenz wird seit längerer Zeit diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu richtungsweisend geurteilt. Siehe insoweit > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =2&t=23485 / > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 86#p112486
Eine aktuelle Zusammenfassung der Beurteilung ist nachlesbar unter > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =2&t=23807


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Deutsches Ärzteblatt vom 22.10.2020:
Debatte im Ethikrat zur Sterbehilfe zeigt Meinungsbandbreite
Berlin – Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, mit dem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt wurde, sorgte in Fachkreisen und in der politischen Öffentlichkeit für intensive... [mehr] > http://170770.eu1.cleverreach.com//c/34 ... f61a7838ae

Ärzte Zeitung vom 22.10.2020:
Debatte im Ethikrat
Was heißt eigentlich „freies Sterben“?

Der Ethikrat hat offen über die Suizidbeihilfe diskutiert. Zentral war die Frage, warum ausgerechnet Ärzte mit dieser Aufgabe adressiert werden. Selbst ein neues Berufsbild, der Suizidassistent, ist in den Debattenraum eingezogen. … > https://www.aerztezeitung.de/Politik/Wa ... _TELEGRAMM
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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